RS Vfgh 2021/9/23 V155/2021

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Veröffentlicht am 23.09.2021
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art14 Abs5a
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 Z3
StGG Art2
EMRK 1. ZP Art2
EMRK Art8
COVID-19-SchulV 2020/21 BGBl II 384/2020 idF BGBl II 179/2021 §4a Abs2
Erlass des BMBWF vom 21.04.2021 betreffend den Schulbetrieb von 26.04.2021 bis 14.05.2021
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden und eng anliegenden mechanischen Schutzvorrichtung (Mund- und Nasenschutz) in AHS-Unterstufen, Mittel- und Polytechnischen Schulen auf Grund einer Bestimmung der COVID-19-SchulV 2020/21; Sachlichkeit der – wissenschaftlich empfohlenen – Maßnahme auf Grund der geringen Eingriffsintensität; gewichtiges öffentliches Interesse an Präsenzunterricht während der Pandemie iSd Bildungsauftrages der Schulen; hinreichende Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen; Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung der Anordnung, den Präsenzunterricht in Form eines Schichtbetriebs durchzuführen als zu eng gefasst

Rechtssatz

Abweisung des Individualantrags einer Schülerin auf Aufhebung des §4a Abs2 der Verordnung des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung zur Bewältigung der COVID-19 Folgen im Schulwesen für das Schuljahr 2020/21 (COVID-19-Schulverordnung 2020/21 - C-SchVO 2020/21) idF BGBl II 179/2021. Im Übrigen hinsichtlich §34 Abs1 erster Satz, Abs2 zweiter Satz, Abs3 erster bis vierter Satz und Abs6 sowie Anlage C der C-SchVO 2020/21 Zurückweisung des Antrags: Die konkrete Anordnung des Präsenzunterrichtes in Form eines Schichtbetriebes erfolgte für die Antragstellerin im Antragszeitpunkt durch den Erlass des BMBWF vom 21.04.2021, GZ2021.0.285.393, Schulbetrieb von 26.04. bis 14.05.2021. Laut Punkt 2.1 des Erlasses erfolgt in diesem Zeitraum der Unterricht an Mittelschulen, AHS-Unterstufen und Polytechnischen Schulen im Schichtbetrieb. Diese Anordnung des Präsenzunterrichtes in Form eines Schichtbetriebes gestaltet unmittelbar die Rechtssphäre von Schülerinnen und Schülern, weshalb der Erlass insoweit als Rechtsverordnung zu qualifizieren ist. Die Antragstellerin hat diese konkrete Anordnung des Präsenzunterrichtes in Form eines Schichtbetriebes für den relevanten Zeitraum weder im Hauptantrag noch in einem der weiteren Eventualanträge angefochten bzw deren Anwendung releviert. An dieses Vorbringen ist der VfGH gebunden und darf daher auch von sich aus die Anwendung auf der Ebene der Prüfung der Zulässigkeit nicht relevieren. Damit hat er sie bei der Prüfung der Zulässigkeit auch nicht anzuwenden. Den rechtlichen Bedenken der Antragstellerin könnte - sofern diese zutreffen - nur Rechnung getragen werden, indem der VfGH ausspricht, dass §34 Abs3 C-SchVO 2020/21 idF BGBl II 179/2021 und die konkrete Anordnung unter Punkt 2.1 des Erlasses gesetzwidrig waren. Bezüglich der Anfechtung der Durchführung des Präsenzunterrichtes in Form eines Schichtbetriebs erweist sich der Antrag daher insgesamt als zu eng gefasst.

Eine Verpflichtung zum Tragen einer den "Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung" für Personen, die sich im Schulgebäude aufhalten, war bereits in der Stammfassung der C-SchVO 2020/21, BGBl II 384/2020, vorgesehen. Auf Grund des Infektionsgeschehens wurde mit Verordnung BGBl II 464/2020 die Spezifikation der Schutzvorrichtung hin zu einer den "Mund- und Nasenbereich abdeckenden und eng anliegenden mechanischen Schutzvorrichtung" abgeändert. Mit Verordnung BGBl II 56/2021 wurde die Regelung erneut geändert und Schüler ab der 9. Schulstufe verpflichtet, eine Atemschutzmaske der Schutzklasse FFP2 ohne Ausatemventil oder eine äquivalente oder einem höheren Standard entsprechende Maske zu tragen). Schließlich wurde mit der Verordnung BGBl II 159/2021 die Systematik der C-SchVO 2020/21 adaptiert und die Regelung zum Tragen von Atemschutzmasken unter §4a verankert. Die Regelung nach §4a Abs2 C-SchVO 2020/21 idF BGBl II 179/2021 ist Teil eines Maßnahmenbündels, mit welchem im Sommersemester 2021 der Präsenzunterricht in Schulen vor dem Hintergrund der epidemiologischen Lage - insbesondere der Unsicherheiten, die mit der Infektiosität von Virusmutationen einhergingen - schrittweise wiederaufgenommen werden sollte.

Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) hat damit hinreichend dargelegt, auf welcher Informationsbasis beziehungsweise auf welchen Grundlagen die Entscheidung über die Anordnung einer Kombination mehrerer Schutzmaßnahmen - wozu die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden und eng anliegenden mechanischen Schutzvorrichtung gemäß §4a Abs2 C-SchVO 2020/21, zählt - zur Wiederaufnahme des Präsenzunterrichtes basiert.

Sachlichkeit des §4a Abs2 C-SchVO 2020/21:

Die Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 im Schulwesen beziehungsweise die Aufrechterhaltung des Schulbetriebs unter den Rahmenbedingungen der COVID-19-Pandemie liegt im öffentlichen Interesse. Der BMBWF konnte mit Blick auf die in den Verordnungsakten einliegenden wissenschaftlichen Empfehlungen auch vertretbarerweise davon ausgehen, dass die Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes gemeinsam mit weiteren Schutzmaßnahmen ein taugliches Mittel zur Erreichung dieses Ziels ist.

Der BMBWF führt nachvollziehbar aus, dass auf Grund der im Frühjahr 2021 bestehenden wissenschaftlichen Unsicherheit hinsichtlich der Infektiosität neu aufgetretener Virusmutationen eine Wiederaufnahme des Präsenzunterrichtes nur unter erhöhten Sicherheits- und Hygienevorkehrungen angezeigt war. Wie sich aus den vorgelegten Verordnungsakten ergibt, folgte der BMBWF mit der Kombination mehrerer Schutzmaßnahmen - wie regelmäßige Screenings mittels Antigen-Schnelltests und Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes - den wissenschaftlichen Empfehlungen des Complexity Science Hub Vienna sowie der Corona-Kommission.

Die Gewährleistung des Präsenzunterrichtes an Schulen stellt unter den Rahmenbedingungen der COVID-19-Pandemie vor dem Hintergrund des verfassungsgesetzlich verankerten Bildungsauftrages der Schule gemäß Art14 Abs5a B-VG ein besonders gewichtiges öffentliches Interesse dar. In Anbetracht der in den Verordnungsakten einliegenden klaren und unmissverständlichen wissenschaftlichen Empfehlungen sowie der geringen Eingriffsintensität der Maßnahme vermag der VfGH nicht zu erkennen, dass die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden und eng anliegenden mechanischen Schutzvorrichtung gemäß §4a Abs2 C-SchVO 2020/21 für den hier in Rede stehenden Zeitraum außer Verhältnis zum Gewicht der damit verfolgten Zielsetzung der Gewährleistung des Präsenzunterrichtes stand.

Der VfGH kann auch nicht erkennen, dass die durch §4a Abs2 C-SchVO 2020/21 verordnete Maßnahme einen unverhältnismäßigen Eingriff in den Schutzbereich des Art8 EMRK dargestellt hätte.

Entscheidungstexte

Schlagworte

COVID (Corona), Schulunterricht, Schulen, Verordnungserlassung, Bindung (des Verordnungsgebers), Verhältnismäßigkeit, Legalitätsprinzip, Kinder, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, Determinierungsgebot, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Individualantrag, Ausbildung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:V155.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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