TE Vwgh Beschluss 2021/10/20 Ra 2021/20/0365

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Veröffentlicht am 20.10.2021
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Index

E1P
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art13
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des Q M in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Jänner 2020, W279 2192435-1/10E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 9. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2        Mit Bescheid vom 12. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem Erkenntnis vom 10. Jänner 2020 als unbegründet ab. Weiters sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung derselben mit Beschluss vom 10. Juni 2021, E 612/2020-11, ablehnte. Über nachträglichen Antrag des Revisionswerbers wurde die Beschwerde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 30. Juli 2021, E 612/2020-13, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Daraufhin wurde die vorliegende außerordentliche Revision eingebracht.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision wendet sich in ihrer Zulassungsbegründung gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts.

9        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. etwa VwGH 8.9.2021, Ra 2021/20/0305, mwN).

10       Eine Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts vermag der Revisionswerber mit seinem Vorbringen nicht aufzuzeigen.

11       Insoweit die Revision eine Aktenwidrigkeit behauptet, ist ihr zu entgegnen, dass eine solche nur vorläge, wenn der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben worden wäre bzw. wenn sich das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hätte, nicht aber, wenn Feststellungen getroffen werden, die auf Grund der Beweiswürdigung oder einer anders lautenden rechtlichen Beurteilung mit den Behauptungen einer Partei nicht übereinstimmen (vgl. VwGH 3.9.2021, Ra 2020/14/0290, mwN). Eine solche Aktenwidrigkeit legt die Revision, die sich der Sache nach auch mit diesem Vorbringen gegen beweiswürdigende Argumente des Bundesverwaltungsgerichts zu richten sucht, nicht dar.

12       Wenn der Revisionswerber im Zusammenhang mit der Würdigung seines Fluchtvorbringens meint, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bestehe im Wesentlichen aus Textbausteinen, welche nicht im Zusammenhang mit seinem Vorbringen stünden, das Bundesverwaltungsgericht habe sich nicht mit der Zeugenaussage des Bruders des Revisionswerbers auseinandergesetzt und das Vorbringen des Revisionswerbers im Zusammenhang mit seinem Gesundheitszustand sowie seine zu Länderberichten eingebrachte Stellungnahme ignoriert, führt er Verfahrensmängel ins Treffen. Ferner bringt er vor, das Bundesverwaltungsgericht habe im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Revisionswerbers Beweisaufnahmen unterlassen und damit seine Ermittlungspflicht verletzt.

13       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hat das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhalts von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. etwa VwGH 19.7.2021, Ra 2021/14/0231, mwN).

14       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 8.9.2021, Ra 2021/20/0312, mwN).

15       Weiters unterliegt die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Ermittlungspflicht von Amts wegen weitere Ermittlungsschritte setzen muss, einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 16.10.2020, Ra 2020/20/0344, mwN).

16       In der Revision wird weder die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufgezeigt noch wird dargetan, weshalb das Bundesverwaltungsgericht - ohne entsprechende Beweisanträge - von der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen hätte ausgehen müssen. Dass sich das Bundesverwaltungsgericht über ein relevantes Parteivorbringen hinweggesetzt hätte, ist der Revision ebenso nicht zu entnehmen.

17       Insoweit sich der Revisionswerber gegen die im Rahmen der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK wendet, ist er auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. VwGH 3.8.2021, Ra 2021/20/0266, mwN).

18       Dass die Interessenabwägung in diesem Sinne unvertretbar wäre, vermag die Revision mit einem Verweis auf vom Bundesverwaltungsgericht ohnehin berücksichtigte Umstände nicht aufzuzeigen.

19       Insofern der Revisionswerber in der Zulassungsbegründung vorbringt, das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot und das Revisionssystem verletzten Art. 47 GRC, ist auf die Rechtsprechung zu verweisen, wonach das vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Revisionsmodell sowohl mit Art. 47 GRC als auch mit Art. 13 EMRK in Einklang steht (vgl. VwGH 9.1.2020, Ra 2019/19/0394; 24.10.2018, Ra 2018/14/0107, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung von VwGH, EGMR und EuGH).

20       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 20. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200365.L00

Im RIS seit

17.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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