TE Vwgh Erkenntnis 2021/10/20 Ra 2021/13/0063

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Veröffentlicht am 20.10.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
21/01 Handelsrecht
22/02 Zivilprozessordnung
27/01 Rechtsanwälte
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
36 Wirtschaftstreuhänder
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §10 Abs1
AVG §71
AVG §71 Abs1 Z1
BAO §308
BAO §308 Abs1
BAO §83 Abs1
RAO 1868 §15
RAO 1868 §15 Abs1
UGB §50
UGB §53
VwGG §46
VwGG §46 Abs1
WTBG 2017 §83 Abs3
ZPO §146
ZPO §31 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der N AG in L, vertreten durch die hba Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Karmeliterplatz 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 2. März 2021, Zl. RV/7100092/2021, betreffend Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Vorlagefrist betreffend Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013 und 2014), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Eingabe vom 3. Dezember 2018 beantragte die Revisionswerberin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung von Vorlageanträgen betreffend Beschwerdevorentscheidungen (Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013 und 2014). Die Frist zur Einbringung der Vorlageanträge habe mit 8. April 2018 geendet; die Vorlageanträge seien am 13. April 2018 eingebracht worden und seien daher verspätet.

2        Vorauszuschicken sei, dass die frühere Gruppenträgerin (die L GmbH) mit Verschmelzungsvertrag vom 29. Mai 2017 als übertragende Gesellschaft mit der Revisionswerberin als übernehmende Gesellschaft verschmolzen worden sei. Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung der Gruppe habe die Betriebsprüfung festgestellt, dass bestimmte Zinsaufwendungen in den Jahren 2013 und 2014 nicht abzugsfähig seien; die Feststellung habe sowohl die Gruppenträgerin als auch deren Tochtergesellschaft (Gruppenmitglied) N GmbH betroffen. Beide Gesellschaften hätten gegen die in der Folge ergangenen Feststellungsbescheide für die Jahre 2013 und 2014 Beschwerden erhoben. Nach abweisenden Beschwerdevorentscheidungen habe (nur) die N GmbH einen Antrag auf Verlängerung der Vorlagefrist gestellt. Parallel zur Frage der Abzugsfähigkeit der Zinsen seien im selben Zeitraum auch Rechtsmittel deswegen erhoben worden, weil das Finanzamt als Folge der Verschmelzung der damaligen Gruppenträgerin L GmbH mit der Revisionswerberin die Unternehmensgruppe als beendet und eine neue Unternehmensgruppe mit der Revisionswerberin als Gruppenträgerin festgestellt habe. Daraus hätte die Nachversteuerung von steuerhängigen Auslandsverlusten resultiert, was von der Revisionswerberin bestritten worden sei. Im Zuge dieses Verfahrens sei auch für die Gruppenträgerin ein Antrag auf Fristverlängerung betreffend Vorlagefrist gestellt worden. In den Monaten Februar und März 2018 seien daher zahlreiche Bescheide und Beschwerdevorentscheidungen ergangen; es hätten mehrere Rechtsmittelverfahren bearbeitet und Fristverlängerungen beantragt werden müssen. Im Zuge dieser komplexen Aufgabenstellung sei die zuständige Kanzleimitarbeiterin - eine Steuerberaterin - irrtümlich der Meinung gewesen, es sei auch im vorliegenden Verfahren (Abzugsfähigkeit von Zinsaufwendungen in den Jahren 2013 und 2014) für die Gruppenträgerin ein Antrag auf Verlängerung der Vorlagefrist gestellt worden. Aufgrund dieses Irrtums habe sie das Kontrollsystem der Kanzlei zur Wahrung von Fristen ausgeschaltet. Aus der Sicht der steuerlichen Vertreterin (einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung) sei darin ein unvorhergesehenes Ereignis zu erblicken. Die steuerliche Vertreterin habe ein - im Antrag näher beschriebenes - Kontrollsystem zur Wahrung von Fristen implementiert, welches in einem Organisationshandbuch beschrieben sei. Die zuständige Sachbearbeiterin habe aber zwei Fristverlängerungsanträge verwechselt. Dem Parteienvertreter sei kein grobes Verschulden anzulasten, da er den ihm zumutbaren Überwachungspflichten nachgekommen sei. Der Irrtum und die Fristversäumnis sei durch Zustellung des Vorlageberichtes am 14. September 2018 evident geworden, sodass der Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig sei.

3        Mit Bescheid vom 13. August 2020 wies das Finanzamt diesen Antrag ab. Nach den Angaben im Antrag auf Wiedereinsetzung - sowie in der hiezu erstatteten Ergänzung - sei es in der Kanzlei der steuerlichen Vertreterin durchaus Praxis, „unter dem“ Gruppenträger auch Schriftstücke von Gruppenmitgliedern zu vermerken. Fristverlängerungsanträge würden im Postausgangsbuch mit dem Betreff „Antrag auf Verlängerung der Vorlagefrist“ hinterlegt, ohne einen weiteren Hinweis auf Jahr, Abgabenart oder dazu aufzunehmen, ob die Verlängerung den Gruppenträger betreffe. Dennoch sei man nicht auf die Idee gekommen, nachzuforschen, ob bei den beiden Schriftstücken mit demselben Betreff trotz „Fülle von ergangenen Bescheiden“ an die Gruppe das gleiche Dokument vielleicht versehentlich zweimal versendet worden sei. Trotz der Verwechslungsanfälligkeit bei der Zuordnung sei ohne weitere Kontrolle davon ausgegangen worden, dass auch Anträge auf Fristverlängerung für Feststellungsbescheide Gruppenträger 2013 und 2014 erfolgt seien. Das Versäumnis sei nicht nur am Verschulden einer Mitarbeiterin gelegen, sondern am Versagen von zumindest gleich drei Personen (Sekretariat, Sachbearbeiter und Hauptsachbearbeiter).

4        Die Revisionswerberin erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, Frau P sei Steuerberaterin und als solche Mitglied der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Zum Zeitpunkt des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei sie seit vier Jahren bei der steuerlichen Vertreterin (der R GmbH) der Revisionswerberin tätig gewesen. P habe auch die vorliegenden Schriftsätze mit unterzeichnet.

7        Die R GmbH sei Zustellbevollmächtigte der Revisionswerberin (einer Gruppenträgerin einer Unternehmensgruppe) gewesen. Im Februar und März 2018 seien zahleiche Bescheide an diese Unternehmensgruppe ergangen; dazu seien Rechtsmittel zu ergreifen bzw. Fristverlängerungen zu beantragen gewesen.

8        Mit Schreiben vom 12. März 2018 sei beantragt worden, die Vorlagefrist betreffend die N GmbH (ein Gruppenmitglied) bis zum 30. April 2018 zu verlängern. Am selben Tag sei auch ein Antrag auf Vorlagefristverlängerung betreffend die Revisionswerberin abgesandt worden, dies habe aber eine andere Angelegenheit betroffen. Nachdem an P per E-Mail eine automatische Erinnerung über das Ende derjenigen Vorlagefrist ergangen sei, deren Versäumung zum vorliegenden Antrag auf Wiedereinsetzung geführt habe, und der zuständige Hauptsachbearbeiter (ein anderer Steuerberater) sowie das Sekretariat bei ihr dazu nachgefragt hätten, habe sich P am 6. April 2018 im Postausgangsbuch vergewissert, dass am 12. März 2018 zwei Anträge auf Verlängerung der Vorlagefrist gestellt worden seien, nämlich jener der N GmbH und jener der Revisionswerberin. Im Postausgangsbuch vom 12. März 2018 seien für die Revisionswerberin zwei Einträge mit der Bezeichnung „Antrag auf Verlängerung der Vorlagefrist“ erfasst gewesen. P habe angenommen, dass es sich dabei um Fristverlängerungsanträge für die Vorlageanträge betreffend „Zinsenabzug“ für die Jahre 2013 und 2014 betreffend die Revisionswerberin sowie die N GmbH gehandelt habe. Da die „Bescheidbeschwerde“ betreffend das Gruppenmitglied N GmbH auch an die Gruppenträgerin (die Revisionswerberin) adressiert gewesen sei und die R GmbH nur für die Revisionswerberin, nicht aber für die N GmbH zustellbevollmächtigt gewesen sei, sei die Frist betreffend das Gruppenmitglied N GmbH auch bei der Revisionswerberin erfasst worden.

9        Dass es sich bei einer der Fristverlängerungen für die Revisionswerberin um die Beschwerde im Zusammenhang mit einer anderen Angelegenheit gehandelt habe, sei im Postausgangsbuch nicht ersichtlich gewesen, da nur der Name des Klienten, die Bezeichnung „Antrag auf Verlängerung der Vorlagefrist“ und das Datum angezeigt worden sei. Im Glauben, die Frist - wie bei der N GmbH - ohnehin bis zum 30. April 2018 verlängert zu haben, sei der gemeinsame Vorlageantrag der Revisionswerberin und der N GmbH betreffend den Zinsenabzug 2013 und 2014 ohne zeitliche Priorisierung einer Qualitätskontrolle durch einen anderen Steuerberater unterzogen und nach Abschluss dieser Kontrolle am 13. April 2018 versandt worden.

10       Bei der R GmbH würden Kopien sämtlicher ausgehender Schriftstücke den zuständigen Sachbearbeitern übermittelt, sodass diese über vollständige Informationen betreffend den Postausgang verfügten. P hätte somit neben der Kontrolle des Postausgangsbuches auch die Möglichkeit gehabt, sich die zu den Eintragungen zugehörigen Schriftstücke anzusehen.

11       Im Antrag auf Wiedereinsetzung sei vorgebracht worden, das Verschulden eines Kanzleibediensteten stelle dann einen Wiedereinsetzungsgrund dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleibediensteten nachgekommen sei; im Antrag werde davon ausgegangen, dass diese Voraussetzungen erfüllt seien.

12       Diese Ausführungen setzten aber voraus, dass P als „Kanzleibedienstete“ zu behandeln sei. Entscheidend sei, ob P wie ein „Substitut“ oder wie ein „Rechtsanwaltsanwärter“ zu behandeln sei (Hinweis auf VwGH 5.6.1998, 97/19/1386). Ein eingetragener Rechtsanwalt, der in der Kanzlei des Parteienvertreters tätig und zeichnungsberechtigt sei, sei wie ein Substitut zu behandeln (Hinweis auf VwGH 28.3.2008, 2008/12/0031). Gleiches gelte für P. Diese sei eingetragene Steuerberaterin, sie habe die Schriftsätze der R GmbH mitunterzeichnet. Ihr Verschulden sei dem Verschulden der Revisionswerberin gleichzuhalten.

13       Im Antrag auf Wiedereinsetzung sei dargelegt worden, dass es auf Grund zahlreicher Bescheide betreffend die Gruppe der Revisionswerberin zu einer Verwechslung gekommen sei. Dazu habe beigetragen, dass zwar für die Revisionswerberin eine Zustellvollmacht vorgelegen habe, nicht aber für das Gruppenmitglied N GmbH. Diese Umstände deuteten auf eine Gefahrenlage hin, die Anlass zur Ausübung einer besonderen Sorgfalt bei der Kontrolle gegeben habe, ob tatsächlich ein Fristverlängerungsantrag betreffend die Revisionswerberin gestellt worden sei. Dadurch, dass P nach der automatischen Erinnerung per E-Mail über das Fristende und der Nachfrage des zuständigen Hauptsachbearbeiters sowie des Sekretariats ausschließlich eine Kontrolle durch das Postausgangsbuch vorgenommen habe, obwohl auch die Möglichkeit bestanden hätte, sich die zu den Eintragungen zugehörigen Schriftstücke anzusehen, habe ihr Verschulden einen bloß minderen Grad des Versehens überstiegen.

14       Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision. Zur Zulässigkeit wird geltend gemacht, der Verwaltungsgerichtshof habe sich bisher noch nicht zur Frage geäußert, ob im Zuge der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand das Versehen einer eingetragenen, aber nicht nach außen vertretungsbefugten Steuerberaterin, welches eine Fristversäumnis zu Folge gehabt habe, einem Versehen des den sie anstellenden Steuerberaters (bzw. der Wirtschaftstreuhandgesellschaft) gleichzuhalten sei. Aus der Rechtsprechung betreffend Rechtsanwälte sei abzuleiten, dass es darauf ankomme, ob die Person (auf deren Versehen die Fristversäumnis zurückzuführen sei) selbständig nach außen vertretungsbefugt sei. P sei nicht nach außen vertretungsbefugt gewesen. Insoweit weiche das angefochtene Erkenntnis von dieser Rechtsprechung ab.

15       Nach Einleitung des Vorverfahrens hat das Finanzamt eine Revisionsbeantwortung eingebracht; die Revisionswerberin hat hierauf repliziert.

16       Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

17       Die Revision ist zulässig und begründet.

18       Gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110 BAO) oder einer mündlichen Verhandlung ist nach § 308 Abs. 1 BAO auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

19       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten. Der Fehler eines Kanzleimitarbeiters eines bevollmächtigten Vertreters ist dem Vertreter (und damit der Partei) hingegen nur dann als Verschulden anzulasten, wenn der Vertreter die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht gegenüber dem Mitarbeiter verletzt hat (vgl. z.B. VwGH 16.3.1993, 89/14/0254; 15.5.2003, 2002/01/0580; 29.7.2004, 2004/16/0058; 27.6.2018, Ra 2017/15/0051, mwN; vgl. auch Ritz, BAO5, § 308 Tz 17).

20       Strittig ist im vorliegenden Fall, ob P - entsprechend dieser Rechtsprechung - als „Vertreter“ (Standpunkt des Bundesfinanzgerichtes) oder im Sinne des Revisionsvorbringens als „Kanzleimitarbeiter“ zu beurteilen ist.

21       Zur Wiedereinsetzung nach der Zivilprozessordnung (§ 146 ZPO; vgl. dazu, dass diese Bestimmung Vorbild war für jene des § 71 AVG, § 46 VwGG und § 308 BAO, VwGH (verstärkter Senat) 25.3.1976, 0265/75, VwSlg. 9024/A) wird vertreten, dass der Wiedereinsetzungswerber sich das Verschulden seines Vertreters, nicht aber Fehler Dritter anrechnen zu lassen hat. Als Vertreter zu behandeln sind auch Subbevollmächtigte (Substitute) einschließlich jener Personen, die nach den Verfahrensvorschriften selbst Vertretungshandlungen vor Gericht vornehmen dürfen (vgl. Gitschthaler in Rechberger/Klicka, ZPO5, § 146 Tz 18). Dies betrifft etwa Konzipienten nach § 15 RAO oder auch Kanzleibedienstete nach § 31 Abs. 3 ZPO (vgl. Deixler-Hübner in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³, § 146 Tz 51). Dabei ist aber zu beachten, dass die Unterfertigung von Eingaben an Gerichte und Behörden durch einen Rechtsanwaltsanwärter unzulässig ist (§ 15 Abs. 1 RAO).

22       In Übereinstimmung damit kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Verschulden des Konzipienten im Zusammenhang mit der Erstellung von Eingaben an Behörden nicht schlechterdings dem Verschulden des Rechtsanwaltes selbst und damit der Partei gleichgesetzt werden; es ist vielmehr zu prüfen, ob den bevollmächtigten Rechtsanwalt selbst ein Verschulden (Überwachungsverschulden) trifft (vgl. VwGH 5.6.1998, 97/19/1386, 1387; 2.5.2005, 2005/10/0064; 27.5.2014, 2014/16/0002; vgl. weiters- zu einem juristischen Mitarbeiter - VwGH 22.6.2017, Ra 2017/20/0050). Das Verschulden eines mit gleichen Rechten und Pflichten wie der Vertreter der Partei ausgestatteten Substituten trifft hingegen die Partei wie eigenes Verschulden (vgl. VwGH 13.3.1997, 96/15/0243; 10.12.1998, 98/07/0168; 15.2.2006, 2005/08/0215; 28.3.2008, 2008/12/0031; 18.12.2018, Ra 2018/16/0191).

23       Zur deutschen Abgabenordnung entspricht es der übereinstimmenden Ansicht von Rechtsprechung und Lehre, dass als Vertreter - dessen Verschulden der Partei zuzurechnen ist - auch rechtsgeschäftlich bestellte Vertreter (Bevollmächtigte) zählen; das Verschulden von Boten und nicht bevollmächtigten Angestellten ist hingegen der Partei nicht direkt zuzurechnen (nur bei Verstoß gegen Überwachungspflicht; vgl. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Lfg. 154, § 110 Rz 16).

24       Auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zwischen „Vertretern“ und „Boten“ zu unterscheiden (vgl. auch Hengstschläger/Leeb, AVG, 4. Lfg, §§ 71, 72, Rz 43 ff). Der Vertreter gibt anstelle des Vertretenen und mit Wirkung für diesen eine eigene Erklärung ab, der Bote überbringt lediglich eine Erklärung des Auftraggebers (vgl. VwGH 20.1.2005, 2004/07/0211, mwN). Das Verschulden des Vertreters ist dem Verschulden des vertretenen Wiedereinsetzungswerbers gleichzusetzen; das Verschulden eines Boten hingegen nur dann, wenn die Überwachungspflicht verletzt wurde (vgl. VwGH 26.5.2010, 2010/08/0081; 29.9.2017, Ra 2017/10/0105).

25       Für die hier zu ziehende Abgrenzung ist demnach entscheidend, ob jene Person, deren Verhalten zur Säumnis führte, befugt war, namens der Partei (der die Säumnis letztlich zur Last fällt) wirksam im Verfahren Erklärungen abzugeben. Das Verschulden dieser Person ist der Partei wie eigenes Verschulden anzulasten. Das Verschulden anderer Personen, die lediglich im Rahmen der Vorbereitung dieser Vertretungshandlung tätig waren oder die Erklärung bloß überbringen, ist hingegen nur dann der Partei anzulasten, wenn Überwachungspflichten verletzt wurden.

26       Unbestritten ist, dass die (wirksam bestellte) steuerliche Vertreterin der Revisionswerberin die R GmbH ist.

27       Ist der Parteienvertreter eine juristische Person, ist das Verschulden jenes Organs bzw. Vertreters der juristischen Person, der nach den gesetzlichen Vorschriften und den Organisationsnormen der juristischen Person zu deren Vertretung befugt ist und deren Eingaben an Behörden unterfertigt, dem Verschulden des berufsmäßigen Parteienvertreters - und nicht jenem des Kanzleipersonals desselben - gleichzuhalten. Auch das Verschulden eines Prokuristen einer Wirtschaftstreuhand- bzw. Steuerberatungsgesellschaft mbH, der eine Eingabe unterfertigt, ist der vertretenen Partei zuzurechnen (vgl. VwGH 8.10.1990, 90/15/0134; vgl. weiters - zum Prokuristen der Partei selbst - VwGH 24.11.1997, 95/10/0096). Auf eine Einzelvertretungsbefugnis kommt es hiebei nicht an: Auch das Verschulden einer Prokuristin, die gemeinsam mit einem Geschäftsführer für die Gesellschaft vertretungsbefugt ist, ist der Gesellschaft als Verschulden zuzurechnen (vgl. VwGH 15.11.2017, Ra 2015/08/0068).

28       Vertretungsbefugnisse werden nicht nur durch Organisationsnormen der juristischen Person eingeräumt; Vertretungsbefugnisse können auch rechtsgeschäftlich - wie etwa die bereits erwähnte Prokura - eingeräumt werden. Dass andere Vollmachten als die Prokura - wenn auch diese durch die Eintragung im Firmenbuch (§ 53 UGB) und ihre weitgehende Unbeschränkbarkeit (§ 50 UGB) hervorgehoben ist - in diesem Zusammenhang nicht zu berücksichtigen wären, ist nicht erkennbar (vgl. auch § 83 Abs. 3 Wirtschaftstreuhandberufsgesetz 2017: „besonders ermächtigter Berufsberechtigter“; vgl. weiters die bereits oben dargelegte Auffassung zur deutschen Abgabenordnung; vgl. auch Ritz, BAO6, § 83 Tz 11: der zivilrechtlich zur Vertretung der Wirtschaftstreuhandgesellschaft Befugte kann sich auf die der Gesellschaft erteilte Bevollmächtigung berufen). Auch eine Person, die - wenn auch etwa nur gemeinsam mit einem Geschäftsführer oder Prokuristen - zur Vertretung einer juristischen Person rechtsgeschäftlich bevollmächtigt ist, handelt als Vertreter dieser juristischen Person. Das Verschulden dieser Person ist der juristischen Person und damit auch der von dieser juristischen Person als steuerlicher Vertreter vertretenen Partei des Abgabenverfahrens zuzurechnen.

29       Im vorliegenden Fall wurden die Schriftsätze der Revisionswerberin (etwa Anträge auf Verlängerung der Frist zur Einbringung von Vorlageanträgen vom 9. März 2018 und vom 12. März 2018; Vorlageantrag vom 6. April 2018; aber auch der Antrag auf Wiedereinsetzung sowie die Beschwerde hiezu) jeweils von der R GmbH („Namens und auftrags“ der Revisionswerberin; vgl. dazu etwa Ritz, BAO6, § 83 Tz 10) eingebracht. Unterfertigt wurden die Schriftsätze von Steuerberaterin P und Steuerberater S.

30       Bei S handelt es sich - wie sich aus dem in den Verfahrensakten befindlichen Firmenbuchauszug ergibt - um einen Geschäftsführer der R GmbH, der im hier zu beurteilenden Zeitraum zur Vertretung gemeinsam mit einem weiteren Geschäftsführer oder einem Prokuristen befugt war (vgl. dazu auch § 52 Abs. 2 Wirtschaftstreuhandberufsgesetz 2017: „einzeln oder kollektiv“).

31       P war in diesem Zeitraum hingegen weder Geschäftsführerin noch Prokuristin. Dazu, ob P in jenem Zeitraum rechtsgeschäftlich bevollmächtigt war, für die R GmbH (gemeinsam mit einem Geschäftsführer oder einem Prokuristen) zu handeln, liegen keine Feststellungen vor. In der Revision wird geltend gemacht, P sei „nach außen“ nicht vertretungsbefugt gewesen. Dies steht allerdings in Widerspruch zu den in den Verwaltungsakten befindlichen Schriftsätzen, die allesamt von P gemeinsam mit dem Steuerberater S unterfertigt wurden.

32       Eine abschließende Beurteilung durch den Verwaltungsgerichtshof ist mangels Feststellungen zu dieser Frage nicht möglich. Das Bundesfinanzgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren zu prüfen haben, ob P bevollmächtigt war, (allenfalls) gemeinsam mit einem weiteren Vertreter der R GmbH diese zu vertreten und damit auch namens der Revisionswerberin zu handeln.

33       Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

34       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021130063.L00

Im RIS seit

17.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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