TE Vwgh Erkenntnis 1996/11/28 96/18/0524

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Veröffentlicht am 28.11.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z1;
FrG 1993 §20 Abs1;
FrG 1993 §21 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte

Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rigler und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Neumair, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 4. Oktober 1996, Zl. SD 1038/96, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 4. Oktober 1996 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen chinesischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer, der sich von 1985 bis 1993 in Österreich aufgehalten habe, sei am 11. Mai 1993 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) zu einer Freiheitsstrafe in der Höhe von 20 Monaten, davon 15 Monate bedingt, rechtskräftig verurteilt worden. Aus dem Urteil ergebe sich, daß er am 6. Mai 1992 in Wien seiner Gattin und seinem Schwager durch Hiebe bzw. Stiche und Schnitte mit einem chinesischen Messer sowie durch Hiebe mit einer Pfanne schwere Verletzungen, nämlich jeweils Knochenbrüche im Bereich des Schädelskelettes und (seiner Gattin) eine traumatische subtotale Amputation des zweiten Fingers der rechten Hand, zugefügt habe. Einige Tage "nach dem Strafurteil" habe der Beschwerdeführer das Bundesgebiet verlassen und sei nach Deutschland gereist. Von dort sei er am 18. Februar 1996 nach Österreich zurückgekehrt. Daraufhin habe die Erstbehörde gegen ihn ein Aufenthaltsverbot erlassen.

In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid habe der Beschwerdeführer vorgebracht, daß er die Wiederaufnahme des Strafverfahrens beantragt hätte und das Oberlandesgericht Wien dem Landesgericht für Strafsachen Wien aufgetragen hätte, ein Gutachten über den Geisteszustand des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der von ihm begangenen Straftat einzuholen. Der Ausgang des Wiederaufnahmeverfahrens wäre abzuwarten gewesen. Mit diesem Vorbringen sei für den Beschwerdeführer aus folgenden Gründen nichts zu gewinnen:

Das Urteil aus dem Jahr 1993 sei nach wie vor rechtskräftig, weil das Oberlandesgericht Wien lediglich den die Wiederaufnahme des Verfahrens ablehnenden Beschluß des Erstgerichtes mit der Begründung, daß nach dem vorgelegten Gutachten nicht ausgeschlossen werden könne, daß der Beschwerdeführer zur Tatzeit doch zurechnungsunfähig gewesen sei, aufgehoben habe. Die Behörde erster Instanz habe daher das Aufenthaltsverbot zurecht auf § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG gestützt. Darüber hinaus sei im Hinblick auf die durch die Straftat herbeigeführte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt.

Aber auch wenn - nach Wiederaufnahme des Verfahrens - kein rechtskräftiges Urteil mehr vorliegen sollte, würde dies - so führt die belangte Behörde mit näherer, auf das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers bezugnehmender Begründung weiter aus - nichts an der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltsverbotes ändern (vorbehaltlich der Zulässigkeit nach den §§ 19 und 20 FrG).

Was letztere anlange, so habe der Beschwerdeführer vorgebracht, daß sich seine Eltern, seine Schwester und sein Bruder in Österreich aufhielten. Es sei daher, ungeachtet der dreijährigen Abwesenheit des Beschwerdeführers, ein durch das Aufenthaltsverbot bewirkter Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers anzunehmen. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der Ziele des Art. 8 Abs. 2 MRK (hier: zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Rechte anderer) dringend geboten (und demnach im Grunde des § 19 FrG zulässig).

Auch die Interessenabwägung gemäß § 20 Abs. 1 FrG falle zu Ungunsten des Beschwerdeführers aus. Hier sei zu berücksichtigen gewesen, daß sich der Beschwerdeführer seit dem Jahr 1993 nicht mehr im Bundesgebiet aufgehalten habe. Bezüglich der von ihm relevierten Behandlung, die seiner Meinung nach nur in einem westlichen Staat mit moderner medizinischer Technik durchgeführt werden könne, werde auf die Tatsache verwiesen, daß der Beschwerdeführer auf Veranlassung seiner Familie vom Psychiatrischen Krankenhaus der Stadt Wien in das Bezirkskrankenhaus H/Oberbayern gebracht worden sei, weil er in Wien nicht richtig behandelt worden wäre. Die Behandlung des Beschwerdeführers müsse daher nicht unbedingt in Österreich durchgeführt werden.

Die Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes entspreche den für die Erlassung dieser Maßnahme maßgeblichen Umständen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gegen die auf unbestrittener Sachverhaltsannahme beruhende - zutreffende - Ansicht der belangten Behörde, daß das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. Mai 1993 nach wie vor rechtskräftig sei, bringt die Beschwerde nichts vor. Die belangte Behörde durfte demnach den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG als verwirklicht ansehen. Angesichts der Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen Straftat stößt auch die Auffassung, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit gefährde (§ 18 Abs. 1 FrG), auf keine Bedenken.

2. Die Beurteilung der belangten Behörde, daß die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer, ungeachtet des Vorliegens eines damit verbundenen (relevanten) Eingriffes in sein Familienleben, zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 MRK angeführten Zielen dringend geboten sei (§ 19 FrG), bleibt in der Beschwerde unbekämpft. Auch der Gerichtshof hegt gegen die Ansicht der belangten Behörde keine Bedenken, zumal die familiären Interessen des Beschwerdeführers im Hinblick auf seine nahezu dreijährige Abwesenheit von Österreich und die damit bewirkte Trennung von seinen Angehörigen sowie den erst einige Monate dauernden (neuerlichen) Aufenthalt im Bundesgebiet keineswegs so stark ausgeprägt sind, daß das maßgebliche gegenläufige öffentliche Interesse vor allem an der Verhinderung von strafbaren Handlungen zurückzustehen hätte.

3.1. Die Beschwerde wendet sich gegen das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung nach § 20 Abs. 1 FrG. Die diesbezüglichen Ermittlungen und Feststellungen seien mangelhaft. Es wäre zu berücksichtigen gewesen, seit wann sich der Beschwerdeführer im Bundesgebiet aufhalte und wie groß die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen zu Österreich seien. Hätte sich die belangte Behörde mit diesen Gesichtspunkten befaßt, so hätte sie die "große Integration in Österreich" festgestellt und dementsprechend kein Aufenthaltsverbot erlassen.

3.2. Entgegen der Beschwerdemeinung hat die belangte Behörde die Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich und seine familiären Beziehungen festgestellt. Hinsichtlich des Ausmaßes der Integration hat die belangte Behörde zu Recht die ca. dreijährige Abwesenheit des Beschwerdeführers von Österreich (1993 - 1996) hervorgehoben und dem vor dieser Zeit gelegenen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich (1985 - 1993) insoweit keine große Bedeutung beigemessen. Von daher gesehen ist der Grad der Integration des Beschwerdeführers - er hält sich erst seit etwa neun Monaten wieder in Österreich auf - lediglich als gering zu bewerten. Was das Gewicht der familiären Beziehung des Beschwerdeführers zu seinen Angehörigen anlangt, so wird dieses dadurch relativiert, daß er sich schon im Erwachsenenalter befindet (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 28. September 1995, Zl. 95/18/1212). Welche "sonstigen Bindungen zu Österreich" die belangte Behörde zu berücksichtigen gehabt hätte, wird in der Beschwerde nicht dargetan; vor allem fehlt ein Hinweis darauf, daß solche Bindungen im Verwaltungsverfahren geltend gemacht worden seien.

Die im Zusammenhang mit der Abwägung gemäß § 20 Abs. 1 FrG aufgestellte Beschwerdebehauptung, die "Berufungsbehörde gesteht zwar ein, daß eine "Ausweisung" nach China mit schweren Nachteilen verbunden wäre, sie vermeint jedoch, daß eine ausreichende medizinische Behandlung auch in der Bundesrepublik Deutschland möglich wäre", ist unzutreffend. Der erste Teil der (angeblichen) Aussage findet sich im angefochtenen Bescheid überhaupt nicht, der zweite Teil nicht in dieser Form; vielmehr hat die belangte Behörde die unbestrittene Tatsache, daß der Beschwerdeführer von seinen Angehörigen zur weiteren medizinischen Behandlung in ein Krankenhaus in Oberbayern gebracht worden sei, durchaus nicht unschlüssig dahin gewürdigt, daß eine zielführende Behandlung des Beschwerdeführers nicht nur in Österreich möglich sei.

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß es der Beschwerde nicht gelungen ist, eine Rechtswidrigkeit der nach § 20 Abs. 1 FrG vorgenommenen Abwägung aufzuzeigen.

4.1. Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde weiters vor, sie habe "keinerlei Nachforschungen und Erhebungen angestellt", ob beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft vorlägen. Hätte die belangte Behörde die "entsprechenden Erhebungen gepflogen, wäre sie zum Ergebnis gekommen, daß der Ausnahmetatbestand des § 20 Abs. 2 FrG gegeben ist" und demnach ein Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer nicht erlassen werden dürfe.

4.2. Nach der genannten Bestimmung darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgebenden Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311, hätte verliehen werden können. Primäre Voraussetzung für die Verleihung der Staatsbürgerschaft an einen Fremden ist gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 des genannten Gesetzes, daß er seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz im Gebiet der Republik hat. Da der Beschwerdeführer diese Voraussetzung unter Zugrundelegung der unbestritten gebliebenen Feststellungen über die Dauer und die zeitliche Verteilung seines Aufenthaltes in Österreich nicht erfüllt, kommt für ihn die Regelung des § 20 Abs. 2 erster Satzteil FrG nicht zum Tragen. Die von der Beschwerde vermißten "Nachforschungen und Erhebungen" waren somit entbehrlich.

5.1. Schließlich bringt der Beschwerdeführer vor, daß die "Dauer des Aufenthaltsverbotes zu lange bemessen wurde", es sei ein "unangemessen langes Aufenthaltsverbot ausgesprochen" worden.

5.2. Dazu ist festzuhalten, daß ein Aufenthaltsverbot - unter Bedachtnahme auf § 21 Abs. 1 FrG - für jenen Zeitraum, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird, und auf unbestimmte Zeit (unbefristet) zu erlassen ist, wenn ein Wegfall des Grundes nicht vorhergesehen werden kann. Die belangte Behörde hat vorliegend (in gerade noch hinreichender Art) zum Ausdruck gebracht, daß im Hinblick auf das besagte Fehlverhalten des Beschwerdeführers ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes erwartete werden könne. Diese Beurteilung kann angesichts der Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Straftat nicht als rechtswidrig erkannt werden. Im übrigen hat es die Beschwerde unterlassen darzutun, was die belangte Behörde hätte veranlassen müssen anzunehmen, daß die für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände vorhersehbarerweise vor Ablauf der festgesetzten Gültigkeitsdauer wegfallen würden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 14. November 1996, Zl. 96/18/0459).

6. Da nach dem Gesagten die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt - was bereits der Beschwerdeinhalt erkennen läßt -, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

7. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1996180524.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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