TE OGH 2021/9/14 8ObA59/20i

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Veröffentlicht am 14.09.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei F***** M*****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz RechtsanwältInnen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch Dr. Alice Gao-Galler, Rechtsanwältin in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Februar 2020, GZ 10 Ra 120/19v-51, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 26. März 2019, GZ 10 Cga 134/17y-45, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1]       Der Kläger war zunächst seit 2014 als Leiharbeiter und unmittelbar seit 27. 10. 2015 bei der beklagten Partei an der Dienststelle Allgemeines Krankenhaus als Hausarbeiter beschäftigt. In den ersten Jahren war er ausschließlich als „Proben- und Befundläufer“ damit betraut, Proben, Befunde und Blutpräparate innerhalb des Hauses an die zuständigen Stellen zu transportieren. Ab 26. 1. 2017 wurde der Kläger intern dem Bereich Ver- und Entsorgung zugeteilt, wo er mit dem Transport von verschiedensten Gütern, Recyclingmaterial und Abfällen in Containern zu und von den anfordernden Stellen beschäftigt war. Dazu gehörten die Bedienung der AT-Anlage, Abkoppeln und Absenden der Container für Speisen, Apotheke, Steril und Waren, Einsammeln der Recyclinggüter und Entsorgung, Austausch von Recyclingbehältern in der Wasch- und Desinfektionsanlage, Versorgung der Bereiche mit leeren Einweggebinden für Spitalsabfall und Entsorgung der Gebinde, Dokumentation der Stückzahlen, Entsorgen der Restmüllsäcke mittels Müllpresse, Entsorgung von Datenschutzpapier, diverse sonstige Transportarbeiten Bettentransporte von und zur Desinfektion sowie einzeln zuteilbare Sonderaufgaben. Insbesondere sind von den Mitarbeitern in diesem Bereich morgens, mittags und abends auch verschlossene und plombierte Essenscontainer zu den verschiedenen Stationen zu transportieren.

[2]       Anlass für die interne Versetzung des Klägers waren anonyme Beschwerden und Unstimmigkeiten unter den Mitarbeitern in seinem bisherigen Arbeitsbereich, an denen auch der Kläger nach Meinung der Beklagten beteiligt war. Tatsächlich konnte diese Beteiligung nicht festgestellt werden, ebensowenig eine sonstige konkrete Verfehlung. Der Kläger wurde nie förmlich ermahnt.

[3]       Der Kläger gehört seit 20 Jahren der hinduistischen Religion an und hat in seiner Glaubensgemeinschaft den Rang eines Brahmanen und Priesters. Er befolgt als solcher die strengsten Reinheitsvorschriften und lebt nicht nur vegetarisch, sondern es ist ihm aus religiösen Gründen jeder körperliche Kontakt mit Fleisch, Fisch oder Eiern untersagt. Dieses Verbot erstreckt sich auch auf das Hantieren mit verschlossenen und plombierten Essensbehältern, die diese Zutaten enthalten.

[4]            Der Kläger war nach seiner Zuteilung zur Ver- und Entsorgung deshalb nicht bereit, die neue Stellenbeschreibung zu unterfertigen. Er verrichtete alle aufgetragenen Tätigkeiten mit Ausnahme des Hantierens mit Lebensmittelcontainern. Diese Arbeit verweigerte er wegen Unvereinbarkeit mit seinen religiösen Vorschriften und wies auf deren Bedeutung für ihn sowie die Bereitschaft, andere Tätigkeiten zu verrichten, hin.

[5]       Vom 6. 2. bis 24. 3. 2017 war der Kläger durchgehend zunächst im Urlaub und anschließend im Krankenstand. Während dieser Zeit bewarb er sich bei der Beklagten vergeblich um eine Versetzung in eine andere Dienststelle. Da er von seiner Verweigerungshaltung nicht abrückte, wurde er zum 31. 5. 2017 gekündigt.

[6]            Hausarbeiter in der Verwendungsgruppe des Klägers werden im Allgemeinen Krankenhaus unter anderem in der Apotheke in einer fixen Anzahl beschäftigt. Der Kläger könnte auf eine solche Stelle intern versetzt werden und diese Tätigkeit ohne Konflikt mit seiner Religion ausüben.

[7]            Der Kläger begehrt, die Kündigung gemäß § 4a iVm § 54d Abs 1 des Gesetzes über das Dienstrecht der Vertragsbediensteten der Gemeinde Wien (VBO 1995) wegen Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung für rechtsunwirksam zu erklären.

[8]       Die Beklagte wandte zusammengefasst ein, sie habe die Kündigung nicht aus Gründen der Religion des Klägers ausgesprochen, sondern wegen seiner beharrlichen Weigerung, wesentliche Dienstpflichten zu erfüllen. Möglichkeiten einer anderen Verwendung oder Versetzung des Klägers hätten nicht bestanden.

[9]       Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es legte seiner Entscheidung zugrunde, dass die Beklagte den Kläger ohne Probleme in einem anderen Bereich des Krankenhauses als Hausarbeiter weiterbeschäftigen hätte können. Unter diesen Umständen wirke die Kündigung mittelbar diskriminierend und verstoße gegen § 4a Abs 1 VBO.

[10]     Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab.

[11]     Eine Überprüfung der in der Berufung bekämpften Tatsachenfeststellungen erübrige sich, weil die Weigerung eines Hausarbeiters, Lebensmittelcontainer zu transportieren, eine wesentliche Verletzung der festgestellten vertraglichen Hauptleistungspflichten begründe. Das Diskriminierungsverbot nach § 4a VBO 1995 gehe keinesfalls so weit, dass die Beklagte eine solche Einschränkung hinnehmen müsste, selbst wenn es ihr möglich wäre, dem Kläger eine andere, mit seinen Glaubensvorstellungen vereinbare Tätigkeit zuzuweisen.

[12]     Die auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision des Klägers strebt die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung an, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

[13]     Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil die Auslegung des § 4a VBO 1995 und die Reichweite bzw Grenzen der Fürsorgepflicht des Dienstgebers für eine große Zahl von Arbeitnehmern über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sind und bisher erst vereinzelt höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu besteht. Das Rechtsmittel ist im Sinne des gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[14]     1. Rechtsgrundlagen:

[15]           Die Regelung des § 4a VBO 1995, auf die das Klagebegehren gestützt wird, lautet in den für dieses Verfahren relevanten Teilen wie folgt:

„§ 4a (1) Dem Vertragsbediensteten ist es im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit verboten, andere aus Gründen der ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Weltanschauung, Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung – insbesondere unter Bedachtnahme auf den Personenstand und die Elternschaft – zu diskriminieren. Insbesondere darf im Zusammenhang mit einem Dienstverhältnis oder Lehrverhältnis zur Stadt Wien niemand von einem Vertragsbediensteten unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden, vor allem nicht

(...)

6. bei den sonstigen Arbeitsbedingungen und

7. bei der Beendigung des Dienstverhältnisses oder Lehrverhältnisses.

(...)

(2) Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in Abs 1 erster Satz genannten Merkmales in einer vergleichbaren Situation gegenüber einer anderen Person, auf die dieses Merkmal nicht zutrifft, zugetroffen hat oder zutreffen würde, benachteiligt wird.

(2a) Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine ihrem Inhalt nach neutrale Regelung, ein solches Beurteilungskriterium oder eine solche Maßnahme Angehörige einer bestimmten ethnischen Zugehörigkeit, Religion oder Weltanschauung bzw. Personen mit einer Behinderung, in einem bestimmten Alter oder mit einer bestimmten sexuellen Orientierung gegenüber Personen, auf die diese Merkmale nicht zutreffen, in besonderer Weise benachteiligt oder benachteiligen kann, es sei denn, die Regelung, das Beurteilungskriterium oder die Maßnahme ist durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(...)

§ 4b (1) Eine Diskriminierung im Sinn des § 4a Abs 1 liegt nicht vor, wenn

(...)

2. die Regelung, das Beurteilungskriterium oder die Maßnahme auf Grund der Art der auszuübenden dienstlichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung der Sicherung grundlegender dienstlicher Anforderungen dienen, sofern es sich um eine angemessene Anforderung handelt, (...)

Beendigung des Dienstverhältnisses

§ 54d (1) Ist das Dienstverhältnis eines Vertragsbediensteten infolge einer Verletzung des Diskriminierungsverbotes im Sinn des § 4a Abs 1 zweiter Satz Z 7 dieses Gesetzes oder nach einer gleichartigen dienstrechtlichen Bestimmung gekündigt (...) worden, ist die Kündigung (...) auf Grund einer Klage des betroffenen Vertragsbediensteten für rechtsunwirksam zu erklären. (...)

Besondere Verfahrensbestimmungen

§ 54i (1) Für das gerichtliche Verfahren (§ 54h Abs 1) gilt, dass der Kläger die Tatsachen glaubhaft zu machen hat, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen. Dem Beklagten obliegt es zu beweisen, dass keine Verletzung des Diskriminierungsverbotes vorgelegen hat. (...)“

[16]           Die gesetzliche Regelung der mittelbaren Diskriminierung in § 4a Abs 2a VBO 1995 ist vor dem Hintergrund der Regelung des Art 2 Abs 2 lit b RL 2000/78/EG zu lesen, die sie umsetzt (vgl 9 ObA 165/13z).

[17]           2. Im vorliegenden Verfahren führt die Beklagte zunächst zu Recht ins Treffen, dass die Einteilung des Vertragsbediensteten zu konkreten, innerhalb des Aufgabenkreises seiner Verwendungsgruppe liegenden Tätigkeiten eine neutrale, weil für alle Vertragsbediensteten in gleicher Weise geltende Regelung bzw Maßnahme darstellt, sowie dass das Dienstverhältnis eines Vertragsbediensteten gemäß § 42 Abs 1 VBO 1995 auch ohne Angabe eines Grundes gekündigt werden kann, wenn es noch nicht drei Jahre gedauert hat.

[18]           Auch eine an sich neutrale Maßnahme kann nach § 4a Abs 2a VBO 1995 diskriminierend wirken, wenn sie einen Vertragsbediensteten wegen seiner Religion gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligt oder benachteiligen kann, und wenn die Ausnahmen der sachlichen Rechtfertigung sowie der Angemessenheit und Erforderlichkeit der Mittel nicht Platz greifen.

[19]           3. Der Kläger releviert, dass es ihm nach dem Sachverhalt unmöglich, einen bestimmten Teil der Tätigkeit eines Hausarbeiters auszuführen, weil er damit seine religiösen Pflichten als Hindu-Priester zu verletzen glaubte.

[20]           Diesem Aspekt kommt im Lichte der ständigen Rechtsprechung zur Fürsorgepflicht des Arbeitgebers Berechtigung zu.

[21]           3.1 Es gehört allgemein zu den Pflichten eines Arbeitnehmers, den gerechtfertigten Anordnungen des Arbeitgebers nachzukommen, doch ist der Arbeitgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflicht seinerseits verpflichtet die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass die ideellen und materiellen Interessen des Arbeitnehmers gewahrt bleiben (RS0082303; RS0029841 [T4]). Bei einem Vertragsbediensteten muss die „entsprechende Verwendung“ für beide Vertragsteile zumutbar und angemessen sein; auf die Kenntnisse und Fähigkeiten des Bediensteten ist Bedacht zu nehmen (RS0082286 [T1]).

[22]           3.2 So kann etwa ein partiell arbeitsunfähiger Arbeitnehmer nur dann im Sinne des § 27 Z 2 AngG wegen Dienstunfähigkeit entlassen oder (als Vertragsbediensteter) gekündigt werden, wenn der Dienstgeber keine zumutbare Möglichkeit hat, ihm eine andere Arbeit zuzuweisen oder wenn der Arbeitnehmer ein entsprechendes Angebot des Arbeitgebers ablehnt. Der Dienstgeber kann insoweit nach der VBO 1995 im Rahmen seiner Fürsorgepflicht verhalten sein, einem partiell dienstunfähigen Arbeitnehmer nach Möglichkeit eine leichtere Arbeit zuzuweisen, zu deren Verrichtung er weiterhin in der Lage ist (RS0082286 [T2]; RS0082303). In einer Rücksichtnahme auf den Gesundheitszustand des Dienstnehmers liegt dabei kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot, sondern nur eine menschliche Selbstverständlichkeit und eine Folge der den Dienstgeber treffende Fürsorgepflicht (RS0082291 = 9 ObA 18/92).

[23]           3.3 Die religiöse Überzeugung eines Arbeitnehmers gehört, ähnlich wie die Gesundheit, zu seinem grundrechtlich und gesetzlich besonders geschützten höchstpersönlichen Lebensbereich.

[24]           3.4 Die Nichtdiskriminierung aufgrund der Religion ist ein grundlegendes Prinzip des Unionsrechts (vgl Art 21 GRC, Art 10 AEUV; 9 ObA 117/15v Punkt 4.1.2). Eine Ungleichbehandlung in den Grenzen des Art 4 Abs 1 RL 2000/78/EG – also wegen der Religion – kann nur unter besonderen Umständen als zulässig angesehen werden. Dies ist dann der Fall, wenn ein bestimmtes Merkmal eine spezifische berufliche Anforderung für eine bestimmte Tätigkeit darstellt, wobei diese Anforderungen eng zu verstehen sind (vgl 9 ObA 117/15v mwN; Windisch-Graetz in Rebhahn, GlBG § 20 Rz 3), sodass nur solche berufliche Anforderungen abgedeckt sind, die für die Ausführung der betreffenden Tätigkeit wesentlich und entscheidend sind (9 ObA 117/15v mwN; etwa Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG § 20 Rz 5, EuGH Rs C-222/84, Johnston, Rn 36, 37, 40; C-273/97, Sirdar, Rn 23; C-285/98, Kreil, Rn 20). Geht es um die Religionsfreiheit, ist das Interesse des Arbeitnehmers umso mehr zu beachten, umso eher die Maßnahme des Arbeitgebers die Kernthemen der jeweiligen religiösen Verpflichtung trifft (Windisch-Graetz aaO § 19 Rz 14).

[25]     3.5 Nach der Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung des Art 2 Abs 2 Buchstabe a der RL 2000/78/EG, an welcher Bestimmung sich die Auslegung des § 4a VBO 1995 zu orientieren hat, ist auch bei einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund der Religion zu prüfen, ob es dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der unternehmensinternen Zwänge und ohne eine zusätzliche Belastung tragen zu müssen, möglich gewesen wäre, dem Arbeitnehmer, der aus religiösen Gründen eine gerechtfertigte Anweisung nicht befolgt, einen geeigneten anderen Arbeitsplatz anzubieten, statt ihn zu kündigen (EuGH C-157/15 G4S Secure Solutions, Rz 43; vgl auch C-130/75 Prais).

[26]           3.6 Es liegt in der Fürsorgepflicht des Dienstgebers, die Verwendung, wenn dies ohne Belastung möglich ist, so zu gestalten, dass den Interessen beider Teile ausreichend Rechnung getragen wird, auch wenn die aus religiösen Gründen nicht befolgte Anordnung an sich sachlich gerechtfertigt, verhältnismäßig und angemessen war (EuGH C-157/15 Achbita, Rn 43; vgl auch BAG 2 AZR 636/09). Den Arbeitsablauf störende Gebetspausen müssen aber etwa ebensowenig geduldet (9 ObA 18/96) werden wie die Kommunikation massiv beeinträchtigende Verschleierungen (9 ObA 117/15v).

[27]     Die Grenzen der Gestaltungspflicht sind fließend. Sie geht nicht, wie die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung kritisch anmerkt, so weit, dass einer großen Arbeitgeberorganisation wie der ihren zwangsläufig die Pflicht auferlegt würde, jeder Person, die sich auf religiöse Zwänge beruft, einen anderen Arbeitsplatz anzubieten. Ein durch das Diskriminierungsverbot gesetzlich geschütztes Merkmal wie die Religion verschafft keinen Anspruch auf Besserstellung gegenüber anderen Arbeitnehmern. Die Annahme einer solchen Besserstellung wäre wohl als solche selbst wieder diskriminierend (EuGH C-193/17 Cresco) und könnte die Dispositionsfähigkeit der Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften einschränken. Es verbleibt aber die allgemeine Fürsorgepflicht im auf die Person der Arbeitnehmer bezogenen Arbeitsverhältnis, die es gebietet allgemein auch deren Gewissensgründe zu beachten (vgl etwa Auer-Mayer/Pfeil in Schwimann/Kodek ABGB5 § 1157 Rz 14 mwN), jedenfalls wenn damit weder für Arbeitgeber noch andere Arbeitnehmer Nachteile verbunden sind. Diese Gewissensgründe sollen nicht deshalb unbeachtet bleiben, weil sie auf religiösen Überzeugungen beruhen, die für jene, die dieser Religionsgemeinschaft nicht angehören, schwer nachvollziehbar sind.

[28]     Der Arbeitgeber ist nach der Rechtsprechung – selbst wenn das Gesetz ihm, wie in § 6 Abs 1 BEinstG, eine besondere Fürsorgepflicht auferlegt – nicht verpflichtet, geeignete Verweisungsarbeitsplätze durch Kündigung anderer Arbeitnehmer frei zu machen, seine Arbeitsorganisation umzustrukturieren oder gar nicht existierende Arbeitsplätze neu zu schaffen (RS0082303 [T7]; 9 ObA 21/08s). Auch findet der Schutz der religiösen Überzeugung seine Grenze jedenfalls auch bei der Gewährleistung der Rechte anderer und den darauf abzielenden, angemessenen Maßnahmen (vgl EGMR 48420/10 ua, Eweida ua).

[29]     4. Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Transport von Speisecontainern einen nicht unwesentlichen Teil des großen Spektrums der Leistungspflichten eines Hausarbeiters der Beklagten bildet. Das Erstgericht hat aber festgestellt, dass es „unter anderem“ im Bereich der Apotheke der Verwendungsgruppe des Klägers entsprechende, ebenfalls dem organisatorischen Bereich Ver- und Entsorgung angehörende geeignete Stellen gibt, auf die er intern ebenfalls versetzt werden könnte.

[30]           Nach dieser – in der Berufung bekämpften – Feststellung wäre der Speisecontainertransport keine zwingend erforderliche, entscheidende berufliche Anforderung an einen Hausarbeiter. Darauf deutet auch die Feststellung hin, dass der Kläger ursprünglich über ein Jahr lang in einem anderen Tätigkeitsbereich im Aufgabenspektrum des Hausarbeiters uneingeschränkt gearbeitet hat. Der Kläger wäre weiterhin fähig und bereit, diese Tätigkeiten zu verrichten.

[31]           Nachdem die Beklagte Kenntnis erhalten hatte, dass der Kläger aus religiösen Gründen wegen seines Gewissenskonflikts nicht mit Speisencontainern arbeiten kann, wäre es ihr im Rahmen der Fürsorgepflicht oblegen, ihm nach Möglichkeit und Zumutbarkeit (wieder) eine solche für ihn geeignete Position zuzuweisen. Ein Vertragsbediensteter kann zwar keinen Anspruch erheben, nur auf bestimmten Arbeitsplätzen oder nur in Teilbereichen des Geschäftskreises seiner Verwendungsgruppe beschäftigt zu werden, allerdings kann sich auch die Beklagte bei der Prüfung, welche Verfügungen im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht unter Berücksichtigung der Vermeidung einer Verletzung des Diskriminierungsverbots nach § 4a VBO 1995 zumutbar sind, nicht darauf berufen, ihn von vornherein nur in einem bestimmten Teilbereich einsetzen zu wollen. Wesentlich ist vielmehr, ob es der Beklagten ohne organisatorischen Aufwand und ohne gleichzeitige Benachteiligung eines anderen Bediensteten möglich wäre, den Kläger an einer für ihn geeigneten Position weiter zu beschäftigen.

[32]           Nach dem derzeit vorliegenden Sachverhalt stünde dem Nachteil des Arbeitsplatzverlustes beim Kläger kein über eine Änderung der Dienstzuteilung hinausgehender konkreter Nachteil auf Seiten der Beklagten oder anderer Arbeitnehmer gegenüber, der gegen eine Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses sprechen würde.

[33]     5. Davon ausgehend erweist sich die Rechtssache als noch nicht spruchreif.

[34]           Die beklagte Partei hat in ihrer Berufung Verfahrensmängel geltend gemacht und eine umfangreiche Beweisrüge erhoben. Sie hat – neben den Feststellungen zu den religiösen Motiven und Pflichten des Klägers und zum Umfang des von ihm zu beachtenden religiösen Verbots – insbesondere auch die entscheidungswesentlichen Feststellungen über die leichte Verfügbarkeit anderer, für den Kläger geeigneter Hausarbeiterstellen bekämpft. Das Berufungsgericht hat die Verfahrens- und Beweisrügen aufgrund seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht nicht behandelt.

[35]     Erledigt das Berufungsgericht eine Beweisrüge, mit der eine entscheidungswesentliche Feststellung bekämpft wurde, aus rechtlichen Gründen nicht, liegt mangels gesicherter Tatsachengrundlage ein Feststellungsmangel vor, der im Rahmen der rechtlichen Beurteilung in dritter Instanz wahrzunehmen ist (RS0043051).

[36]     Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (RS0043371 [T11]).

[37]     Der Kostenvorbehalt beruht auf § 2 ASGG, § 52 ZPO.

Textnummer

E133093

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:008OBA00059.20I.0914.000

Im RIS seit

17.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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