TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/14 W117 1403772-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.06.2021
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Entscheidungsdatum

14.06.2021

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55 Abs4

Spruch


W117 1403772-3/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. DRUCKENTHANER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.04.2019, Zl. 781075100-180989040, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.05.2021 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf acht Jahre herabgesetzt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und reiste gemeinsam mit seiner Großmutter und seiner Schwester ins österreichische Bundesgebiet ein. Am 30.10.2008 wurde für ihn ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.12.2008 abgewiesen, wogegen der BF in der Folge eine Beschwerde an den Asylgerichtshof (in der Folge: AsylGH) erhob.

Am 12.06.2012 zog der BF die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. (§§ 3 und 8 AsylG) zurück. Diese erwuchsen somit am 12.06.2012 in Rechtskraft.

Mit Erkenntnis des AsylGH vom 01.08.2012 wurde die Ausweisung des BF für dauerhaft unzulässig erklärt.

Am 14.08.2012 wurde dem BF durch die Bezirkshauptmannschaft Melk ein Aufenthaltstitel („Rot-Weiß-Rot-Karte plus“) erteilt, der in der Folge mehrfach, zuletzt bis 21.01.2019 verlängert wurde. Der BF beantragte fristgerecht eine weitere Verlängerung.

Im Rahmen des Parteiengehörs wurde der BF mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) vom 13.03.2019 darüber informiert, dass aufgrund mehrerer strafgerichtlicher Verurteilungen beabsichtigt sei, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot zu verhängen und ihm Gelegenheit gegeben, zum Sachverhalt Stellung zu nehmen sowie seine Privat- und Familienverhältnisse darzulegen. Ebenso wurde ihm Gelegenheit gegeben, zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Russischen Föderation vom 31.08.2018 (letzte Kurzinformation eingefügt am 28.02.2019) Stellung zu nehmen.

In seiner Stellungnahme vom 03.04.2019 brachte der BF zusammengefasst vor, dass er 2008 mit seinen Großeltern nach Österreich eingereist sei, um eine Ausbildung zu machen und ein normales Leben zu führen. Seither halte er sich durchgehend im Bundesgebiet auf. Er habe die Volksschule in XXXX abgeschlossen und danach mit der Hauptschule in XXXX begonnen, dort zwei Klassen absolviert und sei dann nach XXXX gezogen. Dort habe er die Hauptschule abgeschlossen, jedoch nicht positiv. Im Anschluss habe er seinen Schulabschluss im VSG-Learn Kurs binnen sechs Monaten positiv abgeschlossen und mit einer Lehre als KFZ-Mechaniker bei XXXX begonnen, jedoch nach drei Monaten wieder aufgehört. Anschließend habe er zwei verschiedene AMS-Kurse besucht und dann über eine Leasingfirma eine Stelle als Hilfsarbeiter bei der Firma XXXX (Montage) gefunden. Aufgrund einer Verletzung habe er dort bereits nach kurzer Zeit wieder aufgehört habe abermals einen AMS-Kurs besucht. Derzeit sei er nicht beschäftigt und habe auch kein Vermögen in Österreich, seine Familie würde ihn aber unterstützen, wenn er Hilfe brauche. In Österreich würden seine Großeltern, seine Schwester und seine Tante leben. Zu diesen habe er regelmäßigen Kontakt. In Belgien habe er einen Onkel. Er habe keine Aufenthaltsberechtigung für einen anderen europäischen Staat. In Österreich habe er sechs Jahre lang Judo trainiert und mehrere Turniere gewonnen. Alle seine Freunde sowie der Großteil seiner Familie befänden sich in Österreich, in seinem Herkunftsstaat würden nur noch zwei seiner Tanten leben. Er sei gesund und verfüge über keinerlei Barmittel. Es gebe keine Strafausschließungs- oder Rechtfertigungsgründe, die sein Verhalten rechtfertigen könnten.

Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid des BFA vom 17.04.2019 wurde gegen den BF gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt II.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot gegen ihn erlassen (Spruchpunkt III.), ihm gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt IV.) sowie einer allfälligen Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).

Mit Schriftsatz vom 13.05.2019 erhob der BF gegen diesen Bescheid durch seine ausgewiesene Rechtsvertreterin fristgerecht vollumfänglich Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen bemängelt, dass die Behörde sich nicht ausreichend mit dem Privat- und Familienleben des BF auseinandergesetzt und es unterlassen habe, den BF (persönlich) sowie Zeugen zur guten Integration des BF einzuvernehmen. Das durchgeführte Ermittlungsverfahren und die Beweiswürdigung der Behörde sowie die daraus resultierenden Feststellungen seien daher mangelhaft und der Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet. Darüber hinaus leide der Bescheid hinsichtlich der erlassenen Rückkehrentscheidung infolge der zugunsten der öffentlichen Interessen iSd Art. 8 EMRK vorgenommenen Interessenabwägung auch an einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Bestritten wird darüber hinaus die Rechtmäßigkeit der Verhängung eines Einreiseverbotes dem Grunde sowie der Dauer nach, da vom BF keine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit iSd § 53 Abs. 3 FPG ausgehe. Ausdrücklich hingewiesen werde darauf, dass gemäß § 53 Abs. 5 FPG getilgte Verurteilungen bei einem Vorgehen nach Abs. 3 leg. cit. nicht berücksichtigt werden dürften. Hinsichtlich der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer allfälligen Beschwerde liege ein Begründungsmangel vor, dies belaste den angefochtenen Bescheid ebenso mit Rechtswidrigkeit.

Beantragt wurde die gänzliche Behebung des angefochtenen Bescheides, insbesondere der Rückkehrentscheidung und des damit zusammenhängenden Einreiseverbotes, in eventu die Kürzung des Einreiseverbotes auf eine verhältnismäßige Dauer, in eventu die Zurückverweisung der Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung an das BFA sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

Am 21.05.2019 (einlangend am 23.05.2019) legte das BFA dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge: BVwG) die Verwaltungsakten vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Mit Schriftsatz vom 16.04.2021 stellt das BFA gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 2 iVm Abs. 7 B-VG den Antrag, der Verwaltungsgerichthof möge dem BVwG für die Entscheidung über die Beschwerde gegen den Bescheid vom 17.04.2019 eine Frist setzen.

Das BVwG führte am 19.05.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung (via ZOOM) durch, in welcher der BF, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH und unter Heranziehung eines Dolmetschers für die russische Sprache, zu seinen persönlichen Lebensumständen sowie zum Sachverhalt befragt wurde.

Die Verhandlung nahm entscheidungswesentlich folgenden Verlauf:

„[…]

R: Welche Schulausbildung haben Sie in Österreich absolviert?

BF: Ich habe die Volksschule und die Hauptschule absolviert. Am Anfang war es nicht positiv, dann habe ich die letzte Klasse wiederholt und dann war es ein sehr guter Abschluss.

R: Wann haben Sie den Hauptschulabschluss gemacht?

BF: 2016.

R: Was haben Sie nach dem Hauptschulabschluss gemacht?

BF: Ich habe mit der KFZ Lehre angefangen.

R: Warum haben Sie die KFZ Lehre nicht beendet?

BF: Zu dieser Zeit, habe ich die vierte Klasse abgeschlossen und ich begann die Lehre zu machen. Danach habe ich gemerkt, dass ich im ersten Lehrjahr nur 320 € bekommen habe und dann bin ich 18 geworden und trotzdem bekam ich nur 320 €. Zu dieser Zeit habe ich mir gedacht, ich habe eh einen guten Schulabschluss und werde mir eine andere Firma suchen.

R: Wie lange haben Sie dieser KFZ Lehre gemacht?

BF: 3 Monate.

R: Wann genau war das?

BF: Das weiß ich leider nicht mehr, ich glaube, das war 2017 Anfang.

R: Was haben Sie danach gemacht, nach dem Abbruch der KFZ Lehre?

BF: Danach war ich beim AMS Kurs. Ich habe einen Metallerkurs gemacht.

R: Wie lange hat der gedauert?

BF: Der hat vier Monate gedauert und von dort habe ich eine Arbeitsstelle gefunden.

R: Wie viel haben Sie da vom AMS bekommen?

BF: Das war zwischen 700 und 800 €.

R: Wo haben Sie dann gearbeitet?

BF: Bei der Firma XXXX , Baustelle, eine Leasingfirma.

R: Als was haben Sie gearbeitet?

BF: Da habe ich in der Montage gearbeitet.

R: Wie lange haben Sie dort gearbeitet?

BF: Ich glaube nicht länger als 1 Monat und aufgehört wegen einer Handverletzung.

R: Was haben Sie da gehabt?

BF: Ich fiel um und der mittlere Finger war sehr stark verletzt, sodass ich eine Operation benötigte.

R: Wie ging es dann weiter nach dem einen Monat?

BF: Dann habe ich ca. 1 Jahr nichts gemacht wegen der Handverletzung. Ich habe auch eine Physiotherapie gemacht. Danach bin ich wieder zu einem AMS Kurs gegangen.

R: Wann war das ungefähr?

BF: Das war Anfang 2018.

R: Was haben Sie da beim AMS gemacht?

BF: Das war ein Kurs, wo man lernt, eine Arbeit zu finden.

R: Wie lange hat dieser gedauert?

BF: Der Kurs dauerte nur einen Monat. Danach habe ich nichts gemacht. Danach bin ich in Haft gekommen.

R: Sie sind ja in der JA XXXX . Sind Sie von Anbeginn in der JA XXXX ?

BF: Am Anfang in der U-Haft war ich in XXXX .

R: Seit wann sitzen Sie in richtiger Strafhaft?

BF: Seit 15.02.2019. Ich bin vor drei Monaten nach XXXX gekommen. Zuvor war ich in der JA XXXX .

R: Haben Sie in der JA einen Beruf erlernt?

BF: Ich habe während der gesamten Haftzeit gearbeitet. In der U-Haft in XXXX habe ich als Dolmetscher für Tschetschenisch/Deutsch gearbeitet. In XXXX habe ich Verlängerungskabel gemacht.

R: Dass was ich in die Steckdose reinstecke?

BF: Ja. So Verlängerungskabel bis zu 100 Meter sogar.

R: War das Ihre einzige Tätigkeit in XXXX ?

BF: Nein. Mit der Zeit bin ich Freigänger geworden.

R: Seit wann waren Sie Freigänger?

BF: Ich bin am 20.10.2020 ins Freigängerhaus gekommen. Bis Jänner war ich dort drüben. Ich habe draußen gearbeitet. Wir haben für Autos A-Säulen gemacht (das ist die Firma XXXX in XXXX ).

R: Was ist eine A-Säule?

BF: Ich weiß es selber nicht so genau. Ich war da nur bei Schleifarbeiten tätig. Das hängt mit LKW´s eben zusammen.

R: Und in XXXX ?

BF: Hier habe ich wieder dasselbe mit Verlängerungskabel angefangen. Meine voraussichtliche Entlassung ist nächstes Monat. Ich habe vor 2-3 Monaten aufgehört zu arbeiten, weil man hier von den Besitzern dieser Firma oft provoziert wird und ich dachte mir, ich halte mich von solchen Problemen fern und deswegen sitze ich in der Zelle.

R: Sind Sie alleine in der Zelle?

BF: Nein, wir sind zu viert zurzeit in der Zelle.

R: Jetzt sitzen Sie 24 Stunden in der Zelle?

BF: 23 Stunden. Ich gehe 1 Stunde spazieren und mache Sport.

R: Beruf haben Sie jetzt keinen erlernt in der Haft?

BF: Nein. Um einen Beruf zu erlernen, hatte ich keine Möglichkeit.

R: Sie wurden ja vorzeitig aus der Haft entlassen und in dem entsprechenden Gerichtsbeschluss steht drinnen, dass mit entsprechenden Begleitmaßnahmen dies gerechtfertigt sei. Konkrete Begleitmaßnahmen befinden sich nicht in dem Beschluss. Welche Begleitmaßnahmen müssen Sie in Freiheit erfüllen?

BF: Ich möchte mein Leben in den Griff bekommen. Ich habe wirklich Fehler gemacht.

R: Welche Auflagen haben Sie?

BF: Neustart, Bewährungshilfe wird mir helfen. Da wird mir ein Coach zur Seite stehen.

R: Haben Sie schon eine Arbeit in Aussicht?

BF: Zurzeit nicht, aber es könnte sein, dass der Exmann meiner Tante mich aufnimmt, weil er eine Firma hat.

R: Was für eine Firma hat er?

BF: Das sind Großtransporte, z.B. Möbel, Kühlschränke und solche Sachen.

R: Wo wohnen Sie dann, wenn Sie entlassen werden?

BF: Ich wohne dann bei meinen Großeltern.

R: Welchen Status haben Ihre Großeltern in Österreich?

BF: Ich glaube, sie haben subsidiären Schutz, § 15?!

R: Handelt es sich bei der Großmutter um jene Person, die früher die Obsorge über Sie gehabt hat?

BF: Genau ja.

R: Von was leben die Großeltern?

BF: Die Großeltern bekommen Sozialhilfe.

R: Wie groß ist die Wohnung, wo Sie leben könnten?

BF: Die Wohnung ist 73 m² glaube ich.

R: Da wohnen nur die Großeltern und Sie dann?

BF: Da würden nur die Großeltern und ich wohnen.

R: Wo ist das?

BF: Das ist in XXXX .

R: Auffallend ist, dass Ihre vorzeitige Entlassung erst durch das OLG ausgesprochen wurde. Im erstinstanzlichen Beschluss wird dies unter anderem auch abgelehnt wegen Vorkommnisse während der Haft.

Wenn Sie sich dadurch jetzt strafrechtlich belasten würden, brauchen Sie nichts zu sagen. Um was ging es da ungefähr?

BF: Ich habe in meiner Haft keine Probleme gemacht und gehabt. Deswegen hatte ich auch nicht verstanden, warum ich nicht das „2/3“ bekomme und deswegen habe ich Beschwerde eingelegt. Eine Meldung liegt schon vor, weil ich das Freiarbeiterhaus verlassen hatte, weil ich dort draußen gearbeitet hatte bei der Firma XXXX . Da ist nichts vorgefallen. Von dem Freiarbeiterhaus wurde ein Arbeiter abgelöst, weil er Drogenpositiv war. Sie haben zu mir gemeint, dass ich statt ihm Hausarbeiter werden soll. Aber ich habe gesagt, ich möchte bei der Firma XXXX weiterarbeiten, weil ich da was lernen kann und als Hausarbeiter lernt man nichts für die Entlassung. Wegen dem haben sie mich von dem Freigängerhaus abgelöst.

Deswegen habe ich die Meldung bekommen wegen Arbeitsverweigerung. Aber ich habe nur gesagt, ich will normal weiterarbeiten und nicht als Hausarbeiter.

R: Haben Sie in Russland eine Schule besucht?

BF: Ich habe die dritte Klasse Volksschule in Tschetschenien fertiggemacht, bevor wir nach Österreich gekommen sind.

R: Leben Ihre Eltern noch, wenn ja, wo leben Sie?

BF: Als Krieg in Tschetschenien war, wurde mein Vater einfach mitgenommen. Damals war ich 11 Monate alt und meine Mutter hat mich und meine Schwester verlassen.

R: Warum hat Sie Ihre Mutter verlassen?

BF: Der Grund ist anscheinend, weil mein Vater so lange weg war. Zu dieser Zeit haben Sie fast jeden mitgenommen, den sie erwischt haben. Meinen Vater haben sie ohne einen ersichtlichen Grund mitgenommen.

R: Im Akt liegt auf, dass Ihr Vater besachwaltert in Tschetschenien ist.

BF: Das weiß ich nicht. Ich glaube aber nicht, dass das so ist. Da handelt es sich um den Großvater von mir und nicht um den Vater.

R: Haben Sie noch Kontakt mit Ihrem Vater?

BF: In letzter Zeit nicht, davor hatte ich schon Kontakt. Seit ca. einem Jahr habe ich keinen Kontakt mehr mit ihm.

R: Warum ist der Kontakt abgebrochen?

BF: Er hat zurzeit anscheinend keine Möglichkeit. Mein Vater ist in Russland und von mir aus gibt es auch nicht so viele Möglichkeiten, Kontakt aufzunehmen.

R: Als Ihre Mutter Sie verließ, lebten Sie dann mit dem Vater zusammen?

BF: Mein Vater ist zuerst in Haft gekommen. Ich war 11 Monate alt und meine Schwester 2 Jahre alt. Als das passierte, hat uns unsere Mutter verlassen. Ich habe sozusagen bis heute bei den Großeltern gelebt.

R: Was ist nach der Entlassung des Vaters passiert?

BF: Er ist 2007 aus der Haft gekommen, bevor wir nach Österreich gekommen sind. Er konnte leider nicht mit wegen der Dokumente und so.

R: Wo lebt Ihr Vater jetzt?

BF: Was ich weiß in Sibirien.

R: Was macht er dort?

BF: Davon habe ich keine Ahnung. Ich glaube, er arbeitet dort wahrscheinlich.

R: Haben Sie Kontakt mit Ihrer Schwester?

BF: Mit meiner Schwester habe ich Kontakt. Sie ist auch aktuell in XXXX .

R: Was macht Ihre Schwester in Österreich?

BF: Sie arbeitet bei der Caritas.

R: Was hat Sie für einen Status?

BF: Sie hatte wie ich Rot-Weiß-Rot plus Karte. Jetzt glaube ich hat sie sogar Dauervisum. Meine Schwester ist verheiratet und hat ein Kind. Ich habe zu diesem Kind Kontakt.

R: Werden Sie in der Haft besucht?

BF: Die letzten 6 Monate nicht von den Großeltern, weil ich ihnen gesagt habe, sie sollen wegen der Pandemie zu Hause bleiben. Davor war der Besuch jede Woche. Meine Schwester und ihr Kind haben mich jede zweite Woche besucht.

R: Wie alt ist ihr Kind?

BF: Der Kleine von der Schwester wird vier Jahre alt.

R: In dem Bescheid der Erstbehörde, in welchem eine Rückkehrentscheidung ausgesprochen wurde, wurde auch festgestellt, dass Ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist. Selbst haben Sie nie Probleme gehabt in Russland?

BF: Damals war ich ein Kind und hatte deswegen keine Probleme, aber ich habe vieles erlebt in meiner Kindheit. Ich habe gesehen, wie mein Opa geschlagen wurde und mein Onkel auch. Die älteren männlichen Mitglieder der Familie sind oft misshandelt worden. Es sind Soldaten hereingekommen ins Haus. Damit möchte ich nicht sagen, dass ich deswegen ein Problem haben könnte, aber ich bin hier in Österreich aufgewachsen und für mich ist das hier mein zu Hause.

R: Hinsichtlich der Ländersituation legen wir das umfassende LIB der Staatendokumentation aus dem Jahr 2021 zu Grunde und vergleicht man das mit den Feststellungen im Bescheid der Behörde ergibt sich eigentlich kein nennenswerter Unterschied. Wollen Sie zu den Länderinformationen separat Stellung nehmen?

RV: Nein, das ist nicht notwendig.

R: Wer von Ihren Familienangehörigen lebt sonst noch in Tschetschenien/Russland?

BF: In Tschetschenien lebt die erweiterte Verwandtschaft von der Opa Seite. Im Rest von Russland gibt es außer dem Vater niemanden, was ich weiß und ich habe keinen Kontakt zu den verbliebenen Verwandten in Tschetschenien.

R: Haben Sie eine Frage?

RV: Sie haben vorher erwähnt, dass Sie der Arbeit nicht mehr nachgehen wollen, weil Sie des Öfteren provoziert worden sind. Wie würden Sie reagieren, wenn Sie in Freiheit provoziert werden würden?

BF: Ich habe oft wegen Provokationen auch zugeschlagen oder sonst was, aber ich habe in meiner Haftzeit nachgedacht. Ich sitze bald 3 Jahre und ich habe eingesehen, dass es sich nicht lohnt hier eingesperrt zu verbringen. Ich wurde in meiner Haftzeit auch oft provoziert, aber ich habe mich ferngehalten, weil ich eingesehen habe, dass es sich nicht lohnt.

R: Die Strafurteile weisen nicht nur ein Verhalten auf, die auf Provokation schließen lassen, sondern da ist ja auch Raub und gefährliche Drohung usw. im Spiel. Das kann man ja nicht mehr mit reiner Provokation gleichsetzen. So wurden Sie beispielsweise am 14.02.2019 rechtskräftig verurteilt unter anderem, weil Sie einen 15-jährigen gedroht haben, dass Sie ihn einfach abstechen könnten, sodass Ihnen der 40 € gab. Da wurden Sie eben auch zweimal wegen Raubes verurteilt. Ich halte Ihnen vor das Strafurteil vom 15.02.2017. Da haben Sie jemanden genötigt, Ihnen 10 € zu geben, haben ihn mit einem Faustschlag am Körper verletzt und ihn eben bedroht, ihn sonst zu schlagen. Das sind ja keine Provokationen.

BF: Sie haben recht. Ich sehe es ein, dass ich Fehler gemacht habe.

R: Im Jahr 2017 haben Sie überhaupt eine sehr schlechte Phase gehabt. Sie wurden auch am 06.06.2017 verurteilt. Da haben Sie einen Einbruch begangen.

RV: Ich habe keine weiteren Fragen mehr. Ich habe noch ein Vorbringen. Der BF hat seit seiner letzten Verurteilung das Haftübel zum ersten Mal verspürt. Er hat sich heute sehr einsichtig gezeigt. Das Haftübel hat ihn offensichtlich zu einem Umdenken bewegt. Der BF wird nächstes Monat bedingt entlassen. Die Gewährung einer bedingten Entlassung durch das zuständige Gericht ist ein klarer Anhaltspunkt für eine im Sinn der „Gefahr für die Gemeinschaft nicht ungünstige Prognose“. Weiters war der BF Freigänger und hat sich dahingehend als paktfähig erwiesen. Zu guter Letzt würde ich gerne sagen, dass die Delinquenz hier geborener bzw. seit Kindheit aufhältiger und integrierter Betroffener nicht im vom Reisepass definierten Herkunftsland entstanden sind, sondern in Österreich und daher sind hier vor Ort Mittel und Wege notwendig, den BF von weiteren Strafhandlungen abzuhalten und ihn auf diesem Weg in seinem straffreien Leben zu unterstützen. Angesichts der Umstände des vorliegenden Falles (kein besonders schweres Verbrechen, Aufenthaltsverfestigung, geschütztes Privat- und Familienleben) erscheint eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem 10-jährigen Einreiseverbot unverhältnismäßig mit dem zu verfolgten Ziel.

Festgehalten wird, dass im Akt eine Rot-Weiß-Rot Karte plus in Kopie aufliegt, deren Gültigkeit aber am 21.01.2019 abgelaufen ist. Dem Akt ist keinerlei Verlängerung zu entnehmen.

BF: Ja, die Rot-Weiß-Rot Karte ist am 21.01.2019 abgelaufen. Ich war damals schon in U-Haft in XXXX . Meine Bewährungshelferin hat gesagt, dass sie das alles abliefern wird im Rathaus. Sie hat auch gesagt, dass sie das gemacht hat.

RV bringt vor, dass der Bescheid dann offensichtlich während des Verlängerungsverfahrens erlassen wurde, weil in Anwendung des § 52 Abs. 4 Z 4 FPG. Das wäre dann auch die richtige Ziffer. Das ist nämlich häufig ein Problem, dass die falsche Ziffer verwendet wird und gäbe Anlass zur Behebung.

RV hat keine weiteren Fragen, kein Vorbringen und keine Anträge zusätzlich.

R: Hr. XXXX , wollen Sie selbst noch was sagen?

BF: Ja. Ich sehe meine Fehler ein, die ich gemacht habe. Ich bereue sie zutiefst. In meiner Haftzeit habe ich gesehen, dass es sich nicht lohnt, so ein Leben weiterzuführen. Für das, was ich gemacht habe, möchte ich mich entschuldigen. Ich bitte Sie, dass Sie mir eine Chance zu geben, mein Leben in Ordnung zu bringen.

R: Zu Ihrer Mutter haben Sie heute auch keinen Kontakt?

BF: Nein. Seitdem habe ich nie mehr Kontakt mit ihr gehabt. Ich weiß auch nicht, wo sie ist oder ob sie am Leben ist.

Festgehalten wird, dass die ZOOM Verbindung ausgezeichnet war, insofern die Kommunikation ohne jedes Problem durchgeführt werden konnte.

Festgehalten wird, dass der BF sämtliche Fragen in deutscher Sprache beantwortet hat und der D nur zur Sicherheit die restliche Zeit im Verhandlungsaal war.

[…]“

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Sachverhalt:

Zur Person des BF:

Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, geboren am XXXX in XXXX . Er gehört der Volksgruppe der Tschetschenen an und ist islamischen Glaubensbekenntnisses. Seine Identität steht fest. Die Muttersprache des BF ist Tschetschenisch, er spricht des Weiteren Russisch und verfügt über gute Deutsch- sowie geringfügige Englischkenntnisse. Der BF ist ledig, in keiner Partnerschaft und kinderlos.

Er reiste im Alter von neun Jahren mit seinen Großeltern und seiner Schwester ins Bundesgebiet ein und stellte am 30.10.2008 (vertreten durch seine Großeltern) einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.12.2008 abgewiesen. Mit Erkenntnis des AsylGH vom 01.08.2012 wurde die Ausweisung des BF für dauerhaft unzulässig erklärt und ihm in der Folge ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ erteilt, der zuletzt bis 21.01.2019 verlängert wurde.

Der BF ist arbeitsfähig und gesund.

Zum Aufenthalt des BF in Österreich:

In Österreich hat der BF zunächst für zwei Jahre die Volksschule besucht und 2016 einen positiven Hauptschulabschluss erworben. Anschließend hat er eine Lehre zum KFZ-Mechaniker begonnen, diese jedoch bereits nach drei Monaten wieder abgebrochen. In der Folge besuchte er für vier Monate einen Metaller-Kurs über das Arbeitsmarktservice (in der Folge: AMS) und war im Anschluss für zirka ein Monat bei einer Montage-Firma tätig. Nach einer Verletzung an der Hand musste der BF operiert werden und war daraufhin erneut beim AMS gemeldet, wo er wieder etwa ein Monat lang einen Kurs (Bewerbungstraining) besuchte. Seit 25.10.2018 befindet sich der BF in Haft. Während seiner Untersuchungshaft in der Justizanstalt in XXXX war er als Dolmetscher (tschetschenisch/deutsch) tätig. Während seiner anschließenden Strafhaft war er zunächst an der Produktion von Verlängerungskabeln beteiligt. Von 20.10.2020 bis Jänner 2021 war er als Freigänger bei der Firma XXXX in XXXX beschäftigt, wo er Schleifarbeiten für die Produktion von „A-Säulen“ für LKWs verrichtete. Seit seiner Überstellung in die Justizanstalt XXXX ist er wieder in der Verlängerungskabelproduktion tätig.

Der BF verfügt über keine Berufsausbildung und war seit seinem Aufenthalt im Bundesgebiet, bzw. seit seiner Volljährigkeit bis zu seiner Inhaftierung, abgesehen von seiner dreimonatigen Lehrlings-Tätigkeit, nur einen Tag lang legal erwerbstätig. Davon abgesehen bestritt der BF seinen Lebensunterhalt durch Sozialleistungen, bzw. den Bezug von Arbeitslosengeld sowie durch kriminelle Handlungen. Von 10.08.2017 bis 22.10.2018 verfügte der BF über keinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet und war obdachlos gemeldet.

Der BF hat familiäre und soziale Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Seine Großeltern, seine Schwester und deren Sohn sowie seine Tante leben ebenso in Österreich wie alle Freunde des BF. Der BF pflegt regelmäßigen Kontakt zu seinen Familienangehörigen im Bundesgebiet. Außerdem hat der BF in Österreich sechs Jahre lang Judo trainiert und mehrere Turniere gewonnen.

Außerhalb von Österreich hat der BF noch einen Onkel in Belgien, in Tschetschenien leben noch zwei seiner Tanten sowie die erweiterte Verwandtschaft großväterlicherseits, zu denen er jedoch keinerlei Kontakt hat. Der Vater des BF lebt in Sibirien, auch zu diesem hat der BF aktuell keinen Kontakt.

Der BF wurde im Bundesgebiet bereits fünfmal wegen Vermögens- und Gewaltdelikten strafgerichtlich verurteilt, wobei es sich bei zwei Verurteilungen um die Verhängung von Zusatzstrafen unter Bedachtnahme auf eine vorangegangene Verurteilung handelt.

Am 15.02.2017 (rk 15.02.2017) wurde der BF vom Landesgericht XXXX (AZ XXXX ) wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 3 Monaten verurteilt, wobei ihm die Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am 15.09.2016 durch die sinngemäße Äußerung, er werde ihn sonst schlagen, einen anderen durch gefährliche Drohung zur Übergabe von EUR 10,-- nötigte.

Als mildernd wurde die bisherige Unbescholtenheit des BF sowie sein Tatsachengeständnis gewertet; als erschwerend kein Umstand.

Am 06.06.2017 (rk 10.06.2017) wurde der BF vom Landesgericht XXXX (AZ XXXX ) wegen des Vergehens des Diebstahls teils durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Abs. 1 Z 2 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des LG XXXX vom 15.02.2017 (AZ XXXX ) zu einer Zusatzfreiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten verurteilt, wobei ihm die Zusatzstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF bei zwei Angriffen im Februar 2017 einem anderen, nämlich der diesbezüglich verfügungsberechtigten GmbH, fremde bewegliche Sachen teils durch Einbruch mit dem Vorsatz weggenommen hat, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar indem er eine unbekannte Anzahl von Spiel-Token unbekannten Wertes durch Aufbrechen der Schließbügel bzw. Wegnahme aus den bereits aufgebrochenen Behältnissen aus einem Spielautomaten entnahm, um damit in der Folge ohne Bezahlung zu spielen.

Als mildernd wurde (unter Bedachtnahme auf das Urteil des LG XXXX vom 15.02.2017) die Unbescholtenheit sowie das Teilgeständnis des BF gewertet; als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen sowie die Tatbegehung während des ursprünglichen Verfahrens.

Am 18.01.2018 (rk 23.01.2018) wurde der BF vom Bezirksgericht XXXX (AZ XXXX ) wegen des Vergehens des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von 80 Tagessätzen zu je EUR 4,-- bzw. zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 40 Tagen verurteilt. Die Probezeit der vorangegangenen Verurteilungen wurde auf insgesamt fünf Jahre verlängert.

Am 14.02.2019 (rk 19.02.2019) wurde der BF vom Landesgericht XXXX (AZ XXXX ) wegen des Verbrechens des zweifachen Raubes nach § 142 Abs. 1 2. Fall StGB, des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB, des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB, des Verbrechens der (versuchten) Erpressung nach den §§ 15 Abs. 1, 144 Abs. 1 2. Fall StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF

I)       und bislang unbekannte Täter als Beteiligte am 26.02.2018 in XXXX durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben einem anderen 8g Marihuana und Bargeld in Höhe von zumindest EUR 60,-- mit dem Vorsatz abgenötigt haben, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem sie an die Wohnungstüre klopften, nach dem Öffnen der Türe einen Fuß zwischen Tür und Türrahmen stellten, Pistolen zogen, repetierten und teils gegen den Körper des Opfers richteten, dieses in die Wohnung drängten und fragten: „Wo ist das Gras und wo ist das Geld?“, und das Opfer nach erfolgloser eigener Suche zur Übergabe von 8g Marihuana und zumindest EUR 60,-- nötigten.

II)      am 25.10.2018 in XXXX

1)       einem anderen eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz weggenommen hat, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er dem 15-jährigen Opfer dessen Smartphone iPhone 7 für diesen überraschend entriss und an sich nahm;

2)       durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben dem 15-jährigen Opfer eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, abgenötigt hat, und zwar indem er vom Opfer Geld verlangte und als dieses angab, kein Geld zu haben, sagte, dass er es „auch einfach abstechen könne“, nachdem ein bislang unbekannter beteiligter Täter angegeben hatte, zur Not ein Messer dabei zu haben, woraufhin das Opfer Bargeld in Höhe von EUR 40,-- an den BF übergab;

III)    am 25.10.2018 in XXXX das 15-jährige Opfer durch gefährliche Drohung, nämlich dem dauerhaften Entzug von dessen Smartphone iPhone 7, zu einer Handlung genötigt hat, nämlich zur Eingabe des Codes für das Online-Banking zwecks Nachschau, wieviel Geld sich auf dem Konto des Opfers befindet;

IV)      am 25.10.2018 in XXXX mit dem Vorsatz durch das Verhalten des Genötigten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, das 15-jährige Opfer durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, nämlich zur Behebung von Bargeld am Bankomaten, zu nötigen versucht hat, die diesen am Vermögen schädigen sollte, indem er im Anschluss an die Tathandlung zu Punkt III. das Opfer aufforderte, beim Bankomaten am Hauptbahnhof Geld zu beheben, widrigenfalls er ihn umbringen werde, und in weiterer Folge das Opfer zum XXXX Hauptbahnhof begleitet, wobei er ihn von hinten an der Jacke festhielt, wobei es beim Versuch blieb, da sich das Opfer beim Antreffen zwei seiner Freunde körperlich zur Wehr setzte;

V)       am 25.10.2018 das 15-jährige Opfer am Körper verletzte, indem er ihm mit der Faust oder der Hand ins Gesicht schlug, wodurch dieser eine Prellung des rechten Augapfels erlitt.

Als mildernd wurden vom Gericht das Alter unter 21 Jahren, der Umstand, dass die Tat teilweise beim Versuch geblieben ist und die teilweise objektive Schadensgutmachung (EUR 40,--) gewertet. Als erschwerend wurde hingegen das Zusammentreffen von Verbrechen mit Vergehen sowie das Vorhandensein zweier einschlägiger Vorstrafen berücksichtigt.

Am 15.06.2019 wurde der BF vom Bezirksgericht XXXX (AZ XXXX ) wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer zu einer Zusatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 14 Tagen verurteilt.

Am 25.10.2018 wurde der BF festgenommen und befindet sich seither in Haft (ab 27.10.2018 in Untersuchungs-, seit 14.02.2019 in Strafhaft). Derzeit verbüßt der BF (Ersatz-) Freiheitsstrafen in der Gesamtdauer von drei Jahren, sechs Monaten und 54 Tagen in der Justizanstalt XXXX .

Im Strafvollzug kam es am 01.08.2019 sowie am 15.02.2021 zu einem ordnungswidrigen Verhalten des BF, weshalb er am 06.04.2021, nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit, nicht gemäß § 46 StGB vorzeitig bedingt entlassen wurde.

Mit Beschluss vom 06.04.2021 hat das OLG XXXX (rechtskräftig) entschieden, dass der BF am 24.06.2021 unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren vorzeitig bedingt entlassen wird, über den BF die Bewährungshilfe angeordnet und ihm die Weisung erteilt, unverzüglich eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aufzunehmen, oder sich beim Arbeitsmarktservice arbeitssuchend zu melden.

Der BF ging vor seiner Inhaftierung keiner legalen Beschäftigung im Bundesgebiet nach. Auch für die Zeit nach seiner Entlassung besteht für den BF noch keine konkrete Aussicht auf die Aufnahme in ein Beschäftigungsverhältnis. Der BF verfügt über keinerlei Vermögen in Österreich und plant, nach seiner Entlassung bei seinen Großeltern, deren Wohnung in XXXX ca. 73 m² hat, Unterkunft nehmen.

Sämtliche strafgerichtlichen Verurteilungen des BF sind noch nicht getilgt.

Ein weiterer Aufenthalt des BF in Österreich würde eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen.

Zur Rückkehr/Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat:

Dem BF droht im Falle seiner Rückkehr/Abschiebung in den Herkunftsstaat kein reales Risiko einer Verletzung im Sinne der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge: EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention. Es besteht für ihn als Zivilperson auch keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts.

Der BF wird in seinem Herkunftsstaat nicht aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund seiner politischen Ansichten verfolgt.

Als gesunder, leistungsfähiger Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf liefe der BF auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Seiner Abschiebung steht auch keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegen.

Zum Herkunftsstaat:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zur Russischen Föderation (generiert am 15.03.2021, Schreibfehler teilweise korrigiert):

Politische Lage

Letzte Änderung: 04.09.2020

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 7.2020c; vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2020a; vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 7.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden. Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren. Der Volksentscheid über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem er aufgrund der Corona Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der so genannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 7.2020a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).

Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 7.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer „smarten Abstimmung“ aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt (2.3.2020c): Russische Föderation – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710, Zugriff 10.3.2020

• CIA – Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 10.3.2020

• EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-ofprotection.pdf, Zugriff 10.3.2020

• FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 10.3.2020

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 17.7.2020

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 17.7.2020

• Global Security (21.9.2016): Duma Election - 18 September 2016, https://www.globalsecurity.org/military/world/russia/politics-2016.htm, Zugriff 10.3.2020

• Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau, Zugriff 10.3.2020

• MDR 16.7.2020: Mehr als 140 Demonstranten in Moskau festgenommen, https://www.mdr.de/nachrichten/politik/ausland/festnahme-moskau-putin-kritiker-bei-protest-100.html, Zugriff 21.7.2020

• ORF – Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-55603/, Zugriff 10.3.2020

• OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 10.3.2020

• Presse.at (19.3.2018): Putin: „Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen“, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesstsich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 10.3.2020

• RIA Nowosti (23.9.2016): ??? ???????? ?????????? ??????? ? ???????, https://ria.ru/20160923/1477668197.html, Zugriff 10.3.2020

• Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.3.2020

• Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 10.3.2020

• Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 10.3.2020

Tschetschenien

Letzte Änderung: 09.04.2020

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.3.2020, vgl. AA 13.2.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 4.3.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale“ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederationstand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

• FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 5.3.2020

• HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html, Zugriff 3.3.2020

• NZZ – Neue Zürcher Zeitung (29.6.2019): Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nach-protesten-innerlichzerrissen-ld.1492435, Zugriff 11.3.2020

• ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020

• SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 10.3.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 09.04.2020

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Ent

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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