TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/31 W252 2226621-1

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Veröffentlicht am 31.08.2021
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Entscheidungsdatum

31.08.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W252 2226621-1/13E
W252 2226620-1/9E

Schriftliche Ausfertigung des am 15.07.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Elisabeth SCHMUT LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX und 2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA. Somalia, vertreten durch BBU GmbH – Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.11.2019, 1.) Zl. XXXX und 2.) Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 und 4 AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005, wird festgestellt, dass den Beschwerdeführern damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin (in Folge: „BF1“) reiste zusammen mit dem minderjährigen Zweitbeschwerdeführer (in Folge: „BF2“) im August 2019 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte für sich und den minderjährigen BF2 am 12.08.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung der BF1 statt. Dabei gab sie zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass sie als Angehörige eines Minderheitenclans verfolgt werde und in Somalia dreimal vergewaltigt worden sei.

3. Am 09.09.2019 fand die niederschriftliche Einvernahme der BF1 vor dem Bundesamt statt. Dabei gab sie an, dass sie in XXXX geboren und in XXXX aufgewachsen sei. Sie gehöre einer Minderheit an und werde deshalb in Somalia diskriminiert. Darüber hinaus sei sie in ihrem Heimatstaat dreimal vergewaltigt worden.

4. Mit den angefochtenen Bescheiden vom 21.11.2019 wies das Bundesamt die Anträge der BF1 und des BF2 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) ab. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der BF1 und dem BF2 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und befristete Aufenthaltsberechtigungen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF1 ihre Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Das Vorbringen der BF1 sei verallgemeinert, oberflächlich und nicht überzeugend gewesen.

5. Die BF1 und der BF2 erhoben gegen die Bescheide fristgerecht Beschwerde und brachten im Wesentlichen vor, dass das Bundesamt sich unzureichend mit der Lage von Frauen in IDP Camps auseinandergesetzt habe. Alleinstehende Frauen aus Minderheitenclans seien dort einem besonders hohen Risiko geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Sexuelle Übergriffe seien dort keine Seltenheit. Die BF1 habe außerdem ein stimmiges und widerspruchsfreies mündliches Vorbringen erstattet. Ihr Sohn, der BF2, könne in Somalia als Angehöriger eines Minderheitenclans keine Schule besuchen und sie könne sich diese auch nicht leisten. Da die BF1 in ihrem Herkunftsstaat asylrelevant verfolgt werde, sei der BF1 und dem BF2 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 15.07.2021 eine mündliche Verhandlung durch. Der BF1 und dem BF2 wurde im Zuge der Verhandlung das einschlägige Länderberichtsmaterial vorgehalten und den Parteien die Möglichkeit gegeben, hierzu Stellung zu nehmen.

Nach Schluss der Verhandlung wurde mit mündlich verkündetem Erkenntnis den Beschwerden betreffend Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide stattgegeben und der BF1 und dem BF2 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen. Am 20.07.2021 beantragte das Bundesamt die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu BF1 und BF2:

Die BF1 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX . Sie ist somalische Staatsangehörige und spricht Somali als Muttersprache. Die BF1 wurde in XXXX geboren und wuchs in XXXX auf. Die BF1 ist Angehörige des Clans XXXX . Sie ist traditionell verheiratet und hat ein Kind, den BF2 (AS 1, 5, 15, 17; AS 31, 35).

Der BF 2 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX . Er ist somalischer Staatsangehöriger und minderjährig. Der BF2 ist der leibliche Sohn der BF1 (AS 5).

In Somalia verfügt die BF1 über Familienangehörige, die sich in XXXX in ärmlichen Verhältnissen befinden. Die BF1 verfügt in Somalia über keine Bekannten oder Freunde. Die BF1 muss in Somalia als alleinstehende Frau ohne männlichen Schutz und ohne familiäres oder clanbezogenes Netzwerk angesehen werden sowie als alleinerziehende Mutter mit einem minderjährigen Kind.

Die BF1 verließ Somalia im Jahr 2016 nach Addis Abeba in Äthiopien. Sie ist mit einem Visum vom 19.07.2019 nach Österreich eingereist und stellte am 12.08.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz für sich und den BF2 in Österreich (AS 3, 15).

Die BF1 und der BF2 sind gesund (OZ 10, S. 5).

Die BF1 und der BF2 sind strafgerichtlich unbescholten (Auszüge aus dem Strafregister vom 06.08.2021).

1.2. Zu den Fluchtgründen der BF:

Die BF1 wurde in Somalia bereits drei Mal vergewaltigt. Sie hat Somalia aus Furcht vor sexueller Gewalt und aus Furcht Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden verlassen.

Im Falle der Rückkehr nach Somalia droht der BF1 sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

Aus den ins Verfahren eingeführten Länderinformationen:

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, (generiert am 15.07.2021; in der Folge: LIB);

?        Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 09.01.2014, Somalia, IFA Mogadischu, Frauen;

?        Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 22.03.2018, Somalia, Flüchtlings- und IDP-Lager in Somalia;

?        UK Home Office, Country policy and information note, Somalia: Women fearing gender-based violence, vom April 2018;

ergibt sich Folgendes:

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen - allgemein

Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden. Die Scharia wird ausschließlich von Männern angewendet, die oftmals zugunsten von Männern entscheiden (USDOS 30.3.2021, S. 31f). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts, die Frauen tendenziell benachteiligen. Entsprechend gelten für Frauen andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer (z. B. halbe Erbquote). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, diese gelten auch in Somaliland (AA 18.4.2021, S. 16f).

Die von Männern dominierte Gesellschaft und ihre Institutionen gestatten es somalischen Männern Frauen auszubeuten. Verbrechen an Frauen haben nur geringe oder gar keine Konsequenzen (SIDRA 6.2019b, S. 6). Gemäß einer aktuellen Studie zum Gender-Gap in Süd-/Zentralsomalia und Puntland verfügen Frauen dort nur über 50 % der Möglichkeiten der Männer – und zwar mit Bezug auf Teilnahme an der Wirtschaft; wirtschaftliche Möglichkeiten; Politik; und Bildung (SLS 6.4.2021).

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Diskriminierung: Die Diskriminierung von Frauen ist gesetzlich verboten (USDOS 30.3.2021, S. 32). Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär (AA 18.4.2021, S. 15). Frauen werden in der somalischen Gesellschaft, in der Politik und in den Rechtssystemen systematisch Männern untergeordnet (LIFOS 16.4.2019, S. 10). Sie genießen nicht die gleichen Rechte wie Männer und werden systematisch benachteiligt. Frauen leiden unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung, Politik und Unterbringung (USDOS 30.3.2021, S. 32; vgl. SIDRA 6.2019b, S. 2).

Andererseits ist es der Regierung gelungen, Frauenrechte etwas zu fördern: Immer mehr Mädchen gehen zur Schule, die Zahl an Frauen im öffentlichen Dienst wächst (ICG 27.6.2019, S. 3). Frauen sind das ökonomische Rückgrat der somalischen Gesellschaft und mittlerweile oft die eigentlichen Brotverdiener der Familie (SIDRA 6.2019b, S. 2). Daher ist es üblich, in einer Stadt wie Mogadischu Kleinhändlerinnen anzutreffen, die Khat, Gemüse oder Benzin verkaufen (TE 11.3.2019; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 11, FIS 5.10.2018, S. 24).

Politik: Viele traditionelle und religiöse Eliten stellen sich vehement gegen eine stärkere Beteiligung von Frauen im politischen Leben (AA 18.4.2021, S. 16). Auch die vorgesehene 30 %-Frauenquote für Abgeordnete im somalischen Parlament wurde als gefährlich bezeichnet; zuletzt betrug die Frauenquote im Parlament immerhin 24 %, 2012 waren es nur 14 % gewesen (USDOS 30.3.2021, S. 26; vgl. FH 3.3.2021a, B4). Außerdem sind 4 von 26 Bundesministern weiblich. Belet Weyne hat seit Mai 2019 eine Bürgermeisterin (USDOS 30.3.2021, S. 26). Im puntländischen Parlament findet sich nur eine Frau; im Regionalparlament von Galmudug finden sich bei 89 Abgeordneten 6 Frauen; im SWS sind es 15 von 95 (CMI 7.2020, S. 3).

Auch wenn Gewalt gegen Frauen gesetzlich verboten ist (USDOS 30.3.2021, S.31), bleiben häusliche (USDOS 30.3.2021, S. 31; vgl. AA 18.4.2021, S. 16) und sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem. Bezüglich Gewalt in der Ehe – darunter auch Vergewaltigung – gibt es keine speziellen Gesetze (USDOS 30.3.2021, S. 29/31).

Sexuelle und geschlechtspezifische Gewalt bleiben ein großes Problem – speziell für IDPs (FH 3.3.2021a, G3; vgl. USDOS 30.3.2021, S. 29ff, ÖB 3.2020, S. 11). Fälle sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt werden häufig als Kavaliersdelikte abgetan, eine Verurteilung der Täter mithilfe von Bestechung oder Kompensationszahlungen verhindert (AA 18.4.2021, S. 15). 76 % aller Vergehen von geschlechtsspezifischer Gewalt betreffen IDPs. Dabei umfasst die Kategorie geschlechtsspezifische Gewalt wiederum in erster Linie physische Übergriffe (rd. 69 % der Vergehen) und erst an zweiter Stelle sexuelle Gewalt (rd. 11 %) (SIDRA 6.2019b, S. 5). Nach anderen Angaben gab es im ersten Halbjahr 2020 insgesamt 4.324 registrierte Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt; dabei handelte es sich bei knapp 50 % um Körperverletzungen, bei 20 % um Vergewaltigungen, bei 17 % um sexuelle Übergriffe und bei 5 % um Zwangsheirat (AA 18.4.2021, S. 15).

Als Haupttäter geschlechtsspezifischer Gewalt finden sich die Ehemänner (73 %) (SIDRA 6.2019b, S. 5). Auch weibliche Angehörige von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen. NGOs haben eine diesbezügliche Systematik dokumentiert. Die Vergewaltiger sind u.a. Regierungssoldaten, Milizionäre und uniformierte Männer (USDOS 30.3.2021, S. 30). Eine Aufschlüsselung ergab für das Jahr 2018 folgendes Täterbild: 31 % unbekannte Bewaffnete, 18 % Soldaten, 13 % al Shabaab, 12 % Clanmilizen, 10 % Sicherheitskräfte Jubaland, 6 % Polizisten, 3 % Sicherheitskräfte Galmudug, 3 % Sicherheitskräfte SWS, 2 % Liyu-Police, 1 % Sicherheitskräfte Puntland. Bei den Opfern handelte es sich (gerundet) um 92 % Mädchen, 7 % Frauen und 1 % Buben (UNSC 1.11.2019, S. 42). Frauen und Mädchen werden Opfer, wenn sie Wasser holen, Felder bewirtschaften oder auf den Markt gehen. Klassische Muster sind: a) die Entführung von Mädchen und Frauen zum Zwecke der Vergewaltigung oder der Zwangsehe. Hier sind die Täter meist nicht-staatliche Akteure; und b) Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen durch staatliche Akteure, assoziierte Milizen und unbekannte Bewaffnete. Nach anderen Angaben wiederum ereignet sich der Großteil der Vergewaltigungen - über 50 % - im eigenen Haushalt oder aber im direkten Umfeld; das heißt, Täter sind Familienmitglieder oder Nachbarn der Opfer. Diesbezüglich ist davon auszugehen, dass die Zahl an Fällen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt aufgrund der COVID-19-Maßnahmen zugenommen hat. Alleine im September 2020 wurden von der UN 323 Fälle sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt dokumentiert - darunter auch Vergewaltigungen und versuchte Vergewaltigungen. Es wird angenommen, dass die Dunkelziffer viel höher liegt (USDOS 30.3.2021, S. 30f).

Sexuelle Gewalt - Gesetzeslage und staatlicher Schutz: Vergewaltigung ist gesetzlich verboten (AA 18.4.2021, S. 16). Die Strafandrohung beträgt 5 - 15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 30.3.2021, S. 29). Das Problem im Kampf gegen sexuelle Gewalt liegt insgesamt nicht am Mangel an Gesetzen – sei es im formellen Recht oder in islamischen Vorschriften. Woran es mangelt, ist der politische Wille der Bundesregierung und der Bundesstaaten, bestehendes Recht umzusetzen und Täter zu bestrafen (SIDRA 6.2019b, S. 5ff).

Da bestehende Gesetze nicht effektiv durchgesetzt werden (USDOS 30.3.2021, S. 29), gibt es bei Vergewaltigungen de facto auch keinen Rechtsschutz (FIS 5.10.2018, S. 32) bzw. kann von staatlichem Schutz nicht ausgegangen werden (ÖB 3.2020, S. 11). Generell herrscht Straflosigkeit (USDOS 30.3.2021, S. 30; vgl. ÖB 3.2020, S. 11). Strafverfolgung wegen Vergewaltigung ist rar (AA 18.4.2021, S. 16). In Einzelfällen wurden verurteilte Täter hingerichtet (AA 18.4.2021, S. 16). Insgesamt hat sich aber aufgrund von Chaos und Gesetzlosigkeit seit 1991 eine Kultur der Gewalt etabliert, in welcher Männer Frauen ungestraft vergewaltigen können (TE 11.3.2019). Frauen und Mädchen bleiben daher den Gefahren bezüglich Vergewaltigung, Verschleppung und systematischer sexueller Versklavung ausgesetzt (AA 18.4.2021, S. 15).

Die Tabuisierung von Vergewaltigungen führt u. a. dazu, dass kaum Daten zur tatsächlichen Prävalenz vorhanden sind (SIDRA 6.2019b, S. 2). Außerdem leiden Vergewaltigungsopfer an Stigmatisierung (USDOS 30.3.2021, S. 31). Meldet eine Person sexuelle Gewalt, dann ist es wahrscheinlicher, dass diese Person wegen Verleumdung verhaftet wird, als dass der eigentliche Täter belangt wird (NLMBZ 3.2020, S. 43). Opfer, die sich an Behörden wenden, werden oft angefeindet; in manchen Fällen sogar getötet (TE 11.3.2019). Aus Furcht vor Repressalien und Stigmatisierung wird folglich in vielen Fällen keine Anzeige erstattet (ÖB 3.2020, S. 11). Zudem untersucht die Polizei Fälle sexueller Gewalt nur zögerlich; manchmal verlangt sie von den Opfern, die Untersuchungen zu ihrem eigenen Fall selbst zu tätigen (USDOS 30.3.2021, S. 31). Allerdings gibt es nunmehr spezifische Ausbildungsmaßnahmen für Richter und Staatsanwälte bezüglich sexueller Gewalt (UNSC 13.2.2020, Abs. 57).

Insgesamt werden Vergewaltigungen aber nur selten der formellen Justiz zugeführt (USDOS 30.3.2021, S. 31). Zum größten Teil (95 %) werden Fälle sexueller Gewalt – wenn überhaupt – im traditionellen Rechtsrahmen erledigt. Dort getroffene Einigungen beinhalten Kompensationszahlungen an die Familie des Opfers (SIDRA 6.2019b, S. 5ff) oder aber das Opfer wird gezwungen, den Täter zu ehelichen (TE 11.3.2019; vgl. USDOS 30.3.2021, S. 31). Das patriarchalische Clansystem und Xeer an sich bieten Frauen also keinen Schutz, denn wird ein Vergehen gegen eine Frau gemäß Xeer gesühnt, wird der eigentliche Täter nicht bestraft (SEM 31.5.2017, S. 49; vgl. UNSC 1.11.2019, S. 42; ÖB 3.2020, S. 11, SIDRA 6.2019b, S. 5ff).

Sexuelle Gewalt - Maßnahmen: Es gibt kleinere Fortschritte dabei, Opfern den Zugang zum formellen Justizsystem zu erleichtern. Einerseits wurden Staatsanwältinnen eingesetzt; andererseits werden Kräfte im medizinischen und sozialen Bereich ausgebildet, welche hinkünftig Opfern zeitnah vertrauliche Dienste anbieten können werden (UNSC 13.5.2020, Abs. 56f). Zusätzlich kommt es zu Ausbildungsmaßnahmen für Sicherheitskräfte, um diese hinsichtlich konfliktbezogener sexueller Gewalt und den damit verbundenen Menschenrechten zu sensibilisieren (AMISOM 3.3.2019; UNSOM 3.2019, S. 2, UNSC 13.11.2020, Abs. 49).

Bei der Armee wurden einige Soldaten wegen des Vorwurfs von Vergewaltigung verhaftet (USDOS 30.3.2021, S. 30). In Puntland wurden zwei Zivilisten (Vergewaltigung und Mord) und in Baidoa ein Polizist (Vergewaltigung einer Schwangeren) – nach Verurteilung – exekutiert (UNSC 13.5.2020, Abs. 48/58).

Sexuelle Gewalt - Unterstützung: Insgesamt gibt es für Opfer sexueller Gewalt beachtliche Hürden, um notwendige Unterstützung in Anspruch nehmen zu können (USDOS 30.3.2021, S. 31). Allerdings gibt es von UN-Agenturen oder nationalen und internationalen NGOs organisierte Zufluchtsstätten. Angeboten werden medizinische und psycho-soziale Unterstützung, Rechtsberatung und materielle Unterstützung sowie Schutzunterkünfte (UNFPA 8.2018, S. 2).

[GBV = Gender-based Violence]

Ein Beispiel für eine NGO, die Zuflucht, Unterkunft und andere Unterstützung für Opfer anbietet, ist das Elman Peace and Human Rights Center über die Aktion „Sister Somalia“. Die NGO Safe Somali Women and Children betreibt ein Krisenzentrum für Opfer sexueller Gewalt (NLMBZ 3.2019, S. 45). In Lower Shabelle stellen etwa ein Dutzend NGOs und andere Akteure für Vergewaltigungsopfer medizinische Behandlung, Beratung und andere Dienste zur Verfügung (USDOS 30.3.2021, S. 30).

Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Die somalische Regierung arbeitet mit dem UNHCR und IOM zusammen, um Flüchtlinge, zurückkehrende Flüchtlinge, Asylwerber, Staatenlose und andere relevante Personengruppen zu unterstützen. Der UNHCR setzt sich für den Schutz von IDPs ein und gewährt etwas an finanzieller Unterstützung (USDOS 30.3.2021, S. 21f).

IDP-Zahlen: Schon vor dem Jahr 2016 gab es – v.a. in Süd-/Zentralsomalia – mehr als 1,1 Millionen IDPs. Viele davon waren im Zuge der Hungersnot 2011 geflüchtet und danach nicht mehr in ihre Heimat zurückgekehrt. Weitere 1,6 Millionen sind ab 2016 hinzugekommen, auch sie sind in erster Linie wegen der Dürre geflohen (OXFAM 6.2018, S. 5). Die Gesamtzahl an IDPs belief sich 2020 auf rund 2,7 Millionen Menschen, die Zahl an im Jahr 2020 neu Vertriebenen betrug mehr als 893.000 Personen. Die meisten davon waren wegen Überflutungen vertrieben worden (716.000) (USDOS 30.3.2021, S. 21; vgl. IPC 3.2021, S. 3). Im Zeitraum Juli-Dezember 2020 betrug der Anteil jener, die wegen eines Mangels an Lebensgrundlage oder wegen Unsicherheit und Konflikt vertrieben wurden, jeweils 14 % (IPC 3.2021, S. 3). Rund 1,7 der 2,7 Millionen IDPs sind Kinder (USDOS 30.3.2021, S. 34).

Es gibt ca. 2.300 IDP-Lager und -Siedlungen (UNSC 13.11.2020, Abs. 52), nach anderen Angaben sogar knapp 3.000 (UNOCHA 1.2021, S. 4). Alleine aus Baidoa werden 483 IDP-Ansiedlungen berichtet (UNOCHA 31.3.2020, S. 3). Die Migration vom Land in die Stadt hat zu einem ernormen und unregulierten Städtewachstum geführt. Hinsichtlich der IDP-Zahlen müssen zwei Faktoren berücksichtigt werden: Einerseits gibt es für Somalia keine Zahlen zur "normalen" Urbanisierung. Andererseits werden in der Regel nur jene IDPs gezählt, die in Lagern wohnen. Mitglieder großer Clans kommen aber üblicherweise bei Verwandten unter und leben daher nicht in Lagern (ACCORD 31.5.2021, S. 16/26f).

Zwangsräumungen, die IDPs und die arme Stadtbevölkerung betrafen, bleiben ein großes Problem. Im Jahr 2020 waren davon 150.000 Menschen betroffen, zwei Drittel davon im Großraum Mogadischu und außerdem v.a. auch in Baidoa und Kismayo (AA 18.4.2021, S. 21). Bewohner von Lagern leben daher in ständiger Ungewissheit, da sie immer eine Zwangsräumung befürchten müssen (FIS 7.8.2020, S. 37). Die Mehrheit der IDPs zog in der Folge in entlegene und unsichere Außenbezirke der Städte, wo es lediglich eine rudimentäre bzw. gar keine soziale Grundversorgung gibt (AA 18.4.2021, S. 21).

Organisationen wie IOM versuchen, durch eine Umsiedlung von IDPs auf vorbereitete Grundstücke einer Zwangsräumung zuvorzukommen. So wurden z.B. in Baidoa 2019 1.000 IDP-Haushalte aus 15 Lagern auf mit der Stadtverwaltung abgestimmte Grundstücke umgesiedelt (IOM 25.6.2019; vgl. RD 27.6.2019). Dort wurden zuvor Latrinen, Wasserversorgung, Straßenbeleuchtung und andere Infrastruktur installiert. Auch zwei Polizeistationen wurden gebaut. Den IDPs wurden außerdem Gutscheine für Baumaterial zur Verfügung gestellt (IOM 25.6.2019. Auch die UN versuchen, Land für IDPs zu pachten (UNSC 13.11.2020, Abs. 52). Generell befinden sich derartige Relocation Areas am Stadtrand oder sogar weit außerhalb der jeweiligen Stadt. Allerdings bieten diese Lager wesentlich bessere Unterkünfte - etwa Häuser aus Wellblech oder sogar Stein (ACCORD 31.5.2021, S. 21).

Rechtliche Lage: Ende 2019 hat die Bundesregierung die Konvention der Afrikanischen Union zum Schutz von IDPs ratifiziert. Die Regionalverwaltung von Benadir (BAR) hat ein Büro für nachhaltige Lösungen für IDPs geschaffen. Auch eine nationale IDP-Policy wurde angenommen. Im Jänner 2020 präsentierte die BAR eine Strategie für nachhaltige Lösungen (UNOCHA 6.2.2020, S. 4; vgl. RI 12.2019, S. 11f). Auch auf Bundesebene wurde ein Rahmen für nachhaltige Lösungen geschaffen (USDOS 30.3.2021, S. 22). Diesbezüglich wurden nationale Richtlinien zur Räumung von IDP-Lagern erlassen. Insgesamt sind dies wichtige Schritte, um die Rechte von IDPs zu schützen und nachhaltige Lösungen zu ermöglichen (RI 12.2019, S. 4).

Menschenrechte: IDPs sind andauernden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, ihre besondere Schutzlosigkeit und Hilfsbedürftigkeit werden von allerlei nichtstaatlichen – aber auch staatlichen – Stellen ausgenutzt und missbraucht. Schläge, Vergewaltigungen, Abzweigung von Nahrungsmittelhilfen, Bewegungseinschränkung und Diskriminierung aufgrund von Clanzugehörigkeit sind an der Tagesordnung (AA 18.4.2021, S. 21); es kommt auch zu Vertreibungen und sexueller Gewalt (HRW 14.1.2020). Dies trifft in erster Linie Bewohner von IDP-Lagern – in Mogadischu v.a. jene IDPs, die nicht über Clanbeziehungen in der Stadt verfügen (FIS 7.8.2020, S. 36). Weibliche und minderjährige IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung besonders gefährdet (USDOS 30.3.2021, S. 22; vgl. HRW 14.1.2020; AA 18.4.2021, S. 15). Zu den Tätern gehören bewaffnete Männer und Zivilisten (HRW 14.1.2020). Für IDPs in Lagern gibt es keinen Rechtsschutz, und es gibt in Lagern auch keine Polizisten, die man im Notfall alarmieren könnte (FIS 7.8.2020, S. 36).

Versorgung: In Mogadischu sind die Bedingungen für IDPs in Lagern hart. Oft fehlt es dort an simplen Notwendigkeiten, wie etwa Toiletten (FIS 7.8.2020, S. 36). Landesweit fehlen in 80 % der IDP-Lager Wasserstellen – v.a. in Benadir, dem SWS und Jubaland (UNOCHA 1.2021, S. 5). Die Rate an Unterernährung ist hoch, der Zugang zu grundlegenden Diensten eingeschränkt (RI 12.2019, S. 9). Es mangelt ihnen zumeist an Zugang zu genügend Lebensmitteln und akzeptablen Unterkünften (ÖB 3.2020, S. 12). Allerdings ist der Zustand von IDP-Lagern unterschiedlich. Während die neueren meist absolut rudimentär sind, verfügen ältere Lager üblicherweise über grundlegende Sanitär-, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen (FIS 7.8.2020. S. 36). Oft wurde dort auch eine Nachbarschaftshilfe aufgebaut (ACCORD 31.5.2021, S. 23). Trotzdem werden noch weniger Kinder von IDPs eingeschult, als es schon bei anderen Kindern der Fall ist (USDOS 30.3.2021, S. 33f).

Unterstützung: Die EU unterstützte über das Programm RE-INTEG Rückkehrer, IDPs und Aufnahmegemeinden. Dafür wurden 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt [siehe dazu Kapitel Rückkehrspezifische Grundversorgung] (EC o.D.). Damit wurde unter anderem für 7.000 Familien aus 54 IDP-Lagern in Baidoa Land beschafft, welches diesen permanent als Eigentum erhalten bleibt, und auf welchem sie siedeln können. Insgesamt hat die EU mit ähnlichen Programmen bisher 60.000 Menschen helfen können (EC 13.7.2019). Die Weltbank stellt für fünf Jahre insgesamt 112 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Mit diesem Geld soll die städtische Infrastruktur verbessert werden, wovon sowohl autochthone Stadtbewohner als auch IDPs profitieren sollen (RI 12.2019, S. 18f). Andere Programme für nachhaltige Lösungen werden von UN-HABITAT, dem Norwegian Refugee Council und der EU finanziert oder geführt (RI 12.2019, S. 9). UNSOM hat mit der somalischen Regierung ein Drei-Jahres-Programm begonnen, das ausschließlich auf IDPs abzielt. Mit diesem Programm namens Saameynta sollen für IDPs in Baidoa, Bossaso und Belet Weyne dauerhafte Lösungen gefunden und geschaffen werden. 100.000 IDPs sollen ordentlich angesiedelt und mit sozialen Diensten und Arbeitsmöglichkeiten versehen werden (UNSOM 31.1.2021). Im März 2021 konnte IOM knapp 7.000 IDPs aus Baidoa in das IDP-Lager Barwaaqo übersiedeln, wo schon 2019 mehr als 6.000 IDPs angesiedelt worden waren. Das Land für dieses Lager wurde von der Lokalverwaltung zur Verfügung gestellt. In Barwaaqo bekommen Familien ein Stück Land, auf dem eine Unterkunft errichtet und ein Garten betrieben werden kann. Die Familien erhalten zudem finanzielle Unterstützung. Zwei Jahre nach der Umsiedlung erhalten die Familien dann auch Rechtsanspruch auf den von ihnen genutzten Grund (IOM 9.3.2021a).

Grundversorgung/Wirtschaft

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Rückkehrspezifische Grundversorgung

Frauen und Minderheiten: Prinzipiell gestaltet sich die Rückkehr für Frauen schwieriger als für Männer. Eine Rückkehrerin ist auf die Unterstützung eines Netzwerks angewiesen, das in der Regel enge Familienangehörige – geführt von einem männlichen Verwandten – umfasst. Für alleinstehende Frauen ist es mitunter schwierig, eine Unterkunft zu mieten oder zu kaufen (FIS 5.10.2018, S. 23). Auch für Angehörige von Minderheiten – etwa den Bantus – gestaltet sich eine Rückkehr schwierig. Ein Mangel an Netzwerken schränkt z.B. den Zugang zu humanitärer Hilfe ein (LIFOS 19.6.2019, S. 8). Für eine weibliche Angehörige von Minderheiten, die weder Aussicht auf familiäre noch Clanunterstützung hat, stellt eine Rückkehr tatsächlich eine Bedrohung dar (ÖB 3.2020, S. 11).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person der BF:

Die Feststellungen zu den Namen der BF ergeben sich aus den dahingehend übereinstimmenden und stringenten Angaben der BF im gesamten gegenständlichen Verfahren sowie dem vorgelegten Reisepass und Visum (AS 15, 17). Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität der BF (Namen und Geburtsdaten) getroffen wurden, gelten diese ausschließlich zur Identifizierung der BF im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Religionszugehörigkeit, Muttersprache, Clanzugehörigkeit, ihrem Aufwachsen und dem Familienstand der BF1 gründen sich auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben der BF1 in der Erstbefragung, vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (AS 1, 5, 15, 17; AS 31, 35).

Das Datum der gegenständlichen Antragstellungen ergibt sich aus dem Akteninhalt (AS 3).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen sich auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen der BF1 in der mündlichen Verhandlung (OZ 10, S. 5).

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen der BF:

2.2.1. Im Falle einer Rückkehr nach Somalia droht der BF1 sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt.

Bereits in ihrer Erstbefragung brachte die BF1 vor, dass sie in Somalia drei Mal vergewaltigt wurde. Vor dem Bundesamt wurde die BF1 ebenfalls zu den Übergriffen befragt. Überzeugend brachte sie dort vor, dass sie einmal im Alter von 13 Jahren auf einem Berg vergewaltigt wurde, als sie gerade die Tiere füttern wollte. Die weiteren Vergewaltigungen fanden im Jahr 2014 und 2016 statt. Soweit die BF1 den Ablauf und die Umstände der Vergewaltigungen nur oberflächlich bzw erst auf Nachfrage beschreibt, ist auszuführen, dass dies gerade bei Opfern sexueller Gewalt üblich und im Hinblick auf die auftretende Scham nachvollziehbar ist.

Die BF1 ist zwar in Somalia geboren, verfügt dort aber über kein soziales Auffangnetzt, wie Familie oder Clan, welches sie schützen kann. Die Mutter der BF1 lebt selbst in ärmlichen Verhältnissen und kann sich nicht einmal selbst erhalten, sondern ist auf Geldhilfen des Bruders angewiesen. Aufgrund der plausiblen Angaben der BF1, dass der Bruder nicht auch noch sie und ihren Sohn zusätzlich versorgen kann, erscheint eine Rückkehr der BF undenkbar. Außerdem hält sich der Bruder nicht in Somalia auf und kann die BF als besonders vulnerable, alleinstehende Frau somit nicht vor Übergriffen schützen (OZ 10, S. 6f). Die BF1 gab nachvollziehbar an, dass sie in Ihrer Heimatstadt keinen mehr kenne, der ihr helfen bzw sie schützen könne. Im Falle einer Rückkehr, würde sie in eine ausweglose Situation geraten (OZ 10, S. 7f). Der Mann der BF1 lebt in Österreich und bekommt bloß Geld aus der Grundversorgung. Es erscheint ausgeschlossen, dass dieser ebenfalls nach Somalia zurückkehren würde, womit auch dieser sie nicht schützen kann (OZ 10, S. 6f). Selbst in der Vergangenheit war es dem Mann der BF1 nicht möglich sie vor den Vergewaltigungen zu bewahren, da zwei bereits nach der Eheschließung geschahen (AS 39).

Aus dem LIB geht klar hervor, dass Vergewaltigungen tabuisiert sind und die Opfer unter Stigmatisierung leiden. Sollten sie diese melden, werden sie angefeindet, oder sogar getötet. Die bereits in der Vergangenheit liegenden Vergewaltigungen, als auch die Furcht vor zukünftiger Gewalt stehen in Übereinstimmung mit dem Länderberichten, wonach insbesondere weiblichen Angehörige von Minderheiten davon betroffen sind. Die BF1 gehört einem Minderheitenclan an, welcher sie nicht unterstützen kann (OZ 10, S. 7). Mangels finanzieller Mittel und Unterstützung vor Ort, wird die BF1 in einem Lager für Binnenflüchtlinge – sogenannte IDP Lager – unterkommen müssen. Gerade in diesen Lagern ist die Lage für Frauen besonders dramatisch. 76% aller Vergehen von geschlechtsspezifischer Gewalt betreffen IDPs, wie aus dem LIB hervorgeht.

Zusammengefasst konnte die BF1 überzeugend vorbringen, dass sie in Somalia keine sie unterstützenden Sozialkontakte, wie Verwandte, Freunde oder Clan hat. Ebenso nachvollziehbar legte sie dar, dass sie einem Minderheitenclan angehört. Aufgrund des gleichbleibenden Vorbringens der BF1 bestand kein Zweifel, dass die Angaben der BF1 nicht der Wahrheit entsprechen. Darüber hinaus hinterließ die BF1 in der mündlichen Verhandlung einen überzeugenden Eindruck, insbesondere dahingehend, dass sie im Falle einer Rückkehr fürchtet erneut Opfer von sexueller Gewalt zu werden.

Eine Rückkehr der BF1 nach Somalia scheitert somit am mangelnden Schutz vor Gewalt. Die BF1 wäre ohne Schutz durch Familienangehörige, als Angehörige eines Minderheitenclans und als alleinstehende Frau mit einem minderjährigen Kind, gerade als IDP besonders vulnerabel.

Da sich auch die Länderberichte mit dem Fluchtvorbringen der BF1 decken und sie ihr Fluchtvorbringen auch sonst überzeugend darlegte, konnte sie eine gegen ihre Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hat, glaubhaft machen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF, (AsylG) lautet auszugsweise:


Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1.         dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2.         der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an (Hinweis B vom 24. Juni 2014, Ra 2014/19/0046, mwN). In diesem Zusammenhang ist die Frage, ob eine aktuelle Verfolgungsgefahr vorliegt, eine Einzelfallentscheidung, die grundsätzlich - wenn sie, wie vorliegend, auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (Hinweis B vom 28. April 2015, Ra 2015/18/0026, mwH) (VwGH 22.01.2021, Ra 2020/01/0492).

3.1.2. Die aktuellen und relevanten Länderinformationen gehen bei alleinstehenden weiblichen Minderheitenangehörigen aber auch bei alleinstehenden Frauen im Allgemeinen von einer besonderen Vulnerabilität dahingehend aus, dass diese einem besonders hohen Risiko unterliegen, in einem IDP Lager Opfer geschlechtsspezifischer bzw sexueller Gewalt zu werden. Die BF1 gehört als Angehörige der XXXX zu einer Minderheit im klassischen Sinne. Aus den Länderfeststellungen ergibt sich weiters, dass Clanschutz generell besser funktioniert als der Schutz durch Staat oder Polizei und dieser auf einer sehr niedrigen Ebene der Clan-Hierarchie zur Anwendung kommt. Es reicht also z.B. in Mogadischu nicht, den Hawiye anzugehören, um Clanschutz zu erhalten. Vielmehr bedarf es familiärer Anknüpfungspunkte, um Clanschutz erhalten zu können. Auch UNHCR deutete an, dass für eine Rückkehr nach Mogadischu die Anwesenheit der Kernfamilie relevant ist und weist auf die nunmehr geringe Bedeutung des Clans hin (UKUT 3.10.2014; vgl. UKUT 5.11.2015). Doch selbst ein Clan bietet in Somalia laut LIB Frauen keinen Schutz bei sexuellen Übergriffen. Das patriarchalische Clansystem und Xeer an sich bieten Frauen also keinen Schutz, denn wird ein Vergehen gegen eine Frau gemäß Xeer gesühnt, wird der eigentliche Täter nicht bestraft.

Die BF1 wurde zwar in Somalia geboren. Sie verfügt über keine (auch nur weitschichtige) Verwandtschafts- und/oder Clanverbindungen, die ihr im Falle einer Rückkehr einen gewissen Schutz in Bezug auf die tatsächlich prekäre Sicherheitslage für Frauen gewährleisten könnten. Die klaren Aussagen der Berichte, die in der mündlichen Beschwerdeverhandlung erörtert wurden, gehen von einem maßgeblich hohen Risiko einer entsprechend intensiven Verfolgung alleinstehender Frauen ohne männlichen Schutz im Falle einer Rückkehr nach Somalia aus, und erlauben, gegenständlich eine entsprechend hohe und aktuelle Verfolgungsgefahr in Zusammenhang mit der sozialen Gruppe anzunehmen.

Vor dem Hintergrund, dass die Familie der BF1 in ärmlichen Verhältnissen lebt, kann in ihrem Fall nicht von einer Wiederaufnahme in die unterstützende Struktur der Kernfamilie im Falle der Rückkehr nach Somalia ausgegangen werden. Eine solche wird jedoch nach den Länderberichten in Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Grundversorgung als notwendig erachtet. Auch der Mann der BF1 kann sie nicht schützen. Weder hat er sie in der Vergangenheit vor Vergewaltigungen bewahren können, noch wird dieser mit ihr nach Somalia zurückkehren.

Auf Grundlage ihres Vorbringens steht somit fest, dass der BF1 als alleinstehende Frau, die bereits seit mehr als fünf Jahren nicht in Somalia aufhältig war und über keinerlei Verwandtschaft oder sozialen Kontakte in Somalia verfügt, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an ihre Ethnie und an ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe anknüpfende aktuelle Verfolgung entsprechender Intensität droht.

Wie bereits in der Beweiswürdigung unter Punkt 2.2 dargestellt, ist es der BF1 gelungen, glaubhaft zu machen, dass ihr im Falle der Rückkehr nach Somalia Übergriffe, wie sexueller Gewalt sowie geschlechtsspezifischer Gewalt, drohen. Sie hat damit eine konkrete und gezielt gegen ihre Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursachen in einem der in der GFK genannten Gründe hat, glaubhaft gemacht.

Von einer Schutzfähigkeit und –willigkeit der somalischen (und ausländischen) Sicherheitsbehörden kann nach der aktuellen Berichtslage nicht ausgegangen werden. So führt das LIB hierzu an: Da bestehende Gesetze nicht effektiv durchgesetzt werden, gibt es bei Vergewaltigungen de facto auch keinen Rechtsschutz bzw. kann von staatlichem Schutz nicht ausgegangen werden. Generell herrscht Straflosigkeit.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht nicht, da IDP Lager in allen Regionen Somalias vorhanden sind und Frauen in ganz Somalia einem erhöhten Gewaltpotential ausgesetzt sind. Da die Erstbeschwerdeführerin weder im Norden, noch im Süden des Landes über Anknüpfungspunkte verfügt, die sie als alleinstehende Frau schützen können, und seit mehr als fünf Jahren nicht in Somalia war, erscheint zudem keine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar (siehe EGMR, 05.09.2013, K.A.B./Schweden, Nr. 886/11, Abs. 82ff). Eine Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann außerdem vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).

Es kamen keine Asylendigungs- bzw. -ausschlussgründe hervor.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz am 12.08.2019 und damit nach dem 15.11.2015 gestellt wurden; die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 („Asyl auf Zeit“) finden daher gemäß § 75 Abs. 24 leg.cit. in den vorliegenden Fällen Anwendung.

3.1.3. Da im Fall des BF2 ein Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG 2005 bezüglich der Verfahrens der BF1 vorliegt und der BF1 der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, ist auch der dem BF2 als minderjähriges Kind der BF1 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, zumal keine Sachverhaltselemente, die unter einen der Tatbestände des § 34 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 zu subsumieren wären, erkennbar sind.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VwGH 30.04.2018, Ra 2017/01/0418, ausdrücklich ausgesprochen, dass dem Gesetzgeber dann, wenn einem Familienangehörigen – aus welchen Gründen auch immer – ohnedies der Status der Asylberechtigten zu gewähren ist, nicht unterstellt werden kann, er habe darüber hinaus vorgesehen, dass auch in diesem Fall eigene Fluchtgründe zu prüfen wären; dies würde der vom Gesetzgeber ausdrücklich angeführten Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband entgegenstehen. Es kann daher im vorliegenden Fall dahin gestellt bleiben, ob dem BF2 auch aufgrund eigener Fluchtgründe der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen wäre.

3.1.4. Den Beschwerden betreffend die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten war daher gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 stattzugeben. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalem Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung Familienverfahren Flüchtlingseigenschaft individuelle Verhältnisse Schutzunfähigkeit Schutzunwilligkeit soziale Gruppe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W252.2226621.1.00

Im RIS seit

16.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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