TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/7 W103 2195671-2

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Veröffentlicht am 07.09.2021
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Entscheidungsdatum

07.09.2021

Norm

AsylG 2005 §58 Abs10
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W103 2195671-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, unvertreten, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.05.2021, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 idgF, stattgegeben und der bekämpfte Bescheid aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Dem Beschwerdeführer (BF), einem Staatsangehörigen der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.02.2009, Zahl XXXX , in Stattgabe seines Antrages auf internationalen Schutz vom 14.01.2008 gemäß § 3 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 leg.cit. festgestellt, dass diesem damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

2. Infolge einer strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Aktenvermerk vom 26.03.2018 ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten ein und führte am 16.04.2018 eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch. Der Beschwerdeführer gab zu seinen Rückkehrbefürchtungen zusammengefasst und sinngemäß an, dass ihm im Herkunftsstaat der Tod oder eine lebenslange Haftstrafe drohen würden. Man habe schon lange nach ihm gefragt und gesucht; das wisse er. Gefragt, wer ihn suche, gab er an, die Polizei. Nach Vorhalt, dass es seit 2011 keine Verfolgungshandlungen gegen Veteranen der Tschetschenienkriege mehr gebe, da sich die Behörden auf IS-Kämpfer konzentrieren würden, führte er aus, dass trotzdem die Menschen in Tschetschenien tagtäglich verschwinden würden.

Am selben Tag wurde hinsichtlich des Verfahrens des Beschwerdeführers die Ehegattin des Beschwerdeführers als Zeugin einvernommen.

3. Mit Bescheid vom 16.04.2018, Zl. XXXX , wurde dem Beschwerdeführer in Spruchteil I. der ihm mit Bescheid vom 27.02.2009 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 idgF aberkannt. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 wurde festgestellt, dass diesem die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme. In Spruchteil II. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, weiters wurde ihm in Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt; darüber hinaus wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG idgF erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen (Spruchpunkt IV.).

4. Mit am 04.05.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingelangtem Schriftsatz wurde durch den anwaltlichen Vertreter fristgerecht Beschwerde eingebracht. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.07.2020, XXXX , wurde die Beschwerde gemäß den §§ 7 Abs. 1 Z 1 und Z 2 sowie Abs. 4, 8, 10 Abs. 1 Z 4, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, §§ 52 Abs. 2 Z 3 und Abs. 9, 55 und 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 FPG 2005 idgF mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wie folgt zu lauten hat: „Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG wird nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG wird gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen. Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Wegfall der durch die COVID-19- Pandemie bedingten Ausreisebeschränkungen“.

5. Am 26.01.2021 stellte der BF einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen“ gemäß § 56 Abs. 2 AsylG. Im Wesentlichen gab er darin an, sich seit 13 Jahren in Österreich zu befinden, verheiratet zu sein und mit seiner Ehefrau drei zwischen 2004 und 2012 geborene Kinder zu haben, wobei ein gemeinsamer Wohnsitz mit diesen bestünde. Der dem Antrag beigefügten Stellungnahme ist zu entnehmen, dass sich der BF seit 14.01.2008 rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe und gegen das Erkenntnis des BVwG vom 01.07.2020 nunmehr ein Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof anhängig sei. Infolge des 13-jährigen Aufenthalts des BF und des Bestehens einer 5-köpfigen in Österreich integrierten Familie, wobei die Kinder des BF nur Deutsch sprächen, sei dem BF als Vater der Familie gemäß § 56 Abs. 2 AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, auch wenn er sich in einem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vor dem Bundesamt befinde. Hinsichtlich seiner strafgerichtlichen Verurteilung sei auszuführen, dass der BF daran lediglich in untergeordneter Rolle beteiligt gewesen sei, weshalb die Asylaberkennung nicht rechtmäßig sei. Aus diesem Grund werde die Entscheidung auch bekämpft und sei nicht von einer besonderen Gefahr des Antragstellers auszugehen, die gegen die Erteilung der gegenständlichen Aufenthaltsberechtigung sprechen würde. Beigelegt wurden zahlreiche Unterlagen zur Integration.

6. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 25.05.2021 wurde der Antrag des BF auf „Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK“ vom 26.01.2021 gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurückgewesen.

7. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Eingabe vom 25.06.2021 fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde. Darin wird zusammengefasst ausgeführt, dass der BF am 26.01.2021 die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 Abs. 2 AsylG beantragt habe. Diesbezügliche Dokumente seien beigelegt worden, weshalb eine Zurückweisung des Antrags gemäß § 58 AsylG nicht in Betracht komme. Offenkundig sei, dass der belangten Behörde hier ein Fehler unterlaufen sei, weil § 58 Abs. 10 AsylG normiere, dass Anträge gemäß § 55 AsylG zurückzuweisen seien, sofern eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung bestehe und aus dem Antragsvorbringen in Hinblick auf das Privat- und Familienleben ein geänderter Sachverhalt nicht hervorgehe. Diese Bestimmung sei ausschließlich auf § 55 AsylG anzuwenden und sei nicht von einer analogen Anwendung auf Anträge gemäß § 56 AsylG auszugehen. Der Gesetzesinhalt und die Erteilungsvoraussetzungen des § 56 AsylG seien streng von jenen des § 55 AsylG zu unterscheiden, weshalb § 58 Abs. 10 AsylG nicht analog auf Anträge gemäß § 56 AsylG angewendet werden könne. § 58 Abs. 10 AsylG normiere zwar, dass Anträge nach § 56 AsylG ebenso zurückzuweisen seien, wenn sie einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag folgen und sich kein neuer Sachverhalt ergeben habe, der BF habe jedoch am 26.01.2021 erstmals einen Antrag gemäß § 56 AsylG eingebracht, weshalb diese Bestimmung gegenständlich nicht anzuwenden sei. Die belangte Behörde habe über den Antrag des BF vom 26.01.2021 bis dato nicht entschieden, weil der Spruch des angefochtenen Bescheides lediglich die Zurückweisung eines Antrags gemäß § 55 AsylG enthalte, welcher zu keinem Zeitpunkt eingebracht worden sei, weshalb der Bescheid aufzuheben sei. Darüber hinaus hätte die belangte Behörde bei der Behandlung des Antrags gemäß § 56 AsylG die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung zu prüfen und gegebenenfalls eine neuerliche zu erlassen gehabt. Diesbezüglich hätte die belangte Behörde eine Einvernahme durchzuführen gehabt, zumal das BVwG im Asylaberkennungsverfahren keine mündliche Verhandlung durchgeführt habe und die letzte persönliche Anhörung des BF zu Beginn des Jahres 2018, sohin vor mehr als drei Jahren, stattgefunden habe.

8. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl lange am 02.07.2021 samt dem bezughabenden Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.

9. Am 20.07.2021 langte ein Schreiben des BFA ein, aus dem hervorgeht, dass der BF am 15.07.2021 in die Russische Föderation abgeschoben worden ist.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde wird seitens des Bundesverwaltungsgerichts Folgendes festgestellt:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Seine Identität steht nicht fest. Mit Bescheid des ehemaligen Bundesasylamtes vom 27.02.2009, Zl. XXXX , wurde dem BF in Stattgabe seines Antrages auf internationalen Schutz vom 14.01.2008 der Status des Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass diesem damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

1.2. Infolge einer strafgerichtlichen Verurteilung wurde dem BF mit Bescheid vom 16.04.2018, Zl. XXXX , der ihm mit Bescheid vom 27.02.2009 zuerkannte Status des Asylberechtigten aberkannt, der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei und wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. Außerdem wurde ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.07.2020, XXXX , als unbegründet abgewiesen. Derzeit ist diesbezüglich ein Verfahren vor dem VfGH anhängig.

1.3. Am 21.01.2021 stellte der BF gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen“ gemäß § 56 Abs. 2 AsylG, wobei die belangte Behörde „den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK“ gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurückwies.

1.4. Im Strafregister der Republik Österreich - geführt von der Landespolizeidirektion Wien - scheint folgende Verurteilung auf:

01) LG XXXX vom 18.08.2017 RK 18.08.2017

§§ 114 (1 u 3) Z 1 2, 114 (4) 1. Fall FPG

Datum der (letzten) Tat 07.07.2016

Freiheitsstrafe 30 Monate, davon Freiheitsstrafe 20 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Vollzugsdatum 23.08.2017

zu LG XXXX RK 18.08.2017

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 23.08.2017, bedingt, Probezeit 3 Jahre

LG XXXX vom 23.08.2017

zu XXXX RK 18.08.2017

(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig

Vollzugsdatum 23.08.2017

LG XXXX vom 25.02.2021

2. Beweiswürdigung:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ergibt sich aus der Beschwerde, dem angefochtenen Bescheid und dem Verwaltungsakt – sowie der Einsicht in das Erkenntnis des BVwG vom 01.07.2020, Zl. XXXX – und einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.1. Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFAVG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche – zulässige und rechtzeitige – Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

3.1.2. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf sind die Behörden gemäß § 28 Abs 5 VwGVG verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Bei einer Aufhebung gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG handelt es sich um eine materielle Erledigung der Rechtssache durch (ersatzlose) Behebung des angefochtenen Bescheides in Form eines Erkenntnisses. Diese Form der negativen Sachentscheidung ist von der Formalerledigung des Verfahrens durch Aufhebung und Zurückverweisung mit Beschluss nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz und Abs. 4 VwGVG zu unterscheiden.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu Spruchteil A)

3.2. Zur ersatzlosen Behebung des angefochtenen Bescheides:

3.2.1. Der mit " Aufenthaltstitel in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen" betitelte § 56 AsylG 2005 lautet wie folgt:

„(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen kann in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, auch wenn er sich in einem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vor dem Bundesamt befindet, eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt werden, wenn der Drittstaatsangehörige jedenfalls

1. zum Zeitpunkt der Antragstellung nachweislich seit fünf Jahren durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist,

2. davon mindestens die Hälfte, jedenfalls aber drei Jahre, seines festgestellten durchgängigen Aufenthaltes im Bundesgebiet rechtmäßig aufhältig gewesen ist und

3. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird.

(2) Liegen nur die Voraussetzungen des Abs. 1 Z 1 und 2 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

(3) Die Behörde hat den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen. Der Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 kann auch durch Vorlage einer einzigen Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 26) erbracht werden. Treten mehrere Personen als Verpflichtete in einer Erklärung auf, dann haftet jeder von ihnen für den vollen Haftungsbetrag zur ungeteilten Hand.“

Der mit " Antragstellung und amtswegiges Verfahren" betitelte § 58 Abs. 10 AsylG 2005 lautet wie folgt:

„(10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.“

3.2.2. Gegenständlich hat der BF am 26.01.2021 einen Antrag gemäß § 56 Abs. 2 AsylG gestellt. Wenn die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nunmehr über einen „Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK“, sohin über einen Antrag nach § 55 AsylG entscheidet, ergeht diese Entscheidung gänzlich ohne Grundlage, da ein diesbezüglicher Antrag des BF nicht gestellt wurde. Insofern erweist sich auch eine Zurückweisung dieses Antrags als rechtswidrig. Vielmehr ist der vom BF gestellte Antrag nach § 56 Abs. 2 AsylG, wie in der verfahrensgegenständlichen Beschwerde ausgeführt, noch unerledigt. Dabei handelt es sich auch nicht bereits um einen Folgeantrag iSd § 58 Abs. 10 zweiter Satz, sondern um einen Erstantrag, weshalb das Bundesamt in der Folge über den Antrag des BF nach § 56 Abs. 2 AsylG inhaltlich zu entscheiden haben wird.

Der gegenständlichen Beschwerde war daher stattzugeben und der gegenständliche Bescheid ersatzlos zu beheben, weil die belangte Behörde über einen „Antrag“ nach § 55 AsylG, ohne einen entsprechenden Antrag des BF nach § 55 AsylG, nicht hätte absprechen dürfen.

3.3. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Da bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der gegenständliche Bescheid aufzuheben war, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG eine mündliche Verhandlung entfallen.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben (vgl. insb 06.10.1999, 99/01/0288; 03.12.2002, 99/01/0449; 03.12.2002, 2001/01/0494; 23.09.2009, 2006/01/0626). Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung rechtliche Grundlage Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W103.2195671.2.00

Im RIS seit

16.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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