TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/8 W235 2238708-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.09.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

08.09.2021

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs5 Satz1
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W235 2238708-1/9E

W235 2238705-1/10E

W235 2238716-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Sabine MEHLGARTEN-LINTNER als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. mj. XXXX , geb. XXXX und 3. mj. XXXX , geb. XXXX , 2. und 3. gesetzlich vertreten durch: XXXX , alle StA. Libanon, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.12.2020, Zl. 1269582701-200972552 (ad 1.), Zl. 1269582407-200972790 (ad 2.) sowie Zl. 1269582603-200972838 (ad 3.) zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden gemäß § 5 AsylG als unbegründet abgewiesen.

Gemäß § 21 Abs. 5 erster Satz BFA-VG wird festgestellt, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide rechtmäßig war.

B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen. Alle drei Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige des Libanon. Nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet stellte die Erstbeschwerdeführerin für sich und als gesetzliche Vertreterin auch für die minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen am 07.10.2020 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Weiters ergab ein Abgleich im VIS System des Bundesministeriums für Inneres, dass der Erstbeschwerdeführerin und der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin von der französischen Botschaft in Beirut Schengen-Visa für 90 Tage im Zeitraum XXXX .10.2019 bis XXXX .10.2023 erteilt worden waren. Der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin wurde hingegen ebenso von der französischen Botschaft in Beirut ein Schengen-Visum für 90 Tage im Zeitraum XXXX .04.2018 bis XXXX .04.2022 erteilt.

1.2. Am 08.10.2020 wurde die Erstbeschwerdeführerin einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, wobei sie zunächst angab, dass sie an keinen Krankheiten leide und nicht schwanger sei. Ihr Ehemann und Vater der beiden mitgereisten minderjährigen Beschwerdeführerinnen lebe und arbeite im Libanon. In Österreich würden ihre Mutter und ihre drei Schwestern leben. Die Erstbeschwerdeführerin habe im August 2020 den Entschluss zur Ausreise gefasst und habe nach Österreich gewollt, weil hier ihre Mutter und ihre Schwestern leben würden. Am XXXX .08.2020 sei sie legal von Beirut nach Frankreich gereist. Dann sei sie mit ihrem Mann und den beiden minderjährigen Beschwerdeführerinnen weiter nach Österreich gelangt. Ihr Mann sei in der Zwischenzeit wieder im Libanon. Die Beschwerdeführerinnen seien in Frankreich nur gelandet und dann mit einem PKW gemeinsam mit ihrem Ehegatten bzw. Vater nach Österreich zur Familie der Erstbeschwerdeführerin gefahren. Die Erstbeschwerdeführerin wolle wegen ihrer Familie in Österreich bleiben. Ihren libanesischen Reisepass sowie die Pässe der minderjährigen Beschwerdeführerinnen habe der Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin wieder mit in den Libanon genommen. Sie habe nicht die Absicht gehabt in Österreich einen Asylantrag zu stellen. Nunmehr habe ihr jedoch ihr Ehemann damit gedroht, sie von Österreich abzuholen und in den Libanon zurückzubringen, sodass die Erstbeschwerdeführerin dazu gezwungen sei, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen.

Die Erstbeschwerdeführerin stelle als gesetzliche Vertreterin auch für die minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen Anträge auf internationalen Schutz. Diese würden seit ihrer Geburt bei der Erstbeschwerdeführerin leben und hätten keine eigenen Fluchtgründe. Die drei Beschwerdeführerinnen sollten als Familie zusammenleben.

Im Rahmen der Erstbefragung legte die Erstbeschwerdeführerin ihre Geburtsurkunde, ihre Heiratsurkunde, einen Auszug aus dem Familienbuch und die Geburtsurkunden der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen, jeweils sowohl in Arabisch als auch in deutscher Übersetzung, sowie ihren Reisepass (alle Unterlagen in Kopie) vor.

Der Erstbeschwerdeführerin wurde weiters am 08.10.2020 eine Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2 AsylG ausgehändigt, mit der ihr zur Kenntnis gebracht wurde, dass aufgrund von Konsultationen mit Frankreich die in § 28 Abs. 2 AsylG definierte 20-Tages-Frist für Verfahrenszulassungen nicht mehr gilt. Diese Mitteilung wurde der Erstbeschwerdeführerin am selben Tag übergeben und von ihr unterfertigt (vgl. AS 85 im Akt der Erstbeschwerdeführerin).

1.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 20.10.2020 Aufnahmegesuche gemäß Art. 12 Abs. 2 oder 3 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (= Dublin III-VO) an Frankreich.

Mit Schreiben vom 21.10.2020 stimmte die französische Dublinbehörde der Aufnahme aller drei Beschwerdeführerinnen gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO ausdrücklich zu.

Mit Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 AsylG wurde der Erstbeschwerdeführerin mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, die Anträge auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da eine Zuständigkeit des Dublinstaates Frankreich angenommen wird. Diese Verfahrensanordnung wurde der Erstbeschwerdeführerin nachweislich übergeben (vgl. AS 143 im Akt der Erstbeschwerdeführerin).

1.4. Am 04.12.2020 fand eine Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit eines Rechtsberaters im Zulassungsverfahren sowie unter Beiziehung eines geeigneten Dolmetschers für die arabische Sprache vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt, in welcher die Erstbeschwerdeführerin zunächst angab, dass sie sich psychisch und physisch in der Lage fühle, die Befragung zu absolvieren. Ihre Angaben würden auch für die beiden minderjährigen Beschwerdeführerinnen gelten. Die Erstbeschwerdeführerin sei weder in ärztlicher Betreuung bzw. Therapie noch nehme sie Medikamente. Die Drittbeschwerdeführerin habe Probleme beim Essen. Sie esse zu wenig und vermute die Erstbeschwerdeführerin, dass es sich um psychische Probleme handle. Die Zweitbeschwerdeführerin habe einen Affektanfall gehabt und leide ebenfalls an Essschwierigkeiten. Bei einem Arzt sei die Erstbeschwerdeführerin deshalb noch nicht gewesen, weil man ihr am Telefon mitgeteilt habe, wenn wieder ein Anfall passiere, solle sie die Rettung rufen. Der letzte Anfall sei vor drei Tagen gewesen und habe die Erstbeschwerdeführerin versucht, das selbst zu lösen.

In Österreich lebe die Mutter der Erstbeschwerdeführerin und ihre drei Schwestern. Alle vier Angehörigen hätten einen positiven Bescheid erhalten. Ihr Ehemann sei mit ihr und den minderjährigen Beschwerdeführerinnen gemeinsam nach Österreich gereist, sei jedoch in den Libanon zurückgekehrt. Er habe kein Asyl beantragen wollen. Die Erstbeschwerdeführerin lebe in Österreich mit niemandem in einer Familien- oder familienähnlichen Gemeinschaft. Sie lebe mit den minderjährigen Beschwerdeführerinnen in einem Lager. Die Erstbeschwerdeführerin brauche die Hilfe ihrer Familie. Sie würden sie finanziell unterstützen und sie brauche auch die seelische und psychische Unterstützung. Die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerinnen seien bereits durch die Situation im Libanon belastet. Die Ärzte im Libanon hätten auch gesagt, dass die Zweitbeschwerdeführerin psychischen Stress habe. Auch sei sie bei der Explosion im Hafen im Libanon durch Glasscherben verletzt worden. Aber aktuell sei ihr gesundheitlicher Zustand stabil und habe die Erstbeschwerdeführerin dies daher auch in der Erstbefragung nicht erwähnt. Im Kinderkrankenhaus in XXXX sei ihr auch gesagt worden, dass der gesundheitliche Zustand der Zweit- und der Drittbeschwerdeführerin stabil sei. Einen Termin könne sie erst ab Feber erhalten.

Die Beschwerdeführerinnen hätten Visa für Frankreich beantragt und auch ausgestellt bekommen. Wann genau sie in die Europäische Union eingereist seien, wisse die Erstbeschwerdeführerin nicht mehr, aber sie seien über XXXX nach Österreich geflogen. In Frankreich seien sie vom Flieger mit einer Limousine abgeholt worden und hätten sich als VIPs am Flughafen aufgehalten. Mit einer anderen Limousine seien sie bis Österreich gefahren. In Frankreich hätten sie kein Asyl beantragt und seien auch nicht untergebracht und versorgt worden. Zur geplanten Vorgehensweise des Bundesamtes die Beschwerdeführerinnen nach Frankreich auszuweisen, gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie sich in Frankreich wie im Libanon fühle, da ihr Mann dort mächtige Kontakte habe. Ihre Familie sei in Frankreich nicht sicher, da ihr Mann den französischen XXXX immer wieder bestochen habe. Das könne sie jedoch nicht belegen. In Frankreich werde es nicht einfach. Die Erstbeschwerdeführerin wisse nicht, ob er [gemeint: ihr Ehemann] ihr wehtun oder ihr die Kinder [gemeint: Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen] wegnehmen könne.

Neben einem handschriftlichen Schreiben in arabischer Sprache legte die Erstbeschwerdeführerin nachstehende Unterlagen vor:

?        Ambulanzbefund eines Krankenhauses betreffend eine ambulante Vorstellung der Drittbeschwerdeführerin am XXXX .11.2020 mit der Diagnose Ernährungsschwierigkeiten und der Empfehlung immer wieder unterschiedliche Nahrungsmittel anzubieten;

?        Ambulanzbefund eines Krankenhauses betreffend eine ambulante Vorstellung der Zweitbeschwerdeführerin am XXXX .11.2020 mit den Diagnosen Verdacht auf Absence, Affektanfall und Ernährungsschwierigkeiten und der Empfehlung immer wieder unterschiedliche Nahrungsmittel anzubieten sowie ein Zentrum für Entwicklungsneurologie und Sozialpädiatrie aufzusuchen sowie

?        Auszüge aus dem Einwohnerregister betreffend die Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen (in Arabisch und in deutscher Übersetzung vorgelegt)

1.5. Mit Stellungnahme vom 14.12.2020 brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, dass die Zweitbeschwerdeführerin neuerlich einen Krampfanfall erlitten habe. Das Landeskrankenhaus XXXX habe als Verdachtsdiagnose Affektkrämpfe und eine posttraumatische Belastungsreaktion festgestellt. Als Ursache werde angeführt, dass im Heimatort ein Fenster bei einer Explosion auf sie herabgestürzt sei. Als weitere Vorgehensweise werde eine Kontrolle am XXXX .01.2021 avisiert. Aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes möge das Bundesamt den Selbsteintritt Österreichs erklären, in eventu eine Einzelfallzusicherung der französischen Behörden einholen, in eventu von der Überstellung nach Frankreich absehen bis das Ergebnis der Kontrolle vom XXXX .01.2021 vorliege, in eventu aufgrund der in Österreich aufenthaltsberechtigten Mutter und zwei [wohl gemeint: drei] Schwestern der Erstbeschwerdeführerin von einem schützenswerten Familien- und Privatleben ausgehen und den Selbsteintritt Österreichs erklären.

Der Stellungnahme beigelegt war ein Ambulanzbefund einer Anfallsambulanz vom XXXX .12.2020 aufgrund eines neuerlichen Krampfanfalls der Zweitbeschwerdeführerin, dem entnommen werden kann, dass eine Video-EEG Untersuchung unauffällig war, die Diagnose Affektkrämpfe und die Verdachtsdiagnose posttraumatische Belastungsreaktion gestellt wurden sowie ein Kontrolltermin für den XXXX .01.2021 vereinbart wurde (vgl. AS 191 im Akt der Erstbeschwerdeführerin).

2. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Frankreich gemäß Art. 12 Abs. 2 oder 3 (gültiges Visum) Dublin III-VO für die Prüfung dieser Anträge zuständig ist (Spruchpunkte I.). Unter den jeweiligen Spruchpunkten II. der angefochtenen Bescheide wurde gegen die Beschwerdeführerinnen die Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG ihre Abschiebung nach Frankreich zulässig ist.

Begründend wurde zum jeweiligen Gesundheitszustand der Beschwerdeführerinnen festgestellt, dass die Erstbeschwerdeführerin gesund sei und weder ärztliche Behandlung, Therapie oder Medikamente benötige. Die Zweitbeschwerdeführerin leide an Essschwierigkeiten und habe Anfälle. Dieser Zustand habe bereits im Libanon bestanden, wo die Ärzte gemeint hätten, die Zweitbeschwerdeführerin leide unter psychischem Stress, da sie damals bei der großen Explosion verletzt worden sei. Die Drittbeschwerdeführerin leide an Essschwierigkeiten und vermute die Erstbeschwerdeführerin, dass diese auf psychische Probleme zurückzuführen seien. Im Fall einer Überstellung nach Frankreich würden die französischen Behörden von österreichischer Seite über die besondere medizinische Betreuung der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen informiert werden. Daher sei gewährleistet, dass die beiden minderjährigen Beschwerdeführerinnen nach einer erfolgten Überstellung die erforderliche einzelfallbezogene Unterstützung erhalten würden. Festgestellt werde, dass die Erst- und die Drittbeschwerdeführerinnen in Besitz von französischen Visa mit einer Gültigkeit von XXXX .10.2019 bis XXXX .10.2023 seien und die Zweitbeschwerdeführerin in Besitz eines französischen Visums mit einer Gültigkeit von XXXX .04.2018 bis XXXX .04.2022 sei. Festgestellt werde, dass sich Frankreich mit Schreiben vom 21.10.2020 gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Führung der Asylverfahren der Beschwerdeführerinnen für zuständig erklärt habe. Es liege ein Familienverfahren vor. Weiters würden die Mutter (bzw. Großmutter) und drei Schwestern (bzw. Tanten) der Beschwerdeführerinnen in Österreich leben. Mit diesen Verwandten würden die Beschwerdeführerinnen nicht im gemeinsamen Haushalt leben und bestünden auch keine finanziellen oder sonstigen Abhängigkeitsverhältnisse. Eine besondere Integrationsverfestigung der Beschwerdeführerinnen in Österreich könne nicht festgestellt werden. Frankreich habe strikte Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des Corona-Virus getroffen. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerinnen in Frankreich systematischen Misshandlungen bzw. Verfolgungen ausgesetzt gewesen seien oder diese dort zu erwarten hätten. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf in den angefochtenen Bescheiden Feststellungen zum französischen Asylverfahren einschließlich der Situation von Dublin-Rückkehrern in Frankreich sowie zur Situation aufgrund der COVID-19 Pandemie.

Beweiswürdigend wurde betreffend die Erstbeschwerdeführerin ausgeführt, dass diese angegeben habe gesund zu sein und keine Behandlung, Therapie oder Medikamente zu benötigen. Betreffend die Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen wurde darauf verwiesen, dass die französischen Behörden im Fall einer Überstellung über den Gesundheitszustand informiert werden würden, um eine nahtlose medizinische Betreuung zu gewährleisten. Es hätten sich keine Hinweise ergeben, dass die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerin an einer schweren körperlichen Krankheit oder an einer schweren psychischen Störung leiden würden. Die Feststellungen zur Pandemie aufgrund des Corona-Virus hätten sich aus den unbedenklichen tagesaktuellen Berichten und Informationen ergeben. Die Erstbeschwerdeführerin habe angegeben, dass sie mit einem französischen Visum in Frankreich eingereist und direkt vom Flughafen nach Österreich gebracht worden seien. Die Feststellungen zum Konsultationsverfahren und zum zuständigkeitsbegründenden Sachverhalt würden sich aus den unbedenklichen Akteninhalten ergeben. In Österreich würden sich die Mutter bzw. Großmutter sowie die drei Schwestern bzw. Tanten der Beschwerdeführerinnen befinden. Dass offensichtlich keine besondere Integrationsverfestigung der Beschwerdeführerinnen in Österreich bestehe, ergebe sich schon aus der Kürze des bisherigen Aufenthalts. Die Feststellungen zu Frankreich würden aus einer Vielzahl von Quellen stammen, die durch die Staatendokumentation des Bundesamtes zusammengestellt worden seien. Zu den Angaben der Erstbeschwerdeführerin, sie könnten nicht nach Frankreich, da der Mann bzw. Vater der Beschwerdeführerinnen dorthin mächtige Kontakte habe, wurde ausgeführt, dass diese Angaben unkonkret seien. Auch sei den Angaben keinesfalls mangelnder Schutzwille oder mangelnde Schutzfähigkeit des französischen Staates zu entnehmen. Die Beschwerdeführerinnen hätten jederzeit die Möglichkeit, sich in Frankreich an die dortigen Polizeibehörden zu wenden. Ferner habe sich Frankreich mit Schreiben vom 21.10.2020 ausdrücklich bereit erklärt, die Beschwerdeführerinnen im Rahmen der Verpflichtungen aus der Dublin III-VO zur Prüfung ihrer Asylanträge zu übernehmen und könne nicht erkannt werden, dass der Zugang zum Asylverfahren in Frankreich verweigert werden würde. Eine Schutzverweigerung in Frankreich könne daher auch nicht erwartet werden.

In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu den jeweiligen Spruchpunkten I. der angefochtenen Bescheide, dass sich aus dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin und aus dem amtswegigen Ermittlungsverfahren ergeben habe, dass Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO formell erfüllt sei. Die Beschwerdeführerinnen seien jung und würden an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leiden, sodass sie nicht unter die von COVID-19 am stärksten betroffenen Risikogruppen fielen. In den vorliegenden Fällen handle es sich um ein Familienverfahren und habe sich für alle drei Beschwerdeführerinnen dieselbe aufenthaltsbeendende Maßnahme ergeben. Mit den weiteren Verwandten – Mutter bzw. Großmutter sowie drei Schwestern bzw. Tanten – würden die Beschwerdeführerinnen nicht im gemeinsamen Haushalt leben und bestünden auch keine Abhängigkeiten. Bei diesen Beziehungen handle es sich nicht um ein im Sinne des Art. 8 EMRK schützenswertes Familienleben. Die Dauer des Aufenthalts der Beschwerdeführerinnen im Bundesgebiet vermöge kein im Sinne des Art. 8 EMRK relevantes Recht auf Achtung des Privatlebens zu begründen. Es sei daher davon auszugehen, dass die Zurückweisung der Anträge nicht zu einer relevanten Verletzung der Dublin III-VO sowie von Art. 7 GRC bzw. Art. 8 EMRK führe und die Zurückweisungsentscheidung daher unter diesen Aspekten zulässig sei. Frankreich sei bereit, die Beschwerdeführerinnen einreisen zu lassen, ihre Anträge auf internationalen Schutz zu prüfen und die sonstigen, Frankreich aus der Dublin III-VO treffenden Verpflichtungen den Beschwerdeführerinnen gegenüber zu erfüllen. Es sei festzustellen, dass in Frankreich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verletzung der EMRK nicht eintreten werde. Ein im besonderen Maße substanziiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer relevanten Verletzung der Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK im Fall einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen ließen, sei in den Verfahren nicht hervorgekommen. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG habe daher bei Abwägung aller Umstände nicht erschüttert werden können. Zu den jeweiligen Spruchpunkten II. der angefochtenen Bescheide wurde ausgeführt, dass die gegenständliche Zurückweisungsentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung zu verbinden sei. Nach Zitierung der einschlägigen Judikatur des EGMR und des VfGH betreffend die Überstellungszulässigkeit nach Frankreich im Hinblick auf den psychischen und physischen Zustand der Beschwerdeführerinnen wurde ausgeführt, dass sich aus den vorliegenden Sachverhalten kein Anhaltspunkt dafür ergebe, dass es sich bei den Beschwerdeführerinnen um lebensgefährlich Erkrankte handle. Ferner seien für die Beschwerdeführerinnen in Frankreich Behandlungsmöglichkeiten gegeben und sei die unerlässliche medizinische Versorgung gewährleistet. Eine Anordnung zur Außerlandesbringung habe gemäß § 61 Abs. 2 FPG zur Folge, dass die Abschiebung in den Zielstaat zulässig sei.

3. Gegen die oben angeführten Bescheide erhob die Erstbeschwerdeführerin für sich und als gesetzliche Vertreterin auch für die minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen im Wege ihrer rechtsfreundlichen Vertreterin fristgerecht jeweils eine Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften und stellte Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Nach Wiederholung des Verfahrensganges sowie des wesentlichen Vorbringens der Erstbeschwerdeführerin wurde begründend zusammengefasst ausgeführt, dass das Urteil des EGMR im Fall Tarakhel gegen die Schweiz auch auf die vorliegenden Fälle anwendbar sei. Daher hätten entscheidungsrelevante Feststellungen zu systematischen Schwachstellen in jenen Versorgungsbereichen in Frankreich, in denen besondere Unterstützung notwendig sei, getroffen werden müssen. Fallspezifisch hätte berücksichtigt werden müssen, dass umfassend berichtet werde, dass es im französischen Gesundheitssystem gravierende Engpässe gebe. Im Lichte des Tarakhel-Urteils müsse davon ausgegangen werden, dass die belangte Behörde die offenkundigen Mängel zumindest im Gesundheitswesen in Frankreich hätte kennen müssen. Sohin hätte die Behörde betreffend die minderjährigen Beschwerdeführerinnen eine einzelfallbezogene Zusicherung angemessener Versorgung und Unterbringung von den zuständigen französischen Behörden einholen müssen.

Betreffend die beiden minderjährigen Beschwerdeführerinnen wurde in ihren jeweiligen Beschwerden im Wesentlichen vorgebracht, dass diese bereits schon aufgrund ihres Alters als besonders schutzbedürftig identifiziert hätten werden müssen. Die Feststellungen, dass die minderjährigen Beschwerdeführerinnen nicht an schweren psychischen Störungen und/oder an einer schweren oder ansteckenden Krankheit leiden würden, würden im eklatanten Widerspruch zum Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin als gesetzlicher Vertreterin und zu den vorgelegten medizinischen Befunden stehen. Angesichtes der systematischen Schwachstellen im französischen Gesundheitswesen infolge der anhaltenden Pandemie müsse mangels vorliegender Einzelfallzusicherung jedenfalls mit in den Schutzbereich des Art. 4 GRC fallender realer Gefahren gerechnet werden. Ferner hätte die Unterstützung durch die Großmutter und die Tanten in Zusammenhang mit einer Beurteilung des Kindeswohls ermittelt werden müssen. Die Behörde habe es somit verabsäumt, im Lichte des Tarakhel-Urteils besondere psycho-soziale Bedürfnisse der minderjährigen Beschwerdeführerinnen zur Wahrung des Kindeswohls zu erheben. Auch würden besondere Bedürfnisse der minderjährigen Beschwerdeführerinnen im Hinblick auf die notwendige Versorgung und Unterbringung in Zusammenhang mit Schutz vor indirekter psychischer Gewalt oder Einschüchterung durch den Vater der beiden minderjährigen Beschwerdeführerinnen vorliegen.

In der die Erstbeschwerdeführerin betreffenden Beschwerde wurde darüber hinaus ausgeführt, dass diese eine alleinerziehende und alleinstehende Mutter sei, die Sorgfaltspflichten für zwei Kleinkinder (= die minderjährigen Beschwerdeführerinnen) habe, die beide gesundheitliche Probleme hätten. Sie sei auf die Unterstützung bei der Versorgung der beiden minderjährigen Beschwerdeführerinnen sowie bei Angelegenheiten des Alltags von ihrer in Österreich asylberechtigten Mutter und ihren ebenfalls in Österreich asylberechtigten Schwestern abhängig. Wenn die Behörde ausführe, dass zu den Angehörigen in Österreich kein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis bestünde, stehe dies im Widerspruch zum Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin. Daher werde beantragt, die (namentlich genannte) Mutter sowie die drei (ebenfalls namentlich genannten) Schwestern der Erstbeschwerdeführerin zum Umfang der notwendigen Unterstützung der Erstbeschwerdeführerin zeugenschaftlich zu befragen.

Die Erstbeschwerdeführerin sei Betroffene von zumindest psychischer Gewalt durch den Ehemann bzw. Kindesvater. Dies habe sich in Drohungen geäußert, aber auch im Umstand, dass der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin durch seine Überlegenheit aufgrund seiner sozialen und beruflichen Stellung und allfälliger Einflussmöglichkeiten die Erstbeschwerdeführerin eingeschüchtert habe. Zudem habe sie vorgebracht, dass sie vom Kindesvater auch in Österreich bedroht worden sei und sich angesichts seiner Kontakte auch in Frankreich nicht sicher fühle. Dies werde dadurch verdeutlicht, dass der Kindesvater die Reisepässe der minderjährigen Beschwerdeführerinnen entwendet habe. Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin sei für den früheren libanesischen Ministerpräsidenten tätig, der im Jahr 2013 zurückgetreten sei, und sei vor diesem Hintergrund nachvollziehbar, dass sich die Erstbeschwerdeführerin ihrem Ehemann und seinen allfälligen Einflussmöglichkeiten ausgeliefert fühle.

4. Aufgrund einer Nachfrage des Bundesverwaltungsgerichtes gab das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit E-Mail vom 12.05.2021 bekannt, dass die Überstellungsfrist der Beschwerdeführerinnen am 14.01.2021 aufgrund unbekannten Aufenthalts ausgesetzt und am selben Tag den französischen Behörden bekannt gegeben wurde. Die Abmeldung in der Unterkunft in Wien erfolgte am 04.01.2021. Seit 03.02.2021 besteht eine neue Meldeadresse in Wiener Neustadt (vgl. OZ 7).

5. Im Zuge des Beschwerdeverfahrens wurden nachstehende Unterlagen vorgelegt:

?        Ambulanzbefund vom XXXX .01.2021 betreffend die Zweitbeschwerdeführerin mit dem Vorstellungsgrund „Verdacht auf affektive Anfälle“ und den Empfehlungen diverser Untersuchungen sowie einer Wiedervorstellung und klinisch-psychologische Diagnostik;

?        Zuweisung vom XXXX .02.2021 zu einer Herzecho-Ambulanz betreffend die Zweitbeschwerdeführerin;

?        Ambulanzbefund Anfallsambulanz vom XXXX .02.2021 betreffend die Zweitbeschwerdeführerin mit Hinweis, dass das Herzecho einen unauffälligen Befund ergeben hat und den Diagnosen „fraglich nächtliche Anfälle, Verdacht auf Affektkrämpfe, posttraumatische Belastungsreaktion“;

?        Aufenthaltsbestätigung vom XXXX .02.2021 betreffend die Zweitbeschwerdeführerin von XXXX .02.2021 bis XXXX .02.2021 wegen einer stationären Krankenhausbehandlung;

?        ärztlicher Entlassungsbrief betreffend die Zweitbeschwerdeführerin vom 27.02.2021 mit den Diagnosen „fraglich nächtliche Anfälle, Verdacht auf Affektkrämpfe, posttraumatische Belastungsreaktion“;

?        Ambulanzbefund Anfallsambulanz vom XXXX .03.2021 betreffend die Zweitbeschwerdeführerin mit den Verdachtsdiagnosen „wiederholte Affektkrämpfe, posttraumatische Belastungsreaktion, Obstipation“ und dem Hinweis auf eine Kontrolle in zwei Monaten und der Empfehlung einer Psychotherapie;

?        Ersuchen um fachärztliche Begutachtung vom XXXX .04.2021 betreffend die Erstbeschwerdeführerin mit den Diagnosen psychische Belastungsreaktion und Anpassungsreaktion;

?        Hinweis auf „Dauerdiagnosen“ betreffend die Erstbeschwerdeführerin: psychische Belastungsreaktion, Anpassungsreaktion und Trommelfellschaden samt empfohlene Medikation;

?        Schreiben eines HNO-Facharztes betreffend die Erstbeschwerdeführerin vom XXXX .04.2021 mit den Diagnosen „craniomandibuläre Dysfunktion, Kiefergelenksatropathie, posttraumatischer Tinnitus bds.“;

?        kinder- und jugendpsychiatrische Stellungnahme eines Landesklinikums vom XXXX .04.2021 betreffend die Zweitbeschwerdeführerin mit der Annahme einer posttraumatischen Belastungsstörung und Empfehlungen weiterer Abklärungen;

?        ambulanter Patientenbrief vom XXXX .04.2021 betreffend die Erstbeschwerdeführerin mit den vorläufigen Diagnosen schwere depressive Episode und komplexe posttraumatische Belastungsstörung und

?        unleserliche Bestätigung hinsichtlich der Wahrnehmung ambulanter Behandlungstermine

Ferner brachten die Beschwerdeführerinnen im Wege ihrer rechtsfreundlichen Vertreterin mit Schriftsatz vom 07.04.2021 vor, dass die Zweitbeschwerdeführerin einen spezifischen Pflegebedarf habe und jedenfalls der tatsächliche Zugang zu fachärztlichen Behandlungen garantiert sein müsse. In diesem Zusammenhang sei die wegen der COVID-19 Pandemie angespannte aktuelle Lage in Frankreich zu beachten. Ebenso sei die prekäre Lage in französischen Krankenhäusern zu berücksichtigen. Ferner würden sich in Österreich Familienangehörige der Beschwerdeführerinnen befinden, die eine unverzichtbare Unterstützung leisten könnten. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass die Erstbeschwerdeführerin in Trennung lebe und wegen ihrer Scheidungsabsichten davon auszugehen sei, dass sie im Fall einer Überstellung als alleinerziehende Mutter von zwei kleinen Kindern ungemeinen Herausforderungen gegenüberstünde. Daher seien die Beschwerdeführerinnen als besonders vulnerabel zu bezeichnen.

In einem weiteren Schriftsatz vom 12.04.2021 wurde der Antrag gestellt, die Transportfähigkeit der Erstbeschwerdeführerin erneut zu überprüfen, da ihre Ohrverletzung und ihr aktueller psychischer Zustand eine zeitnahe Außerlandesbringung nicht erlauben würden.

Ferner wurde mit Schriftsatz vom 23.04.2021 vorgebracht, dass bei der Erstbeschwerdeführerin schwere depressive Episode sowie eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt worden seien und sie neben einer medikamentösen Therapie auch eine Psychotherapie benötige, wobei eine stationäre Aufnahme empfohlen werde. Es werde erneut die notwendige Unterstützung seitens der Familienangehörigen hervorgehoben. Auch bei der Zweitbeschwerdeführerin müssten weiterhin fachärztliche Untersuchungen durchgeführt werden. Da Frankreich dem Aufnahmegesuch des Bundesamtes am 21.10.2020 zugestimmt habe, sei die Überstellungsfrist mit 21.04.2021 abgelaufen.

6. Am 20.05.2021 wurden die Beschwerdeführerinnen auf dem Landweg nach Frankreich überstellt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Beschwerdeführerinnen:

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweit- und der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin. Alle drei Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige des Libanon. Der Erstbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführerin wurden von der französischen Botschaft in Beirut Schengen-Visa für 90 Tage im Zeitraum XXXX .10.2019 bis XXXX .10.2023 erteilt. Der Zweitbeschwerdeführerin wurde ebenso von der französischen Botschaft in Beirut ein Schengen-Visum für 90 Tage mit einer Gültigkeit von XXXX .04.2018 bis XXXX .04.2022 erteilt. In Besitz dieser Visa reisten die Beschwerdeführerinnen gemeinsam vom Libanon über Frankreich in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte die Erstbeschwerdeführerin für sich und als gesetzliche Vertreterin auch für die beiden minderjährigen Beschwerdeführerinnen am 07.10.2010 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Festgestellt wird sohin, dass alle drei Beschwerdeführerinnen im Zeitpunkt der Antragstellung in Österreich in Besitz von gültigen französischen Visa waren.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 20.10.2020 Aufnahmegesuche an Frankreich, welche von der französischen Dublinbehörde am 21.10.2020 beantwortet und die ausdrückliche Zustimmung zur Aufnahme aller drei Beschwerdeführerinnen gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO erteilt wurde. Ein Sachverhalt, der die Zuständigkeit Frankreichs wieder beendet hätte, liegt nicht vor. Weiters hat sich die Überstellungsfrist in den gegenständlichen Fällen auf 18 Monate verlängert, da die Beschwerdeführerinnen untergetaucht waren. Dieser Umstand wurde der französischen Dublinbehörde vom Bundesamt mit Schreiben vom 14.01.2021 mitgeteilt.

Konkrete, in der Person der Beschwerdeführerinnen gelegene Gründe, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in Frankreich sprechen, liegen nicht vor. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerinnen im Fall einer Überstellung nach Frankreich Gefahr liefen, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

Bei der Erstbeschwerdeführerin wurden eine schwere depressive Episode und eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Darüber hinaus stellte ein Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenerkrankungen fest, dass sie an craniomandibulärer Dysfunktion, Kiefergelenksatropathie und an einem beiderseitigen posttraumatischen Trinnitus leidet. Bei der Zweitbeschwerdeführerin wurden die Verdachtsdiagnosen wiederholte Affektkrämpfe, posttraumatische Belastungsreaktion und Obstipation gestellt. Die Drittbeschwerdeführerin leidet an Ernährungsschwierigkeiten. Sohin wird festgestellt, dass die drei Beschwerdeführerinnen nicht lebensbedrohlich erkrankt sind. Festgestellt wird, dass die Beschwerdeführerinnen keiner COVID-19 Risikogruppe angehören. Die aktuelle Situation hinsichtlich der COVID-19 Pandemie begründet keine Unmöglichkeit einer Rückkehr der Beschwerdeführerinnen nach Frankreich. In Frankreich sind alle Krankheiten behandelbar und alle gängigen Medikamente erhältlich. Es steht dort bei Bedarf auch psychologische oder psychiatrische Behandlung zur Verfügung. Weiters besteht in Frankreich ausreichende medizinische Versorgung für Asylwerber, die auch in der Praxis verfügbar ist. In einer Gesamtbetrachtung wird daher festgestellt, dass die Beschwerdeführerinnen weder an einer körperlichen noch an einer psychischen Krankheit leiden, die einer Überstellung nach Frankreich aus gesundheitlichen Gründen entgegensteht bzw. entgegengestanden ist.

In Österreich leben die Mutter bzw. Großmutter sowie drei Schwestern bzw. Tanten der Beschwerdeführerinnen als anerkannte Konventionsflüchtlinge. Eine Schwester bzw. Tante ist seit Juni 2016, die Mutter bzw. Großmutter seit Mai 2017 und zwei Schwestern bzw. Tanten sind seit Juni 2018 in Österreich aufhältig. Während des Aufenthalts der Beschwerdeführerinnen im österreichischen Bundesgebiet bestand mit keiner der genannten Angehörigen ein gemeinsamer Haushalt. Ferner liegen keine wechselseitigen Abhängigkeiten finanzieller oder sonstiger Natur zwischen den Beschwerdeführerinnen und ihren Angehörigen vor. Festgestellt wird, dass die Beschwerdeführerinnen zwischen 05.01.2021 und 02.02.2021 in Österreich über keine aufrechte Meldeadresse verfügten und sohin für die Behörden nicht greifbar waren.

Festgestellt wird, dass die Beschwerdeführerinnen am 20.05.2021 auf dem Landweg aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Frankreich überstellt wurden.

1.2. Zum französischen Asylverfahren einschließlich der Situation von Dublin-Rückkehrern in Frankreich:

Zum französischen Asylverfahren sowie zur Situation von Dublin-Rückkehrern in Frankreich und zur Pandemie aufgrund des Corona-Virus wurden in den angefochtenen Bescheiden Feststellungen getroffen, welche von der erkennenden Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichtes geteilt und auch für gegenständliches Erkenntnis herangezogen werden.

Ungeachtet dessen wird explizit festgestellt:

a). Allgemeines:

Es existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit (OFPRA 31.10.2017; AIDA 2.2017; USDOS 3.3.2017).

Menschenrechtsgruppen kritisieren regelmäßig die strikt dem Gesetz folgende Abschiebepraxis Frankreichs (USDOS 3.3.2017).

b). Dublin-Rückkehrer:

Anträge von Dublin-Rückkehrern werden wie jeder andere Asylantrag behandelt. Kommt der Betreffende aus einem sicheren Herkunftsstaat, wird das beschleunigte Verfahren angewandt. Hat der Rückkehrer bereits eine endgültig negative Entscheidung der 2. Instanz (CDNA) erhalten, kann er einen Folgeantrag stellen, so dieser neue Elemente enthält. Dublin-Rückkehrer werden wie normale Asylwerber behandelt und haben daher denselben Zugang zu Unterbringung im regulären bzw. beschleunigten Verfahren wie diese (AIDA 2.2017).

Wenn Dublin-Rückkehrer am Flughafen Roissy – Charles de Gaulle ankommen, erhalten die Rückkehrer von der französischen Polizei ein Schreiben, an welche Präfektur sie sich wegen ihres Asylverfahrens zu wenden haben. Dann werden sie zunächst an die Permanence d’accueil d’urgence humanitaire (PAUH) verwiesen. Das ist eine humanitäre Aufnahmeeinrichtung des französischen Roten Kreuzes, die im Bereich des Flughafens tätig ist. Es kann ein Problem darstellen, wenn die zuständige Präfektur weit entfernt liegt, denn die Rückkehrer müssen die Anfahrt aus eigenem bestreiten. Es gibt dafür keine staatliche Hilfe und auch die PAUH hat nicht die Mittel sie dabei zu unterstützen. In Paris und Umgebung wiederum kann man sich nicht direkt an die Präfekturen wenden, sondern muss den Weg über die sogenannten Orientierungsplattformen gehen, die den Aufwand für die Präfekturen mindern sollen, aber mitunter zu Verzögerungen von einigen Wochen in der Antragsstellung führen können. Viele der Betroffenen wenden sich daher an das PAUH um Hilfe bei der Antragstellung und Unterbringung. Einige andere Präfekturen registrieren die Anträge der Rückkehrer umgehend und veranlassen deren Unterbringung durch das Büros für Immigration und Integration (OFII). In Lyon am Flughafen Saint-Exupéry ankommende Rückkehrer haben dieselben Probleme wie jene, die in Paris ankommen (AIDA 2.2017).

Im Falle der Übernahme von vulnerablen Dublin-Rückkehrern muss die französische Behörde vom jeweiligen Mitgliedstaat mindestens einen Monat vor Überstellung informiert werden, um die notwendigen Vorkehrungen treffen zu können. Je nach medizinischem Zustand, kann der Dublin-Rückkehrer mit speziellen Bedürfnissen bei Ankunft medizinische Betreuung erhalten. Auch Dublin-Rückkehrer, haben generell Zugang zur staatlichen medizinischen Versorgung (MDI 10.10.2017).

c). Versorgung:

Laut Asylgesetz sind die materiellen Aufnahmebedingungen allen Asylwerbern (inkl. beschleunigtes und Dublin-Verfahren) anzubieten. Die Verteilung von Asylwerbern erfolgt zentral, parallel werden regionale Vorschriften definiert und von den Präfekten in jeder Region umgesetzt. Asylwerber im Dublin-Verfahren unterliegen jedoch einer Einschränkung: sie haben keinen Zugang zu CADA-Einrichtungen und leben in der Praxis oft auf der Straße oder in besetzten Häusern. Dublin-Rückkehrer hingegen werden behandelt wie reguläre Asylwerber und haben daher denselben Zugang zu Unterbringung im regulären bzw. beschleunigten Verfahren wie diese. Die nationalen Aufnahmestrukturen liegen in der Zuständigkeit des Französischen Büros für Immigration und Integration (Office français de l’immigration et de l’intégration – OFII). Es wurde eine Beihilfe für Asylwerber (Allocation pour demandeurs d’asile – ADA) eingeführt, welche die vorherige monatliche Zahlung (Allocation Mensuelle de Subsistance – AMS) bzw. die temporäre Wartezeitzulage (Allocation Temporaire d’Attente – ATA) ersetzt (AIDA 2.2017). Die Höhe der ADA hängt von verschiedenen Faktoren wie die Art der Unterkunft, Alter, Anzahl der Kinder usw. ab. Asylwerber erhalten in der Regel eine monatliche finanzielle Unterstützung/Gutscheine in der Höhe von 204 Euro. Ein zusätzlicher Tagessatz wird an Asylwerber ausgezahlt, die Unterbringungsbedarf haben, aber nicht über das nationale Aufnahmesystem aufgenommen werden können (AIDA 2.2017). Seit April 2017 beträgt der tägliche Kostenzuschuss für Unterkunft 5,40 Euro (FTA 4.4.2017). Es wird jedoch kritisiert, dass die Empfänger der ADA in der Praxis mit Problemen (z.B. Verzögerungen bei der Auszahlung, intransparente Berechnung usw.) konfrontiert sind (AIDA 2.2017).

Asylwerber haben Zugang zum Arbeitsmarkt, wenn OFPRA ihren Asylantrag innerhalb von neun Monaten nicht entschieden und diese Verzögerung nicht vom Antragssteller verschuldet wurde (AIDA 2.2017).

d). Unterbringung:

In Frankreich gibt es 303 Unterbringungszentren für Asylwerber (Centre d’Accueil pour Demandeurs d’Asile – CADA) mit rund 34.000 Plätzen, ein spezielles Zentrum für UMA, zwei Transitzentren mit 600 Plätzen, 262 Notunterbringungen mit rund 18.000 Plätzen, sowie eine nicht näher genannte Anzahl an privaten Unterbringungsplätzen. Damit verfügt das Land über etwa 56.000 Unterbringungsplätze (AIDA 2.2017).

Der Zugang zu Unterbringung erweist sich in der Praxis jedoch als sehr kompliziert. Bei der Zuweisung zur CADA muss mit längerer Wartezeit gerechnet werden, die je nach Region zwischen 51 bis 101 Tage beträgt. In Paris gibt es auch Beispiele dafür, dass Asyl gewährt wurde, ohne dass die Personen jemals Zugang zu Unterbringung gehabt hätten. Berichten zufolge reichen die derzeitigen Unterbringungsplätze der CADA nicht aus (AIDA 2.2017). Die Schaffung weiterer Unterbringungsplätze (insgesamt 12.500 Plätze davon 7.500 in CADA) ist in den nächsten zwei Jahren geplant (FRC 12.1.2018; vgl. FRC 22.12.2017).

Im Oktober 2016 wurde die informelle Siedlung in Calais, der sog. Dschungel, geräumt, in der tausende von Migranten und Asylsuchende (laut AI mehr als 6.500 Personen, laut USDOS 5.600) lebten. Man brachte 5.243 Bewohner in Erstaufnahmelager (CAO) in ganz Frankreich und stellte ihnen Informationen über das Asylverfahren zur Verfügung (AI 2.22.2017; vgl. AI 1.6.2017, USDOS 3.3.2017, AIDA 2.2017). Trotzdem leben noch etwa 350 bis 600 Migranten unter prekären Bedingungen in und um Calais. Großbritannien und Frankreich wollen die Sicherheit an der gemeinsamen Grenze jedoch verbessern. Der französische Präsident und die britische Premierministerin unterzeichneten dazu im Januar 2018 ein neues Abkommen (Zeit 19.1.2018).

Trotz der Bestrebungen der lokalen Behörden und Interessenvertreter bleiben viele Migranten und Asylwerber weiterhin obdachlos und leben landesweit in illegalen Camps (AIDA 2.2017).

e). Medizinische Versorgung:

Am 1. Januar 2016 wurde in Frankreich der neue allgemeine Krankenversicherungsschutz (protection universelle maladie – PUMA) eingeführt. Deren medizinischen Leistungen können Asylwerber im ordentlichen, aber auch im Schnell- und im Dublinverfahren in Anspruch nehmen, sobald sie die Bestätigung über ihr laufendes Asylverfahren erhalten (Cleiss 2017; vgl. AIDA 2.2017, Ameli 12.10.2017). Bei PUMA besteht Beitragsfreiheit, wenn das jährliche Einkommen pro Haushalt unter 9.534 Euro liegt (AIDA 2.2017). In Frankreich besteht generell die Möglichkeit, eine Zusatzversicherung abzuschließen, um die Gesundheitsausgaben zu decken, die nicht von der Pflichtversicherung übernommen werden. Einkommensschwachen Personen kommt jedoch kostenfrei ein Allgemeiner Zusatzkrankenschutz (couverture maladie universelle complémentaire – CMU-C) zu, der die vollständige Kostenübernahme vom Leistungen sichert (Cleiss 2017; vgl. Ameli 15.11.2017, RSB o.D.). Dies kann auch von Asylwerbern in Anspruch genommen werden (Ameli 12.10.2017). Weiters besteht die Möglichkeit für illegale Einwanderer nach drei Monaten Aufenthalt in Frankreich, von der sogenannten staatlichen medizinischen Hilfe (aide médicale de l’état – AME) zu profitieren, selbst wenn andere Sozialleistungen reduziert oder entzogen worden sein sollten (AIDA 2.2017; vgl. Le Fonds CMU 2.5.2017, Ameli 13.10.2017). Neben Personen mit einem niedrigen Einkommen können auch Asylwerber die in Krankenhäusern eingerichteten Bereitschaftsdienste zur ärztlichen Versorgung der Bedürftigsten (permanences d’accès aux soins de santé – PASS) in Anspruch nehmen, während sie auf den Zugang zu CMU oder AME warten. Obwohl gesetzlich vorgeschrieben ist, dass alle Krankenhäuser die PASS anbieten müssen, ist das in der Praxis nicht immer der Fall (AIDA 2.2017).

Zugang zu mentaler Gesundheitsversorgung wird von der Gesetzgebung nicht explizit erwähnt, Asylwerber können aber im Rahmen der PUMA oder AME theoretisch psychiatrische oder psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Viele Therapeuten nehmen jedoch keine nicht-frankophonen Patienten. Traumatisierte oder Opfer von Folter können sich von einigen NGOs betreuen lassen, die sich speziell diesem Thema widmen, z.B. Primo Levi in Paris oder die Osiris-Zentren in Marseille, Mana in Bordeaux, das Forum réfugiés-Cosi Essor-Zentrum in Lyon oder Awel in La Rochelle. Die Zahl dieser spezialisierten Zentren in Frankreich ist aber gering und ungleich verteilt und kann den wachsenden Bedarf nicht decken (AIDA 2.2017).

Die Mitarbeiter der CADA sind verpflichtet, innerhalb von 15 Tagen nach Ankunft im Unterbringungszentrum eine ärztliche Untersuchung durchzuführen (AIDA 2.2017).

Im Falle der Ablehnung des Asylantrags haben Personen ein Jahr lang ab der Ausstellung des negativen Bescheids Anspruch auf eine medizinische Versorgung bei Krankheiten oder Mutterschaft, solange sie sich weiterhin in Frankreich aufhalten (Ameli 12.10.2017).

f). COVID-19:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. […]

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Festgestellt wird sohin, dass sich aus diesen Länderinformationen keine ausreichend begründete Hinweise darauf ergeben, dass das französische Asylwesen grobe systemische Mängel aufweist. Daher ist aus Sicht der zuständigen Einzelrichterin, insbesondere in Bezug auf die Durchführung des Asylverfahrens, die medizinische Versorgung sowie die generelle Versorgungs- und Unterbringungslage und die Sicherheitslage von Asylwerbern in Frankreich den oben zitieren Feststellungen zu folgen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zu den Beschwerdeführerinnen, zu ihrer familiären Beziehung zueinander, zu ihrer Staatsangehörigkeit, zu ihrem Reiseweg bzw. zu ihrer Einreise nach Österreich und zur Stellung der gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz ergeben sich aus dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin in ihrer Erstbefragung sowie aus den Akteninhalten. Dass der Erstbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführerin von der französischen Botschaft in Beirut Schengen-Visa für 90 Tage im Zeitraum XXXX .10.2019 bis XXXX .10.2023 und der Zweitbeschwerdeführerin von XXXX .04.2018 bis XXXX .04.2022 erteilt wurden, diese sohin im Zeitpunkt der Antragstellung in Österreich in Besitz von gültigen französischen Visa waren, ergibt sich ebenso aus den unbedenklichen Akteninhalten, insbesondere aus den jeweiligen VIS-Abfragen. Darüber hinaus wurde die Visumserteilung durch die Erstbeschwerdeführerin bestätigt, die in ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt vorbrachte, dass die Beschwerdeführerinnen Visa für Frankreich beantragt und auch ausgestellt bekommen hätten (vgl. AS 157 im Akt der Erstbeschwerdeführerin). Auch wurde die Erteilung der Visa durch die französische Dublinbehörde bestätigt, die ihre Zustimmung zur Aufnahme der Beschwerdeführerinnen auf Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO stützt.

Die Feststellungen zum Aufnahmegesuch, zur ausdrücklichen Zustimmung zur Aufnahme aller drei Beschwerdeführerinnen durch Frankreich und zur Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate sowie zur diesbezüglichen Mitteilung des Bundesamtes an die französische Dublinbehörde ergeben sich ferner aus den jeweiligen Schreiben bzw. aus der diesbezüglichen Korrespondenz der Dublinbehörden. Wenn die Beschwerdeführerinnen im Wege ihrer rechtsfreundlichen Vertreterin in ihrem Schriftsatz vom 23.04.2021 vorbringen, dass die Überstellungsfrist mit 21.04.2021 abgelaufen sei, ist ihnen entgegenzuhalten, dass sie durch ihr „Untertauchen“ bzw. durch den Umstand für die österreichischen Behörden zwischen 05.01.2021 und 02.02.2021 nicht greifbar gewesen zu sein, die Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate selbst herbeigeführt haben. Dies wurde den französischen Behörden mit Schreiben vom 14.01.2021 – und sohin innerhalb der sechsmonatigen Überstellungsfrist – zur Kenntnis gebracht. Sohin sind keine Umstände hervorgekommen, dass die Zuständigkeit Frankreichs beendet worden wäre.

Eine die Beschwerdeführerinnen konkret treffende Bedrohungssituation in Frankreich wurde nicht ausreichend substanziiert vorgebracht, da das diesbezügliche Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin widersprüchlich, unplausibel und nicht nachvollziehbar ist. Zunächst brachte sie im Rahmen ihrer Erstbefragung vor, dass sie mit ihrem Ehegatten und den beiden minderjährigen Beschwerdeführerinnen nach Österreich gefahren sei. Ihr Mann sei in der Zwischenzeit wieder in den Libanon zurückgekehrt. Sie habe nicht die Absicht gehabt, in Österreich einen Asylantrag zu stellen, aber nunmehr habe ihr Ehemann damit gedroht, sie von Österreich wieder abzuholen und in den Libanon zurückzubringen, sodass sie dazu gezwungen sei, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen (vgl. AS 35 im Akt der Erstbeschwerdeführerin). Eine Gefährdung bzw. Gefahr durch ihren Ehegatten in Frankreich erwähnte die Erstbeschwerdeführerin nicht, sondern – im Gegenteil – brachte sie vor, dass sie in Frankreich nur gelandet seien und der Ehegatte (bzw. Vater) die Beschwerdeführerinnen dann nach Österreich begleitet habe. Erst in der Einvernahme vor dem Bundesamt, als ihr mitgeteilt worden war, dass beabsichtigt sei, die Beschwerdeführerinnen nach Frankreich auszuweisen, brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, dass sie sich in Frankreich wie im Libanon fühle, da ihr Mann dort mächtige Kontakte habe. Ihre Familie sei in Frankreich nicht sicher, da ihr Mann den französischen XXXX immer wieder bestochen habe. Sie wisse auch nicht, ob ihr ihr Ehemann wehtun oder ihr die minderjährigen Beschwerdeführerinnen wegnehmen könne (vgl. AS 159, AS 161 im Akt der Erstbeschwerdeführerin). Abgesehen davon, dass – wie erwähnt – dieses Vorbringen erst erstattet wurde, als die Erstbeschwerdeführerin erfahren hat, dass eine Überstellung nach Frankreich geplant ist, räumte sie in der Einvernahme selbst ein, dass sie ihre Behauptungen nicht belegen könne. Aber auch die diesbezüglichen Beschwerdeausführungen sind nicht nachvollziehbar. Wenn – wie in der Beschwerde vorgebracht – sich die Erstbeschwerdeführerin angesichts der Kontakte ihres Ehegatten in Frankreich nicht sicher fühle, was dadurch verdeutlicht werde, dass er die Reisepässe der minderjährigen Beschwerdeführerinnen entwendet habe, ist darauf zu verweisen, dass die Entwendung der Reisepässe durch den Ehegatten bzw. Vater wohl eher darauf hindeutet, dass dieser eine Ausreise der Beschwerdeführerinnen aus Österreich verhindern will, was jedenfalls mit den Angaben der Erstbeschwerdeführerin, ihr Mann habe gedroht, sie aus Österreich abzuholen und in den Libanon zurückzubringen, wohl weit eher in Einklang zu bringen ist als eine rein spekulative Angst vor allfälligen Kontakten ihres Gatten in Frankreich. Selbst wenn der Ehegatte bzw. Vater der Beschwerdeführerinnen tatsächlich über Kontakte in Frankreich verfügen sollte, ist – bei der Größe Frankreichs – nicht nachvollziehbar wie diese Kontakte auf die Beschwerdeführerinnen treffen sollten. Frankreich ist ein demokratischer Rechtsstaat und kann wohl nicht ohne weiters angenommen werden, dass der Aufenthaltsort der Beschwerdeführerinnen durch Behördenbestechung oder Ähnliches herausgefunden werden könnte. Nur am Rande ist zu erwähnen, dass es für den Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin um einiges einfacher wäre, einen Aufenthaltsort in Österreich zu eruieren, da hier Angehörige der Beschwerdeführerinnen leben, die er nur kontaktieren müsste. Daher ist es wohl nahezu ausgeschlossen, den genauen Aufenthaltsort der Beschwerdeführerinnen in Frankreich zu erfahren, wenn die Erstbeschwerdeführerin nicht von sich aus den Kontakt zu ihrem Ehegatten sucht. Eine konkrete Bedrohungssituation für die Beschwerdeführerinnen in Frankreich kann aus diesem Vorbringen jedenfalls nicht erkannt werden. Lediglich der Vollständigkeit halber ist allerdings darauf zu verweisen, dass sich die Erstbeschwerdeführerin in Frankreich bei Vorliegen einer tatsächlichen Bedrohung jederzeit an die französischen Behörden bzw. die französische Polizei wenden kann, die dazu willens und in der Lage sind, den Beschwerdeführerinnen Schutz vor Verfolgung zu bieten. Gegenteiliges wurde auch nicht vorgebracht.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerinnen gründen auf den im Verfahren zahlreich vorgelegten medizinischen Unterlagen. Betreffend die Erstbeschwerdeführerin ist hier insbesondere auf einen ambulanten Patientenbrief vom XXXX .04.2021 sowie auf das Schreiben eines HNO-Facharztes vom XXXX .04.2021 zu verweisen. Im Fall der Zweitbeschwerdeführer ist ebenso auf die ärztlichen Schreiben zu verweisen und zwar insbesondere auf den Ambulanzbefund einer Anfallsambulanz vom XXXX .03.2021 sowie auf die kinder- und jugendpsychiatrische Stellungnahme eines Landesklinikums vom XXXX .04.2021. Dass die Drittbeschwerdeführerin an Ernährungsschwierigkeiten leidet, ergibt sich aus dem Ambulanzbefund eines Krankenhauses vom XXXX .11.2020. Ebenso aus den zahlreich vorgelegten medizinischen Unterlagen ergibt sich die Feststellung, dass die drei Beschwerdeführerinnen nicht lebensbedrohlich erkrankt sind. Betreffend die Drittbeschwerdeführerin ist darauf zu verweisen, dass abgesehen von dem einen Ambulanzbericht vom XXXX .11.2020, der lediglich die Empfehlung, unterschiedliche Nahrungsmittel anzubieten, enthält, keine weiteren Unterlagen vorgelegt wurden, sodass wohl keine ärztliche Behandlungsbedürftigkeit indiziert ist und schon aus diesem Grund keine lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt. Ebenso wenig ergeben sich aus den hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen lebensbedrohliche Erkrankungen und lässt sich dies auch ihren eigenen Angaben nicht entnehmen, sondern – im Gegenteil – brachte die Erstbeschwerdeführerin sowohl in ihrer Erstbefragung als auch in der Einvernahme vor dem Bundesamt am 04.12.2020 noch vor, an keinen Krankheiten zu leiden bzw. weder in ärztlicher Betreuung bzw. Therapie zu sein noch Medikamente zu nehmen (vgl. AS 33 bzw. AS 153 im Akt der Erstbeschwerdeführerin). Hinzu kommt, dass nach dem XXXX .04.2021 (bzw. nach dem XXXX .04.2021 betreffend die HNO-Behandlung) keine weiteren ärztlichen bzw. medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden, obwohl die Überstellung nach Frankreich erst am 20.05.2021 – sohin ein Monat später – durchgeführt wurde. Ähnlich verhält sich die Situation im Fall der Zweitbeschwerdeführerin. Auch hier ist weder den Angaben der Erstbeschwerdeführerin noch den vorgelegten medizinischen Unterlagen eine lebensbedrohliche Erkrankung zu entnehmen. In ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt am 04.12.2020 erwähnte die Erstbeschwerdeführerin zwar den Affektanfall der Zweitbeschwerdeführerin, räumte jedoch ein, diesbezüglich noch nicht bei einem Arzt gewesen zu sein, da sie versucht habe, „das“ selbst zu lösen. Ferner sei ihr im Kinderkrankenhaus XXXX gesagt worden, dass der gesundheitliche Zustand der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen stabil sei und sie einen Termin erst ab Feber erhalten könne (vgl. AS 153, AS 161 im Akt der Erstbeschwerdeführerin). Aber auch der zuletzt vorgelegte Ambulanzbefund vom XXXX .03.2021 wies lediglich auf eine Kontrolle in zwei Monaten hin. Ähnlich verhält es sich mit der kinder- und jugendpsychiatrischen Stellungnahme vom XXXX .04.2021; diese enthält ebenso lediglich Empfehlungen zu weiteren Abklärungen. Auch im Fall der Zweitbeschwerdeführerin wird darauf verwiesen, dass nach dem XXXX .04.2021 bis zur Überstellung am 20.05.2021 keine ergänzenden medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden. Insgesamt betrachtet wurde sohin kein Vorbringen erstattet, das geeignet wäre, den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu tangieren. Dass die Beschwerdeführerinnen keiner COVID-19 Risikogruppe angehören, gründet auf den Umständen, dass sie jung – es handelt sich um eine 24jährige Frau und zwei Kinder im Alter von drei und zwei Jahren – und nicht immungeschwächt sind bzw. keine risikobehafteten Vorerkrankungen wie beispielsweise Diabetes oder Herzerkrankungen vorliegen. Derartiges wurde auch im gesamten Verfahren nicht behauptet.

Die Feststellungen zu den in Österreich als Konventionsflüchtlinge aufhältigen Angehörigen (Mutter bzw. Großmutter sowie drei Schwestern bzw. Tanten) der Beschwerdeführerinnen ergeben sich sowohl aus den Angaben der Erstbeschwerdeführerin als auch aus den Akteninhalten, insbesondere aus den vom Bundesverwaltungsgericht betreffend diese Angehörigen eingeholten Auszügen aus dem Zentralen Melderegister vom 01.09.2021 und aus dem Zentralen Fremdenregister vom 18.01.2021. Dass die Beschwerdeführerinnen mit den genannten Angehörigen während ihres Aufenthalts in Österreich nicht im gemeinsamen Haushalt lebten, gründet auf den eigenen Angaben der Erstbeschwerdeführerin in der Einvernahme vor dem Bundesamt, wo sie angab, mit niemandem in einer Familien- oder familienähnlichen Gemeinschaft zu leben, sondern mit den minderjährigen Beschwerdeführerinnen in einem Lager aufhältig zu sein (vgl. AS 155 im Akt der Erstbeschwerdeführerin). Gegenteiliges ist auch dem Zentralen Melderegister nicht zu entnehmen. Das Vorliegen von wechselseitigen finanziellen oder sonstigen Abhängigkeiten (wie beispielsweise eine Pflegebedürftigkeit) zwischen den Beschwerdeführerinnen und ihren Angehörigen ist im Verfahren nicht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die Erstbeschwerdeführerin vorbrachte, sie werde von ihrer Familie finanziell, psychisch und seelisch unterstützt, wobei jedoch eine Abhängigkeit im Sinne einer intensiven und/oder dauerhaften Pflegebedürftigkeit bzw. vergleichbaren Umständen nicht hervorgekommen ist. Daran ändern auch die Beschwerdeausführungen nichts, zumal diese kein konkretes Vorbringen enthalten, sondern lediglich Pauschalaussagen wie beispielsweise „Unterstützung durch die Großmutter und die Tanten“ (in Bezug auf die minderjährigen Beschwerdeführerinnen). Ebenso verhält es sich mit den Ausführungen, dass die Erstbeschwerdeführerin auf die Unterstützung bei der Versorgung der beiden minderjährigen Beschwerdeführerinnen sowie bei Angelegenheiten des Alltags von ihrer in Österreich asylberechtigten Mutter und ihren ebenfalls in Österreich asylberechtigen Schwestern abhängig sei. Das Bundesverwaltungsgericht zweifelt nicht daran, dass die Mutter und die Schwestern der Erstbeschwerdeführerin dieser im Alltag zur Hand gehen und ihr eventuell auch kleinere finanzielle Zuwendungen zukommen lassen, was jedoch über die im Familienkreis üblichen Hilfen nicht hinaus geht. Ein Vorbringen, welches definitiv ein Abhängigkeitsverhältnis zu den genannten Angehörigen impliziert, wurde nicht erstattet. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerinnen ohnehin vom österreichischen Staat versorgt wurden (Unterkunft, Verpflegung, Krankenversicherung, Betreuung, Dolmetscherleistungen etc.) und ist auch aus diesem Grund eine finanzielle oder sonstige Abhängigkeit von den genannten Angehörigen nicht zu erblicken. Aus diesen Gründen war auch dem in der Beschwerde gestellten Antrag auf zeugenschaftliche Einvernahme der Mutter und der drei Schwestern der Erstbeschwerdeführerin nicht näher zu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten