Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Asylstatus betreffend eine der Glaubensrichtung der Kaka'i angehörende Staatsangehörige des Iraks mangels Auseinandersetzung mit dem bereits in der Beschwerde vorgebrachten Fluchtvorbringen weder in der mündlich verkündeten noch in der "schriftlichen Ausfertigung" der EntscheidungSpruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch Spruchpunkt A) I. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird in diesem Umfang aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin ist irakische Staatsangehörige und stellte am 23. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Anlässlich der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 3. April 2018 brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, dass sie aus Kirkuk stamme und der Glaubensrichtung der Kaka'i und somit einer Minderheit angehöre, die in ihrem Herkunftsland verfolgt und nicht anerkannt werde. Außerdem habe ihr damaliger Ehemann, der zu diesem Zeitpunkt bereits das Land verlassen habe, sie bedroht, geschlagen und zu Hause gefangen gehalten, weshalb sie einen Scheidungsantrag gestellt habe. Als Frau genieße sie keine Rechte und ihr Leben wäre in Gefahr. Im Bundesgebiet könne sie ihr Leben als freier Mensch gestalten.
3. Mit Bescheid vom 17. Juli 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Es erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß §57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG (Spruchpunkt IV.), stellte gemäß §52 Abs9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak fest (Spruchpunkt V.) und setzte gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.).
4. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23. März 2021 eine mündliche Verhandlung durch und verkündete sogleich seine Entscheidung. In Spruchpunkt A) I. wurde die Beschwerde, soweit sie sich gegen Spruchpunkt I. des Bescheides richtet, als unbegründet abgewiesen. In Spruchpunkt A) II. wurde der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. der Beschwerde stattgegeben und der Beschwerdeführerin gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. In Spruchpunkt A) III. wurde der Beschwerdeführerin gemäß §8 Abs4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsgenehmigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von einem Jahr erteilt. In Spruchpunkt A) IV. wurden die Spruchpunkte III., IV., V. und VI. des Bescheides ersatzlos behoben. In Spruchpunkt B) wird die Unzulässigkeit der Revision gemäß Art133 Abs4 B-VG ausgesprochen.
Die Beschwerdeführerin beantragte am 2. April 2021 und somit rechtzeitig die schriftliche Ausfertigung der angefochtenen Entscheidung gemäß §29 Abs4 VwGVG. Die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses erging am 14. Juni 2021.
5. Gegen Spruchpunkt A) I. dieser Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird. Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das Bundesverwaltungsgericht lediglich mit dem Vorbringen des damaligen Ehemannes der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt habe. Die Entscheidung lasse aber eine Erörterung mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie sei eine westlich orientierte Frau und als Angehörige der Kaka'i Verfolgung ausgesetzt, vermissen.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten und Unterlagen vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist dem Bundesverwaltungsgericht ein willkürliches Vorgehen anzulasten:
2.1. Das Bundesverwaltungsgericht verkündete seine Entscheidung mündlich in der Verhandlung am 23. März 2021. In seinen Entscheidungsgründen zu Spruchpunkt A) I. führt das Bundesverwaltungsgericht Folgendes aus:
"Gemäß §3 AsylG 2005[…] ist ein Flüchtling eine Person, die sich aus wohl begründeter Furcht aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb ihres Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes des Landes zu bedienen. Im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist unter Verfolgung nur ein Eingriff von erheblicher Intensität in [die] zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Gemäß Art9 der Status-Richtlinie kann in diesem Sinne eine Handlung nur dann als Verfolgung gelten, wenn sie aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art15 Abs2 der EMRK keine Abweichung zulässig ist. Im [K]onkreten konnte die Beschwerdeführerin im Verfahren keine Bedrohungen und keine Verfolgung, die sich gegen sie gerichtet hätte, im Sinne dieser Bestimmung glaubhaft mach[…]en, weder ihrer Art nach, noch in einer derart erheblichen Intensität, die es der Beschwerdeführerin unzumutbar machen würde, den Schutz des Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen. Die Beschwerdeführerin hat ihr Herkunftsland vielmehr deshalb verlassen, weil sich ihr damaliger Ehegatte dazu entschlossen hat. Dieser behauptete[,] vom IS bedroht worden zu sein. Tatsächlich ist der geschiedene Ehegatte der BF1 freiwillig wieder in den Irak zurückgekehrt. Daher würdigt der Richter das seinerzeitige Fluchtvorbringen als nicht glaubhaft. Es wurde daher von der belangten Behörde ausgehend vom gegebenen Sachverhalt und auf Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen der Beschwerdeführerin zu Recht der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt."
In der schriftlichen Ausfertigung vom 14. Juni 2021 findet sich dieser Passus wörtlich wieder. Darüber hinaus stellt das Bundesverwaltungsgericht zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin fest, dass die Beschwerdeführerin in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erklärt habe, aus Kirkuk zu stammen und der Glaubensrichtung der Kaka'i anzugehören. Eine asylrelevante staatliche Verfolgung der Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr in den Irak auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur Glaubensrichtung der Kaka'i und bzw oder auf Grund ihrer Scheidung könne nicht festgestellt werden. Sie habe den Irak nicht wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Glaubensrichtung verlassen. Beweiswürdigend führt das Bundesverwaltungsgericht zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin bloß aus, dass die Beschwerdeführerin keine Angaben dahingehend getätigt habe, dass ihre Familie im Irak wegen ihrer Glaubensrichtung verfolgt werde. Für das Bundesverwaltungsgericht stehe fest, dass die Beschwerdeführerin den Irak nicht wegen persönlicher Verfolgung verlassen habe, sondern weil dies ihr damaliger Ehemann entschieden habe.
2.2. Das Bundesverwaltungsgericht unterlässt es in der Begründung des mündlich verkündeten Erkenntnisses vom 23. März 2021 zur Gänze, sich bei der Prüfung, ob der Beschwerdeführerin der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen ist, mit dem maßgeblichen, bereits in der Beschwerde vorgebrachten Fluchtvorbringen, nämlich dem Vorliegen einer westlichen Orientierung und der Zugehörigkeit zur Glaubensrichtung der Kaka'i (vgl VwGH 12.3.2021, Ra 2020/19/0315), auseinanderzusetzen. Dabei geht das Bundesverwaltungsgericht selbst im Rahmen seiner Beurteilung des Status der subsidiär Schutzberechtigten von der Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin zu "einer religiösen Minderheit" aus. Dass das Bundesverwaltungsgericht das Fluchtvorbringen des damaligen Ehemannes der Beschwerdeführerin für unglaubwürdig hält, kann eine Auseinandersetzung mit dem individuellen Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin nicht ersetzen (vgl VfGH 22.6.2021, E1690/2021).
2.3. Die Begründung der Entscheidung über die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten in der schriftlichen Ausfertigung vom 14. Juni 2021 gibt den einschlägigen Passus der am 23. März 2021 mündlich verkündeten Entscheidung gleichlautend wieder. Darüber hinaus erfolgt keine nähere Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin. Somit ergibt sich eine hinreichende Begründung des Spruchpunktes A) I. der angefochtenen Entscheidung weder aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung noch aus der schriftlichen Ausfertigung.
2.4. Indem das Bundesverwaltungsgericht somit das individuelle Fluchtvorbringen in der Sache der Beschwerdeführerin überhaupt nicht würdigt, mangelt es der angefochtenen Entscheidung an einer schlüssigen Begründung, warum diesbezüglich keine asylrelevante Verfolgung vorliegt, womit diese Entscheidung mit Willkür belastet ist.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch Spruchpunkt A) I. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Verhandlung mündliche, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, Religionsfreiheit, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E2845.2021Zuletzt aktualisiert am
16.11.2021