RS Vfgh 2021/9/25 G130/2021

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Veröffentlicht am 25.09.2021
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Index

21/06 Wertpapierrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
StGG Art2
StGG Art5
EMRK 1. ZP Art1
KapitalmarktG §5, §14
VfGG §7 Abs1, §62 Abs2

Leitsatz

Keine Verletzung im Recht auf Eigentum und im Gleichheitsrecht durch ein dem Verbraucher- und Anlegerschutz dienendes Rücktrittsrecht bei unterlassener oder unrichtiger Bestätigung einer Veranlagung in Immobilien gemäß dem KapitalmarktG; Rücktrittsrecht des Verbrauchers fördert die Einhaltung kapitalmarktrechtlicher Pflichten auch durch den Emittenten; keine Bedenken gegen das Rücktrittsrecht gegenüber seinem Vertragspartner angesichts dessen privatautonomen Gestaltungsmöglichkeiten, sich gegen nicht entsprechenden Anlegerbestätigungen abzusichern; erhöhtes Informations- und Schutzinteresse der Anleger, Angabe des Datums der Prospektveröffentlichung bei Veranlagungen in Immobilien sowie unbefristete Dauer des Rücktrittsrechts im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers; Schadenersatzansprüche wegen fehlerhafter oder unvollständiger Prospekte mit Rücktrittsrecht nicht vergleichbar

Rechtssatz

Abweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung des §5 Abs2 und Abs4 zweiter Satz sowie des §14 Z3 Kapitalmarktgesetz - KMG idF BGBl I 2/2001 (KPMG aF). Im zivilgerichtlichen Ausgangsverfahren ging es ausschließlich um einen Vertragsrücktritt der Kläger gemäß §5 Abs2 (iVm Abs4 zweiter Satz) sowie §14 Z3 KMG aF; dementsprechend hat das Erstgericht auch nur diese Bestimmungen in seinem Urteil angewendet. Die genannten Bestimmungen sind zwar mittlerweile infolge der Erlassung des Kapitalmarktgesetzes 2019 durch Bundesgesetz BGBl I 62/2019 außer Kraft getreten; im Anlassverfahren vor dem Handelsgericht Wien waren die genannten Bestimmungen jedoch noch anzuwenden, weswegen diese als präjudiziell einzustufen sind. Da die übrigen Bestimmungen des §5 sowie des §14 KMG aF im vorliegenden Verfahren nicht präjudiziell waren und von den präjudiziellen Bestimmungen (§5 Abs2 und Abs4 zweiter Satz sowie §14 Z3 KMG aF) auch offensichtlich trennbar sind, ist der Hauptantrag der antragstellenden Partei zu weit gefasst und der Antrag insoweit zurückzuweisen.

Kein Verstoß gegen das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums:

Die Bestimmungen des Kapitalmarktgesetzes verfolgen das legitime Anliegen der Sicherung der Interessen der Anleger (VfSlg 13327/1993). Durch die Veröffentlichung von Kapitalmarktinformationen soll der vielfach bestehenden Informationsasymmetrie zulasten der Verbraucher entgegengewirkt werden. Der VfGH hegt keinen Zweifel daran, dass die angefochtenen Bestimmungen, die im Fall der Nicht-Erteilung bestimmter Informationen ein Rücktrittsrecht des Verbrauchers vorsehen, geeignet sind, dieses Ziel zu erreichen.

Der VfGH geht darüber hinaus davon aus, dass der Gesetzgeber mit den angefochtenen Bestimmungen (auch) das Ziel verfolgt, Druck zur Einhaltung der kapitalmarktrechtlichen Pflichten zu erzeugen. In diesem Sinne werden Unternehmen, die Veranlagungen in Immobilien vertreiben, schon aus unternehmerischer Vorsicht danach trachten, nur Veranlagungen von Emittenten zu veräußern, die sich bei der Ausstellung der Anlegerbestätigung an die kapitalmarktrechtlichen Vorgaben halten. Darüber hinaus sollen Emittenten und sonstige Marktteilnehmer auch durch die (bloße) Möglichkeit eines Rückgriffsanspruches des Vertragspartners des Verbrauchers zur Einhaltung der kapitalmarktrechtlichen Bestimmungen angehalten werden.

Dem Argument, dass die angefochtenen Bestimmungen nicht verhältnismäßig seien, weil der Vertragspartner, dem gegenüber der Rücktritt zu erklären ist, vielfach nicht mit dem Informationsverpflichteten ident sei, ist Folgendes entgegenzuhalten:

Zunächst ist dem Gesetzgeber nicht entgegenzutreten, wenn er anordnet, dass der Verbraucher den Rücktritt gegenüber seinem Vertragspartner zu erklären hat. Die antragstellende Partei hat in ihrem Antrag zutreffend darauf hingewiesen, dass der Vertrieb von Wertpapieren und Veranlagungen am Kapitalmarkt regelmäßig arbeitsteilig erfolgt; in diesem Sinn muss der Vertragspartner des Verbrauchers insbesondere nicht ident mit dem zur Ausstellung der Anlegerbestätigung gemäß §14 Z3 KMG aF Verpflichteten sein. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive ist dem Gesetzgeber nicht entgegenzutreten, wenn er das Risiko einer nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden Anlegerbestätigung dem Vertragspartner des Verbrauchers zuweist, selbst wenn dieser nicht zur Ausstellung der Anlegerbestätigung verpflichtet sein sollte.

Dies gilt umso mehr, als der Vertragspartner des Verbrauchers die Möglichkeit hat, sich privatautonom gegen die Ausstellung einer den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprechenden Anlegerbestätigung abzusichern.

Mit entsprechenden privatautonomen Gestaltungsmöglichkeiten kann sich der Vertragspartner des Verbrauchers bereits im Zuge des Vertragsabschlusses vergewissern, dass bei der Ausstellung der Anlegerbestätigung die gesetzlichen Vorgaben eingehalten worden sind und ihm daher in Zukunft kein Vertragsrücktritt aus diesem Grund droht. Gerade die im Anlassfall unterlassene Nennung des Datums der Prospektveröffentlichung stellt einen Umstand dar, der vom Vertragspartner des Verbrauchers besonders leicht überprüft werden kann. Die von der antragstellenden Partei behauptete Verfassungswidrigkeit liegt somit nicht vor.

Kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz:

Der Gesetzgeber ist bei der Schaffung der angefochtenen Bestimmungen davon ausgegangen, dass bei Veranlagungen in Immobilien ein erhöhtes Informationsinteresse der Anleger bestehe, dem durch die Anlegerbestätigung nach §14 Z3 KMG aF Rechnung getragen werden soll. Dieser Annahme eines erhöhten Informations- und Schutzinteresses der Anleger sowie der daraus erfließenden Erwägung, dass in diesem Bereich eine entsprechende Informationsverpflichtung im Interesse der Verbraucher festgeschrieben werden soll, tritt der VfGH nicht entgegen; dies liegt innerhalb des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers. In gleicher Weise ist dem Gesetzgeber nicht entgegenzutreten, wenn er das Datum der Prospektveröffentlichung als verpflichtenden Bestandteil der Anlegerbestätigung iSd §14 Z3 KMG aF vorsieht. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass das Datum der Prospektveröffentlichung ein vom Vertragspartner des Verbrauchers leicht zu überprüfendes Faktum darstellt und sich dieser gegen eine gesetzwidrige Anlegerbestätigung privatautonom absichern kann.

Soweit die antragstellende Partei vorbringt, dass zwischen dem Rücktrittsrecht nach §5 Abs2 KMG aF und der Prospekthaftung nach §11 KMG aF ein Wertungswiderspruch bestehe, ist darauf zu verweisen, dass Schadenersatzansprüche wegen fehlerhafter oder unvollständiger Prospekte einerseits und die Rücktrittsrechte nach §5 KMG aF andererseits grundsätzlich verschieden ausgestaltet sind. Während die Rücktrittsrechte formal an die Nicht-Erteilung bestimmter Informationen anknüpfen, bestehen Schadenersatzansprüche im Falle der rechtswidrigen und schuldhaften Verursachung eines Schadens. Die gesetzlichen Voraussetzungen dieser Rechtsbehelfe können im Einzelnen nicht mit dem Maß des Gleichheitsgrundsatzes gemessen werden. Eine Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen kann auch insofern nicht erkannt werden.

Die antragstellende Partei ist darüber hinaus der Auffassung, es bestehe ein Wertungswiderspruch zum Rücktrittsrecht nach §5 Abs1 KMG aF, weil dort nur die gänzliche Unterlassung der Veröffentlichung des Prospektes zum Rücktritt berechtige. In diesem Zusammenhang genügt es, auf die Rsp des OGH zu verweisen, wonach auch eine in wesentlichen Punkten fehlerhafte Prospektveröffentlichung zum Rücktritt berechtigt, weshalb die behauptete unsachliche Ungleichbehandlung schon aus diesem Grund nicht vorliegt.

Hinsichtlich der Frage, wie lange ein bestimmtes Recht vom Berechtigten geltend gemacht werden kann, hat der Gesetzgeber stets eine Abwägung zwischen der Rechtsrichtigkeit auf der einen Seite und der Rechtssicherheit auf der anderen Seite vorzunehmen. Nach Auffassung des VfGH steht es dem Gesetzgeber im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes und bei Berücksichtigung des öffentlichen Interesses des Verbraucherschutzes frei, im Falle der gesetzwidrigen Nicht-Erteilung bestimmter Informationen auch ein zeitlich unbefristetes Rücktrittsrecht vorzusehen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Wertpapierrecht, Anliegerrechte u -pflichten, Rechtspolitik, Eigentumsbeschränkung, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Parteiantrag, Schadenersatz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:G130.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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