TE Vfgh Erkenntnis 2021/10/5 E3393/2021

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Veröffentlicht am 05.10.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

EMRK Art2, Art3
AsylG 2005 §9
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §53, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Leben und im Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden durch die Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten eines Staatsangehörigen von Afghanistan; Verkennung der spätestens seit 20.07.2021 erkennbaren extremen Volatilität der Sicherheitslage begründet eine reale Gefahr der Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte durch die später ergangene Entscheidung

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Leben sowie darauf, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreter die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt und Beschwerde

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, der der Volksgruppe der Paschtunen angehört, sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben bekennt und aus Kabul stammt. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. Februar 2011 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt, die seither regelmäßig verlängert wurde.

2. Mit Bescheid vom 30. Dezember 2019 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, entzog ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung, erteilte einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, erklärte die Abschiebung nach Afghanistan für zulässig, setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung und erließ ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Mit angefochtener Entscheidung vom 28. Juli 2021 wies es die Beschwerde des Beschwerdeführers unter Herabsetzung des befristeten Einreiseverbotes auf die Dauer von acht Jahren ab. Betreffend die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das Bundesverwaltungsgericht auf das Wesentliche zusammengefasst begründend aus, dass er im Hinblick auf Mazar-e Sharif nunmehr eine innerstaatliche Fluchtalternative habe, wo er sich eine eigene Existenz aufbauen und dort ein Leben ohne unbillige Härten führen könne.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde entspricht hinsichtlich der Gründe für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in allen entscheidungswesentlichen Belangen der dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. September 2021, E3445/2021, zugrunde liegenden Beschwerde, die sich gegen eine im Wesentlichen gleichlautende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes wendet.

Der Verfassungsgerichtshof kann sich daher darauf beschränken, insbesondere auf Rz 17 ff. der Entscheidungsgründe seines zu E3445/2021 am 30. September 2021 gefällten Erkenntnisses hinzuweisen. Daraus ergibt sich auch für den vorliegenden Fall, dass das Bundesverwaltungsgericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung jedenfalls das aktuellste, die jüngsten Entwicklungen – auf Grund derer der Verfassungsgerichtshof davon ausgeht, dass sich spätestens mit 12. Juni 2021 (s dazu VfGH 24.9.2021, E3047/2021) sowie mit 20. Juli 2021 wesentliche Veränderungen der Sachlage abgezeichnet haben – berücksichtigende Berichtsmaterial zur Sicherheitslage in Afghanistan heranziehen und würdigen hätte müssen. Da dies im vorliegenden Fall nicht geschehen ist, belastete das Bundesverwaltungsgericht die angefochtene Entscheidung mit Willkür.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Leben sowie darauf, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

4. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Entscheidungsbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E3393.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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