TE Vwgh Beschluss 2021/10/20 Ra 2021/20/0368

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Veröffentlicht am 20.10.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §18 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §41

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des S A in S, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. August 2021, L516 2173108-1/30E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Pakistan, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 10. Juli 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Er brachte vor, in einer Koranschule gewesen zu sein, in der die Taliban „ein und aus“ gegangen seien. Sie hätten zu den Schülern gesagt, dass sich diese „ihrer Sache anschließen“ sollten. Er und vier weitere Männer seien daraufhin freiwillig ins Trainingscamp der Taliban nächst Lahore gegangen. Dort sei er im Umgang mit Waffen und „Bombenwesten“ unterrichtet worden. Er habe versucht, aus diesem Camp zu fliehen. Dabei sei er aber erwischt und für 15 Tage an einen Baum gebunden worden. Er habe sich dann einverstanden erklärt, bei den Taliban weiter zu machen. Nach einiger Zeit habe er nach Hause gehen und sich ausruhen dürfen. Die Taliban hätten ihm gesagt, dass sie ihn in einem Monat wieder abholen würden. Der Revisionswerber, der nicht mehr in das Camp habe zurückwollen, habe sich dann in Islamabad, Lahore und Karachi aufgehalten. Da ihn die Taliban gefunden hätten, habe er letztlich das Land verlassen. Er habe auch Anzeige bei der lokalen Polizeistation erstattet. Die Polizisten hätten aber gemeint, das sei eine Sache zwischen ihm und den Taliban. Er wäre ja freiwillig mit ihnen gegangen. Andere Polizeistationen habe er nicht aufgesucht, weil das keinen Zweck gehabt hätte. Die Polizei wisse, dass die Taliban junge Männer rekrutieren und in die Trainingscamps mitnehmen wollten (vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der Revisionswerber später an, dass er andere Polizeidienststellen nicht aufgesucht habe, weil diese zu weit weg gewesen seien).

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 18. September 2017 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung sowie ein unbefristetes Einreiseverbot und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit „14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung“ fest, wobei weiters ausgesprochen wurde, dass „die Frist für die freiwillige Ausreise mit Zustellung des Bescheides. Spätestens jedoch mit der Aufhebung der Untersuchungshaft bzw. mit dem Ende der zu verbüßenden Strafhaft“ beginne. Die Behörde stufte in ihrer Begründung das Vorbringen des Revisionswerbers zu einer Verfolgung durch die Taliban als unglaubwürdig ein.

3        Der Revisionswerber wurde in Österreich strafgerichtlich verurteilt. Das Landesgericht Salzburg erkannte den Revisionswerber mit Urteil vom 20. Dezember 2017 schuldig, sich im Jahr 2014 für einen zumindest einmonatigen Zeitraum in der Nähe von Lahore, Pakistan, als Mitglied (§ 278 Abs. 3 StGB) an einer terroristischen Vereinigung, nämlich der in der Sanktionsliste der Vereinten Nationen als terroristische Organisation geführten Vereinigung „Therik e Taliban“ (TTP), die darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung eine oder mehrere terroristische Straftaten (§ 278c StGB) ausgeführt werden oder Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) betrieben wird, im Wissen beteiligt zu haben, die Vereinigung oder deren Kampfhandlungen zu fördern, indem er sich freiwillig der Vereinigung angeschlossen und einer Ausbildung mit Schusswaffen sowie der Anlegung und Benutzung von „Bombenwesten“ unterzogen hat und hierdurch die anderen Mitglieder psychisch unterstützt hatte. Er wurde wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 12 Monaten, wobei ein Teil von 9 Monaten bedingt nachgesehen wurde, rechtskräftig verurteilt.

4        Ab dem 1. Juli 2019 hielt sich der Revisionswerber mehrere Monate lang in Italien auf. Er kehrte wieder nach Österreich zurück.

5        Der Revisionswerber wurde am 29. Jänner 2021 vom Bezirksgericht Salzburg wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 StGB rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt, weil er einen anderen am 16. August 2020 mit einem Faustschlag auf den Nackenbereich, wodurch dieser eine Prellung der Halswirbelsäule erlitten hatte, vorsätzlich am Körper verletzt hatte.

6        Das Bundesverwaltungsgericht wies die gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom Revisionswerber erhobene Beschwerde nach Durchführung einer Verhandlung mit dem Erkenntnis vom 9. August 2021 im Wesentlichen als unbegründet ab. Lediglich der Beschwerde gegen die Erlassung eines Einreiseverbotes wurde insofern stattgegeben, als dieses auf die Dauer von zweieinhalb Jahren befristet wurde. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Zur Zulässigkeit der Revision wird - zusammengefasst - geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht habe dem Vorbringen des Revisionswerbers zu Unrecht die Glaubwürdigkeit abgesprochen, weil es damit vor allem die Bindungswirkung des Schuldspruches im Urteil des Landesgerichts Salzburg missachtet habe. Hätte das Bundesverwaltungsgericht Feststellungen entsprechend dem Urteil des Strafgerichts getroffen, hätte es zum Ergebnis kommen können, dass dem Revisionswerber in seinem Heimatland wegen seiner Taten Strafverfolgung von staatlicher Seite in einer Weise drohe, die es rechtfertige, ihm Asyl oder zumindest subsidiären Schutz zu gewähren.

11       Soweit nicht Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes oder infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorliegt (§ 42 Abs. 2 Z 2 und 3 VwGG), hat gemäß § 41 erster Satz VwGG der Verwaltungsgerichtshof das angefochtene Erkenntnis oder den angefochtenen Beschluss auf Grund des vom Verwaltungsgericht angenommenen Sachverhalts im Rahmen der geltend gemachten Revisionspunkte (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG) bzw. der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 28 Abs. 2 VwGG) zu überprüfen.

12       Das aus § 41 VwGG abgeleitete Neuerungsverbot gilt auch für solche Rechtsausführungen, deren Richtigkeit nur auf Grund von Tatsachenfeststellungen überprüft werden kann, die deshalb unterblieben sind, weil im Verwaltungsverfahren und im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht diesbezüglich nichts vorgebracht wurde (vgl. etwa VwGH 18.2.2020, Ra 2020/07/0006, mwN).

13       Der Beachtlichkeit der nunmehrigen Ausführungen des Revisionswerbers steht das im Revisionsverfahren geltende Neuerungsverbot - zum Teil, aber insofern in maßgeblicher Weise - entgegen. Der Revisionswerber hat stets vorgebracht, in Pakistan von den Taliban - sohin dort von einem nicht-staatlichen Akteur - verfolgt zu werden. Dass der Revisionswerber (allenfalls: auch) von staatlicher Seite (illegitime Straf-)Verfolgung befürchte, hat er hingegen zu keiner Zeit behauptet. Vielmehr hat er selbst angegeben, dass er bei einer Polizeidienstelle wegen seiner Situation Hilfe gesucht habe. Aus seinen Angaben ergibt sich gerade nicht, dass er daraufhin aufgrund seines (den Polizeibeamten damit bekannten) Verhaltens staatlicher Strafverfolgung ausgesetzt gewesen wäre. Nach seinen Angaben hätten die Polizisten lediglich gemeint, dass der Revisionswerber freiwillig zu den Taliban gegangen wäre und er sich daher „die Sache“ mit ihnen ausmachen solle.

14       Vor diesem Hintergrund ist nicht zu sehen, dass es für das Bundesverwaltungsgericht - selbst wenn es Feststellungen im Sinn des Strafurteils des Landesgerichts Salzburg getroffen hätte - geboten gewesen wäre, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Revisionswerber in Pakistan staatlicher Strafverfolgung unterläge und ob allenfalls weitere fallbezogen für die Gewährung von Asyl oder subsidiären Schutz maßgebliche Umstände hinzuträten (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung, wonach im Asylverfahren dem Vorbringen des Asylwerbers zentrale Bedeutung zukommt und die nach § 18 Abs. 1 AsylG 2005 dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und dem Bundesverwaltungsgericht auferlegte Pflicht nicht bedeutet, dass ohne entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte jeglicher denkbarer Lebenssachverhalt ergründet werden müsste, etwa VwGH 3.7.2020, Ra 2019/14/0608, mwN).

15       Anders als der Revisionswerber meint, kommt somit dem hier geltend gemachten Begründungsmangel, der darauf zurückzuführen sei, dass das Bundesverwaltungsgericht die Bindungswirkung des Strafurteils vom 20. Dezember 2017 missachtet hätte, keine Relevanz zu. Es war daher hier auch nicht weiter auf das Vorbringen zur Reichweite der Bindungswirkung einzugehen.

16       Dass dem Revisionswerber in Pakistan (allenfalls: weiterhin) eine landesweite Verfolgung durch die Taliban drohe, wird in der Revision nicht hinreichend substantiiert dargetan. Insoweit vermag sich die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts durchaus auch auf Überlegungen zu den behaupteten Geschehnissen zu stützen, die jedenfalls nicht mit den dem Urteilstenor des Landesgerichts Salzburg entnehmbaren Sachverhaltselementen in Konflikt stehen.

17       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 20. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200368.L00

Im RIS seit

16.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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