TE Vwgh Beschluss 2021/10/20 Ra 2021/20/0034

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Veröffentlicht am 20.10.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52
FrPolG 2005 §53
MRK Art8
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des Z M in W, vertreten durch die Brehm & Sahinol Rechtsanwälte OG in 1060 Wien, Linke Wienzeile 124/10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 2020, W189 2235700-1/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe. Das (damals zuständige) Bundesasylamt gewährte ihm mit Bescheid vom 19. Juli 2004 Asyl im Wege der Asylerstreckung (abgeleitet vom Vater des Revisionswerbers) und stellte fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

2        Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 20. Mai 2011 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 dritter Fall StGB und wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und es wurden drei bedingte Strafnachsichten widerrufen.

3        Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 9. September 2020 wurde dem inzwischen (neuerlich) mehrfach straffällig gewordenen Revisionswerber der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) aberkannt und festgestellt, dass ihm gemäß § 7 Abs. 4AsylG 2005 die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde dem Revisionswerber nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.), die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Abs. 3 Z 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

4        Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 2020 wurde die dagegen erhobene Beschwerde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass das Einreiseverbot auf sieben Jahre befristet wurde (Spruchpunkt A). Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt B).

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Das Bundesverwaltungsgericht ist zum Ergebnis gekommen, dass die Umstände, auf Grund derer die Bezugsperson - im vorliegenden Fall der Vater des Revisionswerbers - als Flüchtling anerkannt worden war, nicht mehr bestünden, und dass auch hinsichtlich des Revisionswerbers die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 nicht vorlägen, sodass diesem der Status des Asylberechtigten nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK zu entziehen sei.

9        In der Revision wird zunächst geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht habe für die Beantwortung der Frage, ob der Status des Asylberechtigten abzuerkennen sei, nicht die erforderlichen Feststellungen getroffen.

10       Werden Verfahrensmängel - wie hier Feststellungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 5.11.2020, Ra 2020/14/0363, mwN).

11       In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit weiters geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht sei vom Vorliegen eines „besonders schweren Verbrechens“ ausgegangen, ohne die in der Judikatur dafür herausgearbeiteten Voraussetzungen geprüft zu haben. Dieses Vorbringen geht schon deshalb ins Leere, weil das Bundesverwaltungsgericht der Aberkennung des Status des Asylberechtigten das Vorliegen eines „besonders schweren Verbrechens“ nicht zugrunde gelegt hat. Die in der Revision dazu zitierte Judikatur (etwa VwGH 18.10.2018, Ra 2017/19/0109) betrifft den Asylausschlussgrund des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005, der hier jedoch nicht einschlägig ist, weil dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten auf Grundlage des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 der Genfer Flüchtlingskonvention aberkannt wurde.

12       Auf das weitere, sich auf diesen Asylausschlussgrund beziehende Vorbringen war somit nicht einzugehen.

13       Wenn die Revision ausführt, das Bundesverwaltungsgericht habe es unterlassen, sich mit dem Coronavirus und dessen Mutationen - insbesondere im Hinblick auf das Infektions- und Sterberisiko im Herkunftsstaat und der evidenten Risikogruppenzugehörigkeit des Revisionswerbers- auseinanderzusetzen, macht sie einen Verfahrensmangel geltend, dessen Relevanz für den Verfahrensausgang schon in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung dargetan hätte werden müssen (vgl. etwa VwGH 14.9.2021, Ra 2020/20/0405, mwN). Eine entsprechende Relevanzdarlegung ist der Zulässigkeitsbegründung jedoch nicht zu entnehmen, zumal die Revision nicht aufzeigt, mit welchen konkreten Auswirkungen sich der gesunde und arbeitsfähige Revisionswerber bei einer Rückkehr in sein Heimatland konfrontiert sehen würde. Exzeptionelle und konkret auf den Revisionswerber bezugnehmende Umstände, welche die Annahme einer realen Gefahr einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK geschützten Rechte bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat rechtfertigen würden, werden nicht dargetan (vgl. VwGH 20.11.2020, Ra 2020/20/0120, mwN).

14       Im Hinblick auf die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und die Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz rügt die Revision, das Bundesverwaltungsgericht habe veraltete Länderberichte herangezogen und Feststellungen zur (medizinischen) Lage in der Russischen Föderation und insbesondere in der Teilrepublik Tschetschenien getroffen, ohne dem Revisionswerber Parteiengehör zu gewähren. Damit macht die Revision erneut Verfahrensmängel geltend, ohne deren Relevanz aufzuzeigen, zumal nicht dargelegt wird, welche Feststellungen vom Bundesverwaltungsgericht unzutreffend wären und was der Revisionswerber vorgebracht hätte, das zu einem anderen Ergebnis in der Sache hätte führen können.

15       Die Revision begründet ihre Zulässigkeit zudem damit, dass die Abwägung nach Art. 8 EMRK und die negative Zukunftsprognose angesichts des siebzehnjährigen Aufenthaltes, der beruflichen und sprachlichen Integration sowie der familiären und sozialen Anknüpfungspunkte des Revisionswerbers im Inland nicht nachvollziehbar seien. Die Tatumstände und die Strafbemessung wären darüber hinaus zu berücksichtigen gewesen. Zudem sei die besonders intensive Beziehung zwischen dem Revisionswerber und seiner minderjährigen Tochter nicht ausreichend in die Interessenabwägung eingeflossen.

16       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung und Gefährdungsprognose im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 7.7.2020, Ra 2020/20/0231, mwN).

17       Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer Rückkehrentscheidung auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung zum Ausdruck gebracht (vgl. VwGH 14.12.2020, Ra 2020/20/0408 bis 0411, mwN). Es entspricht der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine Trennung von Familienangehörigen jedenfalls dann für gerechtfertigt erachtet wird, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug (vgl. VwGH 2.2.2021, Ra 2021/14/0013, mwN).

18       Zur Beurteilung dieses öffentlichen Interesses bedarf es einer einzelfallbezogenen Einschätzung der vom Fremden aufgrund seiner Straffälligkeit ausgehenden Gefährdung, wozu es näherer Feststellungen über die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild bedarf (vgl. VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0162, mwN).

19       Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte im Rahmen der gemäß § 9 BFA-VG vorgenommenen Interessenabwägung die fallbezogen entscheidungswesentlichen Umstände und kam zu dem Ergebnis, dass angesichts der rechtskräftigen Verurteilungen des Revisionswerbers, insbesondere wegen des Verbrechens des schweren Raubes, die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwögen. Dabei hat das Verwaltungsgericht auch auf die siebenmalige Delinquenz des Revisionswerbers, den raschen Rückfall nach Verbüßen der Haftstrafe nach der Verurteilung wegen schweren Raubes sowie die nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes dabei angewandte Brutalität verwiesen. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich zudem am Boden der fallbezogen gegebenen Umstände ausreichend mit dem Kindeswohl der minderjährigen Tochter auseinandergesetzt. Das Ergebnis des Bundesverwaltungsgerichts ist aufgrund dessen, dass der Revisionswerber und seine minderjährige Tochter seit ihrer Geburt nicht im gemeinsamen Haushalt leben, sowie aufgrund ihres Alters, dem in diesem Zusammenhang anzunehmenden Verständnis der Hintergründe und der weiterhin bestehenden Möglichkeit der Kontaktaufnahme, nicht zu beanstanden.

20       Im Zusammenhang mit der Abwägung nach § 9 BFA-VG bringt die Revision weiters vor, das Bundesverwaltungsgericht hätte eine mündliche Verhandlung durchführen und sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber - insbesondere im Hinblick auf die Intensität seines Privat- und Familienlebens, seiner Persönlichkeitsstruktur und der Zukunftsprognose - verschaffen müssen. Dem ist zwar insofern zuzustimmen, als bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer Verhandlung besondere Bedeutung zukommt. Daraus ist aber noch keine absolute (generelle) Verhandlungspflicht in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 15.4.2020, Ra 2020/20/0114, mwN).

21       Die Revision legt in ihrer Zulassungsbegründung nicht dar, dass von den Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für die Abstandnahme von einer Verhandlung nach § 21 Abs. 7 BFA-VG abgewichen worden wäre. Da das Bundesverwaltungsgericht die in der Revision vorgebrachten Umstände ohnehin berücksichtigt hat, vermag sie keine weiteren, zugunsten des Revisionswerbers sprechende Umstände anzuführen, die gegen das Vorliegen eines solchen eindeutigen Falles sprechen würden.

22       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 20. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200034.L00

Im RIS seit

16.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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