TE Vwgh Beschluss 2021/10/20 Ra 2020/20/0285

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Veröffentlicht am 20.10.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs1 Z4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des Prof. Dr. S T in W, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Juni 2020, G311 2221582-1/9E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der (im Jahr 1983 geborene) Revisionswerber ist ein Staatsangehöriger von Litauen. Er stellte bereits früher erfolglos in Frankreich einen Asylantrag (nach seinen Angaben in der Erstbefragung erhielt er dort in den Jahren 2014 und 2018 negative Bescheide). Am 14. April 2019 reiste der Revisionswerber auf dem Luftweg von Litauen kommend legal als EU-Bürger in das Bundesgebiet ein. Am nächsten Tag stellte er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Er führte dazu - wie sich aus den über die Erstbefragung und seine Vernehmung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angefertigten Niederschriften ergibt - aus, 22 Personen aus seiner Verwandtschaft seien im Jahr 1941 in der litauischen Stadt Zagare von einem Mann namens Jonas Noreika, der zu den Nazis gehört habe und Chef des „Zagare Ghetto“ gewesen sei, umgebracht worden. Insgesamt seien damals in dieser Stadt 14.000 Juden getötet worden. Es gebe Informationen, die besagten, dass Noreika auch die Ermordung von 2.000 österreichischen Juden angeordnet habe. Da bis November 1941 so gut wie alle litauischen Juden ermordet gewesen seien, seien nicht mehr genug Zwangsarbeiter vorhanden gewesen. Daher seien damals insgesamt 6.000 österreichische Juden nach Litauen, 2.000 davon in das Ghetto von Zagere, gebracht worden. Noreika, der die Leitung des Ghettos innegehabt habe, habe dann angeordnet, alle Bewohner des Ghettos umzubringen. Vor 21 Jahren sei in einer Straße in Vilnius an einer Mauer vor dem jüdischen Friedhof eine Gedenktafel für Noreika angebracht worden. Der Revisionswerber habe am 8. April 2019 diese Tafel mit einem Hammer zerstört. Daraufhin sei er von der litauischen Polizei festgenommen und für 54 Stunden angehalten worden. Er solle nunmehr auf seine Kosten eine neue Tafel herstellen lassen und € 33.000,-- Strafe zahlen. Wenn er die Strafe nicht bezahle, werde er verhaftet werden. Er müsste in Litauen für 75 Tage ins Gefängnis. Außerdem gebe es „dort“ eine Nazigruppe namens „Jonas Noreika“, die den Revisionswerber umbringen wolle. Er habe - so der Revisionswerber im Rahmen der Befragung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl weiter - für seinen Asylantrag Österreich ausgewählt, weil es der „Geburtsort Adolf Hitlers“ sei und es hier ein Verbotsgesetz gebe, in dem „20 Jahre Gefängnis“ vorgesehen sei, wenn „man Naziverbrechen bestreitet“. Er denke, dass Österreich sich darum kümmern sollte, dass der Mörder von österreichischen Juden nicht glorifiziert werde. In Österreich sei die Errichtung eines Denkmals für einen Nazi verboten. Der Revisionswerber habe eben bloß ein Denkmal für einen Nazi - in Litauen gebe es 30 Denkmäler für ehemalige Nazis - zerstört. Die jüdische Gemeinde habe 22 Jahre lang ohne Erfolg dafür gekämpft, dass jenes Denkmal, das der Revisionswerber zerstört habe, entfernt werde. Im Weiteren schilderte der Revisionswerber die Umstände seiner Anhaltung in der Verwahrungshaft (es sei ihm, obwohl er als Jude kein Schweinefleisch esse, ein Essen mit Schweinefleisch vorgesetzt worden; in der Zelle sei pro Person lediglich ein Quadratmeter Platz gewesen; die Toilette sei „offen“ gewesen, sodass jeder jeden habe sehen und hören können; es habe zu wenig Luft, keinen Ausgang und keine Dusche gegeben; der Revisionswerber habe seinen Anwalt nicht sehen dürfen; er sei auch von der Polizei geschlagen worden) sowie des Verfahrens vor Gericht (er sei von der Zelle direkt zum Gericht gebracht worden; es habe keine Zeit gegeben, um mit seinem Anwalt sprechen oder Dokumente durcharbeiten zu können; die Richterin habe sein Ersuchen, eine Schweigeminute für die Opfer des Holocaust abzuhalten, abgelehnt; die Richterin habe ihm gesagt, Noreika sei nicht für die Tötungen verantwortlich gewesen, sondern habe lediglich Befehle eines Österreichers ausgeführt). Es gebe auch viele Aufrufe litauischer Nazis, den Revisionswerber zu töten, und diverse Postings im Internet, in denen er als „jüdischer Affe, jüdischer Hund“ und „stinkender Jude“ bezeichnet werde. Er habe bereits siebenmal Anzeige erstattet. Die Polizei habe aber Untersuchungen abgelehnt. Es stelle allgemein Folter dar, wenn er für etwas ins Gefängnis käme, das kein Verbrechen darstelle. Seine Aktion sei damit provoziert worden, dass die Tafel vor einem jüdischen Friedhof aufgestellt worden sei. Zehn Tage nach seiner Aktion sei die Tafel zusammengeklebt und wieder aufgestellt worden. Der Revisionswerber habe daran gedacht, in Israel um Asyl anzusuchen. Er sei aber nicht nach Israel gegangen, „weil Österreich ein Symbol für litauische Nazis“ sei. Es sei seine Absicht gewesen zu zeigen, dass „sich Österreich geändert“ habe. An den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wolle er sich mit seinem Anliegen nicht wenden, weil dort die Verfahren acht Jahre dauerten, was viel zu lange sei. Wenn er in Österreich kein Asyl bekomme, werde er in Deutschland oder Israel um Asyl ansuchen.

2        Mit Bescheid vom 20. Juni 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz „gemäß Protokoll Nr. 24 über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum EU-Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007, Amtsblatt (EG) Nr. C 306 bzw. BGBl. III Nr. 132/2009“, zurück. Die Behörde ging in dieser Entscheidung davon aus, dass dieses - aus einem Artikel bestehende - Protokoll als unionsrechtliches Primärrecht unmittelbar anwendbar sei. Die dort vorgesehenen Voraussetzungen, wann der in einem anderen Mitgliedstaat gestellte Asylantrag eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union zur Behandlung zugelassen werden dürfe, lägen nicht vor.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung einer Verhandlung mit Erkenntnis vom 16. Juni 2020 als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Das Bundesverwaltungsgericht ging ebenfalls davon aus, die Voraussetzungen des einzigen Artikels des oben genannten Protokolls für die inhaltliche Behandlung des vom Revisionswerber gestellten Antrages seien nicht erfüllt. Litauen sei als Mitglied der Europäischen Union ein sicherer Herkunftsstaat. Es sei von der Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit dieses Staates sowie dem Vorhandensein eines funktionierenden rechtsstaatlichen Systems auszugehen.

5        Der Revisionswerber brachte beim Verwaltungsgerichtshof einen Antrag ein, ihm für die Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts die Verfahrenshilfe zu bewilligen. Dieser Antrag wurde mit Beschluss vom 31. August 2020 aufgrund des in diesem Antrag erstatteten Vorbringens unter Bedachtnahme auf den Inhalt der - vom Verwaltungsgerichtshof eingeholten - Verfahrensakten wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung abgewiesen.

6        Der Revisionswerber erhob gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser sprach mit Erkenntnis vom 22. Juni 2021, E 2546/2020-27, aus, dass der Revisionswerber weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden sei, und wies die an ihn gerichtete Beschwerde ab.

7        Über nachträglichen Antrag des Revisionswerbers trat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 22. Juli 2021, E 2546/2020-29, die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Daraufhin wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Versäumung der Einbringungsfrist, Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes oder Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen oder denen die Einwendung der entschiedenen Sache oder der Mangel der Berechtigung zu ihrer Erhebung entgegensteht, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Gemäß § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG hat die Revision die Bezeichnung der Rechte zu enthalten, in denen der Revisionswerber verletzt zu sein behauptet (Revisionspunkte).

12       Unter der Überschrift „Revisionspunkte (Legitimation zur Erhebung der außerordentlichen Revision)“ führt der Revisionswerber aus, dass er sich in seinen einfachgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 sowie auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 verletzt erachte.

13       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt bei der Prüfung eines angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses eines Verwaltungsgerichts dem Revisionspunkt nach § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG entscheidende Bedeutung zu, denn der Verwaltungsgerichtshof hat nicht zu prüfen, ob irgendein subjektives Recht des Revisionswerbers verletzt worden ist, sondern nur, ob jenes verletzt worden ist, dessen Verletzung der Revisionswerber behauptet. Durch den Revisionspunkt wird der Prozessgegenstand des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof festgelegt und der Rahmen abgesteckt, an den dieser bei der Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses gebunden ist. Wird der Revisionspunkt unmissverständlich ausgeführt, so ist er einer Auslegung aus dem Gesamtzusammenhang der Revision nicht zugänglich (vgl. etwa VwGH 21.5.2021, Ra 2021/20/0150, mwN).

14       Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz - gestützt auf das oben näher bezeichnete Protokoll - zurückgewiesen. Aus den im Instanzenzug ergangenen Entscheidungen geht in diesem Zusammenhang unmissverständlich hervor, dass das Vorliegen der Voraussetzungen für eine inhaltliche Behandlung des vom Revisionswerber gestellten Antrags verneint wurde. Es liegt daher eine ausschließlich verfahrensrechtliche Entscheidung vor, mit der die Entscheidung in der Sache abgelehnt wurde. Im Hinblick auf diesen normativen Gehalt des angefochtenen Erkenntnisses käme hier allein die Verletzung des Revisionswerbers im Recht auf meritorische Entscheidung über seinen Antrag, nicht aber die Verletzung in den, den Inhalt des Antrages auf internationalen Schutz bildenden Rechten in Betracht (vgl. auch dazu - dort betreffend die Zurückweisung eines Antrages wegen entschiedener Sache - VwGH Ra 2021/20/0150, mwN). Der Revisionswerber konnte daher schon deswegen in den als Revisionspunkte genannten Rechten auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht verletzt werden.

15       Der Vollständigkeit halber wird aber auch auf Folgendes hingewiesen:

16       Der Revisionswerber sucht mit seinen Ausführungen - auch unter dem Aspekt von Verfahrensfehlern - darzulegen, dass die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit litauischer Behörden sowie zum Bestehen eines funktionierenden rechtsstaatlichen Systems in diesem Staat unzutreffend seien. Bereits der Verfassungsgerichtshof hat dazu in seinem den Revisionswerber betreffenden Erkenntnis vom 22. Juni 2021 festgehalten, dass sich die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts auf eine nachvollziehbare Begründung gründet und der Revisionswerber diese im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht zu entkräften vermocht habe.

17       Das trifft auch für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof zu. Das Vorbringen in der Revision bietet keinen Anlass dafür, dass seitens des Verwaltungsgerichtshofes eine andere Einschätzung Platz zu greifen hätte.

18       In der Revision werden sohin auch keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

19       Nach dem Gesagten eignet sich die Revision im Sinn des § 34 Abs. 1 VwGG nicht zu ihrer Behandlung, weil einer solchen der Mangel der Berechtigung zu ihrer Erhebung sowie das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG entgegensteht. Infolgedessen war die Revision nach dieser Bestimmung ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 20. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020200285.L00

Im RIS seit

16.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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