TE Vwgh Beschluss 2021/10/21 Ro 2021/01/0017

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Veröffentlicht am 21.10.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des G S, vertreten durch Dr. Alois Eichinger, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Jänner 2021, Zl. W112 2137441-1/58E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Vorgeschichte

1        Mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates (UBAS) vom 26. April 2004 wurde dem - damals minderjährigen - Revisionswerber, einem Staatsangehörigen der Russischen Föderation und Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe, durch Erstreckung nach seinen Eltern Asyl gewährt.

2        Am 6. März 2015 leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl(BFA) ein Aberkennungsverfahren gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ein, weil der Revisionswerber verdächtigt werde, nach Syrien gereist zu sein, um dort an Kampfhandlungen auf Seiten des Islamischen Staates (IS) mitzuwirken.

3        Mit Bescheid vom 13. September 2016 erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukam (I.). Gemäß § 94 Abs. 5 iVm § 93 Abs. 1 Z 1 und § 94 Abs. 1 FPG wurde dem Revisionswerber der Konventionsreisepass entzogen und er gemäß § 93 Abs. 2 FPG verpflichtet, dieses Dokument unverzüglich dem BFA vorzulegen (II.). Gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 wurde dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt. Das BFA stellte fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach der Russischen Föderation gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig war (III.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht gewährt (IV.).

Angefochtenes Erkenntnis

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschwerde des Revisionswerbers gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des BFA mit der Maßgabe abgewiesen, dass dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt wurde (A.I.). Spruchpunkt II. des Bescheides des BFA wurde ersatzlos behoben (A.II.). Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des Bescheides des BFA wurde mit der Maßgabe abgewiesen, dass dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht zuerkannt wurde. Der Abspruch, wonach die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach der Russischen Föderation gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig sei, wurde ersatzlos behoben (A.III.). Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des Bescheides des BFA wurde gemäß § 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen (A.IV.). Die Revision wurde für zulässig erklärt (B.).

5        Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu Spruchpunkt I. des Bescheides des BFA (Aberkennung des Status des Asylberechtigten) auf das Wesentliche zusammengefasst aus, das BFA habe die Asylaberkennung zutreffend auf § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 gestützt, weil beim Revisionswerber aus stichhaltigen Gründen angenommen werden könne, dass er eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstelle. Diese Gefahr ergebe sich unter anderem auf Grund seiner religiösen (salafistischen) Ideologie, der (radikalen) Prediger, denen er folge, näher bezeichneter Moscheen, die er besuche, des Versuches des Revisionswerbers, nach Syrien auszureisen, um sich einer jihadistischen Gruppierung anzuschließen, und weil er trotz zweier aus Mangel an Beweisen eingestellter Strafverfahren gemäß § 278b StGB weiterhin Kontakt zu Gefährdern pflege.

6        Mit näherer Begründung führte das BVwG weiter aus, der Revisionswerber werde in der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus aus asylrelevanten Gründen nicht bedroht. Dem Revisionswerber drohe auch keine Gefahr aus den Gründen, aus denen ihm - bzw. seinem Vater - Asyl gewährt worden sei. Es lägen sohin eine erhebliche und nicht nur vorübergehende „Veränderung der Umstände“ im Herkunftsstaat und ein Wegfall der Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vor. Es könne keine Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden, dass der Revisionswerber im Fall der Rückkehr in die Russische Föderation außerhalb Tschetscheniens und des Föderationskreises Nordkaukasus einer Bedrohung ausgesetzt sei.

7        Zu Spruchpunkt II. des Bescheides des BFA (Entzug des Konventionsreisepasses) führte das BVwG im Wesentlichen aus, das BFA habe übersehen, dass der Revisionswerber bereits ex lege gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 verpflichtet sei, nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigten, zurückzustellen. Eines gesondert behördlichen Abspruches bedürfe es nicht.

8        Zu Spruchpunkt III. des Bescheides des BFA (Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten) führte das BVwG auf das Wesentliche zusammengefasst aus, dem Revisionswerber drohe außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Kaukasus keine Gefahr im Sinne des „§ 3“ AsylG 2005. Es sei dem Revisionswerber möglich und zumutbar, sich in einem anderen Teil der Russischen Föderation anzusiedeln. Eine Gefährdungssituation iSd § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bzw. ein „real risk“ nach Art. 3 EMRK könne nicht erkannt werden.

9        Wenn das BFA ausgesprochen habe, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Revisionswerbers nach der Russischen Föderation gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig sei, habe es verkannt, dass die Voraussetzung für eine Feststellung nach § 8 Abs. 3a AsylG 2005 sei, „dass ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen ist“. Dies treffe im Fall des Revisionswerbers (offenbar gemeint: nicht) zu, „da in seinem Fall dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz nicht nach § 8 Abs. 3a sondern gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht zukommt“.

10       Sodann enthält das angefochtene Erkenntnis nähere Ausführungen zur Bestätigung des Spruchpunktes IV. des Bescheides des BFA (Erlassung einer Rückkehrentscheidung und damit im Zusammenhang stehende Absprüche).

11       Zur Zulassung der Revision führt das BVwG aus, es fehle Rechtsprechung dazu, „ob die Voraussetzungen des Art. 33 Abs. 2 GFK auch auf Fälle anzuwenden sind, in denen dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat oder in Teilen des Herkunftsstaates keine Gefahr für sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Absichten droht, weshalb er den Vorteil des Abs. 1, in einen Staat, wo ihm solches droht, nicht abgeschoben werden zu dürfen, gar nicht in Anspruch nimmt bzw. nehmen muss.“.

12       Weiters fehle Rechtsprechung, „ob das Bundesamt gleichzeitig mit der Aberkennung des Status des Asylberechtigten dem Beschwerdeführer gemäß §§ 94 Abs. 5 iVm § 93 Abs. 1 Z 1 und § 94 Abs. 1 FPG sowie § 93 Abs. 2 FPG dem Konventionsreisepass entziehen kann, oder ob sich nicht die Verpflichtung, nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, sohin auch den Konventionsreisepass zurückzustellen, nicht bereits aus § 7 Abs. 4 AsylG 2005 erfließt. Auch die Erläuterungen RV 952 BlgNR 22. GP geben keinen Aufschluss über das Verhältnis zwischen § 7 Abs. 4 AsylG 2005 und §§ 94 Abs. 5 iVm § 93 Abs. 1 Z 1 und § 94 Abs. 1 FPG sowie § 93 Abs. 2 FPG“.

Zulässigkeit

Allgemein

13       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

15       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

Zur Zulassungsbegründung des BVwG

16       Zweck der Begründungspflicht nach § 25a Abs. 1 zweiter Satz VwGG ist bei einer ordentlichen Revision die vom Verwaltungsgericht vorzunehmende Fokussierung auf die vom Verwaltungsgerichtshof zu lösende grundsätzliche Rechtsfrage (vgl. etwa VwGH 16.6.2021, Ro 2021/01/0013, mwN).

17       Zu dem vom BVwG herangezogenen Aberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 (Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich) kann zunächst auf die einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes hingewiesen werden (vgl. insbesondere VwGH 4.4.2019, Ro 2018/01/0014, mwN).

18       Im Übrigen hängt das rechtliche Schicksal der vorliegenden Revision von der Lösung der vom BVwG behaupteten Rechtsfrage nicht ab (vgl. zum rechtlichen Schicksal einer Revision etwa VwGH 21.9.2018, Ra 2017/17/0720, mwN).

19       Das BVwG hat die Aberkennung des Asylstatus des Revisionswerbers - der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses zufolge - auch auf eine für sich tragfähige Alternativbegründung gestützt, nach der die Umstände, aufgrund derer die Bezugsperson des Revisionswerbers als Flüchtling anerkannt worden sei, nicht mehr bestünden und nach der auch hinsichtlich des Revisionswerbers die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorlägen würden (vgl. dazu VwGH 29.4.2021, Ra 2020/18/0479, mwN; vgl. zur Änderung der Umstände betreffend Tschetschenien auch VwGH 18.11.2020, Ra 2020/14/0387, sowie VwGH 10.2.2021, Ra 2020/18/0205, jeweils mwN; vgl. allgemein zur „Wegfall der Umstände“-Klausel nach Art. 1 Abschnitt C Z 5 der GFK VwGH 29.6.2020, Ro 2019/01/0014, mwN). Zu dieser Alternativbegründung enthält die Revision kein konkretes Vorbringen.

20       Die zweite vom BVwG vorliegend aufgeworfene Rechtsfrage (betreffend den Entzug des Konventionsreisepasses) ist nur von theoretischer Bedeutung, weil der darauf bezogene Spruchpunkt des angefochtenen Erkenntnisses von der Revision - ausgehend vom angeführten Revisionspunkt (der Revisionswerber erachtet sich in der vorliegenden Revisionssache durch das angefochtene Erkenntnis in seinem „Recht auf Aufenthalt in Österreich auf Grund seines Asylstatus“ verletzt) - nicht angefochten wurde.

21       Der Verwaltungsgerichtshof ist zu einer rein abstrakten Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Erkenntnisses nicht berufen; ein Rechtsschutzbedürfnis ist dann zu verneinen, wenn die Erreichung des Verfahrenszieles für den Revisionswerber ohne objektiven Nutzen ist und wenn die in der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen daher nur (mehr) theoretische Bedeutung besitzen (vgl. dazu etwa VwGH 18.5.2021, Ro 2019/07/0004, mwN).

Zur Zulässigkeitsbegründung des Revisionswerbers

22       Der Revisionswerber hat auch in der ordentlichen Revision von sich aus die im Lichte des Art. 133 Abs. 4 B-VG maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern er der Auffassung ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht, oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. nochmals etwa VwGH 16.6.2021, Ro 2021/01/0013, mwN).

23       Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision nach Verweis auf die Begründung der Zulassung der Revision durch das BVwG aus Eigenem vor, es fehle Rechtsprechung zur Frage, „ob eine eigenständige asylrechtliche Beurteilung vorliegt, wenn sich die Aberkennung ausschließlich auf einen Bericht des BVT stützt (der das Gewicht eines Gutachtens haben soll) und damit das Prinzip der Gewaltentrennung von Gerichtsbarkeit und Verwaltung unterlaufen wird, und was unter stichhaltigen Gründen zu verstehen ist, auf Grund derer angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt und ob die Mitgliedschaft zum Islam als stichhaltiger Grund ausreicht“.

24       Im Hinblick auf die vom BVwG im angefochtenen Erkenntnis dargelegte tragfähige Alternativbegründung kann auch dieses Vorbringen eine Zulässigkeit der Revision nicht darlegen (vgl. nochmals zum rechtlichen Schicksal einer Revision etwa VwGH 21.9.2018, Ra 2017/17/0720, mwN).

Ergebnis

25       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 21. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RO2021010017.J00

Im RIS seit

16.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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