TE OGH 2021/3/5 33R120/20i

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Veröffentlicht am 05.03.2021
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Janschitz und den fachkundigen Laienrichter Patentanwalt DI Nemec in der Patentrechtssache der klagenden Partei T*****, vertreten durch die GEISTWERT Kletzer Messner Mosing Schnider Schultes Rechtsanwälte OG in Wien unter Mitwirkung von Patentanwalt DI Dr. Andreas Wildhack, wider die beklagte Partei M*****, vertreten durch die Gassauer-Fleissner Rechtsanwälte GmbH in Wien unter Mitwirkung von Dr. Manuela Loidl und Patentanwältin Dr. Gerda Redl, wegen (im Provisorialverfahren) Unterlassung (EUR 160.000) über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 21.10.2020, 11 Cg 15/20y 19, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Die von der klagenden Partei mit dem Rekurs vorgelegte Urkunde wird zurückgewiesen.

2. Dem Rekurs der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Die erstinstanzliche Entscheidung wird mit der Maßgabe bestätigt, dass sie in Punkt 1. und 2. lautet:

«1. Der Sicherungsantrag, der beklagten Partei werde bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Hauptverfahren, längstens jedoch bis zum Ablauf des Schutzes aus dem Klagepatent geboten, es ab sofort zu unterlassen, in Österreich betriebsmäßig

[1] ein Verfahren zur Detektion eines IgE-Immunglobulins, das an ein Allergen in einer Probe bindet und welches dadurch gekennzeichnet ist, dass ein oder mehrere gereinigte einzelne Allergene auf einem Microarray-Chip immobilisiert werden, wonach anschließend die Probe mit den immobilisierten Allergenen inkubiert wird, so dass IgE-Immunglobuline, die für die Allergene spezifisch sind, an das spezifische Allergen binden, wonach die an die spezifischen immobilisierten Allergene gebundenen IgE-Immunglobuline detektiert werden,

und/oder

[2] ein Verfahren nach Punkt [1], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass ein oder mehrere rekombinante Allergene auf dem Microarray-Chip immobilisiert werden,

und/oder

[5] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] und/oder [2], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die Allergene auf einem Spot mit einem Durchmesser von 10 bis 2000 ?m auf dem Microarray-Chip immobilisiert werden,

und/oder

[7] ein Verfahren nach einem der Punkte [1], [2] und/oder [5], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die Allergene auf einem festen Träger als Microarray-Chip immobilisiert werden,

und/oder

[8] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [5], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die Allergene auf einem Glas- bzw Kunststoffträger als Microarray-Chip immobilisiert werden,

und/oder

[10] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [5], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die Allergene an einer Membran als Microarray-Chip immobilisiert werden,

und/oder

[13] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [10], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die Immunglobuline im Blutserum als Probe detektiert werden,

und/oder

[14] ein Verfahren nach Punkt [13], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass das Blutserum 1:1 bis 1:15 verdünnt wird,

und/oder

[15] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [14] welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die Probe mit den Allergenen 1 min bis 24 Stunden inkubiert wird,

und/oder

[16] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [15], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die Probe mit den Allergenen bei einer Temperatur zwischen 0 und 60 °C inkubiert wird,

und/oder

[17] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [16], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die gebundenen Immunglobuline mit zumindest einem markierten, spezifischen Anti-Immunglobulin-Antikörper detektiert werden,

und/oder

[20] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [17], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass ein oder mehrere Indoor-Allergene als Allergene immobilisiert werden,

und/oder

[21] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [17], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass ein oder mehrere Outdoor-Allergene als Allergene immobilisiert werden,

und/oder

[22] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [17], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass ein oder mehrere Nahrungsmittel-Allergene als Allergene immobilisiert werden,

und/oder

[23] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [17], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass ein oder mehrere Gift-Allergene als Allergene immobilisiert werden;

[24] ein Verfahren zur in vitro-Diagnose von Allergien in einem Patienten, welches dadurch gekennzeichnet ist, dass eine dem Patienten entnommene Serumprobe auf an Allergene bindende IgE-Immunglobuline gemäß einem Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [23] analysiert wird, wobei ein Microarray-Chip verwendet wird, auf dem zumindest 10 verschiedene Allergene immobilisiert sind, wonach eine positive Reaktion zwischen der Probe und den immobilisierten Allergenen als Allergie diagnostiziert wird,

und/oder

[25] einen Microarray-Chip auf dem ein oder mehrere gereinigte einzelne Allergene immobilisiert sind, zur Detektion von IgE-Immunglobulinen,

und/oder

[28] einen Microarray-Chip nach Punkt [25], welcher ein Kunststoffträger ist,

und/oder

[30] einer Microarray-Chip nach Punkt [25], der eine Membran ist,

und/oder

[33] einen Kit zur Durchführung des Verfahrens gemäß irgendeinem der Punkte [1] bis [24], der dadurch gekennzeichnet ist, dass es einen Microarray-Chip, auf dem ein oder mehrere gereinigte einzelne Allergene immobilisiert sind, sowie ein erstes Reagens, umfassend zumindest ein Immunglobulin-detektierendes Reagens, vorzugsweise einen Anti-Immunglobulin-Antikörper, vorzugsweise in einer bekannten Konzentration, sowie gegebenenfalls als positive Probe ein zweites Reagens, umfassend zumindest ein an ein Allergen bindendes Immunglobulin, umfasst

zu verwenden, herzustellen, anzubieten, feilzuhalten, in Verkehr zu bringen, und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen, insbesondere die Allergietests ALEX und/oder ALEX² und/oder MAX MULTIARRAY EXPLORER 45K und/oder gleichwirkende, gleichwertige und für die einschlägige Fachperson naheliegende Allergietests,

wird abgewiesen.

2. Das Eventualbegehren, der beklagten Partei werde geboten, es ab sofort zu unterlassen, anderen als den zur Benützung berechtigten Personen die Allergietests ALEX und/oder ALEX² und/oder MAX MULTIARRAY EXPLORER 45K und/oder gleichwirkende, gleichwertige und für die einschlägige Fachperson naheliegende Allergietests oder wesentliche Teile davon, insbesondere die Microarray-Chips, den Detektions-Antikörper, das Substrat, die Hardware zur Durchführung der Verfahren zur Detektion, insb. den Wippschüttler, den Image Scanner und/oder die Raptor-Software zur Benützung in einem oder mehreren der im folgenden genannten Verfahren anzubieten oder zu liefern:

[1] ein Verfahren zur Detektion eines IgE-Immunglobulins, das an ein Allergen in einer Probe bindet und welches dadurch gekennzeichnet ist, dass ein oder mehrere gereinigt einzelne Allergene auf einem Microarray-Chip immobilisiert werden, wonach anschließend die Probe mit den immobilisierten Allergenen inkubiert wird, so dass IgE-Immunglobuline, die für die Allergene spezifisch sind, an das spezifische Allergen binden, wonach die an die spezifischen immobilisierten Allergene gebundenen IgE-Immunglobuline detektiert werden,

und/oder

[2] ein Verfahren nach Punkt 1, welches dadurch gekennzeichnet ist, dass ein oder mehrere rekombinante Allergene auf dem Microarray-Chip immobilisiert werden,

und/oder

[5] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] und/oder [2], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die Allergene auf einem Spot mit einem Durchmesser von 10 bis 2000 ?m auf dem Microarray-Chip immobilisiert werden,

und/oder

[7] ein Verfahren nach einem der Punkte [1], [2] und/oder [5], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die Allergene auf einem festen Träger als Microarray-Chip immobilisiert werden,

und/oder

[8] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [5], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die Allergene auf einem Glas- bzw Kunststoffträger als Microarray-Chip immobilisiert werden,

und/oder

[10] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [5], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die Allergene an einer Membran als Microarray-Chip immobilisiert werden,

und/oder

[13] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [10], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die Immunglobuline im Blutserum als Probe detektiert werden,

und/oder

[14] ein Verfahren nach Punkt [13], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass das Blutserum 1:1 bis 1:15 verdünnt wird,

und/oder

[15] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [14] welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die Probe mit den Allergenen 1 min bis 24 Stunden inkubiert wird,

und/oder

[16] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [15], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die Probe mit den Allergenen bei einer Temperatur zwischen 0 und 60 °C inkubiert wird,

und/oder

[17] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [16], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die gebundenen Immunglobuline mit zumindest einem markierten, spezifischen Anti-Immunglobulin-Antikörper detektiert werden,

und/oder

[20] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [17], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass ein oder mehrere Indoor-Allergene als Allergene immobilisiert werden,

und/oder

[21] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [17], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass ein oder mehrere Outdoor-Allergene als Allergene immobilisiert werden,

und/oder

[22] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [17], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass ein oder mehrere Nahrungsmittel-Allergene als Allergene immobilisiert werden,

und/oder

[23] ein Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [17], welches dadurch gekennzeichnet ist, dass ein oder mehrere Gift-Allergene als Allergene immobilisiert werden;

[24] ein Verfahren zur in vitro-Diagnose von Allergien in einem Patienten, welches dadurch gekennzeichnet ist, dass eine dem Patienten entnommene Serumprobe auf an Allergene bindende IgE-Immunglobuline gemäß einem Verfahren nach einem der Punkte [1] bis [23] analysiert wird, wobei ein Microarray-Chip verwendet wird, auf dem zumindest 10 verschiedene Allergene immobilisiert sind, wonach eine positive Reaktion zwischen der Probe und den immobilisierten Allergenen als Allergie diagnostiziert wird, umfasst,

und/oder

es ab sofort zu unterlassen, unmittelbar betriebsmäßig

[25] einen Microarray-Chip, auf dem ein oder mehrere gereinigte einzelne Allergene immobilisiert sind, zur Detektion von IgE-Immunglobulinen, und/oder

[28] einen Microarray-Chip nach Punkt [25], welcher ein Kunststoffträger ist,

und/oder

[30] einer Microarray-Chip nach Punkt [25], der eine Membran ist,

und/oder

[33] einen Kit zur Durchführung des Verfahrens gemäß irgendeinem der Punkte [1] bis [24], der dadurch gekennzeichnet ist, dass es einen Microarray-Chip, auf dem ein oder mehrere gereinigte einzelne Allergene immobilisiert sind, sowie ein erstes Reagens, umfassend zumindest ein Immunglobulin-detektierendes Reagens, vorzugsweise einen Anti-Immunglobulin-Antikörper, vorzugsweise in einer bekannten Konzentration, sowie gegebenenfalls als positive Probe ein zweites Reagens, umfassend zumindest ein an ein Allergen bindendes Immunglobulin, umfasst

zu verwenden, herzustellen, anzubieten, feilzuhalten, in Verkehr zu bringen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen, insbesondere die Allergietests ALEX und/oder ALEX² und/oder MAX MULTIARRAY EXPLORER 45K und/oder sonst gleichwirkende, gleichwertige und für die einschlägige Fachperson naheliegende Allergietests,

wird abgewiesen.»

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 4.217,31 (darin EUR 702,90 USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen; die Kosten ihres Rekurses hat sie endgültig selbst zu tragen.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt insgesamt EUR 30.000.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Begründung

Text

Die Klägerin ist Inhaberin des Klagepatents mit dem Titel „ALLERGEN-ASSAY AUF BASIS VON MIKROANORDNUNGEN“ und vertreibt unter der Marke ImmunoCAP® ISAC einen eigenen patentgemäßen Allergietest.

Die Klägerin meldete am 3.10.2001 ein Patent (EP 01980473.1) an. Diese Anmeldung wurde am 11.4.2002 unter der Veröffentlichungsnummer WO 2002/029415 A1 veröffentlicht. Die Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung des Europäischen Patents EP 1 322 960 B1 erfolgte am 5.1.2005. Im Oktober 2005 wurden gegen das Patent Einsprüche eingelegt. Im Mai 2012 wurde – nach Zurückziehung sämtlicher Einsprüche – das Patent mit der Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer T 1328/08 in geändertem Umfang aufrechterhalten und als EP 1 322 960 B2 (in Folge kurz: Klagepatent) veröffentlicht. Das Patent wurde in Österreich als AT E 286 597 validiert (maximale Laufzeit bis Oktober 2021). Es betrifft das Gebiet der Bioanalytik und befasst sich mit Immunoassays, insbesondere mit der Diagnostik von IgE-assoziierten Typ-I-Allergien mittels eines Immunoassay-Microarrays.

Ziel und Aufgabe des Klagepatents ist es, ein Verfahren zur Detektion eines Immunglobulins E (IgE) sowie zur in vitro-Diagnose von Allergien bei einem Patienten vorzusehen, wobei sich das IgE an ein Allergen in einer Probe bindet. Weiters soll es mit dem Klagepatent möglich sein, sehr zuverlässige und empfindliche Tests durchzuführen und die Detektion einer praktisch unbegrenzten Zahl von Allergenen in einem einzigen Test zu ermöglichen.

Das Klagepatent umfasst unter anderem folgenden Anspruch:

«1. Verfahren zur Detektion eines IgE-Immunglobulins, das an ein Allergen in einer Probe bindet, dadurch gekennzeichnet, dass ein oder mehrere gereinigte einzelne Allergene auf einem Microarray-Chip immobilisiert werden, wonach anschließend die Probe mit den immobilisierten Allergenen inkubiert wird, so dass IgE- Immunglobuline, die für die Allergene spezifisch sind, an das spezifische Allergen binden, wonach die an die spezifischen immobilisierten Allergene gebundenen IgE-Immunglobuline detektiert werden.»

Anspruch 1 gliedert sich in folgende Merkmale (Hervorhebung durch das Rekursgericht):

«M1.1        Verfahren zur Detektion eines Immunglobulins E (IgE),

M1.2         wobei das Immunglobulin E (IgE) in einer Probe an ein Allergen bindet,

M1.3         wobei ein oder mehrere Allergene auf einem Microarray-Chip immobilisiert werden,

M1.4         wobei es sich um gereinigte einzelne Allergene handelt,

M1.5         wonach die Probe mit den immobilisierten Allergenen inkubiert wird,

M1.6         so dass die Immunglobuline E (IgE), die für die Allergene spezifisch sind, an das spezifische Allergen binden,

M1.7         und danach die an die spezifischen immobilisierten Allergene gebundenen Immunglobuline E (IgE) detektiert werden.»

Immobilisieren wird in der Patentschrift AT E 286 597 in Absatz [0029] wie folgt definiert:

«„Immobilisieren“ im Zusammenhang mit Proteinen oder Peptiden bezieht sich auf die Bindung oder das Anhaften des Proteins/Peptids an festen Trägern mit herkömmlichen Mitteln, mit oder ohne einen zusätzlichen Abstandhalter („spacer”) zwischen dem festen Träger und dem Allergen. Das Immobilisieren von Peptiden/Proteinen an einem Träger ist auf dem Gebiet wohl bekannt; im Rahmen der vorliegenden Erfindung ist jegliche Immobilisierung umfasst, zum Beispiel kovalent, nicht-kovalent, insbesondere durch hydrophobe Wechselwirkungen mit beispielsweise Membranen bzw synthetischen Oberflächen usw.»

Die Beklagte produziert und vertreibt unter den Bezeichnungen ALEX und ALEX2 weltweit In-vitro-Multiplex-Allergietests für Typ-I-Allergien, in denen die Messung von spezifischem IgE (sIgE) gegen eine Vielzahl von Allergen-Extrakten und molekulare Allergenen möglich ist.

Bei den Tests mit der Bezeichnung „Allergy Explorer ALEX und ALEX2 handelt es sich um quantitative in vitro-diagnostische Tests oder Verfahren zur Bestimmung von allergenspezifischem IgE (sIgE) im menschlichen Serum oder Plasma. Der ALEX/ALEX2 Test beruht auf dem Prinzip eines Testphasen-Immunoassays. Die zu bestimmenden Allergene – Allergenextrakte und molekulare Allergene – sind hierbei an Nano-Partikel gekoppelt und in einer systematischen Weise auf einer festen Phase, die ein makroskopisches Array ausbildet, abgeschieden.

Das ALEX/ALEX2-Allergenpanel umfasst eine große Anzahl von Allergenen, und zwar sowohl Allergenextrakte als auch einzelne molekulare Allergene.

Das ALEX/ALEX2-Verfahren läuft wie folgt ab:

Es wird eine Verdünnungslösung in die Vertiefung der Cartridge auf das Array appliziert. Danach wird die Probe des Patienten (Serum oder Plasma) zugesetzt. Dabei reagieren die auf den Spots immobilisierten Allergene mit den spezifischen IgE-Antikörpern aus der Probe des Patienten, das heißt der spezifische IgE-Antikörper bindet sich an das entsprechende immobilisierte Allergen.

Nach Schütteln, Inkubieren und Waschen wird der enzym-markierte Detektions-Antikörper zugegeben. Dieser Detektions-Antikörper bildet mit dem (an das Allergen gebundenen) spezifischen IgE-Antikörper einen Komplex.

Nach weiterem Schütteln, Inkubieren und Waschen wird die Substrat-Lösung hinzugefügt. Diese wird durch das Enzym in einen unlöslichen, färbigen Niederschlag umgewandelt, wodurch der entsprechende Spot eine (von der IgE-Konzentration abhängigen) Farbe/Farbintensität erhält.

Nach einer definierten Zeit wird die Stop-Lösung zugegeben, um die Reaktion zu stoppen.

Die Menge des gebildeten Niederschlags – und damit die Farbe/Farbintensität des Spots – ist dabei proportional zur Konzentration des spezifischen IgE in der Probe des Patienten. Die Cartdrige wird dann entleert, getrocknet und der (kolorimetrischen) Bildanalyse zugeführt.

Die Auswertung erfolgt mit der sogenannten Raptor-Software. Daraus ergibt sich das individuelle IgE-Profil des Patienten, wobei man aus den unterschiedlichen Farben/Farbintensitäten verschiedene Reaktionsgrade ableiten kann.

Die Klägerin begehrt zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsbegehrens die Erlassung der einstweiligen Verfügung, wie sie im Spruch dieser Entscheidung wiedergegeben ist. Der Beklagten solle untersagt werden, Erzeugnisse zu verwenden, herzustellen, anzubieten, feilzuhalten, in Verkehr zu bringen, und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen, insbesondere die Allergietests ALEX und/oder ALEX2 und/oder den MAX MULTIARRAY EXPLORER 45K und/oder gleichwirkende, gleichwertige und für die einschlägige Fachperson naheliegende Allergietests, wenn dadurch in das Klagepatent eingegriffen wird.

Soweit für diese Rekursentscheidung wesentlich brachte die Klägerin vor, dass das Merkmal M1.3 des Klagepatents den Begriff „Immobilisieren“ im Zusammenhang mit Proteinen oder Peptiden allgemein als die Bindung oder das Anhaften des Proteins/Peptids an festen Trägern und damit jegliche Art der Immobilisierung umfasse. Beim Eingriffsgegenstand seien die Allergene auf den Polystyrol-Kügelchen gebunden und solcher Art auf dem Träger – nämlich der Nitrocellulose-Membran des Chip – immobilisiert. Die Nanopartikel würden keineswegs frei in der Matrix schwimmen, sondern seien fest am Träger fixiert und mit diesem verbunden. Zudem verwende die Beklagte in ihrem Patent den Begriff des Immobilisierens in genau der gleichen Weise wie das Klagepatent, und zwar sowohl für Systeme, bei denen die Allergene direkt auf einem Träger immobilisiert seien, als auch für Systeme wie ALEX/ALEX2, bei denen Allergen-beschichtete Nanopartikel auf einem Träger immobilisiert seien. Die Nanopartikel würden bei ALEX/ALEX2 als Suspension auf die Matrix aufgebracht, das Lösungsmittel verdampfe und die Nanopartikel blieben auf der Matrix zurück. Ein „freies Schwimmen“ der Nanopartikel wäre nur in einem flüssigen System möglich. In einem trockenen System – wie dies bei ALEX/ALEX2 der Fall sei – sei dies nicht möglich. Dass Proteine, also auch Allergene, an Nitrocellulose gebunden werden könnten, sei seit langem bekannt. Damit könnten sich Allergene, die an die Nanopartikel gebunden seien, an die Nitrocellulosematrix binden und somit zu einer Fixierung der Nanopartikel und der Allergene auf der Matrix führen. Selbst wenn kein Kontakt oder keine Bindung zwischen den Nanopartikeln und der Matrix bestehen würde, wären die Nanopartikel in Poren oder Zwischenräumen der Matrix gefangen und könnten sich dort bestenfalls minimalst hin und her bewegen, jedenfalls aber nicht frei in der gesamten Matrix herumschwimmen. Dementsprechend sei bei dem bei ALEX/ALEX2 verwendeten System eine effektive Immobilisierung der Nanopartikel in der Matrix oder auf dem Chip bewirkt. Dieses Merkmal sei damit wortsinngemäß verwirklicht.

Die Beklagte bestritt, beantragte, den Sicherungsantrag abzuweisen, und brachte zusammengefasst vor, dass die Allergene auf Nanopartikeln immobilisiert seien, jedoch nicht auf einem Träger.

Das Wort „immobilisieren“ bedeute im allgemeinen Sprachgebrauch „an der Bewegung hindern“. Im Streitpatent werde dieser Begriff enger definiert, indem in Absatz [0029] festgestellt werde, dass unter diesem Wort nur eine Bindung oder Anbindung durch konventionelle Methoden, mit oder ohne Spacer gemeint sei. Auf dem ALEX-Träger würden die Allergene jedoch nicht mit dem Träger direkt verbunden, sondern seien an der Oberfläche von Nanopartikeln aufgebracht („präsentiert“), und diese Nanopartikel würden in einer Matrix auf den Träger eingeführt. Die Verbindung zwischen den Proteinen und den Nanopartikeln sei fest, die Nanopartikel selbst lägen aber frei in der Matrix vor und seien mit ihr nicht verbunden. Es handle sich daher nicht um eine chemische Bindungsart oder eine vergleichbare Verbindung. Damit werde weder eine direkte noch eine indirekte Bindung zwischen dem Allergen und dem Träger realisiert. Dies sei auch daran erkennbar, dass ein Teil der Nanopartikel – und damit der auf ihnen gebundenen Allergene – durch die Waschschritte während der Verwendung von ALEX aus der Nitrozellulosematrix des Trägers ausgewaschen werde und verloren gehe.

Die Festlegung der Allergene auf Nanopartikel und das freie Einbringen der Nanopartikel in der Matrix sei keine konventionelle Methode zur Bindung eines Proteins oder Peptids an einem Festkörper. Es handle sich um ein mehrstufiges, komplexes Verfahren, das in der Molekularbiologie zum Prioritätszeitpunkt nicht gebräuchlich gewesen sei und nicht einmal heute gebräuchlich sei.

Die Immobilisierung könne laut dem Klagepatent auch über einen Spacer, also ein Verbindungsglied durchgeführt werden. Bei einer indirekten Bindung mittels Spacer handle es sich um eine chemische Verbindung zwischen Allergen und Chip oder Träger, wobei dies über ein Zwischenglied erreicht werde, welches sowohl mit dem Allergen als auch mit dem Chip chemisch verbunden sei. Die Nanopartikel könnten aber nicht als Spacer angesehen werden, weil sie einerseits keine Schicht bildeten und andererseits mit der Matrix des Trägers nicht verbunden seien, sondern in dieser Matrix nur frei vorlägen.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Sicherungsantrag ab und verpflichtete die Klägerin zum Kostenersatz.

Es nahm dazu neben dem eingangs wiedergegebenen den auf den Seiten 10 bis 12 der Beschlussausfertigung ersichtlichen Sachverhalt als bescheinigt an, auf den verwiesen wird. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung traf das Erstgericht noch die nachstehenden Feststellungen (bekämpfte Feststellungen im Fettdruck):

«Gemäß dem ALEX/ALEX2-Testsystem werden die Allergene nicht auf dem Träger direkt festgelegt, sondern werden an der Oberfläche von Nanopartikeln festgelegt und diese Nanopartikel werden in der Folge in der Matrix auf den Träger aufgebracht. Die Verbindung zwischen den Proteinen und den Nanopartikeln ist hierbei fest, die Nanopartikel selbst liegen frei in der Matrix vor und sind mit dieser nicht verbunden.

[…]

In der molekularen Biologie ist ein Spacer ein Brückenglied bzw Abstandhalter, welches zwischen der Trägermatrix und dem Protein/Peptid vorgesehen sein muss. Auch hierbei handelt es sich um eine chemische Bindung. Die Nanopartikel gemäß dem ALEX/ALEX2-Testsystem sind jedoch nicht als Spacer anzusehen, da diese einerseits keine Schicht bilden und andererseits mit der Matrix des Trägers nicht, bzw jedenfalls nicht chemisch verbunden sind, sondern nur in dieser Matrix frei vorliegen.

[…]

Im Präsentationsvideo betreffend ALEX2 ist schematisch ab dem Zeitraum von etwa 1 Minuten 20 Sekunden bis etwa 1 Minute 30 Sekunden gezeigt, dass auf den Mikrokügelchen verschiedene Proteine/Peptide festgelegt werden können, wobei die schematische bildliche Darstellung der Kügelchen auf ihrer Trägeroberfläche keinerlei Hinweis auf irgendeine Bindung oder Nichtbindung der Kügelchen an die Oberfläche geben. Optisch scheinen sie lose auf der Oberfläche zu liegen. Nähere Hinweise, ob hier eine Anbindung existiert, sind den Videos nicht zu entnehmen.

Entnehmbar ist dem Video jedoch zweifelsfrei, dass die auf den Mikrokügelchen immobilisierten Proteine/Peptide einen relativ großen Prozentsatz der Oberfläche der Kügelchen einnehmen und statistisch über die Oberfläche verteilt sind.

Ob und inwieweit die auf der Oberfläche der Mikrokügelchen immobilisierten und dort offensichtlich fix festgelegten Proteine/Peptide in der Folge eine weitere Bindung zu dem Träger, auf welchem die Kügelchen gelagert sind, eingehen bzw eingehen können oder eine Immobilisierung über einen Spacer, das heißt ein Verbindungsglied erreicht wird, wobei das Verbindungsglied in diesem Fall nur das Mikrokügelchen sein kann, ist keinem der Dokumente und insbesondere nicht den vorgelegten Videos zu entnehmen.

Eine indirekte Immobilisierung über einen Spacer wäre im vorliegenden Fall nur unter Verwendung der Mikrokügelchen als Spacer möglich, welche Immobilisierung rein aus physikalischen Überlegungen nicht stattfinden kann. Dies zeigt das Video (./L, ./M, ./N), welchem eindeutig zu entnehmen ist, dass Proteine/Peptide im Wesentlichen gleichmäßig über die Oberfläche des Mikrokügelchens verteilt immobilisiert sind, so dass eine Immobilisierung des Mikrokügelchens durch die Anwesenheit auch auf der zur Oberfläche der Matrix des Trägers gerichteten Seite des Kügelchens verunmöglicht wird.»

In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht sowohl die wortsinngemäße als auch die äquivalente Verletzung des Patentanspruchs 1 des Klagepatents.

Gegen die Entscheidung richtet sich der Rekurs der Klägerin (auch im Kostenpunkt) aus den Rekursgründen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung einschließlich unrichtiger Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie unrichtiger Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung. Sie beantragt, dem Rekurs Folge zu geben und die beantragte einstweilige Verfügung zu erlassen; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag. Weiters beantragt sie – in eventu – dem Rekurs im Kostenpunkt Folge zu geben und den Kostenausspruch dahingehend abzuändern, dass er lautet:

«Die klagende und gefährdete Partei ist schuldig, der beklagten und Gegnerin der gefährdeten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 22.410,80 bestimmten Kosten des Provisorialverfahrens (darin enthalten EUR 3.735,13 USt) zu ersetzen.»

Die Beklagte beantragt dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

1. Die mit dem Rekurs vorgelegte Urkunde ist zurückzuweisen, weil damit gegen das auch im Provisorialverfahren geltende Neuerungsverbot verstoßen wird (RS0002445).

2. Zur Tatsachenrüge:

Die Klägerin bekämpft die im Fettdruck wiedergegeben Feststellungen und „allfällige weitere gleichartige Feststellungen“ und begehrt stattdessen die Ersatzfeststellung:

«Die Nanopartikel, an denen die Allergene immobilisiert sind, schwimmen nicht frei in der Matrix der Microarray-Chips, sondern sind fest am Träger fixiert und mit diesem verbunden.»

Das Erstgericht stützt die bekämpften Feststellungen auf die in Augenschein genommenen Videos in der Anlage (./L bis ./N) der Beilage ./J und führt weiters noch aus, dass keinem Dokument zu entnehmen sei, dass die auf der Oberfläche der Kügelchen immobilisierten Proteine/Peptide eine weitere Bindung zum Träger eingehen.

Beim Rekursgrund der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung reicht es grundsätzlich nicht aus, bloß auf einzelne für den Prozessstandpunkt des Rekurswerbers günstige Beweismittel zu verweisen; vielmehr muss dargelegt werden, warum das Erstgericht diesen und nicht anderen Beweismitteln hätte Glauben schenken sollen. Erforderlich ist also eine kritische Auseinandersetzung mit der gesamten Beweislage.

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass es nicht zutrifft, – wie von der Klägerin im Rekurs behauptetet – dass im erstinstanzlichen Verfahren unstrittig gewesen sei, dass die Beklagte ALEX/ALEX2 nach ihrer Patentanmeldung herstelle. Die Beklagte ist dieser Behauptung der Klägerin in ihrer Duplik vom 8.6.2020, Seiten 6 ff, mit entsprechenden Behauptungen entgegengetreten. Nur der von der Klägerin zitierte Inhalt der Patentschrift zu EP 3 436 823 blieb unstrittig.

Die Klägerin behauptet weiters unter Verweis auf ihr Vorbringen in der Gegenäußerung vom 14.5.2020, dass selbst dann, wenn kein Kontakt oder keine Bindung zwischen den Nanopartikel und der Matrix bestehen würde, die Nanopartikel in Poren oder Zwischenräumen der Matrix gefangen und damit dort immobilisiert wären. Weiters führt sie aus, dass es physikalisch nicht plausibel oder sogar unmöglich sei, dass die Nanopartikel frei in der Matrix schwimmen würden. Die Klägerin verweist jedoch im Rekurs auf kein einziges weiteres Beweismittel, das diese Annahmen stützen würde.

Insoweit sich die Klägerin auf die Urkunde ./S beruft und dazu behauptet, dass damit bewiesen sei, dass Allergene, die an die Nanopartikel gebunden seien, sich auch an die Nitrocellulosematrix binden würden und es so zu einer Fixierung der Nanopartikel und der Allergene auf der Matrix komme, ist darauf zu verweisen, dass in diesem Dokument explizit von einer Bindung der Proteine an eine Nitrocellulosematrix die Rede ist. Im vorliegenden Fall sind aber die Proteine oder Allergene an Nanopartikel gebunden. Mit dieser Urkunde allein gelingt der Klägerin nicht der Beweis, dass die auf den Nanopartikeln immoblisierten Allergene an die Nitrocellulosematrix gebunden sind.

Die Klägerin beruft sich noch auf den unstrittigen Inhalt des Patentanspruchs 1 der WO 2017/167843 und will damit unter Beweis stellen, dass bei ALEX/ALEX2 die Nanopartikel keineswegs nur frei in der Matrix schwimmen, sondern fest am Träger fixiert und mit diesem verbunden seien. Das Erstgericht hat schon darauf hingewiesen, dass für die Frage, ob eine Patentverletzung stattfindet, immer der patentverletzende Gegenstand heranzuziehen ist. Diese Ansicht teilt das Rekursgericht. Nur wenn sich aus den Bescheinigungsmitteln, die den Eingriffsgegenstand ALEX/ALEX2 beschreiben, ein Hinweis darauf ergeben würde, dass der Eingriffsgegenstand nach den Vorgaben des Patents (WO 2017/167843) hergestellt worden ist, wäre für die Klägerin daraus etwas zu gewinnen. Soweit sie sich aber auch hier nur wieder darauf beruft, dass die Beklagte diesen Zusammenhang im erstinstanzlichen Verfahren zugestanden habe, ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen. Beweismittel, die diesen Zusammenhang belegen, kann die Beklagte auch im Rekursverfahren nicht benennen.

Aus der ./GUT03 der Beilage ./8 (US000005091318A) ergibt sich die Beschreibung eines in-vitro-Diagnoseverfahrens, bei dem eine Patientenprobe mit immobilisiertem Allergen in Kontakt gebracht und allergenspezifisches IgE nachgewiesen wird. Dort (Spalte 7 Zeile 65 ff) wird die Immobilisierung so beschrieben:

«By “retained and immobilized” is meant that the microparticles, associated with the solid phase base material, are not capable of substantial movement to positions elsewhere within that material.»

Dass sich aus diesem Dokument der Schluss ergeben soll, dass die Partikel auch bei ALEX/ALEX2 ortsfixiert und immobilisiert seien, selbst wenn sie „nur“ in der Matrix gefangen sind, erschließt sich dem Rekursgericht nicht.

Auf die Ausführungen der Klägerin im Zusammenhang mit der vom Rekursgericht zurückgewiesenen Urkunde ist nicht weiter einzugehen, sie verstoßen gegen das im Rekursverfahren herrschende Neuerungsverbot.

Im Ergebnis kann die Klägerin den Ausführungen des Erstgerichtes nichts Stichhaltiges entgegensetzen, das den Senat dazu bewegen könnte, die Feststellungen des Erstgerichtes als korrekturbedürftig anzusehen.

2. Zur Rechtsrüge:

2.1. „Gegenstand der Erfindung“ iSd § 22 Abs 1 PatG ist der in den Patentansprüchen definierte Lösungsgedanke im Zusammenhang mit der durch ihn gelösten Aufgabe; er bestimmt das Wesen und den Umfang des dem Patentinhaber gewährten Schutzes (RS0071537). Der Schutzumfang eines österreichischen Patents kann das im Patentansuchen gestellte Schutzbegehren nicht übersteigen. Es kommt nicht darauf an, was erfunden wurde, sondern allein darauf, wofür der Schutz in Anspruch genommen und gewährt wurde (RS0071338). Für die Feststellungen des Inhalts des Patentanspruchs kommt es darauf an, wie der durch Beschreibung und Zeichnungen erläuterte Wortlaut des erteilten Patents auszulegen ist. Ob die Erteilungsakten für einen engeren Umfang sprechen, ist nicht maßgebend (17 Ob 35/09k; 4 Ob 214/12t).

Die Beschreibung und die Zeichnungen sind zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen. Das Protokoll über die Auslegung des Art 69 des Europäischen Patentübereinkommens ist sinngemäß anzuwenden (§ 22a Abs 1 PatG; vgl auch RS0071537). Bei der Auslegung von Patentansprüchen sind die mit dem Patent verfolgten Ziele gegeneinander abzuwägen: ausreichender Schutz für den Patentinhaber und ausreichende Rechtssicherheit für Dritte. Für den ersten Gesichtspunkt ist die objektive Bedeutung der Erfindung, wie sie in den Patentansprüchen ihren Niederschlag gefunden hat, und nicht die subjektive Anstrengung des Erfinders maßgeblich; für den zweiten das, was die Fachperson bei objektiver Betrachtung den Patentansprüchen entnimmt (Weiser, PatG GMG3 § 22a PatG 256; Fox/Strobl in Stadler/Koller, PatG § 22a Rz 26, 30). Der Schutzbereich des Patents muss für Außenstehende hinreichend sicher vorhersehbar sein (RS0118279). Maßgeblich für den Schutzumfang eines Patents ist demnach ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem, was sich aus dem genauen Wortlaut der Patentansprüche (bzw ihrem Sinngehalt; vgl RS0071338 [T4]) ergibt, und dem, was aus der Beschreibung und den Zeichnungen als Lösung des technischen Problems hervorgeht (4 Ob 71/19y).

2.2. Im vorliegenden Verfahren ist strittig, ob der Eingriffsgegenstand das Merkmal M1.3 (die Allergene sind auf den Microarray-Chip immobilisiert) verletzt.

Nach der Beschreibung der Erfindung [0029] in der Patentschrift wird „Immobilisieren“ wie folgt erklärt:

„Immobilisieren“ im Zusammenhang mit Proteinen oder Peptiden bezieht sich auf die Bindung oder das Anhaften des Proteins/Peplids an festen Trägern mit herkömmlichen Mitteln, mit oder ohne einem zusätzlichen Abstandhalter („spacer”) zwischen dem festen Träger und dem Allergen. Das Immobilisieren von Peptiden/Proteinen an einem Träger ist auf dem Gebiet wohl bekannt; im Rahmen der vorliegenden Erfindung ist jegliche Immobilisierung umfasst, zum Beispiel kovalent, nicht-kovalent, Insbesondere durch hydrophobe Wechselwirkungen mit beispielsweise Membranen bzw synthetischen Oberflächen.

Im Verfahren ist unstrittig, dass im Eingriffsgegenstand ein Microarray-Chip verwendet wird, wie ihn das Klagepatent definiert. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen ist das Allergen im Eingriffsgegenstand auf dem Nanopartikel immoblisiert. Die auf den Mikrokügelchen immobilisierten Proteine/Peptide nehmen einen relativ großen Prozentsatz der Oberfläche der Kügelchen ein und sind statistisch über die Oberfläche verteilt. Ob und inwieweit die auf der Oberfläche der Mikrokügelchen immobilisierten und dort offensichtlich fix festgelegten Proteine/Peptide in der Folge eine weitere Bindung zum Träger eingehen oder eingehen können, auf welchem die Kügelchen gelagert sind, oder ob eine Immobilisierung über einen Spacer, das heißt über ein Verbindungsglied erreicht wird, wobei das Verbindungsglied in diesem Fall nur das Mikrokügelchen sein kann, konnte das Erstgericht nicht feststellen. Hingegen steht aber fest, dass die Nanopartikel selbst in der Matrix frei vorliegen und nicht mit ihr nicht verbunden sind. Die Nanopartikel sind nicht als Spacer im Sinne des Klagepatents anzusehen.

Soweit die Rekursausführungen nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgehen, weil sie der Rechtsrüge zugrunde legen, dass die Allergene auf dem Microarray-Chip immobilisiert seien oder es zumindest sein müssten, ist die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt.

2.3. Nach dem ALEX/ALEX2-Testsystem werden die Allergene nicht – wie im Klagepatent – auf dem Träger direkt festgelegt, sondern werden an der Oberfläche von Nanopartikeln aufgebracht. Die Festlegung der Proteine/Peptide an den Nanopartikeln ist nicht als „Immobilisieren“ im Sinne des Klagepatents zu verstehen.

Im Testsystem von AlEX/ALEX2 werden die Allergene nicht mit dem Träger direkt verbunden, sondern sie werden an der Oberfläche von Nanopartikeln aufgebracht („präsentiert“), und diese Nanopartikel werden in einer Matrix auf dem Träger eingeführt. Durch das nachträgliche Einbringen der bereits mit den Allergenen versehenen Nanopartikel auf den Träger wird erreicht, dass die Allergene im Wesentlichen gleichmäßig auf der gesamten Oberfläche der Nanopartikel verteilt sind.

Das Merkmal M1.3 im Patentanspruch 1 kann in Kombination mit Absatz [0029] nur so verstanden werden, dass die Allergene auf dem Chip gebunden sind oder auf diesem anhaften. Ein solches Anhaften oder Binden der Nanopartikel (und damit der darauf immobilisierten Allergene) oder der Allergene an die Matrix ist aber im vorliegenden Fall von der Klägerin nicht bescheinigt worden. Daraus folgt, dass eine wortsinngemäße Verletzung des Anspruchs 1 des Klagepatents nicht stattfindet.

Zur Behauptung der Klägerin, dass Anspruch 1 nur die Immobilisierung der Allergene auf dem Microarray-Chip verlange und diese ausreiche, um das Klagepatent zu verletzen, und dass die Allergene nicht unmittelbar mit der Nitrocellulosematrix verbunden sein müssten, ist auszuführen, dass eine solche Auslegung des Begriffs „Immobilisierung der Allergene auf dem Microarray-Chip“ weder durch die Offenbarung des Streitpatents selbst gestützt wird, noch hätte die Fachperson bei objektiver Betrachtung den Patentansprüchen dieses Verständnis entnommen.

2.4. Fragen der äquivalenten Benützung stellen sich hier nicht. Die Klägerin hat behauptet, dass der von der Beklagten hergestellte Eingriffsgegenstand ihr Patent verletzte, weil es „alle patentgemäßen Merkmale“ wortsinngemäß verwirkliche. Damit wurde keine – für eine Fachperson – naheliegende (funktionsgleiche oder äquivalente) Ausführungsform behauptet (vgl 4 Ob 127/13z). Darauf weist die Klägerin in ihrem Rekurs auch zutreffend hin. Mangels entsprechender Behauptungen der Klägerin im erstinstanzlichen Sicherungsverfahren ist auf den diesbezüglichen Rekursvortrag nicht weiter einzugehen.

2.5. Lässt sich der vollständige Inhalt eines den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprechenden unvollständig gebliebenen Spruchs aus den Entscheidungsgründen logisch einwandfrei ergänzen, dann kann die Überprüfung „mit Sicherheit“ vorgenommen werden.

Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht in den Spruch der Entscheidung das in der Klage enthaltene Sicherungsbegehren aufgenommen. In der Zusammenfassung des Vorbringens in der bekämpften Entscheidung hat das Erstgericht auf das Vorbringen in der Gegenäußerung der Klägerin vom 14.5.2020, ON 10, und damit auf das in dieser Äußerung modifizierte Sicherungsbegehren Bezug genommen, sodass klar ist, dass das Erstgericht letztlich über dieses Begehren entscheiden wollte (Pimmer in Fasching/Konecny³ IV/1 § 477 ZPO Rz 79, 81). Die bekämpfte Entscheidung war daher mit der im Spruch ersichtlichen Maßgabe zu bestätigen.

3.1. Die Klägerin bekämpft im Kostenpunkt ausschließlich den Zuspruch der Kosten des Privat-Ergänzungsgutachtens von Patentalwalt DI Mag. Babeluk (./11) in Höhe von von EUR 9.600 (inkl 20 % Ust) mit dem Argument, dass das Ergänzungsgutachten nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen sei, weil sich die Beklagte durch ihre Rechts- und Patentanwälte selbst mit den Argumenten der Klägerin auseinandersetzen hätte können.

3.2. Bei technischer und rechtlicher Komplexität der Sache hat der unterlegene Antragsteller dem Antragsgegner die durch die Beziehung eines Patentanwalts zur Verfassung der wesentlichen Schriftsätze entstehenden Kosten in Form eines Zuschlags zu ersetzen.

3.3. Die Kosten vorprozessualer Sachverständigengutachten sind dann zu ersetzen, wenn sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren. Das ist zB bei technisch komplexen Problemen der Prozessvorbereitung und der Sammlung des Prozessstoffs der Fall. Im Provisorialverfahren, in dem der Sachverhalt einerseits nur zu bescheinigen ist, aber andererseits nur parate Bescheinigungsmittel zuzulassen sind, wird die Vorfrage der Zulässigkeit von Privatgutachten im Hauptverfahren keine Rolle spielen, weil sonst Sachverhalte von technischer und rechtlicher Komplexität im Provisorialverfahren überhaupt nicht bescheinigt und vorläufig beurteilt werden könnten (OLG Wien 5 R 2/08p, ÖBl 2008/62, 304 [Gamerith]). Diese Prüfung hat ex ante – also bezogen auf den Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen – zu erfolgen. Das Gutachten muss sich auf einen konkreten Rechtsstreit beziehen und gerade wegen des konkreten Prozesses in Auftrag gegeben worden sein (Obermaier, Kostenhandbuch³ Rz 1.425 ff mwN).

3.4. Mit dem Ergänzungsgutachten ./11 stellte die Beklagte dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten ./T fachlich ein anderes Bescheinigungsmittel gegenüber. Die Klägerin meint nun, es wäre kein Ergänzungsgutachten notwendig gewesen, weil sich die Beklagte durch ihre Rechts- und Patentanwälte mit den Argumenten der Klägerin selbst auseinandersetzen hätte können. Damit stellt die Klägerin die Zweckmäßigkeit des Ergänzungsgutachtens grundsätzlich nicht in Frage.

Es ist der Beklagten aber im Sicherungsverfahren zuzugestehen, auf die in den Beweismitteln der Gegenseite enthaltenen Bescheinigungen durch ein weiteres (ergänzendes) Gutachten jenes Patantanwalts zu erwidern, der in die Materie bereits eingearbeitet ist. Im vorliegenden Fall war das Gutachten daher ex ante betrachtet zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 393 Abs 1 EO sowie auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 43 Abs 2 erster Fall, 50 Abs 1 ZPO.

Ob die verzeichneten Kosten für die Beiziehung eines Patentanwalts zuzusprechen sind, hängt davon ab, ob seine Fachkenntnisse für die jeweils verzeichnete Leistung erforderlich und damit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren (17 Ob 19/08f). Der verzeichnete Patentanwaltszuschlag steht hier zu, weil für die Erwiderung eine technische Expertise erforderlich war.

5. Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands stützt sich auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 500 Abs 2 Z 1 lit b ZPO.

6. Der ordentliche Revisionsrekurs war nicht zuzulassen, weil Rechtsfragen der in § 528 Abs 1 ZPO genannten Qualität und von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung nicht zu lösen waren.

[Der Oberste Gerichtshof hat den außerordentlichen Revisionsrekurs am 27.9.2021 zurückgewiesen, 4 Ob 82/21v.]

Schlagworte

Gewerblicher Rechtsschutz – Patentrecht; Allergen-Assay auf Basis von Mikroanordnungen,

Textnummer

EW0001125

Anmerkung

Der Oberste Gerichtshof hat den außerordentlichen Revisionsrekurs am 27.9.2021 zurückgewiesen, 4 Ob 82/21v.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2021:03300R00120.20I.0305.000

Im RIS seit

16.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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