Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Alge und Dr. Englisch als weitere Richter in der Patentrechtssache der Klägerin T***** GmbH, *****, vertreten durch GEISTWERT Kletzer Messner Mosing Schnider Schultes Rechtsanwälte OG in Wien unter Mitwirkung von Patentanwalt DI Dr. Andreas Wildhack, gegen die Beklagte M***** GmbH, *****, vertreten durch Gassauer-Fleissner Rechtsanwälte GmbH in Wien unter Mitwirkung von Dr. Manuela Loidl und Patentanwältin Dr. Gerda Redl, wegen Unterlassung, Beseitigung, Auskunft, Rechnungslegung und Veröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 160.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Klägerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 5. März 2021, GZ 33 R 120/20i-23, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin ist Inhaberin des Klagepatents mit dem Titel „Allergen-Assay auf Basis von Mikroanordnungen“ und vertreibt einen patentgemäßen Allergietest. Nach Patentanspruch M1.3 werden beim Verfahren ein oder mehrere Allergene auf einem Microarray-Chip immobilisiert. „Immobilisieren“ bezieht sich nach Absatz [0029] der Patentschrift auf die Bindung oder das Anhaften des Proteins/Peptids an festen Trägern mit herkömmlichen Mitteln, mit oder ohne einen zusätzlichen Abstandhalter (Spacer) zwischen dem festen Träger und dem Allergen. Das Immobilisieren von Peptiden/Proteinen an einem Träger ist auf dem Gebiet wohl bekannt; im Rahmen der vorliegenden Erfindung ist jegliche Immobilisierung umfasst, zB kovalent, nicht-kovalent, insbesondere durch hydrophobe Wechselwirkungen mit beispielsweise Membranen bzw synthetischen Oberflächen usw.
[2] Die Beklagte produziert und vertreibt ebenfalls Allergietests. Beim Eingriffsgegenstand sind die Allergene nicht direkt mit dem Träger verbunden, sondern haften an der Oberfläche von Nanopartikeln an, die in einer Matrix auf dem Träger eingeführt werden. Dabei liegen die Nanopartikel frei in der Matrix vor und sind mit dieser nicht verbunden. Die Proteine sind jedoch mit den Nanopartikeln fest verbunden.
[3] Die Klägerin begehrt zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsbegehrens die Erlassung der einstweiligen Verfügung, wonach der Beklagten im Wesentlichen aufgetragen werden soll, es zu unterlassen, ein Verfahren zur Detektion eines IgE Immunglobulins, das an ein Allergen in einer Probe bindet und welches dadurch gekennzeichnet ist, dass ein oder mehrere gereinigte einzelne Allergene auf einem Microarray-Chip immobilisiert werden, zu verwenden, herzustellen, anzubieten, feilzuhalten, in Verkehr zu bringen, und/oder einzuführen. Das Merkmal M1.3 des Klagepatents umfasse den Begriff „Immobilisieren“ im Zusammenhang mit Proteinen oder Peptiden allgemein als die Bindung oder das Anhaften des Proteins/Peptids an festen Trägern und damit jegliche Art der Immobilisierung. Beim Eingriffsgegenstand seien die Allergene auf den Polystyrol-Kügelchen gebunden und solcherart auf dem Träger – nämlich der Nitrocellulose-Membran des Chip – immobilisiert.
[4] Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, im Streitpatent werde der Begriff „immobilisieren“ eng definiert, nämlich im Sinn einer Bindung oder Anbindung durch konventionelle Methoden, mit oder ohne Spacer. Im Zusammenhang mit dem Produkt der Beklagten würden die Allergene jedoch nicht mit dem Träger direkt verbunden, sondern seien an der Oberfläche von Nanopartikeln aufgebracht, welche frei in der Matrix vorlägen und mit ihr nicht verbunden seien. Es handle sich daher nicht um eine chemische Bindungsart oder eine vergleichbare Verbindung. Damit werde weder eine direkte noch indirekte Bindung zwischen dem Allergen und dem Träger realisiert.
[5] Die Vorinstanzen wiesen den Sicherungsantrag ab; das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig. Beim Eingriffsgegenstand seien die Nanopartikel keine Spacer (Abstandhalter zwischen Trägermatrix und Protein), da sie keine Schicht bildeten und mit der Matrix des Trägers nicht (chemisch) verbunden seien, sondern nur in dieser Matrix frei vorlägen. Die Festlegung der Proteine an den Nanopartikeln sei kein „Immobilisieren“ im Sinne des Patents, zumal nicht erwiesen sei, dass die auf den Mikrokügelchen festgelegten Proteine zu einer weiteren Bindung mit einer Trägeroberfläche befähigt wären.
[6] In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs macht die Klägerin geltend, dass der Eingriffsgegenstand wortsinngemäß Merkmal M1.3 des Patents verwirkliche. „Immobilisieren“ umfasse jegliche Immobilisierung, auch eine solche ohne Binden oder Anhaften, sondern durch mechanisches Immobilisieren der Allergene bzw der mit Allergenen beschichteten Nanopartikel aus Polystyrol in einer Matrix. Dadurch würden die Allergene auf dem Mikroarray-Chip gehalten.
Rechtliche Beurteilung
[7] Damit zeigt die Klägerin jedoch keine grobe Fehlbeurteilung der Vorinstanzen auf. Der Revisionsrekurs ist daher in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen nicht zulässig und somit zurückzuweisen.
[8] 1.1. Wie weit der Schutzumfang eines Patents reicht, kann nur durch Auslegung im Einzelfall beurteilt werden; von im Interesse der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden (krassen) Fehlbeurteilungen im Einzelfall abgesehen stellen sich in diesem Zusammenhang daher in der Regel keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO bzw § 528 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0071537 [T7]).
[9] 1.2. Eine Einzelfallentscheidung ist für den Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein grober Fehler bei der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnorm, konkret bei der Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffs der Unzumutbarkeit korrigiert werden müsste. Gebietet das Gesetz die Entscheidung nach billigem Ermessen, könnte letztlich nur eine eklatante Überschreitung dieses Ermessens aufgegriffen werden (RS0044088).
[10] 1.3. Nach § 22a PatG wird der Schutzbereich des Patents und der bekanntgemachten Anmeldung durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen. Dabei ist das Protokoll über die Auslegung des Art 69 des Europäischen Patentübereinkommens, BGBl 1979/350, in der jeweils geltenden Fassung sinngemäß anzuwenden.
[11] 1.4. Bei einer Auslegung nach diesen Grundsätzen ergeben sich keine wesentlichen Unterschiede zu einer Auslegung nach den §§ 914 ff ABGB (4 Ob 178/03k): Bei der Auslegung von Patentansprüchen sind die mit dem Patent verfolgten Ziele gegeneinander abzuwägen, und zwar ausreichender Schutz für den Patentinhaber und ausreichende Rechtssicherheit für Dritte. Für den ersten Gesichtspunkt ist die objektive Bedeutung der Erfindung, wie sie in den Patentansprüchen ihren Niederschlag gefunden hat, und nicht die subjektive Anstrengung des Erfinders maßgeblich; für den zweiten das, was der Fachmann bei objektiver Betrachtung den Patentansprüchen entnimmt (RS0118279). Der Schutzbereich des Patents muss für Außenstehende hinreichend sicher vorhersehbar sein (RS0118279 [T1]).
[12] 1.5. Bei der Beurteilung des Schutzumfangs darf über den Inhalt des Anspruchs auch dann nicht hinausgegangen werden, wenn die Beschreibung des Patents einen weitreichenden Anspruch gerechtfertigt hätte; der Patentinhaber wird nicht in weiterem Umfang geschützt, als er es verlangt hat (4 Ob 319/86; 4 Ob 124/89).
[13] 1.6. Konsequenz dieser Rechtslage ist eine erhöhte Bedeutung der Patentansprüche, während alle weiteren Teile des Patents zur Bestimmung des Schutzumfangs nur Hilfsfunktion haben (vgl Fox/Strobl in Stadler/Koller, PatG § 22a Rn 4). Bei klarer und unzweideutiger Fassung der Patentansprüche muss nicht unnötig auf die Beschreibung und die Zeichnungen rekurriert werden, um letztlich zu einer Auslegung zu gelangen, die ohnehin bereits unmittelbar durch den Wortlaut der Patentansprüche bestimmt ist (Fox/Strobl in Stadler/Koller, PatG § 22a Rn 40).
[14] 2.1. Für den Anlassfall bedeuten diese rechtlichen Grundsätze, dass Anspruch 1 des Klagspatents hinreichend deutlich klarstellt, dass die Immobilisierung der Allergene auf einem Chip zu erfolgen hat.
[15] 2.2. Wenn die Vorinstanzen angesichts dieser Formulierung des (für die Auslegung vorrangig heranzuziehenden) Patentanspruchs den in der nachfolgenden Beschreibung verwendeten Begriff „fester Träger“ synonym als „Chip“ gelesen haben, ist dies vertretbar, zumal diese Lesart mit Absatz [0029] der Patentschrift in Einklang zu bringen ist, dessen Auslegung ergibt, dass (nur) ein Chip und nicht die Nanopartikel als Träger angesehen werden. Abgesehen davon spricht auch Absatz [0052] von festen Trägern, zählt solche beispielhaft auf und fährt fort: „Solche Chips …“. Auch Absatz [0054] spricht explizit von der Bindung der Allergene „an den Chip“.
[16] 2.3. Dem Rekursgericht ist daher mit seiner Beurteilung des Nichtvorliegens einer Patentverletzung keine grobe Fehlbeurteilung unterlaufen, die vom Obersten Gerichtshof aufzugreifen wäre.
Textnummer
E133083European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00082.21V.0917.000Im RIS seit
16.11.2021Zuletzt aktualisiert am
19.11.2021