TE Bvwg Beschluss 2021/6/11 W212 2241676-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.06.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

11.06.2021

Norm

AsylG 2005 §5 Abs1
BFA-VG §16 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §33 Abs1

Spruch


W212 2241676-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. SINGER als Einzelrichterin nach Beschwerdevorentscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.04.2021, aufgrund des Vorlageantrages sowie über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von XXXX alias XXXX , geb. am XXXX , StA Afghanistan, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, über die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.03.2021, ZI. 1271993110/201230341, beschlossen:

A)

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 19.04.2021 wird gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde wird gemäß § 16 Abs. 1 BFA-VG als verspätet zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine volljährige afghanische Staatsbürgerin, stellte am 07.12.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes fand am 08.12.2020, die niederschriftliche Erstbefragung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 02.03.2021 statt.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.03.2021 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass gemäß Art. 18 Abs. 1 der Dublin III-VO Italien für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Gleichzeitig mit diesem Bescheid wurden der Beschwerdeführerin die Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG vom 02.03.2021 und ihre Verfahrenskarte mittels RSa-Brief zugeschickt. Die Zustellung erfolgte nach einem Zustellversuch an der Abgabestelle der Beschwerdeführerin durch Hinterlegung beim zuständigen Postamt am 04.03.2021.

3. Am 15.03.2021 sandte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen Zustellschein an die Betreuungseinrichtung der Beschwerdeführerin, mit dem eine Kopie des Bescheides und die Verfahrensanordnung zur Rechtsberatung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG übermittelt wurden.

4. Mit, per E-Mail eingebrachten, Schriftsatz vom 29.03.2021 erhob die Beschwerdeführerin das Rechtsmittel der Beschwerde gegen diesen Bescheid.

5. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 07.04.2021 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid vom 02.03.2021 als verspätet zurückgewiesen.

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass der gegenständliche Bescheid mit 19.03.2021 in Rechtskraft erwachsen sei. Der Bescheid sei am 04.03.2021 mittels RSa-Brief beim zuständigen Postamt hinterlegt und somit ordnungsgemäß zugestellt worden. Die zweiwöchige Rechtsmittelfrist habe somit am 04.03.2021 zu laufen begonnen. Der Bescheid sei postalisch zugestellt worden, weil aus Gründen der Sparsamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit auch die Verfahrensanordnung gemäß § 52 BFA-VG und eine Verfahrenskarte gemäß § 50 AsylG per RSa an die Beschwerdeführerin geschickt worden seien. Der elektronische Versand einer Bescheidkopie am 15.03.2021 sei auf Nachfrage der BBU GmbH erfolgt, da diese vorbrachten den Bescheid nicht beheben zu können. Die Kopie des Bescheides sei innerhalb der Rechtsmittelfrist übernommen worden. Die am 29.03.2021 eingebrachte Beschwerde sei somit als verspätet zurückgewiesen worden.

6. Mit Schriftsätzen vom 19.04.2021 brachte die Beschwerdeführerin fristgerecht einen Vorlageantrag und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein.

Der Vorlageantrag besteht inhaltlich aus der Beschwerdeschrift vom 29.03.2021 und enthält darüber hinaus kein Vorbringen zur Entkräftung des Verspätungsvorhaltes.

Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand brachte die Beschwerdeführerin zusammengefasst vor, die Wiedereinsetzungswerberin habe den Bescheid und die Übernahmebestätigung durch ihre Betreuerin in der Betreuungseinrichtung am 15.03.2021 erhalten. Daraufhin sei ein Termin bei der BBU Rechtsberatung vereinbart und der Bescheid und die dazugehörige Übernahmebestätigung durch die Wiedereinsetzungswerberin übermittelt worden. Erst mit dem Verspätungsvorhalt in der Beschwerdevorentscheidung vom 07.04.2021 habe die Wiedereinsetzungswerberin sowie die BBU erfahren, dass die belangte Behörde von einer verspäteten Einbringung der Beschwerde ausgehe. Beim Rechtsberatungsgespräch durch die BBU Rechtsberatung sei nur der, von der Betreuungseinrichtung übernommene, Zustellschein des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.03.2021 von der Wiedereinsetzungswerberin vorgelegt worden. Da die Zustellung nach § 11 Abs. 3 BFA-VG bei Personen in Bundesbetreuung üblich und der Bescheid durch Zustellschein auch an der zuständigen Betreuungseinrichtung zugestellt worden sei, sei die BBU Rechtsberatung korrekterweise von einer ordnungsgemäßen Zustellung am 15.03.2021 ausgegangen. Der Irrtum über die bereits am 04.03.2021 erfolgte Zustellung durch Hinterlegung beim Postamt stelle ein unvorhergesehenes Ereignis dar. Dabei handle es sich um einen Fehler, der in einer derartigen Situation auch einem sorgfältigen Menschen unterlaufen könne und der Wiedereinsetzungswerberin daher, wenn überhaupt nur ein minderer Grad an Verschulden angelastet werden.

Vorgelegt wurde der unterfertigte Zustellschein vom 15.03.2021

7. Die Beschwerdevorlage zusammen mit dem Vorlageantrag und dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand langten am 21.04.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

8. Am 04.05.2021 langte eine Meldung der Landespolizeidirektion Wien über eine versuchte Selbstverletzung der Beschwerdeführerin beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin, eine afghanische Staatsbürgerin, stellte am 07.12.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.03.2021 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass gemäß Art. 18 Abs. 1 der Dublin III-VO Italien für die Prüfung des Antrages zuständig ist. Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig ist.

Der Bescheid wurde zusammen mit der Verfahrensanordnung gemäß § 52 BFA-VG und der Verfahrenskarte gemäß § 50 AsylG mittels RSa-Brief an die Abgabestelle der Beschwerdeführerin geschickt. Die Beschwerdeführerin konnte am 04.03.2021 an der Abgabestelle nicht angetroffen werden, weswegen eine Hinterlegung beim zuständigen Postamt erfolgte. Eine Verständigung der Hinterlegung wurde an der Abgabestelle zurückgelassen.

Ihre Abgabestelle war in der Bundesbetreuungseinrichtung der BBU GmbH in der XXXX in XXXX .

Am 15.03.2021, innerhalb der offenen Beschwerdefrist, schickte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auf Nachfrage eine Kopie des Bescheides, eine Verfahrensanordnung gemäß § 52 BFA-VG und einen Zustellschein an die Betreuungseinrichtung der Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerin übernahm die Kopie des Bescheides persönlich.

Der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erwuchs am 19.03.2021 in Rechtskraft.

Die von der Beschwerdeführerin am 29.03.2021 per E-Mail eingebrachte Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom 07.04.2021 als verspätet zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführerin brachte daraufhin am 19.04.2021 einen Vorlageantrag gemeinsam mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei der belangten Behörde ein, die dem Bundesverwaltungsgericht am 21.04.2021 vorgelegt wurden.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der festgestellte Sachverhalt ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

Die Feststellungen zur ordnungsgemäßen Zustellung des Bescheides durch Hinterlegung, ergeben sich ebenfalls aus dem Verwaltungsakt und dem darin befindlichen unbedenklichen Zustellnachweis.

Die Feststellung zur Abgabestelle der Beschwerdeführerin ergibt sich aus Einsicht in das Zentrale Melderegister.

Die Feststellung zur persönlichen Übernahme der Bescheidkopie durch die Beschwerdeführerin ergibt sich aus dem im Verwaltungsakt befindlichen unterschriebenen Zustellschein.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 1 VwGVG ist das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBL I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Zu Spruchteil A)

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG durch Beschluss. Da im vorliegenden Fall gemäß § 33 Abs. 4 dritter Satz VwGVG das Verwaltungsgericht über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Beschluss zu entscheiden hat und auch die Beschwerde zurückzuweisen ist, ist über beide Spruchpunkte in Beschlussform zu entscheiden. Gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG sind die Erkenntnisse zu begründen, für Beschlüsse ergibt sich aus § 31 Abs. 3 VwGVG eine sinngemäße Anwendung.

Zu Spruchteil A) I. Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat – eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Gemäß § 33 Abs. 3 VwGVG ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen.

Gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG hat bis zur Vorlage der Beschwerde die Behörde über den Antrag mit Bescheid zu entscheiden. § 15 Abs. 3 ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden. Die Behörde oder das Verwaltungsgericht kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten, dass grundsätzlich die in der Rechtsprechung zu § 71 AVG entwickelten Grundsätze auf § 33 VwGVG übertragbar sind (vgl. VwGH vom 25.11.2015, Ra 2015/06/0113 sowie VwGH vom 30.05.2017, Ra 2017/19/0113).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers gesteckt wird (vgl. etwa VwSlg. 11.312/A sowie VwGH vom 21.05.1997, Zl. 96/21/0574). Den Antragsteller trifft somit die Obliegenheit, im Antrag konkret jenes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis zu beschreiben, das ihn an der Einhaltung der Frist gehindert hat. Es ist daher ausschließlich das Vorbringen der Beschwerdeführerin bzw. Wiedereinsetzungswerberin in ihrem Antrag vom 19.04.2021 auf seine Tauglichkeit als Wiedereinsetzungsgrund zu prüfen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies die Beschwerde gegen den Bescheid vom 02.03.2021 mit Beschwerdevorentscheidung vom 07.04.2021 als verspätet zurück. Mit Schriftsatz vom 19.04.2021 wurde bei der belangten Behörde zusammen mit dem Antrag auf Vorlage der Beschwerde gegen den Bescheid vom 02.03.2021 auch ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingebracht.

Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Ereignis unabwendbar ist, kommt es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf objektive Umstände an, nämlich darauf, ob das Ereignis auch von einem Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden kann (vgl. VwGH vom 24.01.1996, Zl. 94/12/0179). Ob ein Ereignis unvorhergesehen ist, hängt hingegen nach der Rechtsprechung nicht von einer objektiven Durchschnittsbetrachtung, sondern vom konkreten Ablauf der Geschehnisse ab. Unvorhergesehen ist ein Ereignis dann, wenn es von der Partei tatsächlich nicht einberechnet wurde und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte (vgl. VwGH vom 03.04.2001, Zl. 2000/08/0214).

Nach der zu § 71 Abs. 1 AVG ergangenen und – insoweit auf § 33 Abs. 1 VwGVG übertragbaren – Rechtsprechung ist das Verschulden des Vertreters dem Verschulden des vertretenen Wiedereinsetzungswerbers gleichzusetzen. Es hat dieselben Rechtswirkungen wie das Verschulden der Partei. Der Machtgeber muss sich das Verschulden des Machthabers zurechnen lassen. Das Verschulden, welches den Bevollmächtigten der Partei trifft, ist so zu behandeln, als wäre es der Partei selbst unterlaufen, gleichgültig ob der Wiedereinsetzungswerber von einem Rechtsanwalt oder sonst einer Vertrauensperson vertreten wird (vgl. Hengstschläger/Leeb, „AVG“, § 71 Rz 44 samt weiteren Nachweisen).

Ein Verschulden der Partei bzw. des Vertreters hindert die Wiedereinsetzung nur dann nicht, wenn es sich dabei lediglich um einen minderen Grad des Versehens (leichte Fahrlässigkeit) handelt. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (vgl. VwGH vom 29.01.2014, Zl. 2001/20/0425).

Auch ein Irrtum über den Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides kann einen Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand darstellen. Aber nur, wenn die Unkenntnis von der ordnungsgemäßen Zustellung nicht auf einem Verschulden der Partei beruht, welches den minderen Grad des Versehens übersteigt, ist sie geeignet, einen Wiedereinsetzungsantrag zu begründen (vgl. Hengstschläger/Leeb, „AVG“, § 73 Rz 73 mit weiteren Hinweisen).

Gemäß § 11 Abs. 3 BFA-VG können Zustellungen an Fremde, soweit sie nicht durch eigene Organe des Bundesamtes oder des Bundesverwaltungsgerichtes vorgenommen werden, durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes oder durch Organe der Betreuungseinrichtungen des Bundes (§ 1 Z 7 GVG-B) erfolgen. Eine allenfalls notwendige Hinterlegung hat diesfalls bei der nächsten Dienststelle der Landespolizeidirektion oder bei der Betreuungseinrichtung des Bundes zu erfolgen. § 17 Abs. 3 Satz 1 bis 3 ZustG gilt sinngemäß.

In den Gesetzesmaterialen wird zu § 11 Abs. 3 BFA-VG erläutert, dass für Zustellungen im Asylverfahren die Möglichkeit geschaffen werden soll, Zustellungen auch durch Organe der Betreuungseinrichtungen des Bundes, in welcher der Asylwerber versorgt wird, vornehmen zu lassen (vgl. RV, BlgNr. 1523, 25. GP, Seite 44). Eine ausdrückliche Verpflichtung zur Zustellung durch die Organe der Betreuungseinrichtungen ergibt sich daraus jedenfalls nicht.

Die Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl den Bescheid postalisch anstatt durch die Organe der Betreuungseinrichtungen des Bundes zustellen zu lassen, hat somit keine Wirkung auf die ordnungsgemäße Zustellung des Bescheides durch Hinterlegung und den damit einhergehenden Beginn und Ablauf der zweiwöchigen Rechtsmittelfrist.

Im vorliegenden Fall wurde der Bescheid ordnungsgemäß durch Hinterlegung am 04.03.2021 zugestellt. Zu keinem Zeipunkt wurde eine Erklärung abgegeben, warum der Bescheid nicht behoben wurde. Während der offenen Beschwerdefrist ersuchte die Bundesbetreuungseinrichtung der Beschwerdeführerin das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl um Übermittlung des Bescheides. Die Behörde kam dem nach und übermittelte einen Zustellschein, eine Bescheidkopie und die Verfahrensanordnung per E-Mail. Am 15.04.2021 übernahm die Beschwerdeführerin persönlich die Bescheidkopie. Auf dem Zustellschein wurde der Bescheid explizit als Kopie bezeichnet, wobei das Wort Kopie in Großbuchstaben geschrieben war.

Es kann seitens der BBU GmbH als Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin nicht von einem minderen Grad des Verschuldens ausgegangen werden. Aus dem Wiedereinsetzungsantrag ergibt sich eindeutig, dass der BBU GmbH der Zustellschein übergeben wurde, worauf der Bescheid explizit als Kopie bezeichnet wurde. Der BBU hätte dies auffallen müssen und die notwendige Sorgfalt zu treffen gehabt zu ermitteln, warum der Bescheid von der Behörde als Kopie bezeichnet wurde und auf diesen Umstand durch Großbuchstaben besonders hingewiesen wurde. Es ergibt sich, dass der Bescheid postalisch durch Hinterlegung zugestellt wurde und kein unvorhergesehenes Ereignis vorliegt, das eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen würde. Die Zustellung mittels Zustellschein durch die Betreuungseinrichtungen des Bundes gemäß § 11 Abs. 3 BFA-VG mag zwar in vielen Fällen die übliche Art der Zustellung an Asylwerber sein, gibt es hierzu aber, wie oben bereits ausgeführt, keine gesetzliche Verpflichtung. Die BBU GmbH kann nicht zwangsläufig davon ausgehen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Zustellungen immer nur nach § 11 Abs. 3 BFA-VG vornimmt.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war demnach spruchgemäß als unbegründet abzuweisen.

II. Zurückweisung der Beschwerde:

Gemäß § 16 Abs. 1 BFA-VG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesamtes in den Fällen des Abs. 2 und des § 7 Abs. 2 AsylG 2005, abweichend von § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG zwei Wochen. In § 16 Abs. 2 Z 1 wird eine Beschwerde gegen eine Entscheidung mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen und diese mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist, genannt.

Gemäß § 32 Abs. 2 AVG enden nach Wochen bestimmte Fristen mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche, der durch seine Benennung dem Tag entspricht, an die Frist begonnen hat.

Beginn und Lauf einer Frist werden gemäß § 33 Abs. 1 AVG durch Samstage, Sonntage oder gesetzliche Feiertage nicht behindert. Fällt jedoch das Ende der Frist auf einen Samstag, Sonntag, gesetzlichen Feiertag, Karfreitag oder 24. Dezember, so ist gemäß § 33 Abs. 2 AVG der nächste Tag, der nicht einer der vorgenannten Tage ist, als letzter Tag der Frist anzusehen.

Eine nach Wochen bestimmte Frist endet demnach um Mitternacht (24:00 Uhr) des gleich bezeichneten Tages der letzten Woche der Frist (VwGH vom 18.10.1996, Zl. 96/09/0153, mwN).

Gemäß § 21 AVG sind Zustellungen nach dem Zustellgesetz (ZustG) vorzunehmen.

Gemäß § 21 ZustG dürfen dem Empfänger zu eigenen Handen zuzustellende Sendungen nicht an einen Ersatzempfänger zugestellt werden.

Gemäß § 17 Abs. 1 ZustG ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen, wenn das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann und der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält.

Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen (§ 17 Abs. 2 ZustG). Gemäß § 17 Abs. 3 ZustG ist das hinterlegte Dokument mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginn mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt.

Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt gemäß § 7 ZustG die Zustellung in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist.

Ist der Bescheid dem Adressaten tatsächlich zugekommen, so wurde dadurch jedenfalls eine Heilung eines allfälligen Zustellmangels bewirkt, wofür es eines formellen Zustellnachweises nicht bedurfte (vgl. VwGH 25.04.2006, 2003/21/0034). Maßgeblich ist für den Tatbestand des „tatsächlichen Zukommens“, dass der Bescheid im Original tatsächlich (körperlich) in Empfang genommen wird (vgl. VwGH 16.07.2014, 2013/01/0173). Jedoch kann eine wirksame Zustellung durch Übermittlung einer Kopie des ursprünglichen Originals des Bescheides nach den zustellrechtlichen Vorschriften erfolgen (vgl. VwGH 29.08.1996, 95/06/0128). Die bloße Kenntnisnahme bewirkt nicht, dass das Schriftstück tatsächlich zugekommen und eine Heilung des Zustellmangels iSd § 7 ZustG eingetreten ist (VwGH 24.03.2015, 2014/05/0013).

Aus dem beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 08.03.2021 eingelangten Rückschein (AS 191) ergibt sich, dass der Bescheid vom 02.03.2021 nach erfolglosem Zustellversuch am 04.03.2021 an der Abgabestelle der Beschwerdeführerin, beim zuständigen Postamt hinterlegt, eine Verständigung über die Hinterlegung an der Abgabestelle zurückgelassen wurde und die Abholfrist am 04.03.2021 zu laufen begann. Die zweiwöchige Rechtsmittelfrist begann somit ebenfalls am 04.03.2021 zu laufen, endete am 18.03.2021 und wurde der Bescheid am 19.03.2021 rechtskräftig.

Selbst wenn der Bescheid beim Postamt von der Beschwerdeführerin aus nicht dargestellten Gründen nicht zu beheben gewesen wäre, hätte eine Heilung der Zustellung stattgefunden. Der Beschwerdeführerin wurde durch die Behörde nämlich eine Kopie des ursprünglichen Originalbescheides übermittelt und ist ihr durch persönliche Übernahme am 15.03.2021 tatsächlich zugekommen. Wie oben bereits ausgeführt, ist die Bescheidkopie mittels Zustellschein ordnungsgemäß zugestellt worden.

Die am 29.03.2021 eingebrachte Beschwerde war daher jedenfalls verspätet.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist im Verwaltungsverfahren das sogenannte „Überraschungsverbot“ zu beachten. Darunter ist das Verbot zu verstehen, dass die Behörde in ihre rechtliche Würdigung Sachverhaltselemente einbezieht, die der Partei nicht bekannt waren. Daraus folgert der Verwaltungsgerichtshof, dass der Partei eine Verspätung eines Rechtsbehelfs vorzuhalten ist, und zwar selbst eine nach dem Akteninhalt offenkundige Verspätung eines Rechtsbehelfs. Die zum „Überraschungsverbot“ entwickelten Grundsätze sind auch für das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten maßgeblich, weil von den Verwaltungsgerichten auf dem Boden des § 17 VwGVG sowohl das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs 2 AVG als auch der Grundsatz der Einräumung von Parteiengehör im Sinne des § 45 Abs 3 AVG zu beachten sind. Vgl. mwN VwGH 18.06.2020, Ra 2019/10/0080.

Im vorliegenden Fall ist der belangten Behörde anzulasten, dass sie einen derartigen „Verspätungsvorhalt“ unterlassen hat. Dieser Verfahrensmangel konnte jedenfalls durch das verwaltungsgerichtliche Verfahren saniert werden; vgl. z. B. VwGH 26.02.2019, Ra 2019/06/0011.

Nach VwGH 20.12.2017, Ra 2017/03/0069, ist eine Verletzung des Parteiengehörs durch die Verwaltungsbehörde dann als saniert anzusehen, wenn die Partei Gelegenheit gehabt hat, zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens im Rechtsmittel gegen den Bescheid Stellung zu nehmen. Dies setzt voraus, dass der Partei unter anderem durch die Begründung des verwaltungsbehördlichen Bescheids Kenntnis von den Beweisergebnissen verschafft wurde, die ihr eigentlich im Rahmen des Parteiengehörs zu vermitteln gewesen wären.

Die belangte Behörde hat, wie aus dem Verwaltungsakt hervorgeht, der Beschwerdeführerin vor Zurückweisung der Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom 07.04.2021 die Verspätung ihrer Beschwerde nicht vorgehalten. Allerdings hatte die Beschwerdeführerin in Gestalt des Vorlageantrages und des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Gelegenheit sich zu den maßgeblichen Sachverhaltselementen zu äußern, was sie auch tat.

Im Vorlageantrag der Beschwerdeführerin wurde jedoch nichts vorgebracht, was Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zustellvorganges bzw. des Beginnes und Ablaufes der Rechtsmittelfrist aufkommen ließe.

Die Beschwerdevorentscheidung war daher zu bestätigten und die Beschwerde spruchgemäß zurückzuweisen.

Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen ist dem Bundesverwaltungsgericht aufgrund der Verspätung verwehrt (vgl. VwGH 16.11.2005, 2004/08/0117).

III. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung

Im gegenständlichen Fall konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG – trotz eines entsprechenden Antrages – eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt bereits aus der Aktenlage geklärt erscheint. Zudem ist in § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG explizit geregelt, dass eine Verhandlung entfallen kann, wenn – wie gegenständlich – die Beschwerde zurückzuweisen ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art 133 Abs. 4 erster Satz B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des VwGH abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des VwGH nicht einheitlich beantwortet wurde.

Im vorliegenden Fall ist die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Die tragenden Elemente der Entscheidung liegen allein in der Bewertung der Asyl- und Aufnahmesituation Italien sowie der dortigen Versorgungslage, welche sich aus den umfassenden und aktuellen Länderberichten ergibt. Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte, des EuGH und des EGMR beziehungsweise auf eine ohnehin klare Rechtslage zur Dublin III-VO stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den rechtlichen Erwägungen wiedergegeben.

Schlagworte

mangelnder Anknüpfungspunkt rechtliche Beurteilung Verspätung Voraussetzungen VwGH Wiedereinsetzungsantrag Zustellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W212.2241676.1.00

Im RIS seit

15.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten