Entscheidungsdatum
21.06.2021Norm
AVG §78Spruch
W123 2237585-2/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Kosovo, gegen den Bescheid Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.05.2021, Zl. 1246566610-200996885, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) vom 17.10.2019, Zl. 1246566610-190959415, wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 Z 2 FPG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Kosovo zulässig sei (Spruchpunkt II) und gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 FPG ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.).
In der rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt III. (Einreiseverbot) wies die belangte Behörde daraufhin, dass das Fehlverhalten des Beschwerdeführers, nämlich die Verwendung gefälschter Dokumente und die damit einhergehende Täuschung vermeintlich legalisierten Aufenthaltes über die durchaus beachtliche Zeit von über vier Jahren, in jedem Fall geeignet sei, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden. Dieses Fehlverhalten falle somit unter § 53 Abs. 2 Z 3 FPG.
2. Mit Schriftsatz vom 06.10.2020 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Aufhebung der Einreisesperre.
3. Mit dem Bescheid der belangten Behörde vom 14.10.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Verkürzung/Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2019, Zl. 1246566610-190959415, gegen das erlassene Einreiseverbot gemäß § 60 Abs. 2 FPG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 78 AVG wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, Bundesverwaltungsabgaben in der Höhe von EUR 6,50 binnen 4 Wochen zu entrichten (Spruchpunkt II.).
In der rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt I. verwies die belangte Behörde auf den Tatbestand des § 60 Abs. 2 FPG, wonach unter anderem Voraussetzung für eine Verkürzung bzw. Aufhebung des Einreiseverbotes ist, dass mehr als die Hälfte des seinerzeitigen Einreiseverbotes bereits im Ausland verbracht worden sein müsse. Aus den im Akt befindlichen Beweismitteln gehe eindeutig hervor, dass der Beschwerdeführer am 04.10.2019 aus Österreich ausgereist sei. Die gegen den Beschwerdeführer erlassene Rückkehrentscheidung sei mit 20.11.2019 in Rechtskraft erwachsen. Der Antrag auf Verkürzung bzw. Aufhebung des Einreiseverbotes sei am 06.10.2020 gestellt worden. Das Einreiseverbot sei für die Dauer von drei Jahren befristet worden. Es sei somit noch nicht die Hälfte des Einreiseverbotes verstrichen und komme eine Aufhebung oder Verkürzung daher nicht in Frage. Überdies wies die belangte Behörde daraufhin, dass keine Gründe hervorgekommen seien, wonach Art. 8 EMRK die Verkürzung oder Aufhebung des Einreiseverbotes verlangen würden.
4. Mit E-Mail vom 29.10.2020 erstattete Frau XXXX eine Stellungnahme betreffend den abgewiesenen Bescheid des Beschwerdeführers. Frau XXXX brachte vor, dass sie mit dem Beschwerdeführer verheiratet sei und verwies auf die beigelegte Heiratsurkunde. Der Grund für den Antrag auf Aufhebung des Einreiseverbotes bestehe darin, dass Frau XXXX mit dem Beschwerdeführer verheiratet sei und hier mit ihrem Mann in Österreich zusammenleben möchte.
5. Mit Schriftsatz vom 16.11.2020 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde und stellte den Antrag auf Aufhebung der Einreisesperre vom 06.10.2020, in eventu die Dauer der Einreisesperre zu verkürzen.
6. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.02.2021, W123 2237585-1, wurde der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben, weil das Verstreichen der Hälfte des Einreiseverbotes keine Voraussetzung nach
§ 60 Abs. 1 FPG ist und sich die belangte Behörde somit auf eine falsche Rechtsgrundlage stützte.
7. Mit Schreiben vom 25.02.2021 gab der Beschwerdeführer die Bevollmächtigung seines Rechtsvertreters bekannt und beantragte erneut die Aufhebung (in eventu: Verkürzung) des 3-jährigen Einreiseverbots. Dazu führte er aus, dass der Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers und seiner Ehegattin nicht durch einen Grund des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt werde. Es sei zu berücksichtigen, dass die Ausweisung nicht mit einer (justiz-) strafrechtlichen Handlung in Zusammenhang stehe.
8. Am 17.03.2021 wurde die Ehefrau des Beschwerdeführers von der belangten Behörde als Zeugin vernommen. Die Niederschrift lautet auszugsweise wie folgt:
„[…]
F.: In welcher Beziehung stehen Sie zu Hr. XXXX ?
A.: Wir sind seit 09.03.2020 verheiratet.
F.: Schildern Sie den Verlauf Ihrer Beziehung mit Hr. XXXX . Wann haben Sie sich kennengelernt, wo und wie, seit wann sind Sie in einer Beziehung,…?
A.: Wir haben uns per Facebook kennengelernt, am 04.11.2017. Wir haben uns gegenseitig geschrieben, dann am 12.11.2017 haben wir uns in Linz getroffen. So richtig in einer Beziehung sind wir seit wir uns persönlich getroffen haben. Wir haben unsere Eltern kennengelernt am 04.01.2020 haben wir uns verlobt, im Kosovo. Am 09.03.2020 haben wir standesamtlich geheiratet.
F.: Unter welchem Namen haben Sie Ihren nunmehrigen Gatten kennengelernt, welchen Namen hat er auf Facebook verwendet?
A.: XXXX war sein Name auf Facebook. Persönlich hat er sich als XXXX vorgestellt, aber beim Reden hat er mir schon erzählt, dass er unter einer anderen Identität hier ist. Ich habe ihm gesagt, er soll das korrigieren, aber er hatte einen Job, bis er erwischt wurde.
F.: Wann und wo haben Sie geheiratet?
A.: Wir haben am 09.03.2020 im Kosovo geheiratet.
F.: Wie gestaltete sich die Beziehung nach der Ausreise von Hr. XXXX im Jahr 2019?
A.: Ich habe ihn 2020 5 Mal im Kosovo besucht, vor kurzem war ich 1 ½ Monate bei ihm. Ich besuche ihn so oft ich kann. Wir haben auch telefonischen Kontakt und über what’s app.
F.: Haben Sie Kinder, sind Sie schwanger?
A.: Nein.
F.: Wie gestaltet sich aktuell das Familienleben?
A.: Mein Mann lebt im Kosovo, er ist Fliesenleger im Außenbereich, er verlegt Pflastersteine, aber im Moment hat er aufgrund der aktuellen Situation keine Arbeit. Ich unterstütze ihn finanziell, soweit ich kann.
F.: Wie lange haben Sie wo mit Ihrem Gatten zusammengelebt?
A.: Wenn ich ihn im Kosovo besuche, wohne ich bei ihm und seiner Familie. Nachgefragt gebe ich an, er hat seine Mutter, seinen Vater und einen Bruder im Kosovo, sie wohnen zu viert zusammen. So richtig in einer Wohnung zusammen haben wir nie gelebt, auch nicht in Österreich.
F.: Erhalten Sie derzeit finanzielle Unterstützung von Ihrem Gatten?
A.: Nein, ich unterstütze ihn wenn ich kann.
F.: Welche Verwandten hat Ihr Gatte in Österreich und wie ist Ihr Kontakt mit diesen?
A.: Ja, er hat 4 Onkel hier in St. Pölten und eine Tante in St. Pölten und Tante XXXX in Linz. Ich habe alle kennengelernt und habe mit ihnen Kontakt.
F.: Seit wann wissen Sie, dass Ihr Gatte nicht nach Österreich einreisen darf?
A.: Seit 2019, als er ausreisen musste.
F.: Kennen Sie den Grund für das Einreiseverbot, das gegen Ihren Gatten ausgesprochen wurde?
A.: Ja, weil er illegal mit falschen Dokumenten da war.
[…]“
9. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 11.05.2021 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Verkürzung/Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2019, Zl. 1246566610-190959415, gegen das erlassene Einreiseverbot gemäß § 60 Abs. 2 FPG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 78 AVG wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, Bundesverwaltungsabgaben in der Höhe von EUR 6,50 binnen 4 Wochen zu entrichten (Spruchpunkt II.).
Begründend führte die belangte Behörde zu Spruchpunkt I. aus, dass der seit der Ausreise verstrichene Zeitraum nicht ausreiche, um einen Wegfall oder eine wesentliche Minderung der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers ausgehen zu können. Die Eheschließung sei im vollen Wissen um dessen rechtliche Situation in Österreich erfolgt. Die für die Erlassung des Einreiseverbots maßgeblichen Umstände hätten sich nicht in entscheidungsrelevanter Weise geändert. Es seien auch keine Umstände hervorgekommen, wonach Art. 8 EMRK die Verkürzung oder Aufhebung des Einreiseverbots verlangen würde, sodass der Antrag abzuweisen gewesen sei.
10. Aus dem Aktenvermerk vom 11.05.2021 ergibt sich, dass für den neuerlichen Bescheid nach Aufhebung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Antragsgebühr verrechnet wurde.
11. Gegen den oben genannten Bescheid der belangten Behörde vom 11.05.2021 richtet sich die am 02.06.2021 fristgerecht eingebrachte Beschwerde, in der der Beschwerdeführer zusammengefasst vorbrachte, dass seine Frau in Österreich wohne und arbeite. Diese führe mit ihren in Gehreichweite entfernt lebenden Eltern ein enges Familienleben. Angesichts ihres Einkommens sei ein oftmaliger Besuch im Kosovo nicht zumutbar. Derzeit bestünden strenge Quarantänebestimmungen. Hinsichtlich des Strafverfahrens gelte die Unschuldsvermutung, die der angefochtene Bescheid verletze. Der verstrichene Zeitraum von mehr als der Hälfte des Einreiseverbots reiche aus, um eine wesentliche Minderung der ursprünglich angenommenen Gefährlichkeit anzunehmen. Der Beschwerdeführer habe 2020 das A1- und 2021 das A2-Deutschzertifikat erworben. Außerdem habe er geheiratet und beabsichtige, ein Familienleben zu führen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angegebene Identität (Name und Geburtsdatum), ist Staatsangehöriger des Kosovo, gesund und kinderlos.
1.2. Der Beschwerdeführer hält sich derzeit im Kosovo auf. Er ist seit .2020 mit der österreichischen Staatsbürgerin XXXX , verheiratet. Die Ehegattin des Beschwerdeführers lebt in Österreich und ist als Servicekraft ohne Inkasso bei einer Bäckerei in Österreich in einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis. Ihr Nettoeinkommen beträgt ca. EUR 1.365,- im Monat. Sie besuchte ihn bereits mehrmals im Kosovo.
In Österreich leben auch ein Onkel und eine Tante des Beschwerdeführers.
1.4. Der Beschwerdeführer hielt sich von 26.03.2015 bis zu seiner freiwilligen Ausreise am 04.10.2019 in Österreich auf. Bis 19.09.2019 erfolgte sein Aufenthalt unter einer falschen Identität.
Der Beschwerdeführer wurde wegen seines illegalen Aufenthalts mit seit 10.10.2019 rechtskräftiger Strafverfügung bestraft.
1.5. Gegen den Beschwerdeführer wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 17.10.2019, Zl. 1246566610-190959415, rechtskräftig seit 20.11.2019, ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 2 FPG erlassen, weil er über eine Zeit von über 4 Jahren durch die Verwendung gefälschter Dokumente und der vermeintlichen Identität eines EU-Bürgers Arbeitgeber, Sozialversicherungsträger, ein Kreditinstitut und Behörden täuschte sowie sich seinen Aufenthalt im Bundesgebiet, die Berechtigung zur Erwerbstätigkeit und zur Aufnahme eines Kredites und den Bezug von Arbeitslosengeld für insgesamt 5 Monate erschlich.
1.6. Der Beschwerdeführer verfügt seit April 2020 über ein A1-Deutschzertifkat und seit April 2021 über ein A2-Deutschzertifikat. Außerdem erfolgte im März 2020 die Eheschließung mit seiner Frau. Sonstige Änderungen in den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers sind nicht eingetreten.
1.7. Der Beschwerdeführer erweist sich in strafgerichtlicher Hinsicht sowohl in Österreich als auch in seiner Heimat als unbescholten. In Österreich ist nach wie vor ein Strafverfahren wegen Fälschung besonders geschützter Urkunden gemäß §§ 223 Abs. 2, 224 StGB anhängig.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
2.2. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid und in die Beschwerde.
2.3. Die Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers steht aufgrund des kosovarischen Reisepasses fest.
2.4. Die Feststellungen zu den persönlichen und familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers sowie zum verhängten Einreiseverbot basieren auf den unbestritten gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid der belangten Behörde.
2.5. Die Feststellungen zum Beschäftigungsverhältnis der Ehefrau des Beschwerdeführers gründen sich auf die vorgelegte Bestätigung des Arbeitgebers (vgl. AS 173).
2.6. Die festgestellten Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers ergaben sich aus den von ihm vorgelegten ÖSD-Zertifikaten (vgl. AS 181 und 183).
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann das Bundesamt ein Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 2 auf Antrag des Drittstaatsangehörigen unter Berücksichtigung der für die Erlassung der seinerzeitigen Rückkehrentscheidung oder des seinerzeitigen Einreiseverbotes maßgeblichen Umstände verkürzen oder aufheben, wenn der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen hat. Die fristgerechte Ausreise hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen.
Gemäß § 53 Abs. 4 FPG beginnt die Frist des Einreiseverbotes mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.
3.2. Da die Ausreise des Beschwerdeführers am 04.10.2019 fristgerecht erfolgte, ist das mit Bescheid vom 17.10.2019 verhängte Einreiseverbot noch bis 05.10.2022 in Geltung und dessen Aufhebung oder Verkürzung grundsätzlich möglich.
Im Zuge der Entscheidungsfindung über einen Antrag nach § 60 sind jene Umstände zu berücksichtigen, die für die Erlassung der seinerzeitigen Rückkehrentscheidung oder des seinerzeitigen Einreiseverbotes maßgeblich gewesen sind, wodurch der Behörde insofern ein weiter Spielraum zur Berücksichtigung der individuellen Situation des Drittstaatsangehörigen und in diesem Zusammenhang seit Erlass des Einreiseverbotes/der Rückkehrentscheidung eingetretener Änderungen eröffnet wird. Primär kommt es bei Durchführung der diesbezüglichen Beurteilungen darauf an, in wie weit die seinerzeit im Rahmen der durchgeführten individuellen Gefährdungsprognose maßgeblichen Umstände weiterhin fortbestehen und gegen eine neuerliche Einreise des Fremden vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des verhängten Einreiseverbotes sprechen. In diesem Zusammenhang sind im Rahmen der durchzuführenden Gesamtabwägung auch Änderungen im Bereich des Privat- und Familienlebens zu beachten und entsprechend zu berücksichtigen (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht [15.1.2016], K9 zu § 60 FPG).
Auf dieser Grundlage ist zu prüfen, ob von einem Aufenthalt des Betroffenen noch die seinerzeit für die Erlassung maßgeblichen Gefahren ausgehen. Ist dies zu verneinen und liegen auch die anderen zwingenden Bedingungen vor, ist das Einreiseverbot zu verkürzen oder aufzuheben (vgl. Szymanski in Schrefler/König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht [1.1.2015], Anm. 5 zu § 60 FPG).
Hinsichtlich der Frage, ob in Fällen des Absatz 1 im Falle der Stattgabe mit einer Aufhebung oder Verkürzung vorzugehen ist sowie hinsichtlich der Frage des zeitlichen Ausmaßes einer Verkürzung, hat die Behörde ihr Ermessen in gleicher Weise wie bei der Verhängung des Einreiseverbotes unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Drittstaatsangehörigen zu üben und in diesem Sinne im Rahmen einer Interessensabwägung zu beurteilen, in wie weit öffentliche Interessen eine Wiedereinreise des Fremden aufgrund eines von ihm – im Rahmen einer Prognoseentscheidung festzustellenden – allenfalls weiterhin ausgehenden Gefährdungspotentials entgegenstehen. Eine Verkürzung hat insofern auf jenen Zeitpunkt hin zu erfolgen, an dem mit einem Wegfall der vom Fremden auszugehenden Gefährdung zu rechnen ist. Eine Aufhebung gemäß Absatz 1 ist vorzunehmen, wenn der Wegfall der vom Fremden ausgehenden Gefährdung bzw. ein Überwiegen seiner persönlichen und privaten Interessen zum entscheidungszeitpunkt bereits eingetreten ist (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht [15.1.2016], K13 zu § 60 FPG).
3.3. Das gegenständliche Einreiseverbot wurde erlassen, weil der Beschwerdeführer über eine Zeit von über 4 Jahren durch die Verwendung gefälschter Dokumente und der vermeintlichen Identität eines EU-Bürgers Arbeitgeber, Sozialversicherungsträger, ein Kreditinsititut und Behörden täuschte sowie sich seinen Aufenthalt im Bundesgebiet, die Berechtigung zur Erwerbstätigkeit und zur Aufnahme eines Kredites und den Bezug von Arbeitslosengeld für insgesamt 5 Monate erschlich.
In Anbetracht des langen Zeitraums der Täuschungshandlungen, der zahlreichen getäuschten Personen und Institutionen, den dadurch erschlichenen Begünstigungen eines EU-Bürgers und der damit vermittelten fehlenden Verbundenheit zur Rechtsordnung, ist die verstrichene Zeit von mehr als eineinhalb Jahren seit der Ausreise nicht ausreichend, um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers auszugehen.
Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer nunmehr mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet ist und über ein A2-Deutschzertifikat verfügt, vermag vor dem Hintergrund seiner gezeigten Missachtung gültiger Normen nichts an dieser Einschätzung zu ändern und lässt die Dauer des verhängten Einreiseverbots unter Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers nicht unverhältnismäßig erscheinen.
Bei der Gewichtung der für den Fremden sprechenden Umstände darf maßgeblich relativierend einbezogen werden, dass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. dazu etwa VwGH 28.2.2020, Ra 2019/14/0545, mwN). Diese Überlegungen gelten insbesondere auch für eine Eheschließung mit einer in Österreich aufenthaltsberechtigten Person, wenn dem Fremden zum Zeitpunkt des Eingehens der Ehe die Unsicherheit eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich in evidenter Weise klar sein musste (vgl. VwGH 14.10.2019, Ra 2019/18/0396, mwN) und daher umso mehr für eine in einer solchen Situation begründeten Lebensgemeinschaft (vgl. VwGH 29.8.2019, Ra 2019/19/0187). Nach der Rechtsprechung des EGMR kann sich ein Beschwerdeführer im Kontext des Art. 8 MRK nicht auf eine Beziehung zu einer neuen Freundin und die Geburt eines Kindes aus dieser Beziehung berufen, wenn sie zu einem Zeitpunkt zustande kam, als der Aufenthalt unsicher war (EGMR 16.4.2013, Udeh/Schweiz, 12020/09, Z 50).
Der Beschwerdeführer ist die besagte Ehe zu einem Zeitpunkt eingegangen, zu dem ihm und seiner nunmehrigen Ehefrau bewusst gewesen sein muss, dass aufgrund des gültigen Einreiseverbotes gegen den Beschwerdeführer die Führung einer Beziehung in Österreich nicht möglich ist. Zudem hat er durch sein Verhalten die Möglichkeit, seine Beziehung nach allfälliger Aufhebung seines Einreiseverbotes weiterführen zu können, schon in der Zeit vor seiner Eheschließung aufs Spiel gesetzt.
Der Beschwerdeführer konnte aufgrund seines eigenen Verhaltens nicht von einer Aufhebung seines Einreiseverbotes und einem rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich ausgehen. Die besagten neuen familiären Bezugspunkte in Österreich haben sohin eine maßgebliche Abschwächung hinzunehmen.
Dem Beschwerdeführer ist zudem die Aufrechterhaltung des Kontaktes zu seiner Freundin über elektronische oder sonstige Kommunikationsmittel respektive Besuchen im Herkunftsstaat oder allenfalls Drittstaaten – wenn auch möglicherweise mit Einschränkungen aufgrund begrenzter Verfügbarkeit finanzieller Mittel und staatlicher Quarantänebestimmungen – objektiv wie subjektiv möglich sowie angesichts der von ihm weiterhin ausgehenden Gefährdung auch zumutbar.
Auch die Deutschzertifikate erlangte der Beschwerdeführer erst nach Erlassung des gegen ihn bestehenden Einreiseverbots.
3.4. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung kommt das erkennende Gericht daher zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen an der Hinderung des Beschwerdeführers an einer Wiedereinreise dessen individuelle Interessen an der Aufhebung oder Herabsetzung des erlassenen Einreiseverbots weiterhin überwiegen. Aufgrund der in unveränderter Weise vorliegenden Gründe für die Erlassung der gegenständlichen Einreiseverbote ist auch nicht vom zukünftigen Wegfall der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auszugehen, sodass neben einer gänzlichen Aufhebung auch eine Herabsetzung in der Dauer der erlassenen Einreiseverbote nicht in Betracht kommt.
Vor diesem Hintergrund kann der belangten Behörde selbst unter Berücksichtigung der geänderten familiären Situation des Beschwerdeführers nicht entgegengetreten werden, wenn diese den gegenständlichen Antrag des Beschwerdeführers auf Verkürzung oder Aufhebung des Einreiseverbotes unter Verweis auf § 60 Abs. 1 FPG abgewiesen hat.
3.5. Zum Entfall einer Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Der Sachverhalt ist im Gegenstand aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt, weshalb trotz entsprechenden Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte.
Schlagworte
Antragseinbringung Aufhebung Einreiseverbot mangelnder Anknüpfungspunkt VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W123.2237585.2.00Im RIS seit
15.11.2021Zuletzt aktualisiert am
15.11.2021