TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/13 W195 2245075-2

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Veröffentlicht am 13.08.2021
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Entscheidungsdatum

13.08.2021

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1
AVG §35
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W195 2245075-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael Sachs als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX vertreten durch die XXXX gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 23.06.2021, XXXX , betreffend die Verhängung einer Mutwillensstrafe zu Recht erkannt:

A)

1. Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 35 AVG Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt:

I.1. Der Beschwerdeführer (BF), ein XXXX Staatsangehöriger, stellte am 22.03.2021 einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 55 Abs 1 AsylG.

Dieser Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wurde mit Bescheid des BFA vom 21.06.2021 abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen.

Das Beschwerdeverfahren, unter der XXXX im Bundesverwaltungsgericht registriert, wurde dem BVwG im August 2021 zur Entscheidung vorgelegt, eine Entscheidung wurde noch nicht getroffen.

I.2.1. Mit dem im vorliegenden Verfahren relevanten Bescheid des BFA vom 23.06.2021 wurde gegen den BF eine Mutwillensstrafe von € 200,- verhängt.

Begründend führte das BFA aus, dass der BF seit sieben Jahren über verschiedene Wege, etwa aus Gründen als Studierender oder nach einer Eheschließung, versuche für Österreich einen Aufenthaltstitel zu erlangen. Eine detaillierte Aufstellung hinsichtlich der zahlreichen und bisherigen vom BF geführten Verfahren in Österreich ist dem vorliegenden Bescheid – im Gegensatz zur Entscheidung des BFA vom 21.06.2021 – nicht zu entnehmen.

Der BF sei seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und könne, wie es das NAG vorsehe, einen entsprechenden Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels von seiner Heimat aus stellen. Er habe sich damit bewusst und vorsätzlich gegen einen legalen Weg entschieden. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK sei lediglich als „subsidiäre Maßnahme“ nach dem AsylG konzipiert und sei eine Umgehung des NAG nicht rechtens. Angesichts des chronologischen Ablaufes sei vollkommen offensichtlich, dass der gestellte Antrag lediglich der Umgehung des NAG diene.

Die Höhe der Mutwillensstrafe sei dem Unrechtsgehalt angemessen um im Sinne der Spezialprävention vorzugehen und berücksichtige auch die nicht vorhandene Erwerbstätigkeit des BF.

I.2.2. Gegen diese Entscheidung wendet sich die vorliegende Beschwerde des von der BBU GmbH vertretenen BF vom 26.07.2021.

Auch wenn die Begründung dieser Beschwerde hinsichtlich der Anfechtung des verfahrensgegenständlichen Bescheides äußerst dürftig ist, ist zumindest ansatzweise erkennbar, dass der Bescheid des BFA vom 23.06.2021 (auch) bekämpft wird. Unter weiter Interpretation des Parteiwillens geht das BVwG davon aus, dass der Antrag gestellt wurde, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, den angefochtenen Bescheid zu beheben, die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, in eventu das Einreiseverbot zu beheben sowie in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung an das BFA zurückzuverweisen.

III. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt „I. Sachverhalt“ dargelegte Verfahrensgang wird als gegeben festgestellt.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt beruht auf den von der belangten Behörde vorgelegten Administrativakten des BFA, insbesondere den bezughabenden Bescheid und die vorgelegte Beschwerde des BF, sowie die Gerichtsakten des BVwG im Verfahren XXXX und XXXX . Der Sachverhalt ist offensichtlich unstrittig und im für eine Beurteilung erforderlichen Ausmaß dargetan, weshalb von weiteren Erhebungen abgesehen werden konnte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

3.1. Zur Stattgebung der Beschwerde:

§ 35 AVG lautet:

„Gegen Personen, die offenbar mutwillig die Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen oder in der Absicht einer Verschleppung der Angelegenheit unrichtige Angaben machen, kann die Behörde eine Mutwillensstrafe bis 726 Euro verhängen.“

Die Verhängung der Mutwillensstrafe soll die Behörde vor Behelligung, als auch die Partei aber vor Verschleppung der Sache schützen (vgl. VwGH 22.1.1930, 439/29, VwSlg. 15960 A, ebenso 24.3.1997, 95/19/1705, oder 23.3.1999, 97/19/0022).

Bei der Mutwillensstrafe gemäß § 35 AVG, handelt es sich wie bei der Ordnungsstrafe nach § 34 AVG, nicht um die Ahndung eines Verwaltungsdeliktes, sondern um ein Mittel zur Sicherung einer befriedigenden, würdigen und rationellen Handhabung des Verwaltungsverfahrens, sohin um ein Disziplinarmittel. Das Verwaltungsstrafgesetz im Verfahren betreffend die Verhängung von Mutwillensstrafen findet daher grundsätzlich keine Anwendung, mit Ausnahme der in § 36 AVG ausdrücklich vorgesehenen Vorschriften über den Strafvollzug (§§ 53 bis 54d VStG). Daraus folgt, dass weder Bestimmungen über die Strafbemessung, über die Verjährung oder die Sprucherfordernisse hinsichtlich der Umschreibung der Tat, noch die Verjährungsbestimmungen des bürgerlichen Rechtes im Bereich des öffentlichen Rechtes unmittelbar oder analog anwendbar sind. Dahinter steckt auch die verfolgte Absicht des Gesetzgebers das Verwaltungsverfahren zu beschleunigen (vgl. VwGH 4.09.1973, 1665/72, VwSlg. Nr. 8448 A/1973, 30.05.1994, 92/10/0469, VwSlg 14.064 A/1994; 20.05.2009, 2007/07/0119; Hengstschläger/Leeb, AVG § 35, Rz 1 und 6).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt mutwillig im Sinne des § 35 AVG, wer sich im Bewusstsein der Grund- und Aussichtslosigkeit, der Nutz- und Zwecklosigkeit seines Anbringens an die Behörde wendet, sowie wer aus Freude an der Behelligung der Behörde handelt. Darüber hinaus verlangt das Gesetz aber noch, dass der Mutwille offenbar ist; dies ist dann anzunehmen, wenn die wider besseren Wissens erfolgte Inanspruchnahme der Behörde unter solchen Umständen geschieht, dass die Aussichtslosigkeit, den angestrebten Erfolg zu erreichen, für jedermann erkennbar ist (vgl. VwGH 18.4.1997, 95/19/1707; 27.5.1999, 97/02/0345; 16.2.2012, 2011/01/0271; vgl. hiezu auch Hengstschläger/Leeb, AVG § 35, Rz 2).

Strafbar gemäß § 35 AVG ist jede (prozessfähige) „Person“, welche die Behörde offenbar mutwillig in Anspruch genommen hat (das Anbringen eingebracht) (vgl. VwGH 24.3.1997, 95/19/1705; 18.4.1997, 95/19/1707) oder in Verschleppungsabsicht dieser gegenüber unrichtige Angaben gemacht hat. Dabei kann es sich nur um Menschen handeln, welche an die Behörde herantreten oder auf die sich eine Amtshandlung bezieht, nicht hingegen um Organwalter der den Bescheid erlassenden Behörde.

Strafbarer Mutwille bei Antragstellung hat das Bewusstsein von der Grundlosigkeit dieses Antrags zur Voraussetzung. Mutwillig wird ein Antrag daher dann gestellt, wenn sich der Antragsteller wissentlich auf einen unrichtigen Tatbestand stützt oder wenn es zweifellos und auch ihm bewusst ist, dass der vorliegende Tatbestand keinen Grund für einen Antrag gibt (vgl. VwGH 08.11.2011, 97/21/0023).

Der BF stellte am 22.03.2021 einen „Erstantrag“ auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 55 Abs 1 AsylG.

Dieses Verfahren ist noch im Beschwerdeverfahren anhängig und wird das Bundesverwaltungsgericht darüber zu entscheiden haben.

Unabhängig und unpräjudiziell von diesem Verfahren ist hinsichtlich der Verhängung der Mutwillensstrafe festzuhalten:

Auch wenn sich aus dem gesamten Verfahrensabläufen ergibt, dass sich der BF letztlich nach Durchführung mehrerer Verfahren – teilweise nicht rechtens - im Bundesgebiet aufhielt, muss festgestellt werden, dass dem BF nicht Mutwilligkeit oder Verfahrensverzögerung vorgeworfen werden kann.

Dass der BF nach Jahren seines (teilweise illegalen) Aufenthaltes im Bundesgebiet einen „Erstantrag“ auf Gewährung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK stellte, kann ihm nicht von vornherein vorgeworfen werden – unabhängig vom Ausgang des noch offenen Beschwerdeverfahrens.

Es ist mit dem Vorwurf des Missbrauchs von Rechtsschutzeinrichtungen mit äußerster Vorsicht umzugehen. Ein derartiger Vorwurf ist nur dann am Platz, wenn für das Verhalten einer Partei nach dem Gesamtbild der Verhältnisse keine andere Erklärung bleibt; die Verhängung einer Mutwillensstrafe kommt demnach lediglich im „Ausnahmefall“ in Betracht (vgl. VwGH 29.06.1998, 98/10/0183 VwSlg. 18.337 A/2012; 21.05.2019, Ra 2018/19/0466).

Ein solcher „Ausnahmefall“ ist im gegenständlichen Verfahren – noch - nicht zu erkennen, und ist insbesondere auf die Umstände Bedacht zu nehmen. Zwar hat der BF in Österreich verschiedenste Rechtsverfahren und Anträge gestellt und versucht, verschiedenste Aufenthaltstitel zu generieren, wenn auch nicht ausschließlich bei einer Behörde.

Dass eine Person, welche nach Jahren (illegalen) Aufenthalts einen Antrag auf Gewährung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK stellt, erscheint – objektiv - nicht von vornherein mutwillig zu sein; ob dieser Antrag gerechtfertigt ist, wird die künftige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes im Verfahren zum Bescheid des BFA vom 21.06.2021 erweisen und fließt nicht in die vorliegende Beurteilung ein, ist doch zumindest eine theoretische Möglichkeit gegeben (das BFA hat den entsprechenden Antrag ab-, und nicht zurückgewiesen), auch wenn das BFA unter Berufung auf langjährige Rechtsprechung des VwGH zu Recht darauf hinweist, dass die Bestimmungen des AsylG nicht geschaffen wurden, um eine Umgehung des NAG zu ermöglichen.

Vor diesem Hintergrund ist in der vorliegenden Konstellation unter Berücksichtigung des bisher Ausgeführten in Summe letztlich ein die Verhängung einer Mutwillensstrafe rechtfertigender „Ausnahmefall“ in concreto noch nicht erkennbar und kann von keinem strafbaren Mutwillen im Sinne der höchstgerichtlichen Judikatur ausgegangen werden.

Da die Mutwillensstrafe im vorliegenden Fall jedenfalls nicht zu verhängen war, ist auch nicht näher auf die general- und spezialpräventive Wirkung einzugehen.

Des Weiteren erübrigt sich ein Eingehen auf die sonstigen (Eventual-)Anträge, insbesondere der Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung.

3.2. Zur Abstandnahme von der mündlichen Verhandlung:

In Hinblick auf die Stattgebung der Beschwerde, aber auch in Bezug darauf, dass nach § 24 Abs. 4 VwGVG das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen kann, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil das Gericht einerseits bereits einen dem angefochtenen Bescheid bzw. der Beschwerdevorentscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt annehmen konnte, der mit dem Vorbringen des BF in Einklang ist (der Sachverhalt insoweit, soweit relevant, also unstrittig ist) bzw. soweit dem Vorbringen nicht gefolgt wurde, einen Sachverhalt annehmen konnte der vom BF nicht hinreichend substantiiert bestritten wurde. Das Gericht konnte so aufgrund der Akten und des schriftlichen Vorbringens entscheiden, ohne dass dies eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 MRK oder Art. 47 GRC bedeutet hätte; eine Rechtsfrage, die für sich genommen einer Erörterung im Rahmen der mündlichen Verhandlung bedurft hätte, wurde nicht aufgezeigt (vgl. VwGH 20.03.2014, 2013/07/0146, 17.02.2015, Ra 2015/09/0007).

Aus den Gesetzesmaterialien zur Bestimmung des § 24 VwGVG ergibt sich im Übrigen, dass eine mündliche Verhandlung, soweit sie ausschließlich der Klärung der Rechtsfrage dienen würde, nicht geboten sein soll (vgl. RV 1255 BlgNR 25. GP, 5; auch VwGH 19.09.2017, Ra 2017/01/0276).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung hinsichtlich der Verhängung einer Mutwillensstrafe von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Mitwirkungspflicht Mutwillen Voraussetzungen VwGH

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W195.2245075.2.00

Im RIS seit

15.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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