TE Bvwg Beschluss 2021/9/15 W128 2170283-3

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Veröffentlicht am 15.09.2021
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Entscheidungsdatum

15.09.2021

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z2
FPG §52 Abs9
VwGVG §28 Abs3

Spruch


W128 2170283-3/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Michael FUCHS-ROBETIN über die Beschwerde des iranischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.05.2020, Zl. 1081148409/190386440:

A)

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte erstmals am 04.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund nannte er, seine Einstellung zum Islam, welche nicht mit den allgemeinen religiösen Sitten im Iran übereinstimmen würde. Er habe bereits seit seiner Kindheit „mit seiner Religion“ und deshalb in weiterer Folge auch mit seinen „sehr religiösen“ Eltern und der iranischen Polizei Probleme gehabt und hätte den Iran verlassen müssen. Im Laufe des Verfahrens brachte er zudem vor, mittlerweile in Österreich zum Christentum konvertiert zu sein, sich jedoch als „Atheist“ zu bezeichnen, weshalb ihm im Iran Verfolgung drohe.

Dieser Antrag wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.02.2018 letztinstanzlich abgewiesen.

2. Am 03.09.2018 wurde der Beschwerdeführer aus Belgien im Zuge der Dublin-III-Verordnung nach Österreich überstellt, wo er am selben Tag (neuerlich) einen Antrag auf internationalen Schutz stellte und angab, dass sich seine Fluchtgründe nicht verändert hätten.

Dieser Antrag wurde mit rechtskräftigem Bescheid vom 28.11.2018 zurückgewiesen.

3. Am 15.04.2019 wurde der Beschwerdeführer aus dem Vereinigten Königreich im Zuge der Dublin-III-Verordnung nach Österreich überstellt, beantragte neuerlich internationalen Schutz und stütze sich dabei unter anderem auf die bereits bisher angeführten Fluchtgründe. Ergänzend brachte er vor, dass er seit 2015 eine Tätowierung mit dem Schriftzug „Atheuos“ auf dem Oberarm trage, was „Atheist“ bedeute, seine atheistische Haltung im Iran offenbaren und ihn somit bei einer Rückkehr in Lebensgefahr bringen würde.

Mit mündlich verkündetem Bescheid vom 09.05.2019 hob die belangte Behörde den faktischen Abschiebeschutz des Beschwerdeführers gemäß § 12a Absatz 2 AsylG auf.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.05.2019 wurde der Bescheid vom 09.05.2019 aufgrund der Unrechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes behoben, da nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit hätte ausgeschlossen werden können, dass dem Beschwerdeführer im Iran eine Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte drohen würde.

Die am 19.06.2019 von der belangten Behörde erhobene Amtsrevision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.02.2020, Zl. Ro 2019/20/0005, zurückgewiesen. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass die vom BFA bereits aus der Revision ersichtliche Auffassung, der Antrag des Beschwerdeführers sei jedenfalls zurückzuweisen, keine Deckung im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.05.2019 finden würde. Vielmehr habe die Behörde zum – auf die Tätowierung Bezug nehmenden – Vorbringen des Beschwerdeführers jegliche Feststellungen unterlassen. Dies sei insofern von Relevanz, da die Tätowierung bei einer erkennungsdienstlichen Behandlung des Beschwerdeführers im Jahr 2017 – somit vor der Entscheidung im Erstverfahren – nicht zu Tage getreten sei.

4. Mit dem (hier) angefochtenen Bescheid vom 13.05.2020 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurück, erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.), gewährte dem Beschwerdeführer keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.), erließ ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.) und trug ihm auf, ab 08.08.2019 im Quartier AIBE BS Ossiach Rappitsch 40, 9570 Rappitsch, Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VIII.).

Begründend führte das BFA aus, dass es dem Beschwerdeführer möglich sei, die Tätowierung zu verdecken bzw. entfernen zu lassen und verwies diesbezüglich auf Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts (etwa BVwG 07.08.2018, W208 2186287-1/11E; sowie W218 2201295-1).

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, welche dem Bundesverwaltungsgericht am 19.05.2021 vorgelegt wurde, und die er gleichzeitig mit einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 Abs. 1 BFA-VG verband. Darin bringt er vor, dass er sich einer psychiatrischen Untersuchung zu unterziehen habe, dass das „geschickte Verdecken“ der Tätowierung auf seinem Oberarm nicht möglich sei, da Personen bei einer Rückkehr in den Iran strengen Kontrollen unterzogen werden würden. Weiters spreche der Bescheid von einer Rückkehr nach Afghanistan; zu diesem Land habe der Beschwerdeführer jedoch keinerlei Beziehung. Zudem habe die belangte Behörde es unterlassen, die aktuelle Rückkehrsituation des Beschwerdeführers einer genauen Prüfung zu unterziehen.

Auch habe sich die belangte Behörde nicht näher mit dem Entstehungszeitpunkt des Tattoos auseinandergesetzt, so insbesondere, ob dieses bereits vor dem 02.02.2018 vorhanden gewesen sei. Dies sei jedoch insofern notwendig, da – wie bereits vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 26.02.2020 festgestellt – unter den im Zuge der erkennungs-dienstlichen Behandlung des Beschwerdeführers vom 15.08.2017 festgehaltenen äußerlichen körperlichen Merkmalen keine Tätowierung aufgeschienen sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1. Feststellungen

Es wird von dem unter Punkt I. dargelegten Verfahrensgang bzw. Sachverhalt ausgegangen.

2. Beweiswürdigung

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem Akteninhalt und sind unstrittig.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt A)

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Antrag abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (siehe zuletzt etwa VwGH 21.05.2021, Ra 2019/19/0428, m.w.N.).

3.1.2. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde im Sinne des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist
(Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen, die dann an die rechtliche Beurteilung, von der das Gericht ausgegangen ist, gebunden ist.

Aus § 18 Abs. 1 AsylG ergibt sich, dass (unter anderem) die belangte Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken hat, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009).

3.1.3.1. Der Verwaltungsgerichtshof hielt bereits in seinem Beschluss (VwGH 26.02.2020, Ro 2019/20/0005) fest, dass sich das BFA im bisherigen Verfahren nicht bzw. nicht ausreichend mit dem Entstehungszeitpunkt des Tattoos auseinandergesetzt hätte. Ohne weitere Ermittlungsmaßnahmen – wie etwa eine neuerliche Befragung des Beschwerdeführers mit dem Vorhalt des Widerspruchs des behaupteten Entstehungszeitpunktes der Tätowierung 2015 und dem Ergebnis einer erkennungsdienstlichen Behandlung im Jahr 2017 – zu tätigen, erließ das BFA den angefochtenen Bescheid. In diesem befasste es sich – lediglich oberflächlich – mit der Möglichkeit der Abdeckung bzw. Entfernung der Tätowierung, jedoch wiederum nicht mit dessen Entstehungszeitpunkt und demnach mit der Frage, ob sie tatsächlich von der Rechtskraft der Entscheidung des ersten Asylverfahrens umfasst ist.

Auch unternahm das BFA keine (ausreichenden) Ermittlungsmaßnahmen bezüglich der Situation tätowierter Personen im Iran. Dies trotz bereits bestehender Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts (so etwa BVwG 27.11.2019, L527 2189723-1) sowie dem Vorhandensein von Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation (beispielsweise „Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Iran: Tattoos in Iran“ vom 14.04.2020; „Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Iran: Tätowierungen im Iran“ vom 23.03.2018).

3.1.3.2. Für den Beschwerdefall ergibt sich daraus, dass der belangten Behörde ein gravierender Verstoß gegen die amtswegige Ermittlungspflicht und sohin gegen einen tragenden Grundsatz des Verfahrensrechts unterlief, zumal sie ihrer aus § 18 Abs. 1 AsylG hervorgehenden Verpflichtung, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, nicht (bzw. nur ansatzweise) nachkam.

Da zu den tragenden Sachverhaltselementen noch keine eindeutigen Beweisergebnisse vorliegen und zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sein werden, ist eine meritorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes weder im Sinne einer Kostenersparnis noch einer Verfahrensbeschleunigung gegeben.

Auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen ist noch keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.

Im Ergebnis war der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

3.2. Zu Spruchpunkt B)

3.2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.2.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass der Bescheid zu beheben und die Sache an das BFA zurückzuverweisen ist, entspricht der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W128.2170283.3.01

Im RIS seit

15.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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