Entscheidungsdatum
22.09.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W124 2234148-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Felseisen als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am XXXX zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3, 8, 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 46, 55, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9 FPG als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. wird gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 2 Z 6 FPG i.d.g.F. insoweit stattgegeben, als die Dauer des Einreiseverbotes auf ein Jahr herabgesetzt wird. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Verfahrensgang:
1. Am XXXX stellte der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) nach unrechtmäßiger Einreise im XXXX in das österreichische Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz, woraufhin er am selben Tag von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Zuge der Erstbefragung einvernommen wurde.
Zu seinen Fluchtgründen befragt brachte er vor, er habe einen Grundstücksstreit mit einer Person namens XXXX gehabt, der seinen Onkel erschossen und auch den BF umbringen habe wollen. Bei einer Rückkehr fürchte er um sein Leben.
Er habe daher seinen Herkunftsstaat XXXX legal mit einem Reisepass verlassen, habe diesen jedoch einem Schlepper in Moskau gegeben und sei von dort mit Hilfe von Schleppern über ihm nicht bekannte Länder und Ungarn nach Österreich gereist.
2. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem BF mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen. Demnach gelte eine Abwesenheit von mehr als 48 Stunden von der Betreuungseinrichtung als Verletzung der Meldeverpflichtung.
3. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem BF mitgeteilt, er sei verpflichtet, ein Rückkehrberatungsgespräch bis XXXX in Anspruch zu nehmen.
4. Am XXXX wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA oder belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen.
Bei der Einvernahme gab er im Wesentlichen an, dass er aus Indien stamme und am XXXX in XXXX , Provinz Punjab, geboren und aufgewachsen sei. Er bekenne sich zur Religionsgemeinschaft des Christentums und gehöre keiner Volksgruppe an. Während sein Vater in Dubai lebe, habe der BF in Indien in einer Ortschaft namens XXXX gemeinsam mit seiner Mutter und seinen zwei Schwestern gelebt, wo die Familie auch ein Eigentumshaus besitze und ein Grundstück gehabt habe. Seine Mutter und Schwestern würden nach wie vor in dem Dorf leben. Zu diesen habe er auch regelmäßig Kontakt.
Der BF sei in seinem Herkunftsstaat zwölf Jahre in die Grundschule gegangen und habe in der Landwirtschaft des Nachbarn gearbeitet, wodurch er seinen Lebensunterhalt bestritten habe. Zur Bestreitung seines Lebensunterhalts in Österreich helfe ihm ein Bekannter namens XXXX aus, der bei XXXX arbeite. Er lebe bei diesem Bekannten, sei im Bundesgebiet nie berufstätig gewesen und beziehe derzeit keine Leistungen aus der Grundversorgung. Der BF spreche kein Deutsch und habe bisher keine Kurse oder Ausbildungen in Österreich absolviert.
Er werde in Indien vom Gericht aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten gesucht.
Als Fluchtgrund gab er im Wesentlichen folgendes an:
(….)
F: Warum verließen Sie Ihr Heimatland? Erzählen Sie unter Anführung von Fakten, Daten die Ihnen wichtig scheinenden Ereignisse.
A: Die Streiterei hat angefangen mit unserem Grundstück. Wir waren die Eigentümer von diesem Grundstück und haben dort angebaut. Die Nachbarn waren wohlhabend und haben unser Grundstück mit Gewalt zu sich genommen. Mit Gewalt aus diesem Grund, da mein Vater und ich wiederstand geleistet haben und wir daraufhin geschlagen wurden. Auch wurde mein Onkel bei dieser Streitigkeit erschossen. Meine Familie war bei der Polizei, jedoch verlangte die Polizei für die Anzeigenlegung ein Schmiergeld. Diese Mittel hatte meine Familie jedoch nicht. Mein Vater hat daraufhin entschieden mich aus Indien raus zu schaffen. Meine Mutter und meine zwei Schwestern haben die Ortschaft XXXX verlassen und sind nach XXXX gezogen. Danach hat auch mein Vater seine Heimat verlassen und ist nach Dubai gezogen. Die Familie von meinem Onkel, welcher bei dieser Streitigkeit erschossen wurde, lebt immer noch XXXX . Die Nachbarn, mit denen wir diesen Grundstücksstreitigkeiten haben, haben meine verwitwete Tante zu Hause besucht und nachgefragt, wo mein Vater und ich uns aufhalten. Zudem haben diese meiner Tante mitgeteilt, sollten wir zurückkommen und unser Grundstück zurücknehmen, werden wir auch umgebracht.
F: Wer genau verfolgt Sie?
A: Die Hauptperson welche mich verfolgt hat den Namen XXXX . Er und seine drei Brüder XXXX und XXXX .
F: Wer von diesen Personen hat Ihren Onkel erschossen?
A: Der XXXX .
F: Wurden Sie und Ihr Vater auch verletzt? Wenn ja, mussten Sie im Spital behandelt werden?
A: Ja, mir wurde der linke Unterarm gebrochen. Seither habe ich eine Knochenfehlstellung. Ich wurde auf Grund dieser Verletzung auch im Spital behandelt.
F: Haben Sie eine Spitalsbestätigung oder Befunde bezüglich Ihres Spitalaufenthaltes?
A: Nein, habe ich nicht. Es kann sein, dass meine Familie in Indien welche hat.
Anm.: Dem AW wird eine zeitliche Frist bis XXXX zwecks Beschaffung dieser Befunde als Kopie gegeben.
F: Haben Sie sich wegen dieser Streitigkeiten jemals an Heimatstaatliche Behörden gewendet?
A: Ja, wir haben eine Anzeige bei der indischen Polizei gemacht. Der XXXX wurde daraufhin auch eingesperrt, wurde jedoch durch Bezahlung einer Kaution wieder freigelassen.
F: Zuvor sagten Sie, dass die indische Polizei Schmiergeld verlangt hat und Ihre Familie sich dies nicht leisten konnte. Was sagen Sie dazu?
A: Am Anfang habe wir bei der Polizei Anzeige erstattet und der XXXX wurde daraufhin auch eingesperrt, jedoch auf Grund seiner Macht wurde er wieder freigelassen.
F: Was meinen Sie mit Macht?
A: Mit Macht meine ich, dass dieser XXXX sehr viel Einfluss in der Politik hat. Unsere Familie ist jedoch mittellos und wir konnten uns nicht verteidigen.
F: Ich wiederhole die Frage noch einmal, Sie haben am Anfang angegeben, dass die Polizei Schmiergeld verlangt hätte und Sie sich dies nicht leisten konnten. Wie kam es dann zur Anzeigenlegung?
A: Bei der ersten Anzeige wurde der XXXX auch verhaftet. Als die Streitigkeiten weitergingen und wir wieder Anzeige erstatten wollten, wurde ein Betrag von 2000 indischen Rupien verlangt. Diesen Betrag hatten wir jedoch nicht.
F: Wie ging es danach weiter?
A: Danach hat diese Familie uns auf unserem Feld nicht arbeiten lassen. Danach hatten wir aus Angst die Ortschaft verlassen.
F: Wann wurde Ihr Onkel erschossen?
A: Am XXXX .
F: Wann fingen diese Streitigkeiten mit der anderen Familie an?
A: Das erste Mal im XXXX .
F: Wann wurde die erste Anzeige erstattet?
A: Als mein Onkel erschossen wurde. Danach verlangte die Polizei Schmiergeld.
F: Warum suchten Sie nach der Schmiergeldaufforderung nicht eine andere Polizeistation auf?
A: Die anderen Polizeistationen, welche sich in der Nähe befunden haben, waren alle miteinander verbunden. Wir hatten somit keine Chance.
F: Das Sie einen etwas größeren Weg in Kauf nehmen könnten um eine Anzeige zu erstatten kam Ihnen nicht in den Sinn?
A: Meine Familie hatte auch andere Polizeistationen aufgesucht, jedoch keinen Zuspruch erhalten.
F: Warum haben Sie dies vorher nicht angegeben?
A: Wie ich bereits sagte, hat meine Familie es auch bei anderen Polizeistationen versucht. Diese waren jedoch vorab schon informiert.
F: Können Sie die Ermordung Ihres Onkels Beweisen und können Sie die dazugehörige Anzeigenbestätigung beschaffen?
A: Ich bin mir nicht sicher, ob sich diese Anzeigenbestätigung noch bei mir zu Hause befindet. Dasselbe gilt für die Sterbeurkunde von meinem Onkel.
Anm.: AW wird eine Frist bis zum XXXX zwecks Beschaffung der Anzeigenbestätigung sowie auch der Sterbeurkunde als Kopie gegeben.
F: Wann konkret haben Sie sich entschlossen, Ihr Heimatland zu verlassen?
A: Nach der Ermordung von meinem Onkel. Wir sind daraufhin nach XXXX gesiedelt. Seit XXXX habe ich mein Heimatland verlassen.
F: Wie sind Sie aus Ihrem Heimatland ausgereist?
A: Von Delhi mit einem Flugzeug nach Moskau.
F: Sie waren also im Besitz eines Reisepasses und sind legal ausgereist?
A: Es handelte sich um einen gefälschten Reisepass.
Vorhalt: Bei Ihrer Erstbefragung haben Sie angegeben, dass Sie legal mit einem Reisepass, welcher beim Passamt in XXXX ausgestellt wurde, ausgereist sind. Wollen Sie etwas dazu angeben?
A: Ich habe im Jahre XXXX in XXXX einen Reisepass abgeholt. Dieser wurde jedoch vom Schlepper abgenommen.
Vorhalt: Sie haben zuvor angegeben, dass Sie nie im Besitz eines identitätsbezeugenden Dokuments waren. Nun geben Sie an, dass Sie im Jahre XXXX vom Passamt in XXXX einen Reisepass ausgestellt bekommen hätten. Was sagen Sie dazu?
A: Tut mir Leid, dann habe ich die Frage wohl falsch verstanden.
Vorhalt: Bei Ihrer erkennungsdienstlichen Behandlung ergab sich, dass Sie am XXXX für Griechenland ein zeitlich befristetes Touristenvisum für den Zeitraum XXXX unter der Nummer: XXXX erhalten haben. Wollen Sie dazu etwas angeben?
A: Wegen dieses Visums habe ich keine Ahnung, dass dürfte der Schlepper für mich getätigt haben.
F: Warum haben Sie sich nicht in einem anderen Landesteil Ihres Heimatlandes niedergelassen, um diesen Problemen zu entgehen?
A: Egal wohin ich gegangen wäre, würde ich gefunden werden.
F: Wer würde Sie suchen?
A: Dieser XXXX und seine Familie würde mich überall in Indien finden.
F: Warum würde dieser XXXX Sie überall finden?
A: Die haben gute Kontakte zur indischen Politik. Aus diesem und auf Grund der neu eingeführten Adhar-Card wäre ich leicht zu finden.
F: Warum ist in Ihrem Heimatland ein Gerichtsverfahren gegen Sie anhängig?
A: Dieser XXXX will unser Grundstück gesetzlich auf seinen Namen schreiben lassen. Aus diesem Grund werde ich gerichtlich gesucht.
F: Welche Probleme erwarten Sie im Falle Ihrer Rückkehr in Ihre Heimat?
A: Es besteht für mich Lebensgefahr. Er würde mich, so wie meinen Onkel zuvor, erschießen.
(….)
5. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA vom XXXX wurde der Antrag des BF sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Indien (Spruchpunkt II.) als unbegründet abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Weiters wurde gegen den BF gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (VII.).
Begründend führte das BFA im Wesentlichen an, es sei nicht feststellbar, dass der BF einer asylrelevanten individuellen Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt gewesen sei oder im Falle einer Rückkehr ausgesetzt wäre. Es sei bei einer Rückkehr auch nicht mit dem Entzug seiner Lebensgrundlage zu rechnen und er würde auch nicht in eine aussichtslose Situation geraten.
Der BF verfüge in Österreich über keine familiären oder verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte und habe keine sozialen Kontakte, die ihn an das Bundesgebiet binden würden. Er sei nicht berufstätig, wohne bei einem Freund und habe seine Gebietsbeschränkung nicht eingehalten, weswegen er sich unrechtmäßig im Raum Wien aufhalte. Der BF spreche nicht Deutsch und habe weder einen Deutschkurs besucht noch bestehe eine besondere Integrationsverfestigung in Österreich.
Ein Einreiseverbot sei deswegen zu erlassen gewesen, weil der BF im Bundesgebiet nicht den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nachzuweisen vermöge. Dies rechtfertige die Annahme, der BF gefährde mit seinem Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Der Umstand, der BF sei auch künftig nicht in der Lage, die Mittel für seinen Unterhalt nachzuweisen ergebe sich aus der Tatsache, dass er über kein Aufenthaltsrecht in Österreich verfüge und somit keiner legalen Beschäftigung nachgehen könne. Zur Beurteilung der Gefährdungsprognose sei auch heranzuziehen, dass der BF offensichtlich nicht bereit sei, die österreichische Rechtsordnung (Missbrauch des Asylsystems aufgrund eines unbegründeten Asylantrags, illegale Einreise unter Umgehung der Grenzkontrollen, Verfahrensentziehung) zu achten und beachten, weshalb auch die Zukunftsprognose nur negativ ausfallen könne.
6. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem BF mitgeteilt, er sei verpflichtet, ein Rückkehrberatungsgespräch bis XXXX in Anspruch zu nehmen.
7. Mit Schreiben vom XXXX gab der Verein XXXX Wien bekannt, nunmehr als rechtsfreundliche Vertretung für den BF bevollmächtigt worden zu sein.
8. Der BF erhob am XXXX fristgerecht vollinhaltlich Beschwerde gegen den im Spruch angeführten Bescheid vom XXXX .
Er führte in seiner Beschwerdeschrift zusammengefasst aus, er gehöre der Volksgruppe der Punjabi an, habe am XXXX unverzüglich einen Asylantrag gestellt und angegeben, er sei in einen Grundstücksstreit verwickelt und werde in Indien bedroht. Er sei aufgrund eines Grundstücksstreits von unbekannten Personen geschlagen und bedroht sowie von der Polizei festgenommen worden, weshalb ihm nur mehr die Flucht aus der Heimat geblieben sei. Sollte der BF nach Indien zurückkehren, drohe ihm dasselbe Schicksal wie seinem Onkel, der von einem Herrn namens XXXX erschossen worden sei. Er habe zu seinen Fluchtgründen nachvollziehbare und ausführliche Antworten gegeben und glaubwürdig vorgebracht, er werde in Indien tatsächlich verfolgt sowie dass die Polizei und Behörden in Indien nicht in der Lage oder willig seien, einen effektiven Schutz zu gewähren. Diesbezüglich habe die belangte Behörde nicht wie in diesem Fall erforderlich, das Vorbringen einer Plausibilitätskontrolle unter Einbindung der aktuellen verfügbaren Berichtslage unterzogen.
Die Behörde habe es zudem völlig verabsäumt, sich mit der Situation bezüglich der Corona Krise in Indien auseinanderzusetzen.
Hinsichtlich der Bindungen des BF zu Österreich sei festzuhalten, dass dieser sich stets wohlverhalten und bereits gut integriert habe. Er wolle nicht soziale Geldhilfen erlangen sondern für sein eigenes Auskommen selbst sorgen. Durch seinen Fleiß könne eine äußerst günstige Prognose hinsichtlich seiner künftigen Selbsterhaltungsfähigkeit sowie des weiteren ordentlichen Lebenswandels getroffen werden.
9. Am XXXX legte das BFA die Beschwerde dem BVwG samt der bezughabenden Verwaltungsakten vor.
10. Am XXXX beraumte das BVwG eine mündliche Verhandlung für den XXXX an, zu der der BF, seine rechtsfreundliche Vertretung sowie die belangte Behörde ordnungsgemäß geladen wurden.
11. Am XXXX führte das BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF sowie dessen rechtsfreundliche Vertretung unentschuldigt nicht erschienen. Die belangte Behörde nahm angekündigt nicht teil. Mit Schreiben vom XXXX brachte der BF vor, die Ladung zur Verhandlung am XXXX sei ihm erst am XXXX zugestellt worden.
12. Am XXXX beraumte das BVwG eine mündliche Verhandlung für den XXXX an, zu der der BF, seine rechtsfreundliche Vertretung sowie die belangte Behörde ordnungsgemäß geladen wurden.
13. Mit Schreiben vom XXXX teilte die belangte Behörde mit, nicht an der am XXXX anberaumten Verhandlung teilzunehmen.
14. Mit Schreiben vom XXXX teilte die rechtsfreundliche Vertretung des BF mit, sie habe diesen nicht erreicht und er werde zur Verhandlung am XXXX nicht erscheinen.
15. Am XXXX führte das BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF sowie dessen rechtsfreundliche Vertretung unentschuldigt nicht teilnahmen.
16. Am XXXX wurde dem Vertreter des BF das Verhandlungsprotokoll, mit der Möglichkeit dazu eine Stellungnahme innerhalb von 10 Tagen abzugeben, übermittelt. Bis dato wurde von einer solchen nicht Gebrauch gemacht.
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person des BF
Der BF führt den Namen XXXX (alias XXXX ), ist indischer Staatsangehöriger und gehört der Religionsgemeinschaft des Christentums an. Er stammt aus dem indischen Bundesstaat Punjab, gibt an am XXXX in XXXX geboren zu sein und ist auch dort aufgewachsen. Seine Muttersprache ist Punjabi, er beherrscht außerdem Hindi sowie ein wenig Englisch. Welcher Volksgruppe der BF angehört, konnte nicht festgestellt werden.
Der BF ist gesund, arbeitsfähig, ledig und hat keine Kinder.
Der BF reiste im XXXX unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX verzögert einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom XXXX sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Indien abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt. Gegen den BF wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Indien zulässig sei. Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Weiters wurde ein Einreiseverbot für die Dauer von zwei Jahren gegen den BF erlassen. Er hielt sich seit seiner Antragstellung durchgehend in Österreich auf.
Der BF verfügt über kein Reisedokument, das seine Identität bezeugen kann.
In Hinblick auf die derzeit bestehende Covid-19 – Pandemie ist festzuhalten, dass der BF XXXX Jahre alt ist und weder an einer schwerwiegenden noch an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leidet, womit er nicht unter die Risikogruppe der älteren Personen oder Personen mit (relevanten) Vorerkrankungen fällt.
Zu den Flucht- und Verfolgungsgründen im Herkunftsstaat
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF aus einem der von ihm genannten Gründe – konkret aufgrund von Bedrohungen und Verfolgungshandlungen wegen Grundstücksstreitigkeiten – seinen Herkunftsstaat verlassen hat oder ihm aus diesen Gründen im Fall seiner Rückkehr eine Gefahr oder Verfolgung drohen würden.
Es kann zudem nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien in seinem Recht auf Leben gefährdet wird, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wird oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.
Zum Privat- und Familienleben des BF
Der BF ging in seinem Herkunftsstaat zwölf Jahre in die Grundschule und arbeitete in der Landwirtschaft des Nachbarn, um sich so seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Seine Mutter und seine zwei Schwestern leben nach wie vor in Indien und helfen ebenfalls in der Landwirtschaft des Nachbarn aus. Sie wohnen im Dorf XXXX , wo die Familie ein Haus besitzt und auch der BF bis zu seiner Ausreise lebte. Sein Vater lebt mittlerweile in Dubai und arbeitet dort auf einer Baustelle. Der BF hat sowohl mit seiner Mutter und seinen Schwestern als auch mit seinem Vater regelmäßigen Kontakt.
Der BF hat in Österreich keine Familienangehörigen oder sonstige nahe Angehörige. Er hat im Bundesgebiet keine Freundin und verfügt abgesehen davon, dass er einen Bekannten hat, bei dem er wohnt, auch sonst über keine maßgeblichen sozialen Anknüpfungspunkte. Es ist im Verfahren weder das Bestehen eines Freundeskreises noch das Vorliegen besonders enger Bindungen hervorgekommen.
Der BF ist arbeitslos, bezieht jedoch derzeit keine Leistungen aus der Grundversorgung, da er bei einem Freund namens XXXX in XXXX lebt. Dieser unterstützt ihn finanziell unter der Voraussetzung, dass der BF es ihm zurückzahle, sobald er erwerbstätig sei und eigenes Geld verdiene. Davor war er in der Grundversorgung.
Der BF besuchte in Österreich keinen Deutschkurs und verfügt über keine Deutschkenntnisse. Er ist weder Mitglied eines Vereins, eines Clubs oder einer Organisation noch auf sonstige Weise ehrenamtlich tätig. Es konnten auch sonst keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des BF in Österreich in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden.
Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Zur Situation im Herkunftsstaat:
Zur entscheidungsrelevanten Situation im Herkunftsstaat wird von dem im Zuge der Ladung zur Verhandlung am XXXX übermittelten aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Indien (Generiert am: XXXX , Version 4) ausgegangen:
Auszüge aus dem Länderinformationsblatt Indien vom 31.05.2021 mit letzter Kurzinformation vom 31.05.2021:
Länderspezifische Anmerkungen
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind von coronabedingten Maßnahme wie Abriegelungen und sozialen Distanzierungen besonders betroffen. Der Zugang zu medizinischer Versorgung und lebenswichtigen Gütern und der Ausübung sozialer Distanzierung, insbesondere für diejenigen, die persönliche Unterstützung für Aufgaben des täglichen Lebens erhalten (HRW 13.1.2021). Während der ersten Wochen der COVID-19 Pandemie, wurden Muslime für die Verbreitung des Coronavirus, auch von Vertretern der Regierungsparteien verantwortlich gemacht (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).
Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit COVID registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).
Die Lage in Indien, dass mit Bezug auf das Infektionsgeschehen (neben den USA und Brasilien) zu den am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Ländern weltweit zählt, hat sich sich gegenüber dem Sommer 2020 mit damals fast 100.000 Neuinfektionen pro Tag inzwischen etwas entspannt. Es erkranken offiziellen Angaben zufolge nach wie vor etwa 40.000 Menschen täglich am Virus. In den Ballungszentren kann die medizinische Versorgung weitestgehend aufrecht erhalten werden (GTAI 3.12.2020). Indiens Wirtschaft wurde durch die COVID-19-Pandemie stark beeinträchtigt (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Das Land rutschte im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2020-21 erstmals in eine wirtschaftliche Rezession (PRC 18.3.2021). Es wird allgemein erwartet, dass das Land ab 2021 zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren wird (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Nach dem zweimonatigen harten Lockdown im Frühjahr 2020 hat die indische Regierung das öffentliche Leben im Rahmen ihrer Unlock-Strategie schrittweise wieder hochgefahren. Die Bundesstaaten und Unionsterritorien haben dabei weitreichendere Entscheidungsbefugnisse, welche Lockerungen sie umsetzen und welche nicht. Mit den bestehenden Einschränkungen sollen vor allem Superspreader-Events wie religiöse Großveranstaltungen und Hochzeiten eingedämmt werden. Massentests, Kontaktnachverfolgung, Isolierung von Infizierten und die Abschottung von Gebieten mit hohen Fallzahlen (Containment Zones) sollen helfen, das Virus zurückzudrängen (GTAI 3.12.2020; vgl. WKO 13.1.2021). Es kann daher vereinzelt und regional sowie zeitlich begrenzt zu erneuten Lockdowns kommen. Eine Skizzierung in „Red Zone“, „Orange Zone“ und „Green Zone“ wird von der Regierung des Bundesstaates/Unionsterritoriums in Absprache mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Regierung entschieden (WKO 13.1.2021).
Gegen regierungskritische Äußerungen, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen der Regierung im Umgang mit der COVID-19 Pandemie wurden mittels aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzen zur Staatsverhetzung und dem im Jahr 2000 erlassenen IT-Gesetz vorgegangen (FH 3.3.2021). Medienvertreter sehen sich Drohungen, Verhaftungen, Strafverfahren oder körperlichen Angriffen durch Mobs oder der Polizei wegen der Berichterstattung über die Pandemie ausgesetzt (HRW 13.1.2021). Mehrere von der Regierung zur Eindämmung einer Verbreitung der Pandemie getroffenen Maßnahmen wurden von Menschenrechtsanwälten als invasiv angesehen (FH 3.3.2021).
Im ersten Quartal 2021 wird Indien mit einem Anstieg der Fallzahlen vor einer zweiten COVID-19 Welle erfasst (TOI 21.3.2021; vgl. TFE 20.3.2021) und verzeichnete im Zeitraum ab April/Mai 2021 die höchsten Zahlen an täglichen Todesfällen wegen des Coronavirus seit Beginn der Pandemie (BAMF 3.5.2021). Kritik äußert sich aus dem Umstand heraus, dass Indien, ob seiner Pharmaindustrie, als "Apotheke der Welt" durch die Lieferung von Covid-19-Impfstoffen an viele Länder der Welt genießt (FE 20.3.2021; vgl. TOI 21.3.2021), gleichzeitig jedoch bei der Durchimpfung der eigenen Bevölkerung landesweit lediglich einen Wert von rund zwei Prozent erreicht (HO 28.4.2021).
Auch der Umstand, dass im Zuge der Regionalwahlen in einigen Bundesstaaten große Kundgebungen mit zum Teil Zehntausender Besucher abgehalten wurden, wie auch die Durchführung des hinuistischen Festes Kumbh-Mela in Haridwar im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand, an dem im Zeitraum von Jänner 2021 bis zum 27. April knapp 25 Millionen Hindus vor Ort teilgenommen haben, attestieren der indischen regierung eine "praktizierte Sorglosigkeit". Die Aussage der BJP bei einer Wahlveranstaltung im Bundestaat Assam in der verkündet wurde, "Wahlveranstaltungen und religiöse Zusammenkünfte tragen nicht zur Verbreitung von Covid-19 bei", wird kritisiert (BAMF 3.5.2021; vgl. HO 28.4.2021).
Seit Mai 2021 sind alle Erwachsenen impfberechtigt, davor nur über 45-Jährige. In mehreren Bundesstaaten des Landes ist der Impfstoff ausgegangen, Hilfsgüter aus mehreren Ländern wie Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamente und Impfstoff werden Indien von der internationalen Staatengemeionschaft zur Verfügung gestellt. Medienberichten zufolge will Indien die eigene Impfstoffproduktion bis Juni 2021 erhöhen, von der staalichen indischen Eisenbahngesellschaft gab bekannt, 4.000 Waggons mit einer Kapazität von 64.000 Betten als provisorische Stationen für Corona-Patienten bereitzustellen (BAMF 3.5.2021).
Alle Experten davon aus, dass kurzfristig die Fallzahlen wie auch die Zahlen der Toten weiter ansteigen werden, da das staatliche Gesundheitssystem in vielen Landesteilen schon jetzt an seine Grenzen gestoßen ist. Eine mittelfristige Prognose ist noch unklar. Eine Hoffnung stellt, bedingt durch den bereits erfolgten sehr breiten Ansteckung der Bevölkerung das Erreichen einer Herdenimmunität dar (HO 25.4.2021).
Quellen:
? BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.5.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw18-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 7.5.2021
? BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.10.2020): https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw42-2020.pdf;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.internet572?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 12.10.2020
? DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 18.1.2021
? FE – Financial Express (20.3.2021): Coronavirus Lockdown 2021 News Highlights: Only partial relaxation from lockdown in Nagpur from Monday, https://www.financialexpress.com/lifestyle/health/coronavirus-lockdown-2021-live-news-coronavirus-india-latest-march-20-updates-narendra-modi-covid-lockdown-night-curfew-maharashtra-mumbai-pune-nagpur-uttar-pradesh-delhi-bengaluru-hyderabad-punjab-gu/2216571/, Zugriff 22.3.2021
? FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 22.3.2021
? GTAI – German Trade & Invest [Deutschland] (3.12.2020): Indien sieht erste Anzeichen einer Konjunkturbelebung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/indien/indien-sieht-erste-anzeichen-einer-konjunkturbelebung-234424, Zugriff 18.1.2021
? HO – Heise Online (25.4.2021): Telepolis: Corona in Indien: Sorglosigkeit, Mutanten und himmelschreiende Ungleichheit, https://www.heise.de/tp/features/Corona-in-Indien-Sorglosigkeit-Mutanten-und-himmelschreiende-Ungleichheit-6030218.html, Zugriff 7.5.2021
? HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043608.html, Zugriff 18.1.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien
? PRC – Pew Research Center (18.3.2021): In the pandemic, India’s middle class shrinks and poverty spreads while China sees smaller changes, https://www.pewresearch.org/fact-tank/2021/03/18/in-the-pandemic-indias-middle-class-shrinks-and-poverty-spreads-while-china-sees-smaller-changes/, Zugriff 22.3.2021
? TOI – Times of India (21.3.2021): Government failed to control Covid spread, must vaccinate all within months: Congress,
http://timesofindia.indiatimes.com/articleshow/81618736.cms?utm_source=contentofinterest&utm_medium=text&utm_campaign=cppst, Zugriff 22.3.2021
? WKO – Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (13.1.2021): Coronavirus: Situation in Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-indien.html, Zugriff 18.1.2021
1.4.1. Politische Lage
Letzte Änderung: 21.05.2021
Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA 27.4.2021; vgl. AA 23.9.2020). Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik (BICC 1.2021).
Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 30.3.2021). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Ebene der Bundesstaaten (AA 23.9.2020). Im Einklang mit der Verfassung haben die 28 Bundesstaaten und acht Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 30.3.2021).
Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister der Regierungschef ist (USDOS 30.3.2021). Der Präsident nimmt weitgehend repräsentative Aufgaben wahr. Die politische Macht liegt hingegen beim Premierminister und seiner Regierung, die dem Parlament verantwortlich ist. Präsident ist seit 25. Juli 2017 Ram Nath Kovind, der der Kaste der Dalits (Unberührbaren) entstammt (GIZ 1.2021a).
Der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist nach britischem Muster durchgesetzt (AA 23.9.2020). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist verfassungsmäßig garantiert, der Instanzenzug ist dreistufig (AA 23.9.2020). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 1.2021a).
Die Verfassung garantiert Rede- und Meinungsfreiheit (USDOS 30.3.2021). Unabhängigen Medien drücken eine große Bandbreite von Meinungen und Ansichten ohne Einschränkungen aus (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Allerdings haben die Angriffe auf die Pressefreiheit unter der Regierung Modi zugenommen (FH 3.3.2021).
Im April/Mai 2019 wählten etwa 900 Mio. Wahlberechtigte ein neues Unterhaus. Im System des einfachen Mehrheitswahlrechts konnte die Bharatiya Janata Party (BJP) unter der Führung des amtierenden Premierministers Narendra Modi ihr Wahlergebnis von 2014 nochmals verbessern (AA 23.9.2020).
Als deutlicher Sieger mit 352 von 542 Sitzen stellt das Parteienbündnis "National Democratic Alliance (NDA)", mit der BJP als stärkster Partei (303 Sitze) erneut die Regierung. Der BJP-Spitzenkandidat und amtierende Premierminister Narendra Modi wurde im Amt bestätigt. Die United Progressive Alliance rund um die Congress Party (52 Sitze) erhielt insgesamt 92 Sitze (ÖB 9.2020; vgl. AA 19.7.2019). Die Wahlen verliefen, abgesehen von vereinzelten gewalttätigen Zusammenstößen v. a. im Bundesstaat Westbengal, korrekt und frei. Im Wahlbezirk Vellore (East) im Bundesstaat Tamil Nadu wurden die Wahlen wegen des dringenden Verdachts des Stimmenkaufs ausgesetzt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt (AA 19.7.2019). Mit der BJP-Regierung unter Narendra Modi haben die hindu-nationalistischen Töne deutlich zugenommen. Die zahlreichen hindunationalen Organisationen, allen voran das Freiwilligenkorps RSS [Rashtriya Swayamsevak Sangh], fühlen sich nun gestärkt und versuchen verstärkt, die Innenpolitik aktiv in ihrem Sinn zu bestimmen (GIZ 1.2021a). Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts treibt die regierende BJP ihre hindunationalistische Agenda weiter voran. Die Reform wurde notwendig, um die Defizite des Bürgerregisters des Bundesstaats Assam zu beheben und den Weg für ein landesweites Staatsbürgerregister zu ebnen. Kritiker werfen der Regierung vor, dass die Vorhaben vor allem Muslime und Musliminnen diskriminieren, einer großen Zahl von Personen den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft entziehen könnten und Grundwerte der Verfassung untergraben (SWP 2.1.2020; vgl. TG 26.2.2020). Kritiker der Regierung machten die aufwiegelnde Rhetorik und die Minderheitenpolitik der regierenden Hindunationalisten, den Innenminister und die Bharatiya Janata Party (BJP) für die Gewalt verantwortlich, bei welcher Ende Februar 2020 mehr als 30 Personen getötet wurden. Hunderte wurden verletzt (FAZ 26.2.2020; vgl. DW 27.2.2020).
Bei der Wahl zum Regionalparlament der Hauptstadtregion New Delhi musste die Partei des Regierungschefs Narendra Modi gegenüber der regierenden Antikorruptionspartei Aam Aadmi (AAP) eine schwere Niederlage einstecken. Diese gewann die Regionalwahl erneut mit 62 von 70 Wahlbezirken. Die AAP unter Führung von Arvind Kejriwal, punktete bei den Wählern mit Themen wie Subventionen für Wasser und Strom, Verbesserung der Infrastruktur für medizinische Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Frauen, während die BJP für das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz warb (KBS 12.2.2020). Modis Partei hat in den vergangenen zwei Jahren bereits bei verschiedenen Regionalwahlen in den Bundesstaaten Maharashtra und Jharkhand heftige Rückschläge hinnehmen müssen (quanatra.de 14.2.2020; vgl. KBS 12.2.2020).
Bei Regionalwahlen in vier indischen Bundesstaaten und einem Unionsterritorium hat die konservative Regierungspartei BJP von Premierminister Modi offenbar keine Zugewinne erzielt. In Westbengalen liegt die BJP deutlich hinter der Regionalpartei All India Trinamool Congress (TMC) von Chefministerin Mamata Banerjee. Auch in Assam, Tamil Nadu, Kerala und Puducherry fanden Wahlen statt. Nur in Assam konnte die BJP an der Macht festhalten, aber auch dort erzielte sie – wie in den anderen Bundesstaaten – keine Zugewinne. Der Wahlkampf fand inmitten der Corona-Pandemie zum Teil mit riesigen Wahlkundgebungen statt. Viele Experten sehen darin die Ursache für den dramatischen Anstieg der Infektionszahlen im Land. Modi hatte sich im Wahlkampf besonders in Westbengalen engagiert, das an der Grenze zu Bangladesch liegt und eine starke muslimische Minderheit hat. Die BJP versprach, hunderttausende Muslime auszuweisen, die vor Jahrzehnten aus Bangladesch nach Indien geflohen sind (DS 3.5.2021).
Trotz der Annäherung an die USA und der zunehmenden Spannungen mit China betont Indien weiterhin seine strategische Autonomie. Diese beinhaltet auch den Anspruch auf eine eigenständige Rolle im Kontext der geopolitischen Spannungen zwischen China und den USA im Indo-Pazifik. So haben Indien und China in den letzten Jahren auch immer wieder kooperiert, zum Beispiel in der Shanghaier Orga-nisation für Zusammenarbeit. Innerhalb der Quad hat sich Indien für ein inklusives Verständnis des Indo-Pazifiks ausgesprochen, das im Unterschied zu den Vorstellungen der USA bislang immer die Einbeziehung Chinas beinhaltete (SWP 7.2020). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist weiterhin ein strategisches Ziel Indiens (GIZ 1.2021a).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 15.10.2020
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 15.10.2020
? AA – Auswärtiges Amt (11.2.2021): Indien: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/politisches-portrait/206048, Zugriff 6.5.2021
? BICC – Bonn International Centre for Conversion (1.2021): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf, Zugriff 23.3.2021
? CIA - Central Intelligence Agency (27.4.2021): The World Factbook – India, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/india/#people-and-society, Zugriff 6.5.2021
? DS Der Standard (3.5.2021): Indien: Regionalwahl-Schlappe für Modi inmitten steigender Corona-Zahlen, https://www.derstandard.at/story/2000126330932/indienregionalwahl-schlappe-fuer-modi-inmitten-steigender-corona-faelle, Zugriff 6.5.2021
? DW – Deutsche Welle (27.2.2020): Sierens China: Schwieriges Dreiecksverhältnis, https://www.dw.com/de/sierens-china-schwieriges-dreiecksverh%C3%A4ltnis/a-52556817, Zugriff 28.2.2020
? FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.2.2020): Immer mehr Tote nach Unruhen in Delhi, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indien-tote-bei-gewalt-zwischen-hindus-und-muslimen-in-delhi-16652177.html, Zugriff 28.2.2020
? FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 6.5.2021
? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (1.2021a): Indien, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 11.5.2021
? KBS – Korean Broadcasting System (12.2.2020): Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, http://world.kbs.co.kr/service/contents_view.htmlang=g&board_seq=379626, Zugriff 14.2.2020
? ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien
? Quantara.de (14.2.2020): Herbe Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, https://de.qantara.de/content/herbe-niederlage-fuer-indiens-regierungschef-modi-bei-wahl-in-neu-delhi, Zugriff 20.2.2020
? SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (7.2020): Indisch-chinesische Konfrontation im Himalaya. Eine Belastungsprobe für Indiens strategische Autonomie, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A63_IndienChina.pdf, Zugriff 11.5.2021
? SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Indiens Ringen um die Staatsbürgerschaft, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A02_wgnArora_WEB.pdf, Zugriff 18.2.2020
? SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Keine Ruhe in Kaschmir. Die Auflösung des Bundesstaats und die Folgen für Indien, https://www.swp-berlin.org/10.18449/2019A45/, Zugriff 16.1.2020
? TG – The Guardian (26.2.2020): Anti-Muslim violence in Delhi serves Modi well, https://www.theguardian.com/commentisfree/2020/feb/26/violence-delhi-modi-project-bjp-citizenship-law, Zugriff 28.2.2020
? USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff am 6.5.2021
1.4.2. Sicherheitslage
Letzte Änderung: 28.05.2021
Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik. Das Land ist ein wichtiger Handelspartner der EU und der Vereinigten Staaten (BICC 1.2021).
Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 1.2021a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 1.2021). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (bpb 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 1.2021).
Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021) und der von separatistischen Gruppen bedrohte Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021, AA 23.9.2020). Der Punjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (im Punjab wurden 2020 insgesamt 18 Vorfälle im Zusammenhang mit Terrorismus registriert (SATP 3.5.2021a). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).
Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 3.3.2021). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 3.3.2021).
Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 812 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 940 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2019 kamen 621 Menschen durch Terrorakte. 2020 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 591 Tote. 2021 wurden bis zum 3. Mai insgesamt 164 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 3.5.2021b).
Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).
Bauernproteste, die sich gegen die von der indischen Regierung verabschiedeten Gesetze zur Liberalisierung des Agrarsektors richten, dauern seit Monaten an. Widerstand hat sich vor allem bei Sikhs im Punjab – dem Brotkorb Indiens - formiert. Inzwischen protestieren aber auch Bauern in anderen Teilen des Landes. Als im Januar 2021 die Proteste in New Delhi gewalttätig wurden, antwortete die Regierung mit harten Maßnahmen. Da bei den Protesten viele Sikhs beteiligt sind und u.a. eine Sikh-Flagge im Roten Fort in Delhi gehisst wurde, unterstellt die indische Regierung eine Beteiligung der Khalistan-Bewegung an den Protesten (BAMF 22.3.2021).
Indien und Pakistan
Indien und Pakistan teilen sprachliche, kulturelle, geografische und wirtschaftliche Verbindungen, doch sind die Beziehungen der beiden Staaten aufgrund einer Reihe historischer und politischer Ereignisse in ihrer Komplexität verstrickt und werden durch die gewaltsame Teilung Britisch-Indiens im Jahr 1947, dem Jammu & Kashmir-Konflikt und die zahlreichen militärischen Konflikte zwischen den beiden Nationen bestimmt (EFSAS o.D.).
Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (Piazolo 2008). Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche oft zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BICC 1.2021; vgl. BBC 23.1.2018, DFAT 10.12.2020). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen indischen und pakistanischen Streitkräften entlang der sogenannten "Line of Control (LoC)" haben sich in letzter Zeit verschärft und Opfer auf militärischer wie auch auf ziviler Seite gefordert. Seit Anfang 2020 wurden im von Indien verwalteten Kaschmir 14 Personen durch Artilleriebeschuss durch pakistanische Streitkräfte über die Grenz- und Kontrolllinie hinweg getötet und fünf Personen verletzt (FIDH 23.6.2020; vgl. KO 25.6.2020).
Indien wirft Pakistan dabei unter anderem vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Gebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 1.2021). Es kommt immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir (BICC 1.2021). So drang die indische Luftwaffe am 26.2.2019 als Vergeltung für einen am 14. Februar 2019 verübten Selbstmordanschlag erstmals seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum ein, um ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad in der Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, zu bombardieren (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019, WP 26.2.2019).
Modi nutzte den Konflikt mit Pakistan zur politischen Mobilisierung im Wahlkampf 2019. Dadurch wurde die pakistanfeindliche Stimmung in Indien so stark angeheizt, dass eine erneute Annäherung Indiens an Pakistan immer schwieriger wird. Seit der Veränderung des Status von Jammu und Kaschmir haben die Verletzungen des Waffenstillstands am Grenzverlauf zwischen Indien und Pakistan ("Line of Control") deutlich zugenommen (bpb 29.4.2021).
In einer Vereinbarung zwischen Indien und Pakistan mit dem Ziel "einen gegenseitig vorteilhaften und nachhaltigen Frieden zu erreichen", heißt es, dass nach längeren Verhandlungen die zuletzt bestehende Vereinbarung von 2003 über eine Waffenruhe "in Wort und Geist" ab dem 25. Februar 2021 umsetzen ist (Gov. o. I. 25.2.2021; vgl. SZ 26.2.2021).
Indien und China
Indien und China teilt eine 4.056 km lange Grenze (DFAT 10.12.2020). Der chinesisch-indische Grenzverlauf im Himalaya ist weiterhin umstritten (FAZ 27.2.2020). Nach wie vor gibt es zwischen Indien und China eine Reihe ungelöster territorialer Streitigkeiten, die 1962 zu einem kurzen Krieg zwischen den beiden Nachbarstaaten und zu mehreren Unruhen führten, darunter 2013, 2017 und 2020. Zusammenstöße zwischen Grenzpatrouillen an der 1996 vereinbarten "Line of Actual Control" (LAC), der De-facto-Grenze zwischen der von Indien verwalteten Region des Ladakh Union Territory und der von China verwalteten Region Aksai Chin sind häufig (DFAT 10.12.2020; vgl. FIDH 23.6.2020) und forderten am 15.6.2020 mindestens 20 Tote auf indischer Seite und eine unbekannte Anzahl von Opfern auf chinesischer Seite (FIDH 23.6.2020; vgl. BBC 3.7.2020, BAMF 8.6.2020). Dies waren die ersten Todesopfer an der LAC seit 1975. Von beiden Seiten wurden eine Reihe von Gesprächen auf politischer, diplomatischer und militärischer Ebene geführt. Die Situation bleibt jedoch festgefahren (DFAT 10.12.2020). Viele indische Experten sehen in der Entscheidung der Modi-Regierung vom August 2019, den Bundesstaat Jammu und Kaschmir aufzulösen, einen Auslöser für die gegenwärtige Krise (SWP 7.2020; vgl. Wagner C. 2020). Die chinesischen Gebietsübertretungen können somit als Reaktion auf die indische Politik in Kaschmir in der letzten Zeit gesehen werden (SWP 7.2020). Weitere Eskalationen drohen auch durch Gebietsverletzungen an anderen Stellen der mehr Grenze (FAZ 27.2.2020; vgl. SWP 7.2020). Sowohl Indien als auch China haben Ambitionen, ihren Einflussbereich in Asien auszuweiten (BICC 1.2021).
Zwar hat der amerikanisch-chinesische Handelskrieg die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und China gestärkt und neue Möglichkeiten für indische Unternehmen auf dem chinesischen Markt geschaffen, dennoch fühlt sich Indien von Peking geopolitisch herausgefordert, da China innerhalb seiner „Neuen Seidenstraße“ Allianzen mit Indiens Nachbarländern Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka geschmiedet hat. Besonders der Wirtschaftskorridor mit dem Erzfeind Pakistan ist den Indern ein Dorn im Auge (FAZ 27.2.2020).
Indien und Bangladesch
Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert (GIZ 1.2021a). In Nordost-Indien leben etwa 100.000 illegal eingewanderte Personen aus Bangladesch. Diese Einwanderer werden als ein erhöhtes Konfliktpotential wahrgenommen (BICC 1.2021). Auch bestehen kleinere Konflikte zwischen den beiden Ländern (BICC 1.2021).
Indien und Nepal
Die Beziehungen zwischen Indiens zu Nepal haben sich im Laufe des vergangenen Jahres [2020] verschlechtert (HRW 13.1.2021), nachdem das nepalesische Parlament im Juni 2020 eine Aufnahme dreier umstrittener Grenzgebiete in das nepalesische geographische Kartenwerk abgesegnet hat. Die kratographische Erfassung der umstrittenen Gebiete ist eine Reaktion auf den Bau einer Straße durch eines der umstrittenen Gebiete durch Indien, von welchem in einer im November 2019 überarbeitete Karte als zu Indien gehörig ausgewiesen wurde (HRW 13.1.2021). Nepal ist für Indien von besonderer sicherheitspolitischer Bedeutung (GIZ 1.2021a). Indien unterstützt die nepalesische Regierung mit Waffen und Gerät in ihrem Kampf gegen die maoistischen Guerilla (BICC 1.2021).
Indien und Sri Lanka
Die beiden Staaten pflegen ein eher ambivalentes Verhältnis (GIZ 1.2021a). Indien belieferte in der Vergangenheit Waffen die LTTE ("Tamil Tigers") in Sri Lanka (BICC 1.2021). Die tamilische Bevölkerungsgruppe in Indien umfasst ca. 65 Millionen Menschen, woraus sich ein gewisser Einfluss auf die indische Außenpolitik ergibt (GIZ 1.2021a). Indiensetzt sich für einen Prozess der Versöhnung der ehemaligen Gegnerschaften des Bürgerkrieges in Sri Lanka ein (HRW 13.1.2021).
Quellen:
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