TE Vwgh Erkenntnis 2021/10/19 Ra 2020/14/0135

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.10.2021
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §15 Abs1 Z5
AVG §13
AVG §13 Abs3
AVG §37
AVG §39 Abs2
AVG §39a
AVG §45 Abs2
AVG §46
AVG §47
AVG §52
BFA-VG 2014 §52
B-VG Art8
VwGG §41 Abs1
VwGVG 2014 §17

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/14/0136
Ra 2020/14/0137

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. Schindler, den Hofrat Dr. Himberger sowie die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, über die Revisionen der revisionswerbenden Parteien 1. AB, 2. CD und 3. EF, alle vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Februar 2020, 1. I411 2221096-1/17E, 2. I411 2221095-1/17E und 3. I411 2221097-1/18E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils € 1.106,40, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die revisionswerbenden Parteien sind ägyptische Staatsangehörige. Der Erstrevisionswerber ist mit der Zweitrevisionswerberin verheiratet, sie sind die Eltern des Drittrevisionswerbers. Nach jeweils legaler Einreise nach Österreich stellten der Erstrevisionswerber im Mai 2016 und die übrigen Familienmitglieder im Jänner 2017 Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2        Diese wurden im Wesentlichen damit begründet, dass der Erstrevisionswerber in Ägypten Mitglied der Ärztekammer und politisch als Oppositioneller im Rahmen der Revolution 2011, als Gegner des Militärputsches 2013 und als Hauptsprecher eines Ärztestreiks 2014 sowie für Menschenrechtsorganisationen aktiv gewesen sei. Aus diesen Gründen hätten staatliche Sicherheitskräfte sein Haus gestürmt und Gegenstände mitgenommen, wobei er jedoch nicht anwesend gewesen sei. Weil er wegen der Teilnahme an den Demonstrationen und dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft angeklagt worden sei, habe er das Land zunächst in Richtung Somalia verlassen. Im Jänner 2016 sei er in Abwesenheit von einem Gericht in Kairo zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und Zahlung einer Geldstrafe verurteilt worden. Zum Beweis dafür legte der Erstrevisionswerber Urkunden vor, bei denen es sich unter anderem um eine Ausfertigung dieses Urteils und eine Fahndungsliste handeln soll.

3        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete eine Anfrage an die Staatendokumentation zu den Fragen, ob das Urteil und die Fahndungsliste authentisch seien und ob zum Zeitpunkt des Urteils der darin genannte Richter am betreffenden Gericht tätig gewesen sei. Die Anfragebeantwortung lautete: „Der [Vertrauensanwalt der Österreichischen Botschaft Kairo] berichtet, dass das Gerichtsurteil nicht von jenem Gerichtshof verfasst wurde und es sich um eine Fälschung handelt. Der Richter, der dieses Urteil angeblich unterzeichnet hätte, hat nicht an diesem Gericht gearbeitet. Betreffend der Fahndungsliste gibt es keinen Hinweis darauf, dass diese vom Innenministerium herausgegeben wurde.“

4        Mit Bescheiden vom 11. Juni 2019 wies das BFA die Anträge der revisionswerbenden Parteien sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Ägypten zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde jeweils mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

5        Die revisionswerbenden Parteien erhoben dagegen jeweils Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Darin bestritten sie die den Bescheiden des BFA zu Grunde gelegte Erwägung, dass das vorgelegte Urteil eine Totalfälschung sei. Zum Beweis dafür legten sie der Beschwerde mehrere Ausdrucke von Internetseiten in arabischer Sprache bei. Nach dem Beschwerdevorbringen soll es sich dabei um einen Bericht einer Tageszeitung handeln, wonach mehrere Angeklagte im Jahr 2015 von besagtem, namentlich genannten Richter in Abwesenheit zu fünf Jahren Haft verurteilt worden seien; um zwei weitere Dokumente, wonach dieser, wiederum namentlich genannte Richter Urteile gegen Regimekritiker gefällt habe; sowie um zwei Berichte darüber, dass beim besagten Gerichtshof im Zuge einer Übersiedelung Akten verlegt worden seien.

6        In der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG brachten die revisionswerbenden Parteien vor, dass aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation nicht ersichtlich sei, welche Schritte der Vertrauensanwalt gesetzt habe und auf welche Auskunftsquellen er sich stütze. Sie verwiesen auf die in der Beschwerde vorgelegten Beweismittel sowie auf eine aktuell eingeholte und nunmehr in der Verhandlung vorgelegte Bestätigung der Staatsanwaltschaft über die Registratur des Urteils (samt einer vom Erstrevisionswerber erstellten Arbeitsübersetzung) und eine weitere beglaubigte Abschrift des Urteils. Der Erstrevisionswerber könne eine vom Gericht beglaubigte Kopie des nahezu vollständigen Strafaktes (samt Aktenvermerk über die vorgebrachte Hausdurchsuchung und Beschuldigtenvernehmungen) in Vorlage bringen. Auf Grund fehlender Mittel könne er jedoch nicht alle diese ca. 40 Seiten übersetzen lassen.

7        Am Ende dieser Beschwerdeverhandlung wurden die Erkenntnisse des BVwG verkündet, mit denen die Beschwerden der revisionswerbenden Parteien abgewiesen wurden. Diese Erkenntnisse wurden, nachdem zunächst Anträge auf schriftliche Ausfertigung gestellt und sodann Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof erhoben wurden, am 7. November 2019 schriftlich ausgefertigt. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 21. Jänner 2020, E 3875-3877/2019-21, wurden die Erkenntnisse des BVwG aufgehoben, weil dieses im Rahmen der mündlichen Verkündung jegliche Begründung für seine Entscheidung unterlassen hatte.

8        Daraufhin erließ das BVwG schriftlich die nunmehr bekämpften Erkenntnisse, mit denen es erneut die Beschwerden der revisionswerbenden Parteien als unbegründet abwies und Revisionen dagegen gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärte.

9        Begründend stellte es - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - fest, dass es dem Erstrevisionswerber nicht gelungen sei, asylrelevante Fluchtgründe glaubhaft zu machen. Dies gelte auch für die Zweitrevisionswerberin und den minderjährigen Drittrevisionswerber, die sich auf keine eigenen Fluchtgründe stützten. Das vorgelegte Strafurteil, wonach der Erstrevisionswerber von einem ägyptischen Gericht wegen politscher Aktivitäten - unter anderem wegen der „Förderung der Terroristengruppe der Muslimbrüder“ - zu fünf Jahren Haft und zur Zahlung von 5.000 Pfund verurteilt worden sein soll, habe sich im Rahmen des Ermittlungsverfahrens durch die belangte Behörde als Fälschung herausgestellt.

10       In der Beweiswürdigung verwies das BVwG dazu einerseits auf den Inhalt des Länderinformationsblattes zu Ägypten, wonach total gefälschte Reisedokumente bzw. Personenstandsurkunden sowie echte Dokumente mit zweifelhafter Beweiskraft ohne größere Schwierigkeiten auf dem Schwarzmarkt zu erlangen seien, und andererseits auf die vom BFA eingeholte, oben wiedergegebene Anfragebeantwortung der Staatendokumentation.

11       Dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien, wonach sich aus der Anfragebeantwortung weder die vom Vertrauensanwalt unternommenen Schritte noch dessen Auskunftsquellen ergeben würden, setzte das BVwG lediglich allgemeine Ausführungen zur Methodologie der Staatendokumentation entgegen. Demnach folge die Erstellung einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation verpflichtend den Standards der Staatendokumentation und der „VAA AFB (2016)“. Damit und mittels der festgeschriebenen Werkzeuge zur Qualitätskontrolle sollen grundlegende Maßstäbe der Qualitätssicherung gewährleistet werden. Der gesamte Qualitätssicherungsprozess werde dokumentiert und im Sinne der Nachverfolgbarkeit im Akt der Staatendokumentation festgehalten. Die in einer Anfragebeantwortung übermittelten Informationen könnten als Beweismittel im Rahmen der freien Beweiswürdigung durch die jeweiligen Entscheidungsträger verwendet werden. An die Österreichischen Botschaften und (General-)Honorarkonsulate könnten Anfragen zu Themen, zu denen keine Informationen aus anderen Quellen recherchiert werden können, und teilweise zu (personenbezogenen) Recherchen vor Ort im Herkunftsland gestellt werden. Die österreichischen Vertretungsbehörden könnten zur Erfüllung ihrer Aufgaben gezielt Vertrauensanwälte, Gutachter oder Sachverständige einsetzen. Durch deren fachliche Qualifikation, ihre Sprachkenntnisse und ihr weitreichendes Netzwerk könnten sie dem Anforderungsprofil der Vertretungsbehörde entsprechend ihr Fachwissen bzw. die jeweils angefragte Information an die jeweilige Österreichische Botschaft weiterleiten.

12       Das BVwG stütze sich aufgrund der (gemeint: von) den Vertrauensanwälten zugesicherten Qualität auf dieses Ergebnis und gelange daher zur Feststellung der Totalfälschung des Gerichtsurteils, was in weiterer Konsequenz zur Unglaubwürdigkeit sämtlicher Angaben der Revisionswerber zu ihrer Fluchtgeschichte führe.

13       Weiters wird die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (konkret VwGH 17.10.2006, 2003/20/0021) zitiert, wonach (zusammengefasst) die Stellungnahme des Vertrauensanwaltes einer österreichischen Botschaft im Heimatland des Asylwerbers zwar keinen Beweis durch Sachverständige im Sinn des § 52 AVG darstelle, aber doch in bestimmten Situationen im Sinn des § 46 AVG geeignet und zweckdienlich sein könne; bei dessen Würdigung jedoch stets zu berücksichtigen sei, dass die Qualifikation und die Vorgangsweise des Vertrauensanwaltes sich einer Kontrolle weitgehend entziehe, und dieser auch nicht persönlich zur Verantwortung gezogen werden könne. Es sei aber für das BVwG kein Grund ersichtlich, dass die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung darauf nicht Bedacht genommen hätte.

14       Zu den in der Verhandlung vorgelegten arabischsprachigen Urkunden und dem Angebot, weitere Teile des angeblichen Strafaktes (unübersetzt) vorzulegen, führte das BVwG aus, dass die deutsche Sprache nach Art. 8 B-VG die Staatssprache der Republik sei und es das Gesetz für Anbringen nach dem AsylG 2005 (mit Ausnahme der Sonderregelung über das Befragungsformular nach § 35 Abs. 3 AsylG 2005) zulässigerweise beim Grundsatz belasse, dass Anbringen in deutscher Sprache zu erfolgen hätten. Auch aus der Richtlinie 2005/85/EG (Verfahrensrichtlinie) lasse sich keine Pflicht zur amtswegigen Übersetzung von schriftlichen Rechtsmitteln ableiten. Wenn daher für das BVwG keine Pflicht zur amtswegigen Übersetzung von Anbringen bestehe, so gelte dies umso mehr für vorgelegte Beweismittel. Den revisionswerbenden Parteien sei für die Erhebung der Beschwerden ein kostenloser Rechtsberater zur Seite gestellt worden, in dessen Aufgabenbereich nach § 66 AsylG 2005 in der bis 31. Dezember 2013 geltenden Fassung sowie § 52 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) die Unterstützung von Beschwerdeführern auch in sprachlicher Hinsicht falle.

15       Außerdem würde durch die Vorlage von fremdsprachigen und nicht übersetzten Dokumenten die Konzentrationswirkung der mündlichen Verhandlung, deren wesentliche Funktion gerade in der Beweisaufnahme liege, unterlaufen. Dokumente, die nicht in der deutschen Amtssprache vorgelegt werden, könnten per se keine probaten Beweismittel sein, da sich diese einer schlüssigen und nachvollziehbaren Beweiswürdigung durch das Gericht und einer Reaktion durch die Gegenpartei entziehen würden. Bei der Annahme einer Verpflichtung des Gerichtes zur Übersetzung solcher Urkunden müsste die Verhandlung jedoch umgehend unterbrochen bzw. vertagt werden. Damit könnten die Verfahrensparteien den Verfahrensgang nach Belieben beeinflussen bzw. verschleppen. Jedenfalls lange, ausführliche und komplexe Dokumente könnten auch nicht von einem anwesenden Dolmetscher ad hoc übersetzt werden. Schließlich sei für den erkennenden Richter nicht plausibel nachvollziehbar, wieso zwar eine Heiratsurkunde und zwei Geburtsurkunden in beglaubigter Übersetzung vorgelegt worden seien, das bedeutendste Beweismittel, nämlich ein Urteil, welches der Untermauerung des vorgebrachten Asylgrundes erheblich dienen könne, allerdings nicht.

16       Aufgrund der Tatsache, dass es sich beim vorgelegten Urteil um eine Fälschung handle, breche das gesamte Konstrukt der Fluchtgeschichte zusammen und entbehre jeglicher Glaubwürdigkeit. Somit stehe fest, dass das Fluchtvorbringen der revisionswerbenden Parteien unglaubwürdig sei. Im Anschluss führt das BVwG weitere beweiswürdigende Erwägungen an, warum auch die übrigen Angaben des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin zu ihrer Fluchtgeschichte nicht glaubwürdig seien. Insgesamt habe der erkennende Richter in der mündlichen Verhandlung den persönlichen Eindruck gewinnen können, dass es den revisionswerbenden Parteien nicht darum gehe, sich vor Verfolgung oder befürchteter Verfolgung in Ägypten zu schützen, sondern dass sie ihren Herkunftsstaat aus rein wirtschaftlichen bzw. beruflichen Motiven verlassen hätten, um ihre persönliche Zukunft in Europa im Rahmen einer Karriere als Ärzte zu verbessern.

17       In rechtlicher Hinsicht kam das BVwG unter anderem zum Ergebnis, dass nach den getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl nicht gegeben seien, weshalb die Beschwerden diesbezüglich als unbegründet abzuweisen gewesen seien.

18       Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen, zu deren Zulässigkeit unter anderem vorgebracht wird, das BVwG sei durch die fehlende Auseinandersetzung mit den in der Beschwerde vorgelegten Zeitungsartikeln von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur amtswegigen Ermittlungspflicht abgewichen.

19       Nach Vorlage der Revisionen samt der Verfahrensakten durch das BVwG und der Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

20       Die Revisionen sind zulässig, weil das BVwG in seiner Verfahrensführung und Beweiswürdigung mehrfach von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist. Sie sind daher auch begründet.

21       Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Stellungnahme des Vertrauensanwaltes einer österreichischen Botschaft im Heimatland des Asylwerbers kein Beweis durch Sachverständige im Sinne des § 52 AVG und der dazu ergangenen Rechtsprechung. Es handelt sich um ein Beweismittel eigener Art, das auf Grund der besonderen Ermittlungsschwierigkeiten in Bezug auf asylrechtlich relevante Sachverhalte im Heimatland des Asylwerbers im Sinne des § 46 AVG geeignet und zweckdienlich sein kann, bei dessen Würdigung aber stets zu berücksichtigen ist, dass die Qualifikation und die Vorgangsweise des Vertrauensanwaltes sich einer Kontrolle weitgehend entziehen und er im Gegensatz zu einem Sachverständigen im Sinne des § 52 AVG auch nicht persönlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Eine Beweiswürdigung, die hierauf nicht Bedacht nimmt, ist fehlerhaft (VwGH 27.1.2000, 99/20/0488; vgl. weiters VwGH 17.10.2006, 2003/20/0021, und jüngst VwGH 6.11.2020, Ra 2020/18/0311).

22       Im Beschwerdeverfahren haben die revisionswerbenden Parteien zutreffend darauf hingewiesen, dass sich aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation nicht einmal im Ansatz ergibt, worauf der Vertrauensanwalt seine Auskunft zu stützen vermag. Damit verweisen sie unter Bezugnahme auf die konkrete Anfragebeantwortung gerade auf die fehlende Kontrolle der Vorgehensweise, mit der sich das BVwG trotz eines entsprechenden substantiierten Vorbringens (dazu sogleich) nicht auseinandergesetzt hat, indem es sich mit Verweis auf die Methodik der Staatendokumentation und ohne konkrete Auseinandersetzung mit der vorliegenden Sache mit einer im Allgemeinen vorliegenden fachlichen Qualifikation, Sprachkenntnissen, einem weitreichenden Netzwerk und einer zugesicherten Qualität begnügt.

23       Weil es sich bei der Stellungnahme des Vertrauensanwaltes einer österreichischen Botschaft im Heimatland des Asylwerbers um keinen Sachverständigenbeweis, sondern um ein Beweismittel eigener Art handelt, kann ihm nicht nur auf gleicher fachlicher Ebene begegnet werden (vgl. VwGH 31.5.2001, 2000/20/0470). Liegt die Stellungnahme eines Vertrauensanwaltes der österreichischen Botschaft im Herkunftsstaat des Asylwerbers vor, wonach es sich bei den vom Asylwerber vorgelegten Urkunden um Fälschungen handle, und wurde diese Stellungnahme dem Asylwerber zur Kenntnis gebracht, so vermag der Verwaltungsgerichtshof einer darauf gestützten Beweiswürdigung in der Regel aber nicht entgegen zu treten, wenn der Inhalt der herangezogenen Stellungnahme schlüssig ist und der Asylwerber den darin im Einzelnen dargelegten Anhaltspunkten für das Vorliegen einer Fälschung nicht in der Form einer konkreten Auseinandersetzung mit diesen Anhaltspunkten, sondern nur mit einer pauschalen Gegenbehauptung entgegen getreten ist (erneut VwGH 27.1.2000, 99/20/0488, mwN).

24       Im vorliegenden Fall besteht der einzige bekannte Anhaltspunkt für die Annahme der Fälschung des vorgelegten Urteils darin, dass der darin genannte Richter nicht am betreffenden Gericht tätig gewesen sein soll. Gerade diesem Anhaltspunkt sind die revisionswerbenden Parteien bereits in der Beschwerde durch die Vorlage von Zeitungsberichten, aus denen sich nicht nur die Tätigkeit dieses namentlich genannten Richters an diesem Gericht, sondern sogar seine Mitwirkung am vorgelegten Urteil ergeben soll, substantiiert entgegengetreten. Schon weil das BVwG dieses Beschwerdevorbringen samt den dazu vorgelegten Beweismitteln schlicht ignoriert, kann von keiner ordnungsgemäßen Beweiswürdigung in Bezug auf die Anfragebeantwortung ausgegangen werden.

25       Der Erstrevisionswerber hat darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung weitere teils fremdsprachige Urkunden vorgelegt und die (unübersetzte) Vorlage weiterer Teile des angeblichen Strafaktes angeboten. Das BVwG vertritt die Ansicht, derartige Beweismittel schon aus grundsätzlichen Erwägungen - nämlich wegen ihrer Fremdsprachigkeit und der nicht unmittelbar in der Verhandlung möglichen Beweisaufnahme - nicht berücksichtigen zu müssen.

26       Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit den sowohl die Behörde als auch das Verwaltungsgericht treffenden Ermittlungspflichten festgehalten, dass auch im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG gilt. Für das Asylverfahren stellt § 18 AsylG 2005 eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde und des Verwaltungsgerichtes dar, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen (vgl. VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, und 15.6.2021, Ra 2020/19/0344 bis 0346, je mwN).

27       Es trifft zwar zu, dass schriftliche Anbringen - darunter etwa Beschwerden - im Asylverfahren nach dem AsylG 2005 nur in deutscher Sprache eingebracht werden dürfen und daher bei fremdsprachigen Eingaben von der Behörde nach § 13 Abs. 3 AVG vorgegangen werden kann (vgl. VwGH 20.6.2017, Ra 2016/01/0288, unter Hinweis auf VwGH 26.9.2007, 2007/19/0086, zum AsylG 2005; anders noch die Rechtslage nach dem AsylG 1997, vgl. VwGH 28.10.2009, 2007/01/0800). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht im Allgemeinen kein Anspruch auf Verwendung einer fremden Sprache im schriftlichen Verkehr mit der Behörde. § 39a AVG (hier iVm § 17 VwGVG) über die Beiziehung von Dolmetschern regelt lediglich den mündlichen Verkehr zwischen der Behörde (dem Verwaltungsgericht) und den Parteien (vgl. VwGH 20.2.2001, 2001/18/0002; 29.1.2014, 2012/08/0283).

28       Der vom BVwG daraus gezogene Größenschluss - dass die fehlende Verpflichtung zur amtswegigen Übersetzung von schriftlichen Anbringen umso mehr für Beweismittel gelten müsse - trifft jedoch nicht zu, weil solche Schriftstücke nicht in dieser Form vergleichbar sind. An die Behörde oder das Verwaltungsgericht gerichtete schriftliche Anbringen werden zum Zwecke der Kommunikation (des „Verkehrs“) mit der Behörde oder dem Verwaltungsgericht erstellt und können daher auch diesem Zweck entsprechend gestaltet - also etwa in deutscher Sprache abgefasst - werden. Demgegenüber bestehen vorgelegte Urkunden in der Regel bereits unabhängig vom verwaltungs(gerichtlichen) Verfahren und dienen der Beweisführung, sollen die Behörde oder das Verwaltungsgericht also im Sinne von § 45 Abs. 2, §§ 46, 47 AVG (iVm § 17 VwGVG) vom Vorliegen bestimmter Tatsachen überzeugen, die sich außerhalb des Verfahrens ereignet haben.

29       Weder das AsylG 2005 noch das BFA-VG verpflichten einen Asylwerber (etwa im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005) generell, fremdsprachige Urkunden nur in übersetzter Form vorzulegen (vgl. demgegenüber beispielsweise § 6 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung oder § 27 Abs. 2 Ärztegesetz 1998). Eine solche Verpflichtung lässt sich auch nicht aus den Bestimmungen über die Rechtsberatung vor dem BVwG nach § 52 BFA-VG (anzuwenden war im vorliegenden Verfahren die Fassung vor dem BBU-Errichtungsgesetz) ableiten.

30       Die Veranlassung der Übersetzung vorgelegter fremdsprachiger Urkunden durch das Verwaltungsgericht stellt eine (gegebenenfalls amtswegige) Ermittlungsmaßnahme dar, weil sie im Einzelfall der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes dienen kann.

31       Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 26.2.2021, Ra 2021/14/0044, mwN).

32       Von einer solchen grob fehlerhaften Beurteilung ist aber auszugehen, wenn das Verwaltungsgericht - wie hier - schon aus prinzipiellen Überlegungen davon ausgeht, zu einer Übersetzung nie verpflichtet zu sein. So hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach erkannt, dass die unterbliebene Übersetzung von vorgelegten fremdsprachigen Urkunden einen Verfahrensmangel darstellen kann, der bei gegebener Relevanz zur Aufhebung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung führt (vgl. etwa VwGH 23.6.2021, Ra 2021/18/0087; VwGH 28.5.2020, Ra 2019/21/0336, Rn 24, mwN; VwGH 5.5.2020, Ra 2019/19/0460; VwGH 27.5.2015, Ra 2014/18/0133; VwGH 11.8.2011, 2008/23/0702; und VwGH 24.4.2003, 2001/20/0168).

33       Indem das BVwG schließlich damit argumentiert, unter der Annahme einer Verpflichtung des BVwG zur Übersetzung vorgelegter Urkunden sei es zu deren Annahme im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht (mehr) verpflichtet, weil Verfahrensparteien dadurch den Verfahrensgang nach Belieben beeinflussen bzw. verschleppen könnten, verweigert es die Aufnahme des angebotenen Urkundenbeweises.

34       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Beweisanträgen grundsätzlich zu entsprechen, wenn die Aufnahme des darin begehrten Beweises im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint. Dementsprechend dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen (VwGH 26.4.2021, Ra 2021/14/0015, mwN). Eine mit abstrakten Befürchtungen zu einer möglichen Verfahrensverzögerung begründete generelle Ablehnung nicht sofort ausführbarer Beweise steht mit dieser Rechtsprechung nicht in Einklang (vgl. VwGH 26.1.2021, Ra 2020/14/0122, wonach es nicht zulässig ist, die Aufnahme eines Zeugenbeweises mit der Begründung abzulehnen, dieser sei nicht bereits in der Beschwerde beantragt worden, was auf eine beabsichtigte Verfahrensverzögerung hindeute).

35       Die aufgezeigten Verfahrensmängel sind auch von Relevanz für den Verfahrensausgang, weil die nicht ordnungsgemäß berücksichtigten Beweismittel - wie das BVwG selbst ausführt - „der Untermauerung des vorgebrachten Asylgrundes erheblich dienen“ können. Außerdem hat das BVwG die Unglaubwürdigkeit des gesamten Vorbringens der Revisionswerber mehrfach ausdrücklich auch aus dem - unzureichend begründeten - Umstand der Fälschung des vorgelegten Urteils abgeleitet.

36       Die angefochtenen Erkenntnisse waren daher - jeweils zur Gänze, weil die rechtlich von der Nichtgewährung des Status der Asylberechtigten abhängenden Aussprüche ihre Grundlage verlieren - gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

37       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 19. Oktober 2021

Schlagworte

Allgemein Beweismittel Auskünfte Bestätigungen Stellungnahmen Beweismittel Sachverständigenbeweis Beweiswürdigung Wertung der Beweismittel Sachverhalt Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020140135.L00

Im RIS seit

15.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten