TE Vwgh Erkenntnis 1996/12/10 95/04/0149

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Veröffentlicht am 10.12.1996
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Index

50/04 Berufsausbildung;

Norm

BAG 1969 §2a Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 6. Juni 1995, Zl. GE - 550123/2-1995/Pan/Kra, betreffend Feststellung nach § 3a des Berufsausbildungsgesetzes (mitbeteiligte Partei: X-GmbH in L), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Begehren der Beschwerdeführerin auf Ersatz von Aufwendungen wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 6. Juni 1995 wurde gemäß § 3a Abs. 1 i.V.m. den §§ 2 Abs. 6 und 8 Abs. 2 und nach Maßgabe des § 2a des Berufsausbildungsgesetzes (BAG) festgestellt, daß der Betrieb der mitbeteiligten Partei so eingerichtet ist und so geführt wird, daß die für die praktische Erlernung im Lehrberuf "Bautechnische/r Zeichner/in" wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse dort überwiegend selbst ausgebildet werden können. Darüber hinaus wurde festgestellt, "daß eine ergänzende Ausbildung im Sinne des § 2a Abs. 2 BAG für die in der Folge genannten Fertigkeiten und Kenntnisse im angeführten Lehrjahr in einem anderen hiefür geeigneten Betrieb oder einer anderen hiefür geeigneten Einrichtung zu erfolgen hat und die Ausbildung nur bei Erfüllung dieser Auflage zulässig ist:

2. und 3. Lehrjahr:

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Anfertigen von Schalungs- und Bewehrungszeichnungen

-

Kenntnis des Aufbaues und der Einsatzgebiete des

rechnergestützten Konstruierens, Zeichnens und Fertigens

-

Anwenden der rechnergestützten Systeme

-

Anfertigen von Bauzeichnungen mit rechnergestützten

Systemen".

Zur Begründung wurde u.a. - nach Darlegung der Rechtslage - ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei der Meinung, daß der gegenständliche Betrieb die Voraussetzungen des § 2 Abs. 6 BAG nicht erfülle, weil (die oben genannten) vier Berufsbildpositionen nicht im Betrieb vermittelt werden könnten. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen des § 2 Abs. 6 im Zusammenhang mit § 2a BAG beim gegenständlichen Betrieb vorlägen, hätte die belangte Behörde die einzelnen Berufsbildpositionen bewerten müssen, um feststellen zu können, ob die wesentlichen Berufsbildpositionen dieses Lehrberufes im gegenständlichen Betrieb vermittelbar seien. Die im gegenständlichen Betrieb nicht vermittelbaren Berufsbildspositionen seien derart wichtig, daß die Erlassung eines positiven Feststellungsbescheides im Sinne des § 3a BAG nicht gerechtfertigt sei. Nach Ansicht der belangten Behörde hätten jedoch sämtliche in einer Ausbildungsvorschrift enthaltenen Fertigkeiten und Kenntnisse schon von Gesetzes wegen als wesentlich zu gelten und damit bleibe kein Raum für eine Gewichtung der einzelnen Fertigkeiten und Kenntnisse durch die erkennende Behörde. Unter Berücksichtigung dieser Ausführung könne daher die Interpretation des Wortes "wesentlichen" des letzten Satzes des § 2a Abs. 1 BAG in dem eben dargelegten Sinn verstanden werden, sodaß auch für die Auslegung des Begriffes "überwiegend" nur eine quantitative Zählung der Berufsbildpositionen zwingend logisch sei. Im konkreten Fall seien im Lehrberuf "Bautechnischer Zeichner" in einem Zeitraum von drei Jahren insgesamt

28 Berufsbildpositionen zu vermitteln. Unbestrittenerweise könnten im gegenständlichen Betrieb vier Berufsbildpositionen nicht vermittelt werden, woraus ersichtlich sei, daß bei einem Verhältnis von 28:4 im Sinne des § 2a Abs. 1 BAG die wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse im Betrieb selbst vermittelt werden könnten. Damit sei die Erlassung eines positiven Feststellungsbescheides als zutreffend zu erachten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof macht die Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides im wesentlichen geltend, die belangte Behörde habe die Begriffe "wesentlich" und "überwiegend" des letzten Satzes des § 2a Abs. 1 BAG falsch interpretiert. Als gesetzliche Grundlage zur Erlassung von Ausbildungsvorschriften diene § 8 BAG. Die für den jeweiligen Lehrberuf anzuführenden Berufsbildpositionen untergliederten sich in

-

wesentliche Fertigkeiten und Kenntnisse, betreffend der im Lehrberuf eigentümlichen Arbeiten und

-

wesentliche Fertigkeiten und Kenntnisse, betreffend der zur Ausübung dieser Tätigkeit erforderlichen Hilfsverrichtungen, und

-

den sonstigen Anforderungen, die die Berufsausbildung stellt.

Bei der Gestaltung der Berufsbilder seien die wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse, die während der Ausbildung zu vermitteln seien, möglichst in der Reihenfolge ihres Schwierigkeitsgrades unter Berücksichtigung des Ausbildungsganges anzuführen (EB). Nicht nur die Unterteilung der wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse auf die dem Lehrberuf eigentümlichen Arbeiten und die zur Ausübung dieser Tätigkeiten erforderlichen Hilfsverrichtungen, sondern auch die notwendige Entscheidung hinsichtlich unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade ließen eindeutig darauf schließen, daß - insbesondere im Zusammenhang mit § 2a BAG -, eine Gewichtung der einzelnen Fertigkeiten und Kenntnisse zu erfolgen habe. Würde man der Ansicht der Berufungsbehörde folgen, wonach alle in den Ausbildungsvorschriften angeführten Fertigkeiten und Kenntnisse gleich wesentlich seien, wäre der im letzten Satz des § 2a Abs. 1 BAG angeführte Begriff "wesentlich" entbehrlich. Gerade diese Formulierung des letzten Satzes des § 2a Abs. 1 BAG diene als qualitatives Kriterium für die Zulässigkeit von Ausbildungsverbundmaßnahmen, da eine derartige Zulässigkeit nur dann vorliege, wenn die wesentlichen, der in den Ausbildungsvorschriften angeführten wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse überwiegend selbst ausgebildet werden könnten. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin bedeute die Verwendung des Begriffes "wesentlich", daß eine weitere Differenzierung vorgenommen werden müsse und eine Gewichtung der einzelnen Fertigkeiten und Kenntnisse durch die erkennende Behörde die Zulässigkeit von Ausbildungsverbundmaßnahmen festzustellen sei. Die geltenden Ausbildungsvorschriften seien, was die Anzahl der Berufsbildpositionen betreffe, völlig unterschiedlich gestaltet. Innerhalb der Berufsbildpositionen seien wiederum nach der Gewichtung der zu vermittelnden Inhalte "Grundkenntnisse", "Kenntnisse" und "Fertigkeiten" zu unterscheiden. Bei einer nur quantitativen Beurteilung könnte ein Betrieb letztlich etwa nur Grundkenntnisse eines Berufsbildes vermitteln und die Vermittlung fast aller Fertigkeiten im Rahmen eines Ausbildungsverbundes durchführen. Eine quantitative Beurteilung reiche für die Feststellung, ob die wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse überwiegend selbst im Lehrbetrieb vermittelt werden könnten, nicht aus. Da die Firma der mitbeteiligten Partei über keine rechnergestützten Systeme verfüge, könnten (näher angeführte) Berufsbildpositionen nicht vermittelt werden. Bedingt durch diese nicht vorhandene Einrichtung könnten allerdings auch eine Reihe von anderen Fertigkeiten - zwar händisch - nicht aber mit rechnergestützten Systemen vermittelt werden. Die in den Berufsbildpositionen 22, 23 und 24 angeführten Kenntnisse und Fertigkeiten seien beginnend ab dem zweiten Lehrjahr während der gesamten beiden letzten Lehrjahre derart zu vermitteln, daß der Lehrling zur Ausübung einer qualifizierten Tätigkeit befähigt werde, die insbesondere selbständiges Planen, Durchführen und Kontrollieren einschließe (vgl. § 4 der Bautechnischen Zeichner-Ausbildungsverordnung, BGBl. Nr. 1086/1994). Diese im Betrieb der mitbeteiligten Partei nicht vermittelbaren Fertigkeiten und Kenntnisse würden somit einen Kernbereich der Ausbildung bzw. Tätigkeit als Bautechnischer Zeichner darstellen. Die Wertigkeit dieses Kernbereichs spiegle sich auch im § 7 der Verordnung BGBl. Nr. 1086/1994 wider. Dieser Bestimmung zufolge sei neben dem händischen Anfertigen einer bautechnischen Zeichnung eine derartige Zeichnung auch mit rechnergestützten Systemen anzufertigen. Für die Bewertung der Prüfarbeit sei als Kriterium u.a. das fachgerechte Handhaben rechnergestützter Systeme maßgebend. Wie aus den Ausbildungsvorschriften zu ersehen sei, erstrecke sich die erstmalige Vermittlung, das Üben und Vertiefen sowie das Anwenden in der betrieblichen Praxis dieser nicht vermittelbaren Fertigkeiten und Kenntnisse über die gesamte Lehrzeit. Diese fehlenden Ausbildungsinhalte seien daher nicht nur hinsichtlich ihrer fachlichen Gewichtung, sondern vor allem im Hinblick auf den notwendigen zeitlichen Aufwand, der notwendig wäre, um sie in einer anderen geeigneten Einrichtung bzw. in einem anderen geeigneten Betrieb vermitteln zu können, zu beurteilen. Das Wort "überwiegend" im § 2a Abs. 1 BAG könne jedoch nicht bedeuten, daß knapp mehr als die Hälfte der Berufsbildpositionen in einem Betrieb ausgebildet würden, sondern könne nur so verstanden werden, daß nahezu alle Berufsbildpositionen im ausbildenden Betrieb vermittelt werden und nur wenige Berufsbildpositionen im Rahmen eines Ausbildungsverbundes ergänzt werden müßten, sodaß zeitlich und fachlich nahezu die gesamte Ausbildung im ausbildenden Betrieb stattfinden könne.

Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerdeführerin im Recht.

Gemäß § 2 Abs. 6 BAG ist die Ausbildung von Lehrlingen nur zulässig, wenn der Betrieb oder die Werkstätte so eingerichtet ist und so geführt wird, daß den Lehrlingen die für die praktische Erlernung im betreffenden Lehrberuf nötigen Fertigkeiten und Kenntnisse vermittelt werden können.

Gemäß § 2a Abs. 1 BAG ist, wenn in einem Lehrbetrieb (einer Ausbildungsstätte) die nach den Ausbildungsvorschriften festgelegten Fertigkeiten und Kenntnisse nicht im vollen Umfang vermittelt werden können, die Ausbildung von Lehrlingen dann zulässig, wenn eine ergänzende Ausbildung durch Ausbildungsmaßnahmen von einem anderen hiefür geeigneten Betrieb oder einer anderen hiefür geeigneten Einrichtung erfolgt. Eine solche ergänzende Ausbildung ist nur dann zulässig, wenn im Lehrbetrieb die für den Lehrberuf wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse überwiegend selbst ausgebildet werden können.

Gemäß § 3a Abs. 1 BAG hat die Lehrlingsstelle, bevor in einem Betrieb erstmalig Lehrlinge ausgebildet werden, festzustellen, ob die im § 2 Abs. 6 angeführten Voraussetzungen vorliegen. Ohne die rechtskräftige Feststellung, daß diese Voraussetzungen vorliegen, ist das Ausbilden von Lehrlingen unzulässig.

Nach § 8 Abs. 2 BAG haben die Ausbildungsvorschriften Berufsbilder zu enthalten; diese sind entsprechend den dem Lehrberuf eigentümlichen Arbeiten und den zur Ausübung dieser Tätigkeiten erforderlichen Hilfsverrichtungen, jedoch ohne Rücksicht auf sonstige Nebentätigkeiten des Lehrberufes unter Berücksichtigung der Anforderungen, die die Berufsausbildung stellt, festzulegen und haben hiebei nach Lehrjahren gegliedert die wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse, die während der Ausbildung zu vermitteln sind, anzuführen.

Im gegenständlichen Fall ist lediglich strittig, ob die Behörde das Tatbestandsmerkmal "wesentliche Fertigkeiten und Kenntnisse überwiegend" des § 2a Abs. 1 BAG richtig interpretiert hat. Die belangte Behörde hat dies nur in quantitativer Hinsicht beurteilt. Ob jedoch die wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse überwiegend selbst im Lehrbetrieb vermittelt werden können, ist nicht durch eine quantitative Zählung der Berufsbildinhalte zu ermitteln. Vielmehr ist dieser Nachweis durch eine Bewertung und Abwägung sämtlicher Berufsbildpositionen des Lehrberufes im Verhältnis zu jenen Ausbildungsinhalten, welche im Lehrbetrieb vermittelt werden können, zu erbringen (vgl. Berger/Fida/Gruber, Berufsausbildungsgesetz, S. 127, RZ 9). Auch wenn "die für den Lehrberuf wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse" jeweils am Maßstab des Berufsbildes der betreffenden Ausbildungsvorschrift zu beurteilen ist, so hat der Gesetzgeber - anders als die belangte Behörde meint - im § 2a Abs. 1 BAG eben - allgemein - auf die für den Lehrberuf wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse abgestellt und keine UNMITTELBARE normative Verknüpfung mit den in den einzelnen Ausbildungsvorschriften enthaltenen Positionen, die - nach Lehrjahren gegliedert - zur Vermittlung der wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse angeführt sind, hergestellt; zumal der Verordnungsgeber bei der numerischen Gestaltung der Berufsbildpositionen in seiner diesbezüglich bloß formalen Dispositionsbefugnis durch das Gesetz nicht beschränkt ist (vgl. im übrigen auch das hg. Erkenntnis vom 20. September 1994, Zl. 94/04/0056).

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Abweisung des Zuspruches auf Aufwandersatz stützt sich auf § 47 Abs. 4 VwGG in Verbindung mit § 3a Abs. 3 vorletzter Satz BAG (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 1. Oktober 1985, Zl. 94/04/0034).

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995040149.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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