TE OGH 2021/9/15 7Ob111/21f

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Veröffentlicht am 15.09.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Stefula und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Walter Müller und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei W***** GmbH, *****, vertreten durch die Dr. Wilhelm Schlein Rechtsanwalt GmbH in Wien, wegen 122.636,40 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. Februar 2021, GZ 4 R 74/20m-38, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 10. Februar 2020, GZ 15 Cg 77/18t-34, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.430,72 EUR (darin 405,12 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Im Zuge der Sanierung eines im Eigentum der Beklagten stehenden Einkaufszentrums war die Klägerin von dieser mit der gärtnerischen Gestaltung des Flachdachs des Gebäudekomplexes beauftragt. Die Klägerin errichtete im Jahr 2017 auf Innenhöfen des Flachdaches eine Dachbegrünung sowie Garten- und Parkanlagen.

[2]       Die Beklagte schloss als Versicherungsnehmerin mit einem Versicherer eine Bauwesenversicherung ab, mit der sie ihr eigenes Risiko als Bauherrin versichert und in der auch die Klägerin als eine von mehreren Auftragnehmerinnen mitversichert ist. Versichertes Risiko des Bauwesenversicherungsvertrags ist der Umbau des Einkaufszentrums. Vertragsgrundlagen sind „Allgemeine Bedingungen für die Bauwesenversicherung zur Abdeckung des Bauherren-, Bauunternehmer- und Bauhandwerkerrisikos (BW 1/75)“ (kurz: BW 1/75) und „Besondere Vereinbarungen“ (Polizzenbedingungen). Die Gesamtversicherungssumme von 2.442.000 EUR setzt sich aus 2.220.000 EUR für den „Auftragswert lt. Leistungsverzeichnis des gesamten Bauvorhabens“ und aus 222.000 EUR als pauschaler Versicherungssumme auf „Erstes Risiko“ pro Schadensfall für bestimmte Kosten zusammen.

[3]       Die „Besonderen Bedingungen“ (Polizzenbedingungen) lauten auszugsweise:

8. Vertragsgrundlagen

[…]

8.2 Makler

Die Firma [Maklerin] wickelt den gesamten Geschäftsverkehr zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer ab und ist daher vom Versicherungsnehmer bevollmächtigt, Anzeigen, Deklarationen und Willenserklärungen entgegenzunehmen.

Die Anzeigen, Deklarationen und Willenserklärungen des Versicherungsnehmers gelten dem Versicherer als zugegangen, wenn diese bei der Firma [Maklerin] eingelangt sind.

[...]“

[4]       Die „Allgemeinen Bedingungen“ BW 1/75 lauten auszugsweise:

Art 1 Art und Gegenstand der Versicherung:

Die Bauwesenversicherung ist eine Sachversicherung. Sie bezieht sich auf das in der Polizze näher bezeichnete Bauvorhaben.

[…]

Art 6 Versicherte Interessen; Versicherung für fremde Rechnung; Rückgriffsrechte:

1. Versichert im Rahmen dieser Versicherung sind ausschließlich

a) der Bauherr sowie

b) sämtliche am versicherten Bauvorhaben beteiligten Bauunternehmer und außerdem

c) bei besonderer Vereinbarung auch Bauhandwerker,

soweit alle diese Personen aufgrund bestehender Kauf- oder Werkverträge im Umfang der ÖNORM B 2110, Ziff. 12 die gem. Art 4 versicherten Gefahren und Schäden zu tragen haben oder trotz Regelung der genannten Gefahrenteilung letztlich wirtschaftlich tatsächlich tragen müssen und somit an den versicherten Sachen ein Interesse haben.

[...]

2. Je nachdem, wer Versicherungsnehmer ist, gilt die Versicherung in Ansehung der übrigen Versicherten als Versicherung für fremde Rechnung abgeschlossen.

Die Bestimmungen der §§ 74 bis 80 VersVG finden sinngemäß Anwendung, sofern sich aus den Punkten 3 bis 6 nichts anderes ergibt.

3. [...]

Vertragspartner und Prämienschuldner bleibt jedoch ausschließlich der Versicherungsnehmer.

Über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag kann nur der Versicherungsnehmer verfügen.

[…]“

[5]       Zum Jahreswechsel 2017/2018 kam es nach Fixierung eines Schutzflieses mit Metall- und Kunststoffanker durch die Klägerin zu Wassereintritten in einem unter dem Flachdach befindlichen Mietobjekt. Für das deshalb erforderliche Abräumen des Daches stellte die Klägerin 122.636,40 EUR sowie weitere 383.002,80 EUR mit zwei Teilrechnungen (vom 22. 3. 2018 und 25. 4. 2018) der Beklagten zur Weiterleitung an den Bauwesenversicherer in Rechnung.

[6]       Durch die von der Klägerin verwendeten Metall- und Kunststoffanker kam es zu einer Beschädigung der Dachhaut. Sie anerkannte „die von ihr verursachten“ Schäden durch das Einschlagen der Erdanker und meldete den Schaden ihrem Haftpflichtversicherer. Die durch das Einschlagen der Anker entstandenen Löcher wurden in weiterer Folge verflämmt. Zwischen den Parteien ist strittig, wie weit die von der Klägerin verwendeten Anker in die Dachkonstruktion eindrangen und ob das Einschlagen ursächlich für den Wassereintritt war.

[7]       Da die Beklagte nicht über die finanziellen Mittel zur Begleichung der Rechnungen für die ersten Sofortmaßnahmen im Zusammenhang mit den Dachgärten verfügte, ersuchte sie Anfang März 2008 ihre Versicherungsmaklerin, mit dem Haftpflichtversicherer der Klägerin und dem Bauwesenversicherer die Übernahme und Zahlung der bisherigen Rechnungen zu vereinbaren.

[8]       Daraufhin gab der Haftpflichtversicherer der Klägerin bekannt, dass er einen Teil der eingereichten Rechnungen von dritten Unternehmen übernehme.

[9]            Ebenfalls im März 2018 teilte der Bauwesenversicherer mit, der Beklagten als Versicherungsnehmerin eine Vorauszahlung von 75.000 EUR zu leisten, um ihr für die notwendigen Rückbauarbeiten einen Handlungsspielraum zu verschaffen. Der Versicherer ordnete diesen Betrag ausdrücklich nicht einer bestimmten Schadensposition (wie zB Bewegungs-/Schutzkosten) zu und behielt sich die spätere Verrechnung mit anderen Schadenspositionen vor. Die Beklagte erhielt nachfolgend diese Akontozahlung überwiesen.

[10]     Sie zahlte die erste Teilrechnung (vom 22. 3. 2018) über 122.636,40 EUR nicht und wies die Klägerin mit Schreiben vom 23. 4. 2018 darauf hin, dass deren Leistungen (Abräumen der Dächer) nicht honoriert würden, weil diese zur Naturalrestitution verpflichtet sei. Weiters hielt sie fest, dass sie den Versicherer angewiesen habe, diese Rechnung unter keinen Umständen zu zahlen.

[11]     Neben den beiden Rechnungen der Klägerin reichte die Beklagte sämtliche bei ihr einlangenden Rechnungen im Zusammenhang mit dem Schadensfall beim Bauwesenversicherer und beim Haftpflichtversicherer der Klägerin ein.

[12]     Im August 2018 leistete der Bauwesenversicherer eine weitere Vorauszahlung von 25.000 EUR (an die Beklagte als Versicherungsnehmerin) und nach Übermittlung der Kostenschätzung eines Unternehmens für die Schwarzdeckerarbeiten zur Sanierung des Dachaufbaues zahlte er im September 2018 weitere 150.000 EUR jeweils mit dem Zahlungsgrund „Akontozahlung zu Schadenfall Dachgärten“. Der Versicherer erbrachte keine Versicherungsleistung auf bestimmte Rechnungen, sondern leistete lediglich ungewidmete Akontozahlungen in Gesamthöhe von 250.000 EUR an die Beklagte. Diese verwendete die Akontozahlungen zur Begleichung von Rechnungen, die ihr dritte Unternehmen im Zusammenhang mit dem Schadensfall gelegt hatten, in Summe 335.505,16 EUR

[13]     Im November 2018 übermittelte der Bauwesenversicherer einen Abrechnungsvorschlag mit einer Vergleichssumme von 491.053,24 EUR, von der die bereits geleisteten Akontozahlungen als Vorauszahlung in Abzug zu bringen sind. Die Beklagte erklärte sich mit diesem Abrechnungsvorschlag nicht einverstanden und strebt eine höhere Versicherungsleistung an.

[14]     Die Klägerin begehrte von der Beklagten (zuletzt) den Ersatz der ersten Teilrechnung von 122.636,40 EUR samt Zinsen. Dazu brachte sie – soweit für das Revisionsverfahren wesentlich – vor, als Mitversicherte in der von der Beklagten abgeschlossenen Bauwesenversicherung habe sie Anspruch auf die von dieser als Treuhänderin aller mitversicherten Werkunternehmer vom Versicherer lukrierten Akontozahlungen, die den Klagebetrag übersteigen würden. Die Beklagte habe überdies einen entsprechenden, den Schadensfall erledigenden Vorschlag des Versicherers zur Endabrechnung des Schadensfalls nicht angenommen und diese dadurch zu ihrem Nachteil torpediert und hinausgezögert.

[15]     Die Beklagte wendete ein, die Klägerin habe die Verletzung der Dachhaut verschuldet. Abgesehen davon, dass unklar sei, ob die Behebung dieses Schadens von der Bauwesenversicherung gedeckt sei, habe die Klägerin als Schädigerin keinen Anspruch auf Ausfolgung der Versicherungsleistungen aus der Bauwesenversicherung. Überdies habe sie selbst vom Versicherer nur ungewidmete Akontozahlungen von 250.000 EUR erhalten und damit Rechnungen Dritter gezahlt. Ersatzansprüche aus den ihr von der Klägerin zugefügten Schäden hielt sie der Klageforderung bis zu deren Höhe compensando entgegen.

[16]     Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Zwar stünden bei der Bauwesenversicherung als einer von der Beklagten als Versicherungsnehmerin abgeschlossenen Versicherung auf fremde Rechnung (auch) den Bauunternehmern als mitversicherten Dritten Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zu, diese könnten jedoch diese Ansprüche nicht selbst geltend machen. Der Versicherungsnehmer sei verpflichtet, eine erhaltene Versicherungsleistung nach allfälligem Abzug eigener Spesen an die Versicherten weiterzuleiten. Diesen stehe das Recht zu, einen vom Versicherer an den Versicherungsnehmer gezahlten Betrag von Letzterem herauszuverlangen. Ob und in welchem Umfang Forderungen aus dem Schadensfall durch Versicherungsleistungen gedeckt werden könnten, sei für die Frage der Berechtigung des geltend gemachten Ausfolgungsanspruchs nicht relevant, weil ein solcher nur dann bestehen könne, wenn der Versicherer eine Versicherungsleistung für die Klägerin erbracht habe. Der Klägerin sei nicht der Nachweis gelungen, dass der Versicherer bereits eine für sie gewidmete oder bestimmte Versicherungsleistung erbracht habe. Soweit die Ansprüche darauf gegründet würden, dass die Beklagte einen Abrechnungsvorschlag des Versicherers nicht angenommen habe, wäre es an der Klägerin gelegen gewesen, ein schlüssiges Vorbringen dazu zu erstatten, warum die Beklagte zur Herausgabe der – zum Teil gar noch nicht ausgezahlten – Versicherungsleistung in voller Höhe des Klagebetrags verpflichtet sei. Insbesondere habe sie nicht dargelegt, wie eine Aufteilung oder Anrechnung der Akontozahlungen zu einem Zeitpunkt, zu dem eine endgültige Abrechnung des Schadensfalls noch ausstehe, vorzunehmen wäre. Bislang stehe noch nicht einmal fest, „ob und“ in welcher Höhe der Bauwesenversicherer eine Versicherungsleistung zu erbringen habe. Angesichts des noch in Abwicklung befindlichen Versicherungsfalls könne von einer Bereicherung der Beklagten nicht ausgegangen werden.

[17]     Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Rechtlich führte es aus, die Beklagte habe keine auf eine konkrete – insbesondere die Klägerin betreffende – Schadensposition gewidmete Zahlung, sondern bislang nur ungewidmete Akontozahlungen vom Versicherer erhalten, um die Instandsetzung der versicherten Schäden vorantreiben zu können. Der Versicherer habe sich dabei die spätere Verrechnung mit anderen Schadenspositionen ausdrücklich vorbehalten. Die Beklagte habe mit den Akontozahlungen nicht bereits eine Versicherungsleistung (oder eine Vorauszahlung einer solchen gemäß § 11 Abs 2 VersVG) in Ansehung einer der Klägerin (endgültig) zugeordneten Schadensposition erhalten und sei daher auch nicht zu deren Weiterleitung verpflichtet. Auch der bloße Abwicklungsvorschlag des Versicherers bewirke keine definitive Festlegung der Versicherungsleistungen durch ihn. Eine vom Versicherer an die Beklagte zu Gunsten der Klägerin geleistete Versicherungsleistung liege daher bislang nicht vor. Eine Verpflichtung der beklagten Versicherungsnehmerin, bereits ungewidmete Akontozahlungen (ausschließlich) an die Klägerin weiterzuleiten, bestehe schon wegen der fehlenden Zuordenbarkeit der vom Versicherer erhaltenen und von diesem ausdrücklich nicht gewidmeten Leistungen (noch) nicht.

[18]     Aus „Praktikabilitätsgründen“ (Ziel der Akontozahlungen sei offenbar die rasche Schadensklärung und Schadensbegrenzung) sei eine analoge Heranziehung der von der Klägerin erstmals im Berufungsverfahren ins Spiel gebrachten Anrechnungsregeln des § 1416 ABGB „nicht angebracht“. Überdies habe die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren kein konkretes Vorbringen erstattet, warum gerade ihre Forderung als Älteste oder die am meisten Beschwerlichste im Sinn des § 1416 ABGB vorrangig zu befriedigen wäre.

[19]     Wenn die Klägerin ihren Anspruch auf die Ablehnung eines Abrechnungsvorschlags des Versicherers durch die Beklagte sowie auf den Umstand stütze, dass diese den Versicherer aufgefordert habe, keine Versicherungsleistung an sie zu erbringen, führe eine solche zu einer Verzögerung der Auszahlung der Versicherungsleistung führende Ablehnung nicht dazu, dass die Beklagte als Treuhänderin dennoch auf Ausfolgung des noch nicht bei ihr befindlichen Treuguts in Anspruch genommen werden könne. Durch eine allenfalls unberechtigte Weigerung verursachte Verzögerungsschäden mache die Klägerin nicht geltend. Dass durch das Verhalten der Beklagten ihr Anspruch auf die ihr allenfalls zustehende Versicherungsleistung bereits (endgültig) vereitelt worden und ihr daher schon jetzt ein Schaden in der Höhe des Klagebetrags entstanden sei, habe die Klägerin ebensowenig behauptet.

[20]     Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Verteilung von Akontozahlungen durch einen Versicherungsnehmer in der Versicherung auf fremde Rechnung nicht vorliege.

[21]     Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[22]     Die Beklagte beantragte in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurück-, hilfsweise abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[23]     Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

[24]     1. Angebliche Verfahrensmängel erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, können in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden (RS0042963). Dieser Grundsatz kann auch nicht mit der Behauptung umgangen werden, das Berufungsverfahren selbst sei – weil das Berufungsgericht der Mängelrüge des Berufungswerbers nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben (RS0042963 [T58]). Dieser Grundsatz wäre nur dann unanwendbar, wenn das Berufungsgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hätte (RS0042963 [T52]). Ein solcher Fall liegt nicht vor, wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat (§ 510 Abs 3 ZPO).

[25]     2. Die Bauwesenversicherung schützt als Sachversicherung (Art 1 BW 1/75) die im Rahmen eines Bauprojekts zu erbringenden Leistungen (Bauwerke) während ihrer Entstehung (Schaflinger, Die Bauwesenversicherung, ZRB 2014, XIII; vgl RS0080911).

[26]     Die Bauwesenversicherung wurde von der Beklagten als Versicherungsnehmerin für das Bauvorhaben Umbau ihres Einkaufszentrums abgeschlossen, die klagende Bauunternehmerin ist Mitversicherte. Im abgeschlossenen Bauwesenversicherungsvertrag ist sowohl das eigene Interesse der Beklagten als Bauherrin als auch das fremde Interesse der beteiligten Bauunternehmer, wozu auch die Klägerin zählt, mitversichert (vgl Art 6 BW 1/75).

[27]     3. Eine Versicherung für fremde Rechnung (§ 74 Abs 1 VersVG) liegt dann vor, wenn ein Versicherungsnehmer im eigenen Namen mit einem Versicherer einen Vertrag abschließt, der fremdes Interesse zum Gegenstand hat (RS0017123 [T3]). Die Besonderheit bei der Fremdversicherung besteht darin, dass bei dieser die materielle Berechtigung des Versicherten und die formelle Verfügungsberechtigung des Versicherungsnehmers auseinanderfallen (RS0080863). Nach § 75 Abs 1 VersVG stehen bei einer Versicherung für fremde Rechnung die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zwar dem Versicherten zu. Dieser kann aber gemäß § 75 Abs 2 VersVG ohne Zustimmung des Versicherungsnehmers über seine Rechte nur dann verfügen, wenn er im Besitz des Versicherungsscheins ist. Der Versicherte hat also grundsätzlich kein eigenes Klage- bzw Verfügungsrecht, aufgrund dessen er den Anspruch auf die Versicherungsleistung gegen den Versicherer ohne Zustimmung des Versicherungsnehmers durchsetzen kann (vgl RS0080792 [T3]). Insoweit handelt es sich beim Verhältnis des Versicherungsnehmers zum Versicherten um eine Art gesetzliches Treuhandverhältnis (RS0080862; RS0080792) bzw beim Versicherungsvertrag um einen unechten Vertrag zu Gunsten Dritter (RS0080792 [T9]).

[28]     Der Versicherungsnehmer ist demnach – wie dargelegt – (formeller) Vertragspartner des Versicherers (vgl Art 6 Z 3 BW 1/75), der Versicherte aber der (materielle) Gläubiger und Inhaber der Ansprüche. Der Versicherungsnehmer ist deshalb verpflichtet, eine allenfalls bereits erhaltene Versicherungsleistung dem Versicherten weiterzuleiten, weil er andernfalls bereichert wäre (RS0080862 [T2]). Das gilt auch für kulanzweise erlangte Versicherungsleistungen (RS0117935).

[29]     4. Soweit die Klägerin das Klagebegehren darauf stützt, dass der Bauwesenversicherer der Beklagten für den Versicherungsfall eine Versicherungsleistung erbrachte, die auch ihr als Mitversicherter des Versicherungsvertrags zusteht, ist ihr Anspruch nicht berechtigt:

[30]     Da die Beklagte nicht über die finanziellen Mittel zur Zahlung der Kosten für die ersten Maßnahmen im Zusammenhang mit den Dachgärten verfügte, ersuchte sie am 8. 3. 2018 ihre Versicherungsmaklerin, unter anderem mit dem Bauwesenversicherer die Übernahme und Begleichung der bisherigen Rechnungen (dritter Unternehmen) zu vereinbaren. Die Maklerin wickelt vereinbarungsgemäß den gesamten Geschäftsverkehr zwischen der Beklagten und dem Bauwesenversicherer ab und ist von der Versicherungsnehmerin zur Entgegennahme von Anzeigen, Deklarationen und Willenserklärungen bevollmächtigt (Art 8.2 „Besonderen Vereinbarungen“). Auf dieses Verlangen der Beklagten teilte der Bauwesenversicherer am 21. 3. 2018 mit, dass er der Beklagten als Versicherungsnehmerin eine Vorauszahlung von 75.000 EUR leiste, um ihr einen Handlungsspielraum für die erforderlichen Arbeiten zu verschaffen. Daraus ergibt sich, dass die Beklagte nur für sich selbst als Versicherungsnehmerin zur Begleichung der Leistungen dritter Unternehmer eine Abschlagszahlung nach § 11 Abs 2 VersVG verlangte und der Bauwesenversicherer auch nur auf dieses Verlangen zahlte. Gegenstand des Verlangens der Beklagten waren keine Forderungen der Klägerin als Versicherte, sodass solche vom Versicherer auch nicht beglichen wurden.

[31]           Zur – der Klage zugrunde liegenden – und dem Versicherer vorgelegten 1. Teilrechnung der Klägerin vom 22. 3. 2018 über 122.636,40 EUR wies die Beklagte den Bauwesenversicherer an, diese nicht zu zahlen. Nachfolgend überwies der Versicherer der Beklagten im August 2018 eine weitere Akontozahlung von 25.000 EUR und im September 2018 – nach Übermittlung einer Kostenschätzung eines dritten Unternehmens für Sanierungsarbeiten – weitere 150.000 EUR. Nachdem die Beklagte den Versicherer angewiesen hatte, die Rechnung der Klägerin gerade nicht zu zahlen, forderte sie gerade nicht für die Klägerin eine Versicherungsleistung und der Bauwesenversicherer leistete auch nachfolgend keine Versicherungsleistungen zugunsten der Klägerin. Vielmehr erbrachte er Abschlagszahlungen auf Forderungen der Beklagten.

[32]     Zwar enthält der von der Beklagten abgelehnte, fünf Monate nach Erhalt der letzten Abschlagszahlung übermittelte Abrechnungsvorschlag des Bauwesenversicherers auch Leistungen der Klägerin für das Abräumen des „Gründaches“, die im Rahmen der Erstrisikosumme von 222.000 EUR gedeckt sind, jedoch leitet sich daraus nicht ab, dass der Versicherer damit eine andere Widmung der zuvor getätigten Abschlagszahlungen an die beklagte Versicherungsnehmerin vorgenommen hätte. Der Abrechnungsvorschlag des Versicherers wurde zudem von der Beklagten nicht angenommen, sodass sich auch aus diesem Grund kein Treuhanderlag zugunsten der Klägerin ergibt. Es wurde daher weder von der Beklagten eine Abschlagszahlung gemäß § 11 Abs 2 VersVG gefordert noch vom Versicherer gezahlt.

[33]           Die Klägerin konnte damit nicht einen ihr zustehenden Treuhanderlag nachweisen, der die Beklagte zur Herausgabe verpflichten würde.

[34]     5. Damit stellen sichentgegen der Ansicht der Revisionswerberin – weder Fragen zur Anwendung der Tilgungsregel des § 1416 ABGB noch zu einer nicht näher ausgeführten „aliquoten Aufteilung“ der Abschlagszahlungen an die Mitversicherten. Die in diesem Zusammenhang gerügten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor, betreffen doch die behaupteten fehlenden Tatsachen keine für die rechtliche Beurteilung wesentlichen Umstände (RS0053317).

[35]     6. Wenn die Klägerin ihren Anspruch auch auf die Verletzung des Treuhandverhältnisses durch die Beklagte und damit auf Schadenersatz stützt, weil diese den Bauwesenversicherer aufforderte, die klagsgegenständliche Rechnung nicht zu zahlen, ist ihr Folgendes entgegenzuhalten:

[36]           Grundsätzlich kommt ein Schadenersatzanspruch des Versicherten in Betracht, wenn der Versicherungsnehmer seine Pflichten aus dem gesetzlichen Treuhandverhältnis schuldhaft verletzt (vgl 2 Rv 268/19 = SZ 1/64; 3 Ob 393/55 = SZ 28/199; RS0080858; Ertl in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG § 77 Rz 7; Muschner in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG4 [2020] § 46 Rn 3 f; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG6 [2019] § 46 Rn 4). Die Beklagte hat die 1. Teilrechnung der Klägerin an den Bauwesenversicherer weitergeleitet, ihn aber (behauptetermaßen treuwidrig) angewiesen, diese Rechnung nicht zu zahlen.

[37]           6.1. Sollte dieses Vorgehen kausal dafür gewesen sein, dass der Versicherer nicht auch für die mitversicherte Klägerin eine Abschlagszahlung leistete, könnte die Klägerin bloß den Verspätungsschaden geltend machen, was aber nicht der Fall ist.

[38]           6.2. Die Klägerin macht vielmehr das Erfüllungsinteresse geltend, sie will von der beklagten Versicherungsnehmerin „Deckung“, nämlich die Bezahlung ihrer Rechnung.

[39]           Nach § 75 Abs 2 VersVG kann der Versicherte ohne Zustimmung des Versicherungsnehmers über seine Rechte nur dann verfügen und diese Rechte nur dann gerichtlich geltend machen, wenn er im Besitz eines Versicherungsscheines ist. § 75 Abs 2 VersVG ist nachgiebiges Recht (RS0035281). Art 6 Z 3 BW 1/75 bestimmt dazu, dass über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag nur der Versicherungsnehmer verfügen kann. Diese Vereinbarung ist zwar grundsätzlich zulässig, die Berufung des Versicherers auf die fehlende Verfügungsmacht des Versicherten kann aber unter bestimmten Umständen rechtsmissbräuchlich sein.

[40]           Ohne sachlichen, billigenswerten Grund verstößt die Berufung des Versicherers auf eine im Versicherungsvertrag für fremde Rechnung zwischen ihm und dem Versicherungsnehmer getroffenen Vereinbarung, Rechte aus dem Vertrag ohne schriftliche Zustimmung des Vertragspartners nicht zu übertragen oder abzutreten, gegen Treu und Glauben und ist rechtsmissbräuchlich. Wenn feststeht – etwa durch namentliche Bezeichnung des Versicherten im Versicherungsschein – oder für den Versicherer sonst leicht feststellbar ist, dass der den Anspruch erhebende Versicherte in den Deckungsbereich des Versicherungsvertrags einbezogen ist, darf sich der Versicherer mangels eigener Schutzbedürftigkeit nach Treu und Glauben nicht auf die Abbedingung der in § 75 Abs 2 VersVG genannten Voraussetzungen für ein eigenes Verfügungsrecht des Versicherten berufen. Dann kommt es auch in diesen Fällen ausschließlich darauf an, ob der Versicherungsnehmer einer gerichtlichen Geltendmachung des Deckungsanspruchs durch den Versicherten zugestimmt oder eine eigene Klageerhebung aus nicht billigenswerten Gründen unterlassen hat (7 Ob 234/06x; RS0121526). Gleiches gilt für die vorliegende Klausel, dass „nur“ der Versicherungsnehmer über die Rechte aus dem Vertrag verfügen kann.

[41]           6.3. Die Beklagte lehnte die Verfolgung der Ansprüche der versicherten Klägerin gegen den Versicherer von vornherein ausdrücklich ab. Die Klägerin ist dem Versicherer als Versicherte bekannt. Es sind weder aus den Feststellungen noch aus dem Vorbringen der Klägerin Umstände erkennbar, die eine Berufung des Versicherers auf Art 6 Z 3 BW 1/75 nicht als rechtsmissbräuchlich erscheinen ließen, wenn sie ihre eigenen Ansprüche verfolgen würde. Da ihr der Anspruch gegen den Versicherer im eigenen Namen zusteht, hat sie keinen Schaden.

[42]     7. Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

[43]     Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO.

Textnummer

E133078

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00111.21F.0915.000

Im RIS seit

15.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.11.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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