Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch die ANWALTGMBH Rinner Teuchtmann, Linz, sowie der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei I* Gesellschaft mbH, *, vertreten durch die Ebner Aichinger Guggenberger Rechtsanwälte GmbH, Salzburg, gegen die beklagte Partei A* GmbH, *, vertreten durch Mag. Peter Rittinger, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 8.924,56 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 10. Juni 2021, GZ 22 R 81/21x-32, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin kam am 5. 3. 2017 bei einer Skiabfahrt, bei der sie von der Beklagten produzierte und in den Verkehr gebrachte, bei der Nebenintervenientin erworbene Ski samt Skibindung benützte, zu Sturz und zog sich dabei Verletzungen zu. Sie begehrt von der beklagten Produzentin Schadenersatz und die Feststellung von deren Haftung für künftige Schäden. Die fachmännisch und korrekt eingestellte Bindung habe sich während des Sturzgeschehens nicht geöffnet und sei daher fehlerhaft iSd § 5 PHG, zumal ihre berechtigte Sicherheitserwartung als durchschnittliche Produktbenutzerin (geübte Hobbyskifahrerin) enttäuscht worden sei. Auf ein mögliches Risiko, dass die Bindung allenfalls nicht auslösen könne, sei sie nicht hingewiesen worden.
[2] Das Berufungsgericht bestätigte das die Klagebegehren abweisende Urteil des Erstgerichts. Die sicherheitsrichtlinienkonforme Funktion der Skibindung sei mittels TÜV-Zertifikats bestätigt worden, wobei es dem Stand der Technik entspreche, dass Bindungen nicht bei jedem Sturz mit Sicherheit auslösen, sondern grundsätzlich nur bei einem Vorwärtssturz und einem seitlichen Verdrehsturz, nie jedoch bei einem reinen Rückwärtssturz, wofür es nach derzeitigem Stand keine technische Lösung gebe, womit kein Produktfehler gemäß § 5 Abs 1 PHG vorliege. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands in zweiter Instanz 30.000 EUR übersteigt und die Revision nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, in der sie keine Fragen von der Bedeutung gemäß § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen kann.
[4] 1.1 Bei den Produktfehlern im Sinn des § 5 Abs 1 PHG ist nach der Rechtsprechung zwischen Konstruktionsfehlern, Produktionsfehlern und Instruktionsfehlern zu unterscheiden. Beim Konstruktionsfehler ist die Enttäuschung der Sicherheitserwartung im technischen Konzept begründet. Beim Produktionsfehler (Fabrikationsfehler) entspricht zwar das Konzept und das danach hergestellte „idealtypische Produkt“ den Erwartungen, nicht aber das einzelne Stück, weil der Produktionsprozess nicht normgerecht war. Beim Instruktionsfehler macht die unzureichende Darbietung das Produkt fehlerhaft (RIS-Justiz RS0107606). Maßstab für die Fehlerhaftigkeit eines Produkts sind die berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Produktbenützers (3 Ob 168/14y mwN; vgl auch Posch/Terlitza in Schwimann/Kodek, ABGB4 VII § 5 PHG Rz 3). Ob diese erfüllt sind bzw ob und welche Produktinstruktionen erforderlich sind, entscheidet sich regelmäßig nach den Umständen des Einzelfalls (RS0107610 [T10; T12]; RS0071549 [T5]).
[5] 1.2 Nach den – den Obersten Gerichtshof bindenden – Feststellungen entsprachen sowohl die Konstruktion des konkreten Bindungstyps als auch die von der Klägerin erworbenen Skibindungen, was ihr Auslöseverhalten und die insofern maßgeblichen Eigenschaften anlangt, den geltenden Normen und technischen Sicherheitsstandards. Sie waren danach auch im Unfallszeitpunkt voll funktionsfähig und wiesen damit ein normgemäßes Auslöseverhalten auf. Die normgerechte oder anderen technischen Standards entsprechende übliche Herstellungsart indiziert regelmäßig die Fehlerfreiheit eines Produkts (RS0110464). Soweit die Klägerin dennoch releviert, die Bindungen hätten im Zeitpunkt ihres „Inverkehrbringens“ einen versteckten Mangel aufgewiesen und dazu erkennbar den Standpunkt vertritt, dass eine Skibindung, die nicht in jeder erdenklichen Sturzsituation aufgeht, jedenfalls fehlerhaft im Sinn des § 5 Abs 1 PHG sei, übergeht sie den festgestellten Sachverhalt. Danach entspricht es gerade nicht dem Stand der Technik, dass eine Skibindung bei jedem Sturzgeschehen öffnet. Das ist grundsätzlich nur bei einem Vorwärtssturz (Körper in Richtung Skispitze) und einem seitlichen Verdrehsturz der Fall. Ein Lösen der Bindung bei einem reinen Rückwärtssturz, wie ihn die Klägerin erlitt, ist nach derzeitigem Stand technisch nicht möglich. Der Standard von Wissenschaft und Technik konkretisieren aber die berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Produktbenützers (RS0071536). Eine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, das sowohl einen Konstruktions- als auch Produktionsfehler verneinte, ist damit nicht zu erkennen.
[6] 1.3 Es trifft zu, dass es einen Instruktionsfehler begründen kann, wenn die Präsentation des Produkts nicht ausreicht, um einen durchschnittlichen Produktbenützer vor den mit einer Verwendung des Produkts verbundenen Gefahren zu warnen. Hier steht aber fest, dass an der von der Klägerin erworbenen Bindung ein „Allgemeiner Warnhinweis“ angebracht war, in dem unter anderem darauf hingewiesen wurde, dass die aus Ski, Bindung und Schuh bestehende Funktionseinheit nicht unbedingt in allen Situationen auslöst, in denen Verletzungs- oder Todesgefahr besteht. Dennoch sieht die Klägerin ihre Erwartungshaltung an eine „Sicherheitsbindung“ enttäuscht, weil die von der Beklagten in Verkehr gebrachte Bindung beim konkreten Sturzgeschehen nicht auslöste. Abgesehen davon, dass es nicht auf ihre subjektive Erwartungshaltung ankommt, wurde das von der Beklagten produzierte Produkt vor dem erstmaligen Gebrauch der Klägerin von einem Mitarbeiter der Nebenintervenientin nach ihren Vorgaben auf Basis „Skifahrertyp 3“ eingestellt. Dieser Skifahrertyp fährt nach der Norm ISO 11088 eher schnell und aggressiv, bevorzugt im steilen Gelände. Ihr musste daher – wie jedem durchschnittlichen Skifahrer – klar sein, dass Skibindungen verschieden eingestellt werden, sodass sie entweder leichter oder schwerer auslösen. Damit ist es auch nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht zur Ansicht gelangte, dass (losgelöst vom „Allgemeinen Warnhinweis“ der Beklagten) bei einem durchschnittlichen Skifahrer keine allgemeine Sicherheitserwartung dahin besteht, Skibindungen würden bei einem Sturzgeschehen in jedem Fall auslösen.
[7] 2. Die im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu prüfenden (RS0022624) – Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Anscheinsbeweises erfordern eine typische formelhafte Verknüpfung zwischen der tatsächlich bewiesenen Tatsache und dem gesetzlich geforderten Tatbestandselement (RS0040287). Für eine solche Verknüpfung besteht nach den Sachverhaltsgrundlagen entgegen der Ansicht der Klägerin schon deshalb kein Raum, weil der Umstand, dass die nach ihren Vorgaben auch für Fahrten im steilen Gelände eingestellte Skibindung nicht schon beim „Verschneiden“ des linken Skis bzw dem daran anschließenden Überkreuzen, die dem Sturzgeschehen vorangingen, öffnete, keineswegs formelhaft auf einen Produktfehler schließen lässt. Entgegen ihrer Ansicht ist das Berufungsgericht daher zutreffend davon ausgegangen, dass der Klägerin der Beweis eines Produktfehlers und des Kausalzusammenhangs zwischen Produktfehler und Schaden (zur Beweislast: RS0117103) nicht gelungen ist.
[8] 3. Bereits das Berufungsgericht hat darauf verwiesen, dass die Klägerin im Verfahren erster Instanz eine Haftung der Beklagten ausschließlich aus dem PHG ableitete. Inwieweit der Umstand der Streitverkündung an die Nebenintervenientin eine weitergehende Haftungsgrundlage gegenüber der Beklagten begründen soll, ist nicht nachvollziehbar. Es bewirkt daher auch keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor dem Berufungsgericht, wenn dieses insoweit einen Verstoß gegen das Neuerungsverbot annahm. Fragen der Beweislastumkehr gemäß § 7 Abs 2 PHG oder zu einem Haftungsausschluss nach § 8 PHG stellen sich bei der dargestellten Sachlage nicht.
[9] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Textnummer
E133070European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:E133070Im RIS seit
15.11.2021Zuletzt aktualisiert am
09.02.2022