Entscheidungsdatum
27.10.2021Index
Nichtverlassen des Versammlungsortes nach Auflösung der VersammlungNorm
Versammlungsgesetz §14Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin Dr.in Kroker über die Beschwerde von Frau AA, Adresse 1, **** Z, gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol vom 22.02.2021, ***, wegen zweier Verwaltungsübertretungen nach dem Versammlungsgesetz (VersammlungsG) und der Straßenverkehrsordnung (StVO),
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis wird ersatzlos zu beiden Spruchpunkten behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang, Vorbringen, mündliche Verhandlung:
Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol vom 22.02.2021, ***, wurde der Beschwerdeführerin zur Last gelegt, am 30.01.2021 um 16:10 Uhr in Z, Adresse 2, Kreuzungsbereich Adresse 2/Adresse 3 als Teilnehmerin der Versammlung zum Thema „BB“ es unterlassen zu haben, diese Versammlung sogleich zu verlassen und auseinanderzugehen, nachdem die Versammlung vom Behördenvertreter um 15:43 Uhr für aufgelöst erklärt worden war, da sie zumindest bis 16:20 Uhr am Versammlungsort verblieben sei. Um 16.25 Uhr habe sie zudem am selben Ort als Fußgängerin den vorhandenen Gehsteig nicht benützt.
Aufgrund dieser Verwaltungsübertretungen 1. gemäß § 14 Abs 1 VersammlungsG und 2. gemäß § 76 Abs 1 StVO verhängte die belangte Behörde erstens gemäß § 19 VersammlungsG eine Geldstrafe in Höhe von € 70 (Ersatzfreiheitstrafe vier Tage und eine Stunde) und zweitens gemäß § 99 Abs 3 lit a StVO eine Geldstrafe in Höhe von € 70 (Ersatzfreiheitstrafe ein Tag und acht Stunden) unter gleichzeitiger Vorschreibung der Kosten des Verfahrens.
Dieses Straferkenntnis wurde der Beschuldigten am 03.03.2021 nachweislich zugestellt.
Mit E-Mail vom 21.03.2021 erhob die Beschwerdeführerin eine Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol gegen das angeführte Straferkenntnis und brachte vor, dass der nach § 14 Abs 1 VersammlungsG vorgeworfene Tatbestand nicht nachvollziehbar sei. Darüber hinaus sei die Geldstrafe zu hoch bemessen, da sie Studentin sei und nur über ein sehr geringes regelmäßiges Einkommen verfüge. Nach dem die Versammlung aufgelöst worden sei, habe sie den Versammlungsort nach der Polizeikontrolle vorschriftsgemäß am Gehsteig verlassen. Davor habe sie sich teils auf der Fahrbahn aufgehalten, aber nur, weil die Identitätsfeststellung teils auf der Fahrbahn stattgefunden habe. Erst später sei sie von zwei männlichen Polizisten begleitet, auf dem Gehsteig kontrolliert worden.
Gemäß § 44 Abs 2 VwGVG entfällt die Verhandlung, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
II. Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin hat am Nachmittag des 30.01.2021 in Z, Adresse 2, Kreuzungsbereich Adresse 2/Adresse 3, an der Versammlung zum Thema „BB“ teilgenommen.
Um 15:43 Uhr erklärte der Behördenleiter die Versammlung für aufgelöst. Die Beschwerdeführerin verblieb jedenfalls bis 16:10 Uhr am Versammlungsort. Sie hielt sich dabei zum Teil auf der Straße auf.
Mit Erkenntnis vom 04.05.2021, LVwG-***, hat das Landesverwaltungsgericht Tirol erkannt, dass die Veranstalter der Versammlung am 30.01.2021 in der Zeit zwischen 15.30 Uhr und 16.00 Uhr in ihren Rechten sich zu versammeln und versammelt zu bleiben durch die zwangsweise Anhaltung und nachfolgende Auflösung des nichtuntersagten Demonstrationszuges „BB“ durch den Einsatz geschlossener Einheiten der Polizei im Bereich der Kreuzung Adresse 3/Adresse 2 in ihren Rechten verletzt worden sind.
III. Beweiswürdigung:
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt, insbesondere der Anzeige der Landespolizeidirektion Tirol vom 06.02.2021, GZ: ***. Aus dem Beschwerdevorbringen geht ebenfalls hervor, dass die Beschwerdeführerin an der genannten Versammlung teilgenommen hat. Dass sie nach der Auflösung nicht den Versammlungsort sofort verlassen hat, folgt schon aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin mangels Identitätsbekanntgabe um 16.15 Uhr dort festgenommen worden ist (vgl dazu die oben angeführte Anzeige). Dass sie zumindest bei der Identitätsfeststellung auf der Straße gestanden ist, hat die Beschwerdeführerin selbst in der Beschwerde zugestanden.
Das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts zu LVwG-*** wurde eingeholt. Es ist zudem im Rechtsinformationssystem des Bundes (https://www.ris.bka.gv.at/Lvwg/) veröffentlicht. Die belangte Behörde war zudem auch die belangte Behörde im Verfahren LVwG-***.
IV. Erwägungen:
A) Zur Übertretung des VersammlungsG 1953:
Sobald eine Versammlung für aufgelöst erklärt ist, sind gemäß § 14 Abs 1 VersammlungsG alle Anwesenden verpflichtet, den Versammlungsort sogleich zu verlassen und auseinanderzugehen. Im Falle des Ungehorsams kann die Auflösung durch Anwendung von Zwangsmitteln in Vollzug gesetzt werden (Abs 2 leg cit).
Übertretungen dieses Gesetzes sind gemäß § 19 VersammlungsG 1953, insofern darauf das allgemeine Strafgesetz keine Anwendung findet, von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, aber von der Landespolizeidirektion, mit Arrest bis zu sechs Wochen oder mit Geldstrafe bis zu 720 Euro zu ahnden.
Im gegenständlichen Fall wurde der Beschwerdeführerin unter anderem eine Übertretung des § 14 Abs 1 VersammlungsG 1953 zur Last gelegt, weil sie trotz Aufforderung die behördlich aufgelöste Versammlung nicht verlassen hat.
Als Vorfrage wurde vom Verfassungsgerichtshof in vergleichbaren Fällen geprüft, ob die hier zu beurteilende Versammlung zu Recht aufgelöst wurde, denn durch das Unterbinden dieser Versammlung könnte eine Verletzung in dem in Art 11 EMRK festgelegten Recht auf Versammlungsfreiheit erfolgt sein (vgl VfSlg 19.818/2013 mwH).
§ 13 VersammlungsG erlaubt es, eine Versammlung aufzulösen, wenn diese gegen die Vorschriften des VersammlungsG veranstaltet wird und deren Abhaltung eine drohende Gefahr für die in Art 11 Abs 2 EMRK aufgezählten Schutzgüter darstellt (vgl ua VfSlg 10.955/1986, 11.132/1986, 14.366/1995, 19.818/2013).
Im vorliegenden Fall wurde die gegenständliche Versammlung rechtzeitig angezeigt und wurde von der zuständigen Behörde nicht untersagt. Das Landesverwaltungsgericht Tirol erklärte mit Erkenntnis vom **.**.****, LVwG-***, die Auflösung der gegenständlichen Demonstration „BB“ für rechtswidrig. Auf die Begründung dieser – auch im Rechtsinformationssystem des Bundes veröffentlichten – Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts Tirol wird vollinhaltlich verwiesen (vgl die belangte Behörde war auch belangte Behörde im Verfahren LVwG-***).
Da die Auflösung der Versammlung rechtswidrig gewesen ist, kann der Beschwerdeführerin als Versammlungsteilnehmerin in Ausübung ihres verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Versammlungsfreiheit nicht zur Last gelegt werden, wenn sie den Versammlungsort nach der (rechtswidrigen) Versammlungsauflösung nicht sogleich verlassen hat.
Gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG ist von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat keine Verwaltungsübertretung bildet.
Es ist daher spruchgemäß das angefochtene Straferkenntnis zu diesem Spruchpunkt zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren insofern gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG einzustellen.
B) Zur Übertretung der Straßenverkehrsordnung:
Gemäß § 76 Abs 1 StVO haben Fußgänger, auch wenn sie Kinderwagen oder Rollstühle schieben oder ziehen, auf Gehsteigen oder Gehwegen zu gehen. Aus § 76 Abs 1 erster Teilsatz StVO ergibt sich für Fußgänger das grundsätzliche Gebot des Gehens auf (der Benützung von) Gehsteigen oder Gehwegen (vgl VwGH 29.05.1998, 95/02/0438).
Die Benützung einer Straße zur Durchführung einer Versammlung unterliegt nicht der Bewilligungspflicht nach § 82 StVO, sondern nur der Anzeigepflicht nach dem Versammlungsgesetz 1953 und allenfalls nach § 86 StVO (vgl VfGH 12.03.1988, B 970/87, VwGH 14.12.1988, 88/02/0034).
Zum Zwecke einer Versammlung ist daher die Benützung der Straße zulässig. Die nach dem Versammlungsgesetz 1953 bzw allenfalls nach § 86 StVO bestehende Anzeigepflicht trifft den Veranstalter, nicht die Teilnehmer der Versammlung.
Es ist daher auch zu diesem Spruchpunkt als Vorfrage zu prüfen, ob die Versammlung rechtmäßig aufgelöst worden ist. Da die Auflösung der Versammlung als rechtswidrig erachtet wird (vgl dazu die Ausführungen unter A), hat die Beschwerdeführerin als Versammlungsteilnehmerin an der Versammlung „BB“ von ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht sich zu versammeln und im Zuge dessen auch die Straße zu benutzen Gebrauch gemacht und ist insofern die Bestrafung wegen einer Übertretung nach § 76 Abs 1 StVO zu Unrecht erfolgt.
Gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG ist von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat keine Verwaltungsübertretung bildet.
Aus diesen Gründen ist der Beschwerde Folge zu geben, das angefochtene Straferkenntnis ist aufzuheben und die Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG einzustellen.
V. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die in der gegenständlichen Beschwerdesache zu lösenden Rechtsfragen konnten anhand der in der vorliegenden Beschwerdeentscheidung zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes einwandfrei einer Beantwortung zugeführt werden. Eine außerhalb dieser Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegende Rechtsfrage ist für das erkennende Gericht im Gegenstandsfall nicht hervorgekommen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits - unter Hinweis auf die neuere Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (insbesondere VfSlg 19.818/2013) - festgehalten, dass Fragen des Eingriffs in den Kernbereich des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit Rechtssachen betreffen, die gemäß Art 133 Abs 5 B-VG (nach wie vor) von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen sind. Entscheidungen, die den Kernbereich der Versammlungsfreiheit betreffen – wie die Untersagung oder die Auflösung einer Versammlung – , fallen in die ausschließliche Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes. Darüber hinaus hat der Verfassungsgerichtshof aber nicht zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung "in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht" (vgl VwGH 27.02.2018, Ra 2017/01/0105, mwN). In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof die Übertretung des § 14 Abs 1 VersammlungsG (Pflicht, eine für aufgelöst erklärte Versammlung sogleich zu verlassen und auseinanderzugehen), als eine Angelegenheit außerhalb des Kernbereichs der Versammlungsfreiheit angesehen (vgl VwGH 22.03.2018, Ra 2017/01/0359, mwN, 06.11.2018 Ra 2018/01/0243, VfGH 03.12.2013, B 1573/2012).
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.
Wenn allerdings in einer Verwaltungsstrafsache oder in einer Finanzstrafsache eine Geldstrafe von bis zu Euro 750,00 und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu Euro 400,00 verhängt wurde, ist eine (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichthof wegen Verletzung in Rechten nicht zulässig.
Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.
Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
Für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist im Fall der Zulassung der ordentlichen Revision beim Verwaltungsgericht einzubringen. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision ist der Antrag auf Verfahrenshilfe beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen; dabei ist im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Dr.in Kroker
(Richterin)
Schlagworte
Erschließungsbeitrag;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2021:LVwG.2021.12.0782.1Zuletzt aktualisiert am
12.11.2021