TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/29 W203 2211199-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.07.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

29.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs4 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs4

Spruch


W203 2211199-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gottfried SCHLÖGLHOFER über die Beschwerde des iranischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West, vom 20.05.2021, Zl. 1098316003/210493660, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid wird aufgehoben.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

I.       Verfahrensgang

1.Der Beschwerdeführer verließ im Jahr 2015 Iran, stellte am 07.12.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am 07.12.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Am 24.07.2018 und am 12.10.2018 wurde der Beschwerdeführer von der nunmehr belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), zu seinen Fluchtgründen niederschriftlich einvernommen.

Im behördlichen Verfahren gab der Beschwerdeführer als Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass er in Iran als der arabischen Minderheit zugehörig nicht respektiert werde und wegen des Tragens traditioneller arabischer Kleidung Probleme gehabt hätte. Auch habe er Flyer verteilt und sich für die Freiheit der Araber in Iran eingesetzt. Weiters brachte er vor, in Österreich zum Christentum konvertiert zu sein und legte einen Taufschein der römisch-katholischen Kirche vom 15.04.2017 vor.

Das BFA führte eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend Araber im Iran (14.08.2017) ins Verfahren ein.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid (zugestellt am 15.11.2018) wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, sondern gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Iran zulässig ist (Spruchpunkte III. bis V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

3. Mit Schriftsatz vom 11.12.2018 erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde in vollem Umfang. Darin wurde im Wesentlichen unter Zitierung der Länderfeststellungen betreffend die Minderheit der Araber in Iran ausgeführt, dass entgegen den Ansichten der belangten Behörde eine asylrelevante Verfolgung in Iran gegeben sei. Weiters wurde unter Bezugnahme auf die entsprechenden Länderberichte ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Österreich Christ geworden sei.

4. Mit Schriftsatz vom 13.12.2018 (eingelangt am 14.12.2018) legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.

5. Mit Schreiben vom 09.09.2020 wurden der Beschwerdeführer sowie das BFA zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.10.2020 geladen und wurde in den Ladungen darauf hingewiesen, dass das Bundesverwaltungsgericht beabsichtige, die Länderberichte gemäß dem „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Iran, Gesamtaktualisierung am 19.06.2020“ sowie den „Länderreport 10 des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Iran – Situation der Christen, Stand 3/2019“ als Grundlage für die Feststellungen zur Situation in Iran heranzuziehen. Es wurde Gelegenheit zur Einsicht- und Stellungnahme gegeben.

6. Die belangte Behörde entschuldigte sich für die Nichtteilnahme an der Verhandlung, beantragte die Abweisung der Beschwerde und die Übersendung des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls. Die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers legte in der Folge diverse Unterlagen betreffend die Aktivitäten des Beschwerdeführers in seiner Pfarre, Empfehlungsschreiben und die Bestätigung gemeinnütziger Tätigkeit vor. Diese Unterlagen wurden der belangten Behörde zur Kenntnis gebracht.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 20.10.2020 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer sowie dessen Rechtsvertretung teilnahmen. Der Beschwerdeführer wurde zu seiner Person, seinen Fluchtgründen sowie seinen religiösen Aktivitäten in Österreich befragt. Es wurde ihm Gelegenheit gegeben, alle Gründe umfassend darzulegen, zu den ins Verfahren eingeführten Länderberichten Stellung zu nehmen und seine Situation in Österreich darzustellen. Eine Strafregisterabfrage wurde am Tag der Verhandlung durchgeführt und ergab keine Eintragungen. Die Niederschrift über die mündliche Verhandlung wurde dem BFA zur Kenntnis gebracht. Es langten keine weiteren Stellungnahmen ein.

8. Das BVwG wies die Beschwerde mit Erkenntnis vom 04.01.2021, Zahl W183 2211199-1/15E als unbegründet ab. Diese Entscheidung erwuchs am 08.01.2021 in Rechtskraft. Zusammengefasst wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat nicht aufgrund der vorgebrachten Tätigkeiten, wie dem Verteilen von Flyern für eine regimekritische arabische Gruppierung, verfolgt werde. Er habe als schiitischer Moslem seinen Glauben nicht praktiziert. Er habe sich in Iran nicht dem Christentum zugewandt und habe nicht missioniert. In Österreich sei der Beschwerdeführer am 17.04.2017 getauft worden, er habe den Austritt aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft bislang nicht gemeldet. Er verfüge über kein tiefgreifendes Wissen zum Christentum, bzw. zu der von ihm gewählten katholischen Glaubenslehre. Der Beschwerdeführer sei in Österreich nicht aus einem inneren Entschluss zum Christentum konvertiert und dessen christliche Glaubensüberzeugung sei aktuell nicht derart ernsthaft, sodass sie Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers wäre. Es sei davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Iran nicht privat oder öffentlich zum christlichen Glauben bekennen werde. Der Beschwerdeführer sei in Österreich nicht missionarisch tätig. Die Behörden in Iran würden über die oben festgestellten christlichen Aktivitäten des Beschwerdeführers in Österreich nicht Bescheid wissen. Von den Familienmitgliedern des Beschwerdeführers gehe keine Bedrohung aus. Weitere Gründe, warum der Beschwerdeführer eine Rückkehr in die Heimat fürchte, habe er nicht vorgebracht.

Gegenständliches Verfahren:

9. Am 14.04.2021 stellte der Beschwerdeführer einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen damit, dass er im Jahr 2017 zum Christentum konvertiert sei und sich taufen lassen habe. Seine Familie in Iran habe davon erfahren, er habe dadurch die Ehre der Familie beschmutzt und er werde von seiner Familie deshalb bedroht. Seine Familie würde ihn als „Ungläubigen“ bezeichnen. Er habe Angst um sein Leben, die Familie, insbesondere sein Vater, würde ihn töten. Nachbarn und Bekannte wüssten ebenfalls von der Konversion. Sein Vater sei beim Militär tätig und daher sei er auch von staatlicher Seite im Falle einer Rückkehr gefährdet. Seit vier Monaten würde er von der Änderung des Fluchtgrundes Kenntnis haben.

10. Am 12.05.2021 wurde der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen Folgendes an: Er halte an den bereits im Erstverfahren vorgebrachten Fluchtgründen fest. Neu hinzugekommen sei die Bedrohung durch die Familie, da diese nunmehr Kenntnis von der Konversion erlangt habe. Er habe am 09.01.2021 zum letzten Mal Kontakt per WhatsApp mit seinem Vater gehabt. Sein Vater habe ihm gedroht, dass er aufgrund der Konversion dem Ruf der Familie geschadet habe. Der ganze Stadtteil hätte von seinem Wechsel der Religionszugehörigkeit erfahren. Sein Vater sei bei der Revolutionsgarde, er befürchte, dass ihn sein Vater töten würde. Befragt, wie sein Vater von der Konversion erfahren habe, gab der Beschwerdeführer an, er habe am 05.01.2021 einem sehr engen Freund über das Christentum erzählt. Dieser Freund habe ihn ausgelacht und habe über seine Konversion dessen Vater berichtet, dieser habe Anzeige erstattet. Daraufhin sei die Polizei zur Familie des Beschwerdeführers gekommen und habe nach ihm gefragt. Sein Vater habe gesagt, er sei in Österreich. Einige Freunde in Iran hätten bereits geahnt, dass er konvertiert sei, da er 2017 Fotos von der Taufe auf Facebook gestellt habe. Grundsätzliche habe er vorgehabt, seine Konversion nie öffentlich machen zu wollen. Ein Priester habe ihn im November 2020 aber dazu aufgefordert, Freunde und Familie daran teilhaben zu lassen. Im weiteren Verlauf gab der Beschwerdeführer an, sein Vater habe ihn am 09.01.2021 mit dem Handy des älteren Bruders angerufen. Es sei auch möglich, dass der Vater direkt vom Vater des Freundes von der Konversion erfahren habe, da beide Kollegen beim Militär seien.

11. Am 19.05.2021 wurde der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde neuerlich einvernommen. Zusammengefasst gab er dabei an, dass er einem Freund am 05.01.2021 von seiner Konversion erzählt habe. Eine Bestätigung über den Austritt aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft könne er nach wie vor nicht vorlegen.

12. Mit Bescheid vom 20.05.2021, Zl 1098316003/210493660 wies die belangte Behörde den Folgeantrag des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.) und dass eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht bestehe (Spruchpunkt VI.) und ein auf zwei Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend führte die belangte Behörde auf das Wesentliche zusammengefasst aus:

Der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft darstellen können, dass er aufgrund der Konvertierung zum Christentum in Iran bedroht werde, da es diesbezüglich bei den Befragungen zu zahlreichen Widersprüchen gekommen sei. Es sei nicht nachvollziehbar, dass Fotos von der Taufe im Jahr 2017 auf Facebook unentdeckt geblieben wären. Es sei auch nicht glaubhaft, dass er seinem sehr engen Freund, mit dem er mehrmals telefonisch Kontakt gehabt habe, nichts von der Konversion erzählt habe und dieser erst am 05.01.2021 davon erfahren habe. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass er nach dem Gespräch mit dem Priester im November 2020, wobei dieser ihn aufgefordert habe, andere an seinem Glauben teilhaben zu lassen, erst im Jänner 2021 von seiner Konversion erzählt habe. Ebenso sei die Darstellung, wie sein Vater von der Konversion erfahren habe, widersprüchlich und nicht glaubhaft. Es könne - wie bereits im Erkenntnis des BVwG vom 04.01.2021 (Seite 21) festgestellt - keine ernsthafte innere Glaubensüberzeugung in Bezug auf das Christentum festgestellt werden. Die neuerliche Asylantragstellung erst drei Monate nach der vermeintlichen Bedrohung durch den Vater, widerspreche jeder Lebenserfahrung. Die Behörde gehe davon aus, dass sich der Beschwerdeführer das neue Vorbringen zurechtgelegt habe, wohl wissend, dass seine im ersten Verfahren genannten Gründe als solche nicht anerkannt wurden und er somit eine Abschiebung zu verhindern versuche. Der Beschwerdeführer habe keinen neuen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft vorbringen können, im Vergleich zum Erstverfahren habe kein neuer Sachverhalt festgestellt werden können.

Der Folgeantrag des Beschwerdeführers sei daher wegen entschiedener Sache zurückzuweisen gewesen.

13. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 01.06.2021, in der im Wesentlichen wie folgt vorgebracht wird:

Der Folgeantrag sei damit begründet, dass nach Rechtskraft des Erkenntnisses des BVwG der Vater bzw. die Familie des Beschwerdeführers in Iran von der Konversion erfahren habe und ihn in weiterer Folge bedroht und bei den iranischen Behörden angezeigt hätte. Es liege ein entscheidungsrelevanter geänderter Sachverhalt vor. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die Behörde die Flüchtlingseigenschaft aus religiösen Gründen zuerkennen müssen.

14. Einlangend am 04.06.2021 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt zugehörigem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

15. Mit Beschluss vom 09.06.2021, wurde der Beschwerde gem. § 17 Abs. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Am 04.01.2021 wurde das erste Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig mit der Begründung abgeschlossen, dass sich das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, ihm drohe aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seiner Konversion zum Christentum in Iran Verfolgung durch das Regime, als nicht glaubhaft erwiesen habe.

In keiner Phase des gesamten Erstverfahrens brachte der Beschwerdeführer die Bedrohung durch die Familie aufgrund seiner Konversion zum Christentum als Fluchtgrund vor.

1.2. Am 14.04.2021 beantragte der Beschwerdeführer neuerlich die Zuerkennung von internationalem Schutz und begründete diesen Antrag damit, dass die Familie und die Polizei nunmehr Kenntnis vom im Jahr 2017 erfolgten Übertritt vom Islam zum Christentum erhalten hätten sowie der damit verbundenen drohenden Verfolgung in seinem Herkunftsstaat durch die Familie und das Regime.

1.3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Folgeantrag des Beschwerdeführers wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

1.4. Zur Lage von Konvertiten in Iran:

Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist im Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 10.2019). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel „mohareb“ („Waffenaufnahme gegen Gott“), „mofsid-fil-arz/fisad-al-arz“ („Verdorbenheit auf Erden“), oder „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie sehr selten, wenn überhaupt noch vorhanden. Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war. Hingegen gab es mehrere Exekutionen wegen „mohareb“ (ÖB Teheran 10.2019; vgl. DIS/DRC 23.2.2018). Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen, keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt (DIS/DRC 23.2.2018). Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen (Open Doors 2020; vgl. AA 26.2.2020). Anklagen lauten meist auf „Gefährdung der nationalen Sicherheit“, „Organisation von Hauskirchen“ und „Beleidigung des Heiligen“, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (AA 26.2.2020). Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Fälle von Konversion gelten daher als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt. Nach anderen Quellen wurden im Jahr 2017 gegen mehrere christliche Konvertiten hohe Haftstrafen (zehn und mehr Jahre) verhängt [Anmerkung der Staatendokumentation: Verurteilungsgrund unklar] (AA 12.1.2019). Laut Weltverfolgungsindex 2020 wurden im Berichtszeitraum viele Christen, besonders solche mit muslimischem Hintergrund, vor Gericht gestellt und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt bzw. warten noch auf ihren Prozess. Ihre Familien sind während dieser Zeit öffentlichen Demütigungen ausgesetzt (Open Doors 2020).

Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur

Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 26.2.2020). In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind (ÖB Teheran 10.2019).

Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im

Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 10.2019).

Es liegen keine Daten bzw. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang

mit ’Konversion’ vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Diese ’Konversion’ ist auch nicht als

Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen. Aufgrund

von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich „konvertierte“ Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Im derzeitigen Parlament sind Sunniten (vorwiegend aus Sistan-Belutschistan) vertreten. Gewisse hohe politische Ämter sind jedoch de facto

Schiiten vorbehalten. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nichtislamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese nicht als Apostasie gilt (ÖB

Teheran 10.2019).

Die Schließungen der „Assembly of God“-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung

der Hauskirchen. Dieser Anstieg bei den Hauskirchen zeigt, dass sie – obwohl sie verboten sind – trotzdem die Möglichkeit haben, zu agieren. Obwohl die Behörden die Ausbreitung der Hauskirchen fürchten, ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind. Nichtsdestotrotz werden sie teils überwacht.

Die Behörden nutzen Informanten, die die Hauskirchen infiltrieren, deshalb organisieren sich

die Hauskirchen in kleinen und mobilen Gruppen. Wenn Behörden Informationen bezüglich einer Hauskirche bekommen, wird ein Überwachungsprozess in Gang gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Behörden sofort reagieren, da man zuerst Informationen über die Mitglieder sammeln und wissen will, wer in der Gemeinschaft welche Aufgaben hat. Ob die Behörden eingreifen, hängt von den Aktivitäten und der Größe der Hauskirche ab. Die Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet. Es kann jedoch nicht klargestellt werden, wie hoch die Kapazitäten zur Überwachung sind. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018).

In den letzten Jahren gab es mehrere Razzien in Hauskirchen und Anführer und Mitglieder wurden verhaftet (FH 4.3.2020; vgl. AI 18.2.2020). Eine Hauskirche kann beispielsweise durch

Nachbarn aufgedeckt werden, die abnormale Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den

Behörden melden. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind (DIS/DRC 23.2.2018).

Organisatoren von Hauskirchen können sich dem Risiko ausgesetzt sehen, wegen „Verbrechen

gegen Gott“ angeklagt zu werden, worauf die Todesstrafe steht. Es ist aber kein Fall bekannt,

bei dem diese Beschuldigung auch tatsächlich zu einer Exekution geführt hätte. In Bezug auf die Strafverfolgung von Mitgliedern von Hauskirchen besagt eine Quelle, dass eher nur die Anführer von Hauskirchen gerichtlich verfolgt würden, während eine andere Quelle meint, dass auch „low-profile“ Mitglieder davon betroffen sein können. Manchmal werden inhaftierte Anführer von Hauskirchen oder Mitglieder auf Kaution entlassen und wenn es ein prominenter Fall ist, werden diese Personen von den Behörden gedrängt, das Land zu verlassen. Ein Hauskirchenmitglied, das zum ersten Mal festgenommen wird, wird normalerweise nach 24 Stunden wieder freigelassen, mit der Bedingung, dass sie sich vom Missionieren fernhalten. Eine Vorgehensweise gegen Hauskirchen wäre, dass die Anführer verhaftet und dann wieder freigelassen werden, um die Gemeinschaft anzugreifen und zu schwächen. Wenn sie das Missionieren stoppen, werden die Behörden in der Regel aufhören, Informationen über sie zu sammeln. Es soll auch die Möglichkeit geben, sich den Weg aus der Haft zu erkaufen (DIS/DRC 23.2.2018).

Bei Razzien in Hauskirchen werden meist die religiösen Führer zur Verantwortung gezogen,

vor allem aus politischen Gründen. Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z.B.

Zionisten), oder Bedrohung für die nationale Sicherheit. Diese Urteile sind absichtlich vage formuliert, um ein größtmögliches Tätigkeitsspektrum abdecken zu können. Darüber hinaus

beinhalten die Urteile auch den Konsum von Alkohol während der Messe (obwohl der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist), illegale Versammlung, Respektlosigkeit vor dem Regime und Beleidigung des islamischen Glaubens. Den verhafteten Christen werden teilweise nicht die vollen Prozessrechte gewährt – oft werden sie ohne Anwaltsberatung oder ohne formelle Verurteilung festgehalten bzw. ihre Haft über das Strafmaß hinaus verlängert. Berichten zufolge sollen auch Kautionszahlungen absichtlich sehr hoch angesetzt werden, um den Familien von Konvertiten wirtschaftlich zu schaden. Im Anschluss an die Freilassung wird Konvertiten das Leben erschwert, indem sie oft ihren Job verlieren bzw. es ihnen verwehrt wird, ein Bankkonto zu eröffnen oder ein Haus zu kaufen (ÖB Teheran 10.2019). Die Regierung nutzt unverhältnismäßig hohe Kautionszahlungen, um verurteilte Christen vorsätzlich verarmen zu lassen (Open Doors 2020).

Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden ist, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob er/sie auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von

Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden

diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes

Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion

aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder das Unterrichten von anderen Personen im Glauben, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden i.d.R. nicht über ihn Bescheid wissen (DIS/DRC 23.2.2018).

Konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, werden

für die Behörden nicht von Interesse sein. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den

Behörden bekannt war, könnte dies anders sein. Wenn er den Behörden nicht bekannt war,

dann wäre eine Rückkehr nach Iran kein Problem. Konvertiten, die ihre Konversion aber öffentlich machen, können sich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen, einschließlich Facebook berichtet, können die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang würde davon abhängen, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein „high-profile“-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, wird der Konvertit wohl keine harsche Strafe bekommen. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein würde nicht zu einer Verfolgung führen, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, würde er/sie nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das zu einem Problem werden (DIS/DRC 23.2.2018).

Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung habe, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein könnte (DIS/DRC 23.2.2018).

Die Regierung schränkt die Veröffentlichung von religiösem Material ein und christliche Bibeln

werden häufig konfisziert. Auch Publikationen, die sich mit dem Christentum beschäftigen und

schon auf dem Markt waren, wurden konfisziert, obwohl es von der Regierung genehmigte Übersetzungen der Bibel gibt. Verlage werden unter Druck gesetzt, Bibeln oder nicht genehmigtes nicht-muslimisches Material nicht zu drucken (US DOS 21.6.2019).

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, dem Verfahren vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht sowie der Beschwerde. Der verfahrensmaßgebliche Sachverhalt entspricht dem oben angeführten Verfahrensgang und konnte aufgrund der vorliegenden Aktenlage zweifelsfrei festgestellt werden.

Die Feststellungen zur Lage von Konvertiten im Iran beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 20.11.2020. Angesichts der Seriosität der darin angeführten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt A) (Stattgabe der Beschwerde)

3.1.1. Infolge des in § 17 VwGVG normierten Ausschlusses der Anwendbarkeit des 4. Hauptstücks des AVG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, welcher auch die in § 68 Abs. 1 AVG normierte Zurückweisung wegen entschiedener Sache umfasst, kommt eine unmittelbare Zurückweisung einer Angelegenheit aufgrund der genannten Bestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich nicht in Betracht. Davon unberührt bleibt, dass das Verwaltungsgericht im Verfahren über Bescheidbeschwerden zur Überprüfung der rechtmäßigen Anwendung von § 68 AVG in Bescheiden durch die Verwaltungsbehörde berufen ist (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K10.; vgl. auch VfSlg. 19.882/2014). Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG ist somit die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen hat.

§ 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG 2014 enthält selbst keine Anordnung, wie über eine Beschwerde zu entscheiden ist, sondern knüpft lediglich - im Hinblick auf die im Asylverfahren geltende Unterteilung in das Zulassungsverfahren und zugelassene Verfahren - an die Stattgebung einer gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren erhobenen Beschwerde an und sieht als Rechtsfolge einer solchen Stattgebung die Zulassung des Verfahrens vor. Dabei nahm der Gesetzgeber unverkennbar - und wie sich nicht zuletzt auch aus den Erläuterungen der Regierungsvorlage zum FNG-Anpassungsgesetz (RV 2144 BlgNR 24. GP S. 14) zu § 21 Abs. 3 BFA-VG ergibt auf eine - bezogen auf den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens - vom VwG nach § 28 VwGVG 2014 getroffene Sachentscheidung Bezug. Eine solche liegt etwa dann vor, wenn das VwG zum Ergebnis gelangt, entgegen der Ansicht der Verwaltungsbehörde stelle sich anhand des (allenfalls nach ergänzenden Ermittlungen) festgestellten Sachverhaltes eine Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz als nicht dem Gesetz entsprechend dar. Bei einer solcherart die behördliche Antragszurückweisung aufhebenden Entscheidung handelt es sich aus verfahrensrechtlicher Sicht um eine gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG 2014 in Form eines Erkenntnisses zu treffende Entscheidung. (VwGH E vom 05.10.2016, Ra 2016/19/0208)

Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162; 10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen, von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung hat zumindest einen "glaubhaften Kern" aufzuweisen, dem Asylrelevanz zukommt (VwGH 21.3.2006, 2006/01/0028, sowie VwGH 18.6.2014, Ra 2014/01/0029, mwN). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.6.2014, Ra 2014/19/0018, mwN).

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung (nun: Beschwerde) nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung – nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen – berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt.

In jenem Fall, in dem die Behörde den verfahrenseinleitenden Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat, ist „Sache des Beschwerdeverfahrens“ vor dem Bundesverwaltungsgericht ausschließlich die Frage, ob diese Zurückweisung zu Recht erfolgt ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesfalls zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen früheren Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat – von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen – im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen.

Eine neue Sachentscheidung ist - wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt - auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Folgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Antrag auf internationalen Schutz verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft der über den Erstantrag absprechenden Entscheidung entgegensteht.

Behauptete Tatsachen, die bereits zur Zeit des ersten Asylverfahrens bestanden haben, die der Asylwerber jedoch in diesem nicht vorgebracht hat, sind von der Rechtskraft der über den Erstantrag absprechenden Entscheidung erfasst (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 28.08.2019, Ra 2019/14/0091, sowie die ausführliche Zusammenfassung der zu § 68 Abs. 1 AVG ergangenen Rechtsprechung in VwGH 18.12.2019, Ro 2019/14/0006, wobei der gegenständliche Fall vom dort an den Europäischen Gerichtshof gerichteten Ersuchen um Vorabentscheidung wegen der anders gelagerten Ausgangssituation nicht berührt wird).

3.1.2. Fallbezogen ist somit zu prüfen, ob die belangte Behörde zu Recht zum Ergebnis gekommen ist, dass im Vergleich zum am 04.01.2021 rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Sachverhaltsänderung eingetreten ist:

Der Beschwerdeführer stützt den Folgeantrag nun erstmals auf eine ihm im Herkunftsstaat drohende asylrelevante Verfolgung, da seine Konversion zum Christentum erst Anfang Jänner 2021 seiner Familie und den Behörden in Iran bekannt geworden sei und damit verbunden für ihn eine Bedrohung durch die Familie und durch iranische Behörden einhergehe.

Der Beschwerdeführer hat im gegenständlichen Verfahren - im Gegensatz zur Auffassung des BFA – eine Änderung des Sachverhalts vorgebracht, in dem er dargetan hat, dass seine Familie erst am 09.01.2021 von seiner Konversion erfahren habe. Zudem habe kurz zuvor die Polizei in Iran durch eine Anzeige von seiner Konversion erfahren. Zu diesem Vorbringen ist festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer bereits im Jahr 2017 taufen ließ, eine innerliche Verfestigung des christlichen Glaubens aber nicht hinreichend bestätigt wurde. Ebenso hatte der Beschwerdeführer nicht vor, seinen Wechsel der Glaubensgemeinschaft öffentlich zu zeigen. Aufgrund des neuen Vorbringens, die Familie und staatliche Behörden in Iran hätten nun Kenntnis von seiner Konversion, ergibt sich eine potentiell asylrelevante Änderung des Sachverhalts nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens.

Wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt, kann im Vorhinein nicht ausgeschlossen werden, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers Asylrelevanz zukommt: Als jemand, dessen (vermeintliche) Abwendung vom Islam und Konversion zum Christentum in seinem Herkunftsstaat - wenn auch erst mit einiger Verzögerung und auf welche Weise immer - bekannt wird, wäre es möglich, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner ihm zumindest unterstellten religiösen Gesinnung die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Asyl erfüllt. Wenn auch Vieles – insbesondere die unmittelbare zeitliche Nähe zwischen dem Eintritt der Rechtskraft der Erstentscheidung und dem Zeitpunkt, zu dem der Beschwerdeführer seinen Angaben entsprechend seinen Freund und nachfolgend seine Familie von seiner Konversion informiert hat - den Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid folgend darauf hindeutet, dass der Beschwerdeführer nicht aus innerster Überzeugung und nachhaltig zum Christentum konvertiert ist, sondern um seine Chancen, internationalen Schutz zu erlangen, zu erhöhen, so wäre doch geboten gewesen, in einem meritorischen Verfahren das Vorliegen einer etwaigen Bedrohung im Falle einer Rückkehr zu prüfen, und nicht – wie gegenständlich erfolgt - den Antrag ohne inhaltliche Überprüfung des nunmehrigen Fluchtvorbringens wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, sich mit dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers inhaltlich näher auseinanderzusetzen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes genügt es, dass aufgrund der neu vorgebrachten Tatsachen eine andere Beurteilung jener Umstände, die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde lagen, nicht von vornherein ausgeschlossen ist und daher die Erlassung eines inhaltlich anderslautenden Bescheides zumindest möglich ist (vgl. etwa VwGH 24.03.2011, 2007/07/0155, m.w.N.). Dies ist verfahrensgegenständlich – vor allem aufgrund des nunmehrigen Vorbringens des Beschwerdeführers – der Fall. Folglich liegt hinsichtlich des Vorbringens zumindest ein „glaubhafter Kern“ der neu vorgebrachten Tatsachen vor (vgl. wieder VwGH 18.12.2019, Ro 2019/14/0006).

Die belangte Behörde ist daher zu Unrecht zum Ergebnis gekommen, dass im Vergleich zum ersten Asylverfahren keine wesentliche Sachverhaltsänderung eingetreten ist. Der angefochtene Bescheid ist demnach zu beheben.

Da die einzelnen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides in einem untrennbaren Zusammenhang stehen, war dieser zur Gänze zu beheben.

3.1.3. Für das fortgesetzte Verfahren ergibt sich, dass durch die Aufhebung des Bescheides der verfahrensgegenständliche Asylantrag des Beschwerdeführers wieder unerledigt ist und über diesen von der belangten Behörde neuerlich - nämlich meritorisch - abzusprechen ist (vgl. VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314).

3.1.4. Eine Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, 2. Auflage [2018] § 24 VwGVG Anm. 7a mit Hinweisen zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).

3.1.5. Es war daher ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Spruchpunkt A) zu entscheiden.

3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision [Spruchpunkt B)]

3.2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.2.3. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass hier – aufgrund der wesentlichen Sachverhaltsänderung – keine entschiedene Sache im Sinne des § 68 AVG vorliegt, entspricht der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

3.2.3. Es war daher gemäß Spruchpunkt B) zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung entschiedene Sache Kassation meritorische Entscheidung Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W203.2211199.2.01

Im RIS seit

12.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten