TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/9 W284 2190427-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.08.2021
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Entscheidungsdatum

09.08.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a
VwGVG §28 Abs2 Z1

Spruch


W284 2190427-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. WAGNER-SAMEK über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.07.2021, Zl. 1093011509/210804746, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG iVm. § 68 Abs. 1 AVG hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte II. bis VII. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG iVm. § 68 Abs. 1 AVG behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Verfahren über den ersten Antrag auf internationalen Schutz:

Der Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 09.10.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Er begründete seinen Antrag damit, Afghanistan im Alter von fünf Jahren mit seiner Familie in den Iran verlassen zu haben, weil er gefürchtet habe, in den Syrienkrieg geschickt zu werden.

Mit Bescheid der belangten Behörde (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, kurz: BFA) wurde dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten versagt, ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen, die Abschiebung nach Afghanistan für zulässig erklärt und dem Beschwerdeführer eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes v. 27.09.2019, W261 2190427-1/17E, wurde die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen, die Revision für nicht zulässig erklärt. Ausgesprochen wurde, dass der Beschwerdeführer – sicher – in seine Herkunftsprovinz Bamyan (in Zentralafghanistan) oder nach Mazar-e Sharif in der Provinz Balkh zurückkehren (und auch einreisen) könne.

Das Erkenntnis des BVwG erwuchs mit 27.09.2019 in Rechtskraft; der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 09.06.2020, Zl. E 3722/2019-10, die Behandlung der gegen das Erkenntnis des BVwG erhobenen Beschwerde abgelehnt und an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

2. Verfahren betreffend den Folgeantrag auf internationalen Schutz:

Der Beschwerdeführer stellte am 16.06.2021 den vorliegenden Folgeantrag und gab dazu am selben Tag bei der Erstbefragung an, dass er seine alten Gründe aufrechterhalte. Neu hinzugekommen sei, dass sein Vater in Afghanistan Feinde habe, weshalb der Beschwerdeführer nicht in seinen Herkunftsstaat Afghanistan zurückkehren könne. Am 07.07.2021 fand eine ausführlich niederschriftliche Einvernahme vor dem BFA statt, in welcher der Beschwerdeführer geltend machte, nunmehr Christ zu sein, weshalb er nicht in den Iran (und nicht Afghanistan) zurückkehren könne.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 13.07.2021 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und dieser Antrag auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) jeweils gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen Dem Beschwerdeführer wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers bestehe (Spruchpunkt VI.) und gegen ihn gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen werde (Spruchpunkt VII.).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht mit Schreiben seiner rechtsfreundlichen Vertretung vom 29.07.2021 Beschwerde und stütze sich darauf, dass eine durch Abschiebung erzwungene Rückkehr auf Dauer sicher sein müsse. Das BVwG habe auch die längerfristigen Folgen der Gewalt in Afghanistan zu berücksichtigen. Der Abzug der internationalen Truppen habe die Instabilität der bewaffneten Konflikte im gesamten Land wesentlich erhöht. Diesbezüglich werde auf die Kurzinformation der Staatendokumentation zu Afghanistan, „Entwicklung der Sicherheitslage, Stand 19.07.2021“ sowie auf zahlreiche aktuelle Medienberichte zur sich verschlechternden Sicherheitslage in Afghanistan verwiesen.

Mit Erhebung der Beschwerde regte der Beschwerdeführer zudem die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung an.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an, seine Muttersprache ist Dari, er spricht auch Farsi. Seine Identität steht nicht fest. Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan, im Distrikt Panjab, das liegt in der Provinz Bamyan in Zentralafghanistan, geboren. Er hat seinen Herkunftsstaat Afghanistan im Alter von fünf Jahren mit seiner Familie in den Iran verlassen.

Den ersten Asylantrag stellte der Beschwerdeführer nach illegaler Einreise nach Österreich im Oktober 2015. Dieser Asylantrag wurde mit in Rechtskraft erwachsenem Erkenntnis des BVwG vom 27.09.2019 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen.

Gegen den Beschwerdeführer besteht daher eine seit 27.09.2019 rechtskräftige, aufrechte Rückkehrentscheidung.

Der Beschwerdeführer kehrte jedoch nicht nach Afghanistan zurück, sondern setzte sich nach Belgien ab. Die belgischen Dublin-Behörden stellten ein Wiederaufnahmeersuchen an Österreich und wurde der Beschwerdeführer am 16.06.2021 in das österreichische Bundesgebiet rücküberstellt, wo er den gegenständlichen Folgeantrag stellte.

Die zur Begründung seines Folgeantrags behauptete Bedrohung entspricht den aus dem bereits im vorangegangenen geprüften Gründen. Dass sein Vater in Afghanistan Feinde habe, weshalb der Beschwerdeführe nicht dorthin zurückkehren könne, bezieht sich bereits auf einen (angeblich) im Jahr 2010 verwirklichten Sachverhalt und ist daher vom Prüfungsumfang des vorangegangenen – und rechtskräftig abgeschlossenen – Verfahrens umfasst.

Soweit sich der Beschwerdeführer in diesem Verfahren zudem darauf stützt, dass er aufgrund seiner Konversion zum Christentum nicht in den Iran zurückkehren könne, ist klarzustellen, dass der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers Afghanistan (und nicht der Iran) ist, weshalb auch lediglich eine Rückkehr nach Afghanistan verfahrensgegenständlich ist. Darüber hinaus erfolgte seine Konversion lediglich zum Schein und hat sich dadurch keine wie immer geartete Gefährdungssituation ergeben.

„Neue“ asylrelevante Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates Afghanistan liegen demnach nicht vor. Einer neuerlichen Überprüfung der Fluchtgründe steht die Rechtskraft des Vorverfahrens entgegen.

1.2. Die im nunmehr angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen über die Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Allfällige Auswirkungen des notorisch mit Mai 2021 erfolgten Abzuges der Koalitionstruppen und Sicherheitskräfte und der seither intensivierten Offensive von regierungsfeindlichen Kräften in Afghanistan, insbesondere der gewaltsame Vormarsch durch die Taliban und ihre Machtübernahme zahlreicher, weiterer strategisch wichtiger Städte und Stützpunkte (insbesondere auch Grenzübergänge), wurden im angefochtenen Bescheid lediglich pauschal und mit Bezug auf einige näher genannte Distrikte von Afghanistan getroffen. Die Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides über die Sicherheitslage in Balkh mit der Hauptstadt Mazar-e Sharif, in Herat, sowie in Kabul stützen sich dagegen auf Quellen aus den Jahren 2018 bis 2020 und weisen daher keine Aussagekraft darüber aus, ob dem Beschwerdeführer im Hinblick auf die jeweilige Sicherheitslage tatsächlich im Entscheidungszeitpunkt eine Rückkehr in seine Herkunftsregion oder (wie alternativ angenommen) nach Mazar-e Sharif in Afghanistan zumutbar bzw. diese infolge der geänderten Machtverhältnisse auch erreichbar ist.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur persönlichen Situation des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben in den Verfahren über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Auch wurde Einsicht in das mit Belgien geführte Konsultationsverfahren genommen (AS 41ff). Seine Identität steht mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nach wie vor nicht fest. Vielmehr bediente sich der Beschwerdeführer auch im Zuge des Dublin-Verfahrens, wie sich durch Einsichtnahme in die entsprechenden Unterlagen erhellte, einer anderen (vgl. hierzu nach AS 205 das abweichende Geburtsdatum zu seinen in Österreich bekannt gegebenen Daten) Verfahrensidentität.

Die Feststellungen über den rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens über den ersten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ergeben sich aus den Verwaltungs- und Gerichtsakten (AS 697).

Der Beschwerdeführer stützt sich zur Geltendmachung seines Folgeantrages im Wesentlichen auf seine bisherigen Gründe und gab bei der Erstbefragung an: „Die alten Fluchtgründe bleiben aufrecht“ (AS 23), weshalb zu Recht davon ausgegangen wurde, dass hierüber bereits – infolge Rechtskraft des Vorverfahrens – rechtsverbindlich abgesprochen wurde. Soweit die zur Begründung seines Folgeantrages vorgebrachte Behauptung des Beschwerdeführers, sein Vater würde in Afghanistan verfolgt und könne der Beschwerdeführer deswegen nicht dorthin zurückkehren, aufgestellt wird, betreffen diese Angaben das Jahr 2010 (AS 107; S. 146 des angefochtenen Bescheides) und stellen daher auch keinen neuen Sachverhalt dar.

Die Angaben betreffend seine christliche Glaubensüberzeugung weisen keinen glaubhaften Kern auf, zumal er sich darauf in der Erstbefragung des Folgeverfahrens gar nicht berief (AS 23), im Laufe der beiden Verfahren wechselnde Angaben zu seiner Religionszugehörigkeit im Speziellen sowie im Allgemeinen dazu machte, ob er überhaupt gläubig sei oder nicht und sich diesbezüglich lediglich auf den Iran bezog; gegenständlich geprüft wurde und wird jedoch eine Rückkehr nach Afghanistan, wo der Beschwerdeführer geboren wurde, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und wo er bis zu seinem fünften Lebensjahr aufgewachsen ist (vgl. hierzu die Begriffsbestimmung „Herkunftsstaat“ in § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG: der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes).

Der schlüssigen Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides ist die Beschwerde ansonsten nicht konkret entgegengetreten.

2.2. Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf das im angefochtenen Bescheid zitierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes und die darin zitierten Quellen. Herangezogen wurden zudem die mit Erhebung der Beschwerde dargelegte Quellen, insbesondere www.faz.net/aktuell/politik/ausland/taliban-käaempfen-nur-in-afghanistan-17430314.html, www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2111924-Taliban-Kontrollieren-85-Prozent-von-Aghnaitsan.html, beide mit Stand vom 09.07.2021; daraus ergibt sich, dass die Taliban an vielerlei Orten und strategisch wichtigen Punkten die Kontrolle übernommen hat und die Regierungstruppen überrannt wurden; Einsicht genommen wurde auch in die Website unmissions.org. Wenngleich die belangte Behörde „letzte Änderungen“ vom 11.06.2021 in den Bescheid einfließen ließ, fielen mit Blick auf den eingeleiteten und nunmehr fast vollständig erfolgten Abzug der Koalitionstruppen weitere Distrikte in den Provinzen Herat und Balkh an die Taliban und kann nicht von vornherein und ohne genaue Prüfung gesagt werden, dass sich dadurch keine für den Bwsechwerdeführer geänderte Lage ergibt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG geregelt. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, anzuwenden.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Zur Zulässigkeit der Beschwerde:

Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 28.06.2021 wurde durch den Vertreter des Beschwerdeführers am 12.07.2021 fristgerecht eingebracht.

Zu A)

3.1. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung bzw. Beschwerde nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 und 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Verschiedene Sachen im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG liegen vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgebend erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren (abgesehen von Nebenumständen, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind) abweicht (VwGH 10.06.1998, Zl. 96/20/0266). Liegt keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vor und ist in dem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt keine Änderung eingetreten, so steht die Rechtskraft des ergangenen Bescheides dem neuerlichen Antrag entgegen und berechtigt die Behörde zu seiner Zurückweisung. Ist also eine Sachverhaltsänderung, die eine andere rechtliche Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (VwGH 21.09.2000, Zl. 98/20/0564).

Auch Bescheide, die - auf einer unvollständigen Sachverhaltsbasis ergangen - in Rechtskraft erwachsen sind, sind verbindlich und nur im Rahmen des § 69 Abs. 1 AVG einer Korrektur zugänglich. Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des über den ersten Antrag absprechenden Bescheides entgegen (VwGH 10.06.1998, Zl. 96/20/0266 mit Hinweis auf VwGH 24.3.1993, Zl. 92/12/0149).

§ 68 Abs. 1 AVG soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage) verhindern. Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die "entschiedene Sache", also durch die Identität der Verwaltungssache, über die bereits mit einem formell rechtskräftigen Bescheid abgesprochen wurde, mit der im neuen Antrag intendierten bestimmt. Identität der Sache liegt dann vor, wenn einerseits weder in der Rechtslage noch in den für die Beurteilung des Parteibegehrens maßgeblichen tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist und sich andererseits das neue Parteibegehren im Wesentlichen (von Nebenumständen, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, abgesehen) mit dem früheren deckt. Dabei kommt es allein auf den normativen Inhalt des bescheidmäßigen Abspruches des rechtskräftig gewordenen Vorbescheides an. In Bezug auf wiederholte Asylanträge muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den die positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Danach kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtliche Relevanz zukäme. Die Behörde hat sich mit der behaupteten Sachverhaltsänderung bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit der (neuerlichen) Antragstellung insoweit auseinander zu setzen, als von ihr - gegebenenfalls auf der Grundlage eines durchzuführenden Ermittlungsverfahrens - festzustellen ist, ob die neu vorgebrachten Tatsachen zumindest einen (glaubhaften) Kern aufweisen, dem für die Entscheidung Relevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (VwGH 19.02.2009, Zl.2008/01/0344 mit Hinweisen auf VwGH 29.01.2008, Zl. 2005/11/0102 mwN; und VwGH 16.02.2006, Zl. 2006/19/0380, mwN; VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0025; 25.4.2017, Ra 2016/01/0307).

Nach der österreichischen Rechtsordnung kommt dem Asylwerber nach dem AsylG 2005 ein Antragsrecht in Bezug auf den subsidiären Schutz zu, das in seinem Antrag auf internationalen Schutz mit enthalten ist. Ein gesonderter Antrag auf subsidiären Schutz ist im Gesetz hingegen nicht vorgesehen [vgl. Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, 73, und Putzer/Rohrböck, Leitfaden Asylrecht (2005), 73, Rz 153]. Da sich der Antrag auf internationalen Schutz daher auch auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten richtet, sind auch Sachverhaltsänderungen, die ausschließlich subsidiäre Schutzgründe betreffen, bei den Asylbehörden geltend zu machen, zumal nur sie dem Asylwerber diesen Schutzstatus zuerkennen können. Somit sind für Folgeanträge nach dem AsylG 2005 die Asylbehörden auch dafür zuständig, Sachverhaltsänderungen in Bezug auf den subsidiären Schutzstatus einer Prüfung zu unterziehen (VwGH 19.02.2009, Zl.2008/01/0344).

Da das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit dem angefochtenen Bescheid den Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen hat, ist Gegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung, nicht aber der zurückgewiesene Antrag selbst. Zu prüfen ist demnach, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0198, mwN).

Diese Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat – von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen – im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen (vgl. VwGH 24.6.2014, Ra 2014/19/0018). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht somit nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0025; 24.5.2018, Ra 2018/19/0234).

Wie beweiswürdigend ausgeführt, hat sich im gegenständlichen Fall kein neuer Sachverhalt hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten aufgetan.

Der Folgeantrag ist daher zurecht hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zurückgewiesen worden, weshalb die dagegen erhobene Beschwerde abzuweisen ist.

3.2. Der angefochtene Bescheid enthält jedoch keine – hinreichend aktuellen - Feststellungen über die allgemeine Sicherheitslage im Herkunftsstaat (vgl. Pkt. 1.2. und 2.2.), insbesondere in die als Ziel seiner zumutbaren Rückkehr des Beschwerdeführers bezeichnete Provinz Bamyan bzw. die als innerstaatliche Fluchtalternative angenommene Stadt Mazar-e Sharif, wo er zufolge der rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom September 2019 Sicherheit finden kann, zumal letztere in den letzten Tagen von den Taliban erobert wurde. Es wird zwar nicht verkannt, dass die belangte Behörde „letzte Änderungen“ aus Mitte Juni 2021 in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation aufnahm, jedoch beziehen sich die für den Beschwerdeführer als Rückkehroption angenommenen Gebiete/Städte Informationen auf die Berichtslage (Quellen) aus den Jahren 2018-2020, weshalb diese die aktuelle Situation, mit welcher der Beschwerdeführer bei nunmehriger Rückkehr konfrontiert wäre, nicht ausreichend widerspiegeln. Der Bescheid vermag daher den Abspruch nicht zu tragen, dass hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigte kein neuer Sachverhalt eingetreten sei, da die jüngsten notorischen Entwicklungen mit dem Abzug der internationalen Sicherheitskräfte und der verstärkten Offensive regierungsfeindlicher Gruppierungen nicht berücksichtigt wurden.

Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist daher zu beheben. Dies bedeutet, dass auch die weiteren Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids, die dessen Bestehen voraussetzen, zu beheben sind.

3.3. Gemäß § 24 Abs. 1 des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG kann das Bundesverwaltungsgericht unbeschadet des Abs. 7 über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde, der diese von Gesetz wegen nicht zukommt (§ 17) oder der diese vom Bundesamt aberkannt wurde (§ 18), und über Beschwerden gegen zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung entscheiden.

Gemäß § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich ausführlich in seinem Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, mit dem Verständnis dieser Bestimmung auseinandergesetzt und geht seitdem in seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. dazu statt vieler die Erkenntnisse vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, vom 2. September 2015, Ra 2014/19/0127, vom 15. März 2016, Ra 2015/19/0180, vom 18. Mai 2017, Ra 2016/20/0258, und vom 20. Juni 2017, Ra 2017/01/0039) davon aus, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich sind:

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen; dies trift fallbezogen zu.

Die Verhandlungspflicht im Zulassungsverfahren - wozu auch Beschwerden gegen eine vor Zulassung des Verfahrens ausgesprochene Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach § 68 AVG zählen - folgt besonderen Verfahrensvorschriften, nämlich § 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA-VG (zur Auslegung dieser Sondervorschriften vgl. VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072; 25.8.2017, Ra 2017/18/0243; 5.3.2018, Ra 2018/20/0062).

Im gegenständlichen Fall hat das Bundesverwaltungsgericht keinerlei neue Beweismittel beigeschafft und sich in seiner Beurteilung der Richtigkeit der von der Behörde vorgenommenen Zurückweisung des Folgeantrages des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG ausschließlich auf die nachvollziehbaren Ausführungen im angefochtenen Bescheid gestützt, welche in der Beschwerde nicht konkret in Zweifel gezogen wurden.

Die Behörde hat im angefochtenen Bescheid dargetan, dass das nunmehrige Vorbringen des Beschwerdeführers keine Neuerung hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten darstellt.

Die mangelnde Aktualität der Feststellungen des angefochtenen Bescheids über die Lage im Herkunftsstaat hinsichtlich der Frage der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten liegt angesichts der notorischen Entwicklungen (siehe etwa: unmissions.org; eingesehen zuletzt am 09.08.2021) auf der Hand.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte daher im vorliegenden Fall von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG ausgehen; es war nach den oben dargestellten Kriterien nicht verpflichtet, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

3.4. Mit Erhebung der Beschwerde wurde die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung angeregt und ist dazu Folgendes zu sagen:

Einer Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der 1. ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und diese mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist bzw. 2. ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bereits besteht, kommt gemäß § 16 Abs. 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung nicht zu, es sei denn, sie wird vom Bundesverwaltungsgericht nach § 17 BFA-VG binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde (03.08.2021) zuerkannt.

Richtig ist, dass der Beschwerdeführer durch seine rechtsfreundliche Vertretung die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht „beantragt“, sondern bloß „angeregt“ hat, zumal die maßgeblichen Vorschriften des § 16 Abs. 2 und Abs. 4 sowie des § 17 BFA-VG 2014 weder ein Antragsrecht des Asylwerbers auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung vorsehen (die gerichtliche Überprüfung hat vielmehr von Amts wegen stattzufinden) noch das VwG darüber einen Beschluss fassen muss, dass die aufschiebende Wirkung nicht gewährt wird (vgl. VwGH 21.2.2017, Fr 2016/18/0024, 0019 bis 0023).

Nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, zuletzt am 19.01.202, Zl. Fr 2020/14/0042, ist das rechtliche Interesse an einer Entscheidung über die Frage, ob der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen ist, nämlich mit der Entscheidung in der Hauptsache, weggefallen (vgl. VwGH 8.7.2020, Fr 2020/14/0027; 15.10.2019, Fr 2019/01/0030). Das Rechtsschutzinteresse eines Revisionswerbers (vgl. VwGH vom 29.06.2021, Ra 2020/08/0007), dessen Revision sich gegen eine Entscheidung des VwG betreffend die aufschiebende Wirkung seiner Beschwerde richtet, ist nicht mehr gegeben, sobald das VwG über die Beschwerde selbst erkannt hat (vgl. VwGH 28.4.2015, Ra 2014/02/0023, VwGH 9.9.2015, Ro 2015/03/0028, VwGH 7.4.2016, Ro 2015/03/0046, und VwGH 30.6.2016, Ra 2016/11/0077).

Da das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall binnen Frist die Beschwerde behandelt hat, durfte eine gesonderte Auseinandersetzung mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung daher unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Entscheidung in der Sache Identität der Sache Prozesshindernis der entschiedenen Sache Spruchpunktbehebung Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W284.2190427.2.00

Im RIS seit

12.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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