TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/23 W204 2173953-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.08.2021
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Entscheidungsdatum

23.08.2021

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28

Spruch


W204 2173953-1/27E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER über die Beschwerde des M XXXX A XXXX , geb. XXXX 1999, StA. Afghanistan, gegen die Spruchpunkte II. bis IV. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.09.2017, Zl. 1070847908 - 150560114, zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird stattgegeben und M XXXX A XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird M XXXX A XXXX eine auf ein Jahr ab dem Tag der Zustellung des Erkenntnisses befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter erteilt.

II. Die Spruchpunkte III. und IV. werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein afghanischer Staatsbürger, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 26.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu erfolgte am darauf folgenden Tag eine Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Wien und am 13.09.2017 die Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA).

I.2. Mit Bescheid vom 28.09.2017, dem BF am 04.10.2017 durch Hinterlegung zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

I.3. Mit Verfahrensanordnung vom 28.09.2017 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.4. Gegen den unter I.2. genannten Bescheid richtet sich die Beschwerde vom 16.10.2017, in der beantragt wurde, dem BF den Status des Asylberechtigten, in eventu jenen des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu die Rückkehrentscheidung aufzuheben, in eventu festzustellen, dass die Abschiebung unzulässig sei, in eventu ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen und eine Verhandlung durchzuführen.

I.5. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde diese Beschwerde vom Bundesverwaltungsgericht mit am 15.03.2018 verkündetem und am 23.07.2018 ausgefertigtem Erkenntnis zu W230 2173953-1/13E (im Folgenden: Vorerkenntnis) in Bezug auf Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids abgewiesen (Spruchpunkt A) I.). Hingegen wurde dem BF in Stattgebung seiner Beschwerde der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkte A) II. und III.).

I.6. Infolge einer Amtsrevision durch das BFA wurde das Vorerkenntnis vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 13.02.2020 zu Ro 2018/01/0016-6 in Bezug auf die Spruchpunkte A) II. und III. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

I.7. Am 08.07.2021 wurde die Rechtssache der erkennenden Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

-        Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den BF; insbesondere in die Befragungsprotokolle;

-        Einsicht in die aktuellsten Länderberichte;

-        Einsicht in die im Rahmen des Verfahrens vorgelegten Unterlagen;

-        Einsicht in das Strafregister, in das Grundversorgungssystem und in das Zentrale Melderegister.

II. Feststellungen:

II.1. Zur Person des BF:

Der BF führt den Namen M XXXX A XXXX und das Geburtsdatum XXXX 1999 als Verfahrensidentität. Seine Identität steht nicht fest. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zum schiitischen Islam. Seine Muttersprache ist Dari.

Der BF hat seine Kindheit in einem Dorf in der Provinz Herat verbracht. Er hat in Afghanistan einige Zeit in einer Koranschule gelernt. Sein Vater war in Afghanistan als Hilfsarbeiter tätig. Der Vater ist noch in Afghanistan verstorben. Die Verwandten väterlicherseits haben den Kontakt zur Mutter des BF abgebrochen. Diese hat mit dem BF, als dieser etwa 12 Jahre alt war, das Land in Richtung Iran verlassen, wo er den Rest seiner Jugend verbracht hat. Im Iran hat er gemeinsam mit anderen Afghanen das Schreiben und Lesen erlernt. Der BF hat im Iran mit seiner Mutter als Reinigungskraft gearbeitet. Die Mutter des BF lebt so wie seine sonstigen näheren Verwandten im Iran. Seine Verwandten im Iran befinden sich in einer schwierigen finanziellen Situation und fordern vom BF als nach Europa ausgewandertem Verwandten Geld. Zu Personen in Afghanistan hat der BF keinen Kontakt.

Der BF leidet an einer Anpassungsstörung mit leichtgradiger depressiver Reaktion und steht in Behandlung mit Medikamenten und Psychotherapie. Es ist nicht von einer dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit auszugehen. Deren Dauer ist jedoch nicht absehbar. Die medikamentöse Behandlung sollte auch im Fall einer Abschiebung zur Linderung der Symptome weitergeführt werden. Die Erkrankung steht in engem Zusammenhang mit der gegenwärtigen Lebenssituation und der Trennung von den Familienangehörigen. Der BF ist in der Lage, Arbeiten des täglichen Lebens (zB Kochen, Waschen, Putzen) selbstständig durchzuführen. Im Fall einer Abschiebung nach Afghanistan ist eine kurz- bis mittelfristige Verschlechterung des Krankheitsbildes möglich, da in diesem Fall der Wunsch, in Österreich bleiben zu dürfen, nicht erfüllt werden würde. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht besteht im Fall einer Abschiebung nicht die reale Gefahr, dass der BF aufgrund der psychischen Störung in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten oder die Krankheit sich in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern könnte.

II.2. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Die Taliban haben in Afghanistan so gut wie kampflos die Macht übernommen, während der Präsident und einige weitere Regierungsmitglieder ins Ausland geflohen sind. Der erste Vizepräsident der international anerkannten Regierung befindet sich nach seinen eigenen Angaben noch in Afghanistan und bezeichnet sich als rechtmäßiger Übergangspräsident. Er hat öffentlich aufgerufen, sich dem Widerstand anzuschließen, der sich versucht, im Pandschir-Tal zu organisieren. Im gesamten restlichen Staatsgebiet haben die Taliban die Staatsfunktionen übernommen und bereits einen Angriff auf die Widerstandskämpfer angekündigt. In einer Pressekonferenz erklärten die Taliban eine Generalamnestie für alle Regierungsmitarbeiter und alle Afghanen, die mit den ausländischen Militärs zusammengearbeitet hätten. Weiters gaben die Taliban in ihrer Pressekonferenz unter anderem an, dass auch die Minderheitsrechte geachtet würden, dies allerdings nur innerhalb der Scharia.

In der internationalen Staatengemeinschaft wird dieses Versprechen der Taliban aufgrund der bisherigen schlechten Erfahrungen mit Versprechen der Taliban, ihrem Verhalten in ihrer früheren Herrschaft, aber auch wegen der Ermordung des Chefs des Informationszentrums der Taliban elf Tage vor der Pressekonferenz durch die Taliban selbst sowie aufgrund von Berichten über aktuelle Menschenrechtsverletzungen mit großer Skepsis gesehen. In Bamyan wurde bereits eine Statue eines Hazara-Führers von den Taliban geköpft. Weiteren Berichten zufolge haben die Taliban nach Eroberung der Provinz Ghazni Anfang Juli Angehörige der Minderheit der schiitischen Hazara exekutiert. Anderen Berichten zufolge haben die Taliban in den größeren Städten die Aschura-Feierlichkeiten der Schiiten abgesichert.

Die Situation in Afghanistan ist derzeit aufgrund der dramatischen Ereignisse vor Ort (vgl. Sonderkurzinformation der Staatendokumentation vom 17.08.2021, S 4, sowie vom 20.08.2021, S. 1f) unübersichtlich. Vor allem rund um den Flughafen in Kabul ist sie chaotisch, die Taliban kontrollieren die Zufahrtsstraßen. In Kabul wie auch in anderen Landesteilen wurde am Unabhängigkeitstag Afghanistans mit der Flagge Afghanistans demonstriert. Teils wurden diese Demonstrationen mit Waffengewalt aufgelöst. Nach Berichten sind neben Frauen und Menschenrechtsaktivisten vor allem die Angehörigen der schiitischen Hazara aufgrund der Machtübernahme durch die Taliban beunruhigt und bewegen sich kaum mehr öffentlich. Viele Afghanen sind vor der Machtübernahme der Taliban in die Städte, vor allem nach Kabul, geflüchtet, wo sie teils auf den Straßen campieren. Die wirtschaftliche Lage in Afghanistan wie auch die Versorgungslage der Bevölkerung ist sehr angespannt. Die Taliban haben keinen Zugriff auf die Devisenreserven des Landes.

Dem BF droht bei einer Rückkehr ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, derzeit nicht befriedigen, ohne in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Es ist dem BF nicht möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten bei einer Ansiedlung in Afghanistan Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

III. Beweiswürdigung:

III.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.

III.2. Zu den Feststellungen zur Person des BF:

Die Feststellungen zur Verfahrensidentität des BF wie auch zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, den Sprachkenntnissen und den Umständen seines Aufwachsens in Afghanistan wurden aufgrund der diesbezüglich glaubhaften Aussagen des BF sowohl vom BFA seiner Entscheidung als auch vom Bundesverwaltungsgericht dem Vorerkenntnis, das teilweise in Rechtskraft erwachsen ist, zugrunde gelegt. Es ist daher kein Grund ersichtlich, davon nunmehr abzugehen.

Die Identität konnte mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente aus dem Herkunftsstaat nicht festgestellt werden.

Die Feststellungen zur Gesundheit wurden im Vorerkenntnis auf das vom BFA eingeholte Gutachten gestützt. Da darin die Dauer der Behandlungsbedürftigkeit nicht absehbar war und die Ursache in der noch immer aufrechten Trennung von der Familie liegt, sind diese Ausführungen nach wie vor aktuell.

III.3. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr der BF:

Die Feststellungen zur aktuellen Situation beruhen (mangels eines aktuellen vollständigen Länderinformationsblatts) auf den aktuellsten Berichten angesehener seriöser Medien. Aufgrund dieser Vielzahl an übereinstimmenden Berichten, die zudem als allgemein bekannt vorausgesetzt werden können, ist nur auf eine Auswahl verschiedener Artikel zu verweisen (s. https://taz.de/Taliban-uebernehmen-Afghanistan/!5789645/; https://tolonews.com/index.php/afghanistan-174247; https://tolonews.com/index.php/afghanistan-174245; https://www.bbc.com/news/live/world-asia-58219963; https://www.diepresse.com/6021224/taliban-erreichen-kabul-prasidentenpalast-eingenommen?from=rss; https://www.sueddeutsche.de/politik/afghanistan-aktuell-taliban-kabul-evakuierung-1.5377155; https://www.derstandard.at/story/2000128937798/kabul-faellt-kampflos-an-die-taliban?ref=rec; https://www.diepresse.com/6021466/prasident-ghani-habe-afghanistan-verlassen-um-blutvergiessen-zu-vermeiden?from=rss; https://tolonews.com/afghanistan-174248; https://tolonews.com/afghanistan-174252; https://www.diepresse.com/6021482/taliban-der-krieg-in-afghanistan-ist-vorbei?from=rss; https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikte-abdullah-afghanistans-praesident-aschraf-ghani-hat-das-land-verlassen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210815-99-850834; https://www.derstandard.at/story/2000128988237/taliban-geben-sich-in-pressekonferenz-mildevizechef-in-afghanistan-eingetroffen; https://www.diepresse.com/6022198/die-milden-worte-der-ersten-taliban-pressekonferenz?from=rss; https://orf.at/stories/3225195/; https://www.bbc.com/news/world-asia-58250607; https://twitter.com/courtneybody/status/1427650075602337792; https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikte-taliban-uebernehmen-wichtigste-behoerden-in-afghanistan-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210817-99-874853; https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afghanistan-wie-die-taliban-sich-um-vertrauen-bemuehen-17489392.html; https://tolonews.com/afghanistan-174273; https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikte-taliban-machen-versprechungen-us-regierung-skeptisch-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210817-99-876345; https://tolonews.com/afghanistan-174269; https://twitter.com/AmrullahSaleh2/status/1427631191545589772; https://pajhwok.com/2021/08/17/i-am-legitimate-care-taker-president-saleh/; https://www.diepresse.com/6022442/das-panjshir-tal-eine-provinz-widersetzt-sich-den-taliban; https://edition.cnn.com/videos/world/2021/08/13/taliban-former-us-military-base-afghanistan-ghazni-province-ward-dnt-lead-vpx.cnn; Zugriff jeweils am 18.08.2021; https://orf.at/stories/3225186/; https://www.tagesschau.de/ausland/asien/afghanistan-hunger-101.html; https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/taliban-zentralbank-devisenreserven-afghanistan-usa-101.html; https://orf.at/stories/3225407/; https://orf.at/stories/3225342/; Zugriff jeweils am 19.08.2021; https://orf.at/stories/3225568/; https://www.derstandard.at/story/2000129048886/usa-und-andere-staaten-forcieren-evakuierung-aus-afghanistan; https://www.diepresse.com/6022895/das-dilemma-der-taliban-macht-aber-keinen-zugriff-auf-die-konten?from=rss; https://orf.at/#/stories/3225576/; https://www.bbc.com/news/world-asia-58271517; https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/auf-einfuhren-angewiesen-warum-in-afghanistan-bald-hunger-drohen-koennte-17492635.html; https://www.amnesty.org/en/latest/news/2021/08/afghanistan-taliban-responsible-for-brutal-massacre-of-hazara-men-new-investigation/; https://www.bbc.com/news/world-asia-58277463; Zugriff jeweils am 20.08.2021).

Aus diesen Berichten folgt, dass dem BF als schiitischem Hazara derzeit durchaus eine Gefahr einer Verletzung seiner in der EMRK garantierten Rechte droht und ihm aktuell eine Neuansiedelung nicht möglich ist. Die Taliban geben sich zwar nach außen als moderater, allerdings werden diese Versprechen nach den oben zitierten Berichten in den von ihnen schon länger kontrollierten Gebieten bereits nach einer kurzen Anfangsphase nicht eingehalten. Dies nährt die Furcht einer Rückkehr ihrer Herrschaft von 1996 bis 2001 und der damaligen Bedrohung von Frauen, Ortskräften und Menschenrechtsaktivisten sowie der religiösen Minderheiten wie insbesondere der schiitischen Hazara. Die übereinstimmenden Berichte legen dar, dass – auch wenn die Situation außerhalb des Flughafengeländes beziehungsweise seiner Umgebung Großteils relativ ruhig sein soll – vor allem die wirtschaftliche Situation derzeit besonders angespannt ist, zumal nicht klar ist, ob die Nichtregierungsorganisationen weiterarbeiten können/wollen und derzeit auch kein Zugriff auf die Reserven der Nationalbank besteht. Hinzu kommt, dass die (temporären) Unterkünfte wie Hotels oder Teehäuser derzeit aufgrund der allgemeinen Lage weitgehend geschlossen sind. Auch der Arbeitsmarkt ist von den Unruhen betroffen. Aufgrund der unübersichtlichen Situation in Afghanistan stehen Rückkehrer derzeit vor unüberwindbaren Hürden. Zudem ist nicht einmal eine Anreise möglich, ist doch der Flughafen Kabul weitestgehend nur für militärische Evakuierungsflüge offen, während rund um ihn die Taliban Checkpoints errichtet haben und nicht annähernd klar ist, wer wann wie durchgelassen wird.

IV. Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.

Verfahrensgegenstand sind nach der teilweisen Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof nur die Frage des subsidiären Schutzes sowie die rechtlich davon abhängigen Spruchpunkte. Rechtskräftig verneint ist dagegen bereits die Frage, ob dem BF der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

IV.1. Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Diese Entscheidung ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG zu verbinden.

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.

Zur erforderlichen Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erkennt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass dabei eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 18.02.2020, Ra 2020/18/0032).

Unter realer Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174).

Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0309).

Grundsätzlich hat der Fremde das Bestehen einer realen Gefahr im Sinne des § 8 AsylG glaubhaft zu machen. Dabei sind aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert ist, in Betracht zu ziehen und bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von jener anderer Personen im Herkunftsstaat unterscheidet, im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden. Soweit es um die allgemeine Lage im Herkunftsstaat geht, liegt es dagegen an den Behörden, die allgemeine Lage festzustellen und nachzuweisen. Das Vorbringen des Asylwerbers muss demnach, um in diesem Sinn eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen (VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314 mwN).

Für die zur Prüfung der Notwendigkeit von subsidiärem Schutz erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des BF bei seiner Rückkehr abzustellen. Dies ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (EuGH 17.02.2009, C-465/07, Elgafaji; VfGH 13.09.2013, U370/2012; VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0029).

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auch abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

Für die Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative sind zwei getrennte und selbständige Voraussetzungen zu prüfen (UNHCR, Kapitel III. C). Zum einen ist zu klären, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und Schutz vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Das als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefasste Gebiet muss zudem sicher und legal zu erreichen sein (Analyse der Relevanz). Von dieser Frage ist getrennt zu beurteilen, ob dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann beziehungsweise ob von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, sich in dem betreffenden Gebiet niederzulassen (Analyse der Zumutbarkeit; siehe auch VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001; 08.08.2017, Ra 2017/19/0118). Der Prüfmaßstab der Zumutbarkeit spiegelt den Umstand wieder, dass ein Asylwerber, der nicht in seine Herkunftsprovinz zurückkehren kann, in der Regel in einem Gebiet einer vorgeschlagenen innerstaatlichen Fluchtalternative nicht über jene finanziellen und infrastrukturellen Ressourcen sowie lokalen Kenntnisse und sozialen Netzwerke verfügen wird wie an seinem Herkunftsort und somit eine zusätzliche Prüfung stattzufinden hat, ob die Ansiedelung in dem vorgeschlagenen Gebiet auch zumutbar ist (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0221).

Durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, mit der das Vorerkenntnis aufgehoben wurde, ist klargestellt, dass zu dieser Zeit keine Situation vorlag, die die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den BF gerechtfertigt hat. An diese Rechtsanschauung ist das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 63 Abs. 1 VwGG gebunden; eine Ausnahme bildet der Fall einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage. Davon kann daher nur dann abgegangen werden, wenn in dem mittlerweile verstrichenen Zeitraum eine derart maßgebliche Änderung der diesbezüglichen Verhältnisse eingetreten ist, dass es zu einer anderen Entscheidung kommen darf (VwGH 25.03.2021, Ra 2020/21/0480; 23.03.2021, Ra 2019/19/0431; 24.03.2020, Ra 2019/09/0123).

Bis vor wenigen Wochen hatte sich weder die Sicherheits- und Versorgungslage derart verschlechtert, dass von einer derart wesentlichen Änderung ausgegangen werden könnte. Aufgrund der raschen Machtübernahme durch die Taliban und die derzeitige besonders volatile Situation ist aber nunmehr eine derart wesentliche Änderung eingetreten. Während zum damaligen Entscheidungszeitpunkt und bis vor wenigen Wochen die Regierung noch die Kontrolle über große Teile des Landes hatte und insbesondere etwa Herat oder Mazar-e Sharif als sicher bis sehr sicher galten, ist mittlerweile (beinahe) das gesamte Staatsgebiet, so auch die Heimatprovinz des BF, an die Taliban gefallen. Diese haben zwar den Krieg in Afghanistan für beendet und etwa auch erklärt, Minderheitenrechte zu achten. Erste Berichte aus Gebieten, die bereits länger unter der Herrschaft der Taliban stehen, zeigen jedoch, dass bereits Verletzungen begangen wurden. So wurde beispielsweise auch die Statue eines Hazara-Führers zerstört und gibt es Berichte von Exekutionen von Gegnern der Taliban. In der derzeitigen, besonders volatilen und unsicheren Situation kann der BF daher weder gefahrenlos in seine Heimatprovinz zurückkehren noch kann von einer bestehenden innerstaatlichen Fluchtalternative ausgegangen werden. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft auf Grund jahrzehntelang währender Kriege, massiver Flüchtlingsströme und interner Vertreibung werden besonders die Städte wirtschaftlich wie auch in Bezug auf die Sicherheitslage unter besonderen Druck gesetzt. Ein annähernd normales Leben wäre dem BF als Rückkehrer ohne familiären Anschluss derzeit in Afghanistan nicht möglich, vielmehr ist die Situation unübersichtlich und unklar (vgl. Sonderkurzinformationen der Staatendokumentation vom 17.08.2021 und 20.08.2021).

Der BF stellt sich in dieser bereits allgemein schwierigen Situation, in der die Versorgungslage von Teilen der Bevölkerung bereits nicht gesichert ist, als besonders vulnerabel dar, was die Situation für ihn bei einer Rückkehr weiter verschärft. Als Angehöriger einer Minderheit ohne familiäres Netzwerk vor Ort wäre der BF der Willkür der Kämpfer wie auch von Kriminellen, die die derzeitige Lage ausnützen und sich als Taliban-Kämpfer ausgeben, ausgesetzt. Der BF leidet an einer behandlungsbedürftigen Krankheit, wobei derzeit nicht von einer ausreichenden medizinischen Versorgung ausgegangen werden kann. Auch aufgrund dieser Krankheit, die sich nach den Ausführungen des Gutachtens bei einer Rückkehr vorerst verschlechtern würde, ist die Vulnerabilität des BF erhöht. Zu diesen die Vulnerabilität erhöhenden Umständen kommt, dass der BF vor seiner Ausreise nach Europa lange Zeit im Iran lebte. Bereits nach der Berichtslage vor der Machtübernahme sah das EASO darin ein besonderes Risikoprofil. Nach der Machtübernahme ist davon noch verstärkt auszugehen. Überdies hat IOM derzeit alle Unterstützungsleistungen eingestellt. Auch die meisten anderen Hilfsorganisationen haben ihre Unterstützung eingestellt beziehungsweise sind sie derzeit nicht oder nur sehr schwer zu erreichen. Der BF wäre daher bei einer Rückkehr auf sich alleine gestellt.

Aufgrund der allgemeinen Situation in Afghanistan, die sich seit dem Vorerkenntnis und der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs maßgeblich geändert (massiv verschlechtert) hat, sodass das Bundesverwaltungsgericht an die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht mehr gebunden ist, ist dem BF derzeit in Verbindung mit der Zugehörigkeit zu einer Minderheit, seinen gesundheitlichen Beschwerden und dem langen Iran-Aufenthalt eine Rückkehr nicht möglich. Darüber hinaus ist derzeit nicht absehbar, wann eine sichere Anreise nach Afghanistan und Weiterreise vom dortigen Flughafen überhaupt wieder möglich sein wird. Auch daran scheitert daher derzeit eine Rückkehr.

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. war daher stattzugeben und dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ist dem BF eine Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr zu erteilen. Da die rechtlichen Wirkungen eines Erkenntnisses erst mit dessen Zustellung eintreten und aufgrund der maßgeblichen Rechtsvorschriften eine einjährige Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung vorzusehen ist, hat die Erteilung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ab dem Datum der Zustellung des Erkenntnisses zu erfolgen (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).

Die restlichen Spruchpunkte verlieren damit ihre rechtliche Grundlage und waren spruchgemäß ersatzlos zu beheben.

IV.2. Zum Unterbleiben der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Nach Abs. 4 leg. cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

Gemäß Art. 47 Abs. 1 GRC hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Zufolge des Abs. 2 leg. cit. hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

Nach Art. 52 Abs. 1 GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

Zur Frage der Verhandlungspflicht brachte der Verfassungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 14.03.2012, U 466/11, u.a. zum Ausdruck, er hege vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung weder Bedenken ob Vorgängerbestimmung des § 21 Abs. 7 BFA-VG noch könne er finden, dass der Asylgerichtshof der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe. Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen tatsachenwidrig sei, stehe im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden habe, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt worden sei.

Auch der EuGH führte aus, dass im Lichte des Art. 47 GRC und dessen Auslegung anhand von Art. 6 Abs. 1 EMRK keine absolute Verhandlungspflicht besteht. Die Durchführung einer Verhandlung ist im Zusammenhang mit einer umfassenden ex-nunc-Prüfung der angefochtenen Sache durch das Gericht zu verstehen. Ist das Gericht der Auffassung, dass es den Rechtsbehelf anhand des Akteninhalts - einschließlich der Niederschrift einer persönlichen Anhörung durch die Verwaltungsbehörde - prüfen kann, so muss keine mündliche Verhandlung erfolgen. Ist das Gericht dagegen der Auffassung, dass eine mündliche Verhandlung für die umfassende Beurteilung notwendig ist, so hat es eine solche durchzuführen und darf nicht etwa aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung darauf verzichten. Bei der Frage der Durchführung beziehungsweise des Verzichts auf eine mündliche Verhandlung kommt es vor allem darauf an, ob sich die Rechts- und Tatsachenfragen anhand des Akteninhalts lösen lassen und ob die Informationen aus vorangegangenen Anhörungen durch die Behörde entsprechend umfassend und vollständig sind (EuGH 26.07.2017, C-348/16, Sacko/Commissione Territoriale per il riconoscimento della protezione internazionale di Milano).

Zur vorrangig maßgeblichen Bestimmung des § 21 Abs. 7 BFA-VG judiziert der Verwaltungsgerichtshof, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden ist. Er muss bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (VwGH 19.07.2021, Ra 2020/14/0574).

Dazu ist nun festzuhalten, dass dem Bundesverwaltungsgericht bewusst ist, dass es seiner Entscheidung aktualisierte Länderinformationen der Staatendokumentation des BFA und öffentlich zugängliche Medienberichte zugrunde legte, was nach dem Verwaltungsgerichtshof grundsätzlich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erfordern würde (siehe statt vieler nur VwGH 29.03.2021, Ra 2020/18/0346; 19.06.2020, Ra 2019/19/0562). Im konkreten Fall ist jedoch zu bedenken, dass durch die Heranziehung der aktuellen Berichte der BF nicht beschwert ist. Vielmehr war aufgrund dieser seinem noch offenen Hauptantrag stattzugeben. Der BF ist damit in seinen Rechten nicht verletzt.

Auch das BFA ist in seinen Parteirechten nicht verletzt, obwohl ihm kein gesondertes Parteiengehör zu den verwendeten Berichten gewährt wurde, weil die Berichte die Situation in Afghanistan allesamt übereinstimmend schildern, keine andere Beurteilung der derzeitigen Situation zulassen und die Staatendokumentation des BFA in ihren jüngsten Sonderkurzinformationen vom 17.08.2021 und vom 20.08.2021 die Situation selbst derart darlegt. Damit steht aber aufgrund der Aktenlage fest, dass der Bescheid aufzuheben ist, was nach § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG den Entfall der Verhandlung rechtfertigt.

IV.3. Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sind in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs geklärt (siehe neben den oben zahlreichen Zitaten etwa auch VwGH 19.07.2021, Ra 2021/14/0231). Ob jemandem in der konkreten Situation subsidiärer Schutz zu gewähren ist, ist zudem eine einzelfallbezogene Beurteilung, die nicht revisibel ist (VwGH 12.10.2016, Ra 2016/18/0039). Ebenfalls geklärt sind die Fragen, wann bei einer Ersatzentscheidung von der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs abgegangen werden kann sowie welche Voraussetzungen den Entfall der Verhandlung rechtfertigen.

Schlagworte

befristete Aufenthaltsberechtigung Bindungswirkung Ersatzentscheidung gesundheitliche Beeinträchtigung Rückkehrsituation Sicherheitslage subsidiärer Schutz Verschlechterung Versorgungslage vulnerable Personengruppe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W204.2173953.1.00

Im RIS seit

12.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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