TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/8 W204 2187361-1

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Veröffentlicht am 08.09.2021
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Entscheidungsdatum

08.09.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28

Spruch


W204 2187361-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von F XXXX H XXXX M XXXX , geb. XXXX 1990, StA. Afghanistan, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx und dessen Obmann Dr. Lennart BINDER, LL.M., Pulverturmgasse 4/2/R01, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.02.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird stattgegeben und F XXXX H XXXX M XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird F XXXX H XXXX M XXXX eine auf ein Jahr ab dem Tag der Zustellung des Erkenntnisses befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter erteilt.

III. Die Spruchpunkte III. und IV. werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 15.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Am folgenden Tag wurde der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Oberösterreich niederschriftlich erstbefragt. Befragt nach seinen Fluchtgründen führte der BF aus, es sei in Afghanistan, insbesondere auf der Strecke von Kabul nach J XXXX , unsicher.

I.3. Am 22.01.2018 wurde der BF von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und seines Vertreters unter anderem zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die den BF bewogen, seine Heimat zu verlassen, gab er an, sein Vater sei von den Taliban getötet worden, weil er der Aufforderung, dass der BF für sie arbeiten solle, nicht nachgekommen sei.

I.4. Am 23.01.2018 nahm der BF Stellung zu den Länderinformationen.

I.5. Mit Bescheid vom 02.02.2018, dem BF am 06.02.2018 zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das BFA aus, der BF habe eine Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Eine Rückkehr sei ihm aufgrund seiner persönlichen Situation in Verbindung mit der allgemeinen Sicherheitslage möglich und zumutbar. Der Antrag auf internationalen Schutz sei daher vollinhaltlich abzuweisen. Eine Aufenthaltsberechtigung könne ihm mangels Erfüllung der Voraussetzungen nicht erteilt werden, auch sei die Rückkehrentscheidung zulässig, weil die öffentlichen Interessen die privaten überwiegen würden.

I.6. Mit Verfahrensanordnung vom 05.02.2018 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.7. Gegen den unter I.5. genannten Bescheid richtete sich die Beschwerde vom 24.02.2018 wegen unrichtiger Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Beantragt wurde, dem BF die Flüchtlingseigenschaft zuzusprechen, ihm allenfalls subsidiären Schutz zu gewähren, allenfalls den Bescheid aufzuheben und zur Verfahrensergänzung an das BFA zurückzuverweisen, einen landeskundigen Sachverständigen zu beauftragen, der sich mit der aktuellen Situation in Afghanistan und den spezifischen vom BF vorgebrachten Punkten befasse, eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen, allenfalls die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären, allenfalls einen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen, allenfalls festzustellen, dass die Abschiebung nach Afghanistan unzulässig sei.

Begründend wiederholte die Beschwerde im Wesentlichen das Vorbringen des BF und verwies auf die Risikoprofile der UNHCR-Richtlinien, aus denen sich eine Verfolgung des BF ergebe, zumal der Staat auch nicht schutzfähig oder –willig sei. Aufgrund näher genannter Berichte sei dem BF darüber hinaus entgegen der Ansicht des BFA und unabhängig von der Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens eine Rückkehr nach Afghanistan weder möglich noch zumutbar. Auch die Interessensabwägung zur Rückkehrentscheidung sei verfehlt, zumal das BFA die Verlobung nicht ausreichend beachtet habe.

I.8. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 27.02.2018 vorgelegt, wobei das BFA auf die Durchführung und Teilnahme an einer Verhandlung verzichtete.

I.9. Am 11.07.2018, am 15.03.2019, am 22.01.2020 und am 30.03.2020 legte das BFA Anfragen eines Magistratischen Bezirksamts hinsichtlich der Aufenthaltsberechtigung des BF vor, da dieser ein Gewerbe angemeldet habe. Am 10.01.2019 wurde eine Anfrage eines Magistratischen Bezirksamts hinsichtlich des Aufenthaltsrechts des BF vorgelegt, weil der BF als gewerberechtlicher Geschäftsführer bestellt werden solle.

I.10. Am 16.11.2020 gaben die bisherigen Vertreter die Auflösung ihrer Bevollmächtigung bekannt.

I.11. Da der BF keine Meldung im Bundesgebiet mehr aufwies, wurde er mittels Schreiben an ein Unternehmen, an dem er als unbeschränkt haftender Gesellschafter beteiligt war, aufgefordert, eine ladungsfähige Adresse bekannt zu geben. Diese Aufforderung wurde nicht behoben.

I.12. Nachdem der BF dieser Aufforderung nicht nachgekommen war und auch weitere Versuche, ihn zu erreichen, gescheitert waren, wurden dem BF durch Hinterlegung im Akt die aktuellen Länderinformationen zugestellt. In dem Schreiben wurde ihm auch der vorläufig angenommene Sachverhalt mitgeteilt. Außerdem wurde er darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung aufgrund der Aktenlage ergehen werde, so eine Stellungnahme von ihm nichts Anderes erfordere.

I.13. Nachdem seine nunmehrigen Vertreter Stellung zu Länderberichten genommen hatten und weil der BF im Bundesgebiet wieder aufrecht gemeldet war, führte das Bundesverwaltungsgericht am 03.08.2021 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der BF (auf ausdrücklichen Wunsch ohne seine verhinderte Rechtsvertretung) teilnahm. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari u.a. zu seiner Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, seinen Familienangehörigen, seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich ausführlich befragt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

-        Einsicht in den den BF betreffenden und dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, insbesondere in die Befragungsprotokolle;

-        Einsicht in die Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat sowie aktuelle Medienberichte;

-        Einsicht in die vom BF vorgelegten Stellungnahmen und Unterlagen;

-        Befragung des BF im Rahmen der öffentlichen Beschwerdeverhandlung am 03.08.2021;

-        Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

II. Feststellungen:

II.1. Zum BF:

Der BF führt den Namen F XXXX H XXXX M XXXX und das Geburtsdatum XXXX 1990 als Verfahrensidentität. Seine Identität steht nicht fest. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zum schiitischen Islam. Seine Muttersprache ist Dari, das er in Wort und Schrift beherrscht. Außerdem spricht er Paschtu, Hindi, Arabisch und Englisch.

Der BF wurde in der Provinz Ghazni im Distrikt J XXXX im Dorf P XXXX geboren. Dort ist er gemeinsam mit seinen vier Brüdern und drei Schwestern bei seinen Eltern aufgewachsen. Er hat zwölf Jahre die Schule besucht und diese 2009 abgeschlossen. Bereits während seines Schulbesuchs und auch noch danach hat der BF bis zu seiner Ausreise im Baubereich und als Tischler gearbeitet, wodurch er seinen Lebensunterhalt finanzieren konnte. Die Kosten für die Schleppung in Höhe von etwa € 2.500 konnte er aus seinen eigenen Ersparnissen begleichen.

Der BF war in Afghanistan verheiratet. Vor der Flucht hat sich die Frau des BF nicht offiziell vom BF scheiden lassen. Die Ehefrau des BF lebt seit der Ausreise des BF wieder bei ihren Eltern.

Der BF ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert. Er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

II.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Der Vater des BF wurde nicht von den Taliban aufgefordert, ihnen den BF zu übergeben. Der Vater des BF wurde nicht von den Taliban umgebracht, nachdem er sich dieser Aufforderung widersetzt hatte.

Der BF hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen einer ihm drohenden Lebensgefahr verlassen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem BF individuell und konkret gegen den BF gerichtet weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem BF auch keine Zwangsrekrutierung durch die Taliban oder durch andere Personen.

Der BF wandte sich Anfang Juni 2021 mit dem Wunsch, auf die Taufe vorbereitet zu werden, an einen Diakon der katholischen Kirche. Der Kontakt kam über zwei iranische Staatsangehörige zustande, denen aufgrund ihrer Konversion der Status der Asylberechtigten gewährt wurde. Der BF absolvierte bislang drei Termine der Taufkatechese. Ab September 2021 wird die Taufvorbereitung fortgesetzt. Der BF bezeichnete sich im August 2021 noch selbst als Schiit. Der BF ist bisher nicht vom Islam abgefallen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan wird der BF seinem derzeitigen Interesse für den christlichen Glauben nicht mehr nachkommen und dieses Interesse nicht nach außen zur Schau tragen. In Afghanistan sind seine diesbezüglichen Aktivitäten niemanden bekannt.

Der BF ist wegen seines Aufenthalts in einem westlichen Land oder wegen seiner Wertehaltung in Afghanistan keinen psychischen oder physischen Eingriffen in seine körperliche Integrität ausgesetzt. Der BF hat sich in Österreich keine Lebenseinstellung angeeignet, die einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Es liegt keine „westliche“ Lebenseinstellung beim BF vor, die wesentlicher Bestandteil seiner Persönlichkeit geworden ist und ihn in Afghanistan exponieren würde.

II.3. Zum (Privat-)Leben des BF in Österreich:

Der BF reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein. Er hält sich zumindest seit dem 15.09.2015 durchgehend in Österreich auf und ist seit seinem Antrag auf internationalen Schutz vom selben Tag in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der BF besuchte Deutschkurse bis zum Niveau A1 und Kurse beim H XXXX , wo er auch eine Gruppe leitete. Er betätigt sich seit Jänner 2021 ehrenamtlich bei einer Lebensmittelausgabestelle für Bedürftige.

Der BF heiratete in Österreich eine zum damaligen Zeitpunkt sechzehnjährige afghanische asylberechtigte Staatsangehörige nach islamischem Recht. Er lebte zum damaligen Zeitpunkt und auch im Jänner 2018 nicht mit dieser im gemeinsamen Haushalt. Sie trafen sich damals drei Mal pro Woche. Von Juli 2018 bis Jänner 2019 lebte er mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt, wobei auch die Familie seiner Lebensgefährtin stets anwesend war. Ansonsten lebten die beiden nicht im gemeinsamen Haushalt, der BF besuchte seine Lebensgefährtin bei deren Familie. Spätestens seit Mai 2020 ist diese Beziehung aufgelöst.

Von 09.11.2020 bis 08.03.2021 wies der BF keine Meldung im Bundesgebiet auf.

Der BF meldete am 04.07.2018, am 13.03.2019 und am 06.01.2020 das Gewerbe „Marktfahrer“ an. Der BF bezog bis 30.06.2018 Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Danach bezog er bis 12.07.2019 keine Leistungen aus der Grundversorgung. Von 12.07.2019 bis 31.01.2020 bezog der BF wiederum Leistungen aus der Grundversorgung. Seitdem bezieht der BF keine Leistungen aus der Grundversorgung mehr.

Der BF ist Marktfahrer für Textilien und verkauft Gewand, das er zunächst auf dem Großhandel kauft, auf Märkten. Er ist dadurch selbsterhaltungsfähig, hat jedoch Schulden bei der Sozialversicherungsanstalt in der Höhe von ca. 5000 EUR. Er hat dazu eine Zahlungsvereinbarung mit der Sozialversicherungsanstalt getroffen.

Der BF ist unbeschränkt haftender Gesellschafter einer KG. Diese hat um die Genehmigung der Bestellung des BF als gewerberechtlicher Geschäftsführer bei Ausübung des Gewerbes „Marktfahrer“ angesucht.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

II.4. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Seine Mutter und seine Geschwister wohnen im Iran. Eine Schwester hat in Indien studiert. Die Mutter ist Hausfrau, die Geschwister arbeiten. Das Verhältnis des BF zu seiner Familie ist gut. Der BF hat regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie. Weiters leben Onkel mütterlicherseits im Iran und ein Onkel väterlicherseits in Pakistan. Ein Onkel des BF lebt mit seiner Frau in Österreich. Im Heimatdorf des BF steht ein Grundstück und ein Haus im Eigentum der Familie.

Der BF ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Dem BF würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der dort herrschenden allgemeinen instabilen Sicherheitslage und der damit einhergehenden willkürlichen Gewalt sowie der aktuell schlechten Versorgungslage in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan könnte der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, derzeit nicht befriedigen, ohne in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Es ist dem BF deshalb aktuell nicht möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten bei einer Ansiedlung in Afghanistan Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

II.5. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

-        Sonderkurzinformation der Staatendokumentation vom 17.08.2021 und

-        Sonderkurzinformation der Staatendokumentation vom 20.08.2021.

II.5.1. Sonderkurzinformation vom 17.08.2021

Der afghanische Präsident Ashraf Ghani ist angesichts des Vormarsches der Taliban auf Kabul außer Landes geflohen. Laut al-Jazeera soll das Ziel Taschkent in Usbekistan sein. Inzwischen haben die Taliban die Kontrolle über den Präsidentenpalast in Kabul übernommen. Suhail Schahin, ein Unterhändler der Taliban bei den Gesprächen mit der afghanischen Regierung in Katar, versicherte den Menschen in Kabul eine friedliche Machtübernahme und keine Racheakte an irgendjemanden zu begehen.

Am 15.08.21 haben die Taliban mit der größtenteils friedlichen Einnahme Kabuls und der Besetzung der Regierungsgebäude und aller Checkpoints in der Stadt den Krieg für beendet erklärt und das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen. Man wünsche sich friedliche Beziehungen mit der internationalen Gemeinschaft. Die erste Nacht unter der Herrschaft der Taliban im Land sei ruhig verlaufen. Chaotische Szenen hätten sich nur am Flughafen in Kabul abgespielt, von welchem sowohl diplomatisches Personal verschiedener westlicher Länder evakuiert wurde als auch viele Afghanen versuchten, außer Landes zu gelangen. Den Taliban war es zuvor gelungen, innerhalb kürzester Zeit fast alle Provinzen sowie alle strategisch wichtigen Provinzhauptstädte wie z.B. Kandahar, Herat, Mazar-e Sharif, Jalalabad und Kunduz einzunehmen. In einigen der Städte seien Gefängnisse gestürmt und Insassen befreit worden.

Die Taliban zeigten sich am Sonntag gegenüber dem Ausland unerwartet diplomatisch. „Der Krieg im Land ist vorbei“, sagte Taliban-Sprecher Mohammed Naim am Sonntagabend dem Sender al-Jazeera. Bald werde klar sein, wie das Land künftig regiert werde. Rechte von Frauen und Minderheiten sowie die Meinungsfreiheit würden respektiert, wenn sie der Scharia entsprächen. Man werde sich nicht in Dinge anderer einmischen und Einmischung in eigene Angelegenheiten nicht zulassen.

Schätzungen zufolge wurden seit Anfang 2021 über 550.000 Afghanen durch den Konflikt innerhalb des Landes vertrieben, darunter 126.000 neue Binnenvertriebene zwischen dem 7. Juli 2021 und dem 9. August 2021. Es gibt zwar noch keine genauen Zahlen über die Zahl der Afghanen, die aufgrund der Feindseligkeiten und Menschenrechtsverletzungen aus dem Land geflohen sind, es deuten aber Quellen darauf hin, dass Zehntausende von Afghanen in den letzten Wochen internationale Grenzen überquert haben.

Der Iran richtete angesichts des Eroberungszugs der militant-islamistischen Taliban im Nachbarland Pufferzonen für Geflüchtete aus dem Krisenstaat ein. Die drei Pufferzonen an den Grenzübergängen im Nord- sowie Südosten des Landes sollen afghanischen Geflüchteten vorerst Schutz und Sicherheit bieten. Indes schloss Pakistan am Sonntag einen wichtigen Grenzübergang zu seinem Nachbarland. Innenminister Sheikh Rashid verkündete die Schließung des Grenzübergangs Torkham im Nordwesten Pakistans am Sonntag, ohne einen Termin für die Wiedereröffnung zu nennen. Tausende Menschen säßen auf beiden Seiten der Grenze fest.

Mittlerweile baut die Türkei an der Grenze zum Iran weiter an einer Mauer. Damit will die Türkei die erwartete Ankunft von afghanischen Flüchtlingen verhindern.

Medienberichten zufolge haben die Taliban in Afghanistan Checkpoints im Land errichtet und sie kontrollieren auch die internationalen Grenzübergänge (bisherige Ausnahme: Flughafen Kabul). Seit Besetzung der strategischen Stadt Jalalabad durch die Taliban, wurde eine Fluchtbewegung in den Osten (Richtung Pakistan) deutlich erschwert. Die Wahrscheinlichkeit, dass Afghanen aus dem westlichen Teil des Landes oder aus Kabul nach Pakistan gelangen ist gegenwärtig eher gering einzuschätzen. Es ist naheliegender, dass Fluchtrouten ins Ausland über den Iran verlaufen. Es ist jedoch auch denkbar, dass die mehrheitlich sunnitische Bevölkerung Afghanistans (statt einer Route über den schiitisch dominierten Iran) stattdessen die nördliche, alternative Route über Tadschikistan oder auch Turkmenistan wählt. Bereits vor zwei Monaten kam es laut EU-Kollegen zu einem Anstieg von Ankünften afghanischer Staatsbürger in die Türkei. Insofern ist davon auszugehen, dass eine erste Migrationsbewegung bereits stattgefunden hat. Pakistan gibt laut Medienberichten an, dass der Grenzzaun an der afghanisch-pakistanischen Grenze halte (laut offiziellen Angaben sind etwa 90 Prozent fertiggestellt).

Laut Treffen mit Frontex, kann zur Türkei derzeit noch keine Veränderung der Migrationsströme festgestellt werden. Es finden täglich nach Schätzungen ca. max. 500 Personen ihren Weg (geschleust) vom Iran in die Türkei. Dies ist aber keine außergewöhnlich hohe Zahl, sondern eher der Durchschnitt. Der Ausbau der Sicherung der Grenze zum Iran mit Mauer und Türmen schreitet immer weiter voran, und nach einstimmiger Meinung von Mig VB und anderen Experten kann die Türkei mit ihrem Militär (Hauptverantwortlich für die Grenzsicherung) und Organisationen (Jandarma, DCMM) jederzeit, je nach Bedarf die illegale Einreise von Flüchtlingen aus dem Iran kontrollieren. Die Türkei ist jedoch - was Afghanistan angeht - mit sehr hohem Interesse engagiert. Auch die Türkei möchte keine neunen massiven Flüchtlingsströme über den Iran in die Türkei.

IOM muss aufgrund der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration mit sofortiger Wirkung weltweit aussetzen. Die Aussetzung der freiwilligen Rückkehr erfolgt bis auf Widerruf.

Während die radikalislamischen Taliban ihren Feldzug durch Afghanistan vorantreiben, gehören Frauen und Mädchen zu den am meisten gefährdeten Gruppen. Schon in der letzten Regierungszeit der Taliban (1996–2001) herrschten in Afghanistan extreme patriarchale Strukturen, Misshandlungen, Zwangsverheiratungen sowie strukturelle Gewalt und Hinrichtungen von Frauen. Die Angst vor einer Wiederkehr dieser Gräueltaten ist groß. Eifrig sorgten Kaufleute in Afghanistans Hauptstadt Kabul seit dem Wochenende bereits dafür, Plakate, die unverschleierte Frauen zeigten, aus ihren Schaufenstern zu entfernen oder zu übermalen – ein Sinnbild des Gehorsams und der Furcht vor dem Terror der Taliban.

II.5.2. Sonderkurzinformation vom 20.08.2021

Aktuelle Lage

Die Spitzenpolitiker der Taliban sind aus Katar, wo viele von ihnen im Exil lebten, nach Afghanistan zurückgekehrt. Frauen werden Rechte gemäß der Scharia [islamisches Recht] genießen, so der Sprecher der Taliban. Nach Angaben des Weißen Hauses haben die Taliban versprochen, dass Zivilisten sicher zum Flughafen von Kabul reisen können. Berichten zufolge wurden Afghanen auf dem Weg dorthin von Taliban-Wachen verprügelt. Lokalen Berichten zufolge sind die Straßen von Kabul ruhig. Die Militanten sind in der ganzen Stadt unterwegs und besetzen Kontrollpunkte.

Die internationalen Evakuierungsmissionen von Ausländerinnen und Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan gehen weiter, immer wieder gibt es dabei Probleme. Die Angaben darüber, wie viele Menschen bereits in Sicherheit gebracht werden konnten, gehen auseinander, die Rede ist von 2.000 bis 4.000, hauptsächlich ausländisches Botschaftspersonal. Es mehren sich aktuell Zweifel, dass auch der Großteil der Ortskräfte aus dem Land gebracht werden kann. Bei Protesten gegen die Taliban in Jalalabad wurden unterdessen laut Augenzeugen drei Menschen getötet.

Jalalabad wurde kampflos von den Taliban eingenommen. Mit ihrer Einnahme sicherte sich die Gruppe wichtige Verbindungsstraßen zwischen Afghanistan und Pakistan. Am Mittwoch (18.8.2021) wurden jedoch Menschen in der Gegend dabei gefilmt, wie sie zur Unterstützung der alten afghanischen Flagge marschierten, bevor Berichten zufolge in der Nähe Schüsse abgefeuert wurden, um die Menschenmenge zu zerstreuen. Das von den Taliban neu ausgerufene Islamische Emirat Afghanistan hat bisher eine weiße Flagge mit einer schwarzen Schahada (Glaubensbekenntnis) verwendet. Die schwarz-rot-grüne Trikolore, die heute von den Demonstranten verwendet wurde, gilt als Symbol für die abgesetzte Regierung. Der Sprecher der Taliban erklärte, dass derzeit Gespräche über die künftige Nationalflagge geführt werden, wobei eine Entscheidung von der neuen Regierung getroffen werden soll.

Während auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul weiter der Ausnahmezustand herrscht, hat es bei einer Kundgebung in einer Provinzhauptstadt erneut Tote gegeben. In der Stadt Asadabad in der Provinz Kunar wurden nach Angaben eines Augenzeugen mehrere Teilnehmer einer Kundgebung zum afghanischen Nationalfeiertag getötet. Widerstand bildete sich auch im Panjshirtal, eine Hochburg der Tadschiken nordöstlich von Kabul. In der „Washington Post“ forderte ihr Anführer Ahmad Massoud, Chef der Nationalen Widerstandsfront Afghanistans, Waffen für den Kampf gegen die Taliban. Er wolle den Kampf für eine freiheitliche Gesellschaft fortsetzen.

Einem Geheimdienstbericht für die UN zufolge verstärken die Taliban die Suche nach "Kollaborateuren". In mehreren Städten kam es zu weiteren Anti-Taliban-Protesten. Nach Angaben eines Taliban-Beamten wurden seit Sonntag mindestens 12 Menschen auf dem Flughafen von Kabul getötet. Westliche Länder evakuieren weiterhin Staatsangehörige und Afghanen, die für sie arbeiten. Der IWF erklärt, dass Afghanistan keinen Zugang mehr zu seinen Geldern haben wird.

Vor den Taliban in Afghanistan flüchtende Menschen sind in wachsender medizinischer Not. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete, dass in Kliniken in Kabul und anderen afghanischen Städten immer mehr Fälle von Durchfallerkrankungen, Mangelernährung, Bluthochdruck und Corona-Symptomen aufträten. Dazu kämen vermehrt Schwangerschaftskomplikationen. Die WHO habe zwei mobile Gesundheitsteams bereitgestellt, aber der Einsatz müsse wegen der Sicherheitslage immer wieder unterbrochen werden.

Priorität für die VN hat derzeit, dass die UNAMA-Mission in Kabul bleibe. Derzeit befindet sich ein Teil des VN-Personals am Flughafen, um einen anderen Standort (unklar ob in AF) aufzusuchen und von dort die Tätigkeit fortzuführen. Oberste Priorität der VN sei es die Präsenz im Land sicherzustellen. Zwecks Sicherstellung der humanitären Hilfe werde auch mit den Taliban verhandelt (? Anerkennung). Ein Schlüsselelement dabei ist die VN-SR-Verlängerung des UNAMA-Mandats am 17. September 2021.

Die Anführer der Taliban

Mit der Eroberung Kabuls haben die Taliban 20 Jahre nach ihrem Sturz wieder die Macht in Afghanistan übernommen. Dass sie sich in ersten öffentlichen Statements gemäßigter zeigen, wird von internationalen Beobachtern mit viel Skepsis beurteilt. Grund dafür ist unter anderem auch, dass an der Spitze der Miliz vor allem jene Männer stehen, die in den vergangenen Jahrzehnten für Terrorangriffe und Gräueltaten im Namen des Islam verantwortlich gemacht werden. Geheimdienstkreisen zufolge führen die Taliban derzeit Gespräche, wie ihre Regierung aussehen wird, welchen Namen und Struktur sie haben soll und wer sie führen wird. Demzufolge könnte Abdul Ghani Baradar einen Posten ähnlich einem Ministerpräsidenten erhalten („Sadar-e Asam“) und allen Ministern vorstehen. Er trat in den vergangenen Jahren als Verhandler und Führungsfigur als einer der wenigen Taliban-Führer auch nach außen auf.

Wesentlich weniger international im Rampenlicht steht der eigentliche Taliban-Chef und „Anführer der Gläubigen“ (arabisch: amir al-mu’minin), Haibatullah Akhundzada. Er soll die endgültigen Entscheidungen über politische, religiöse und militärische Angelegenheiten der Taliban treffen. Der religiöse Hardliner gehört ebenfalls zur Gründergeneration der Miliz, während der ersten Taliban-Herrschaft fungierte er als oberster Richter des Scharia-Gerichts, das für unzählige Todesurteile verantwortlich gemacht wird.

Der Oberste Rat der Taliban ernannte 2016 zugleich Mohammad Yaqoob und Sirajuddin Haqqani zu Akhundzadas Stellvertretern. Letzterer ist zugleich Anführer des für seinen Einsatz von Selbstmordattentätern bekannten Haqqani-Netzwerks, das von den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Es soll für einige der größten Anschläge der vergangenen Jahre in Kabul verantwortlich sein, mehrere ranghohe afghanische Regierungsbeamte ermordet und etliche westliche Bürger entführt haben. Vermutet wird, dass es die Taliban-Einsätze im gebirgigen Osten des Landes steuert und großen Einfluss in den Führungsgremien der Taliban besitzt. Der etwa 45-jährige Haqqani wird von den USA mit einem siebenstelligen Kopfgeld gesucht.

Zur alten Führungsriege gehört weiters Sher Mohammad Abbas Stanikzai. In der Taliban-Regierung bis 2001 war er stellvertretender Außen- und Gesundheitsminister. 2015 wurde er unter Mansoor Akhtar Büroleiter der Taliban. Als Chefunterhändler führte er später die Taliban-Delegationen bei den Verhandlungen mit den USA und der afghanischen Regierung an.

Ein weiterer offenkundig hochrangiger Taliban ist der bereits seit Jahren als Sprecher der Miliz bekannte Zabihullah Mujahid. In einer ersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme schlug er, im Gegensatz zu seinen früheren Aussagen, versöhnliche Töne gegenüber der afghanischen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft an.

Stärke der Taliban-Kampftruppen

Obwohl in den vergangenen Jahren 100.000 ausländische Soldaten im Land waren, konnten die Taliban-Führer eine offenkundig von ausländischen Geheimdiensten unterschätzte Kampftruppe zusammenstellen. Laut BBC geht man derzeit von rund 60.000 Kämpfern aus, mit Unterstützern aus anderen Milizen sollen fast 200.000 Männer aufseiten der Taliban den Sturz der Regierung ermöglicht haben. Völlig unklar ist noch, wie viele Soldaten aus der Armee übergelaufen sind.

III. Beweiswürdigung

III.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.

III.2. Zu den Feststellungen zum BF:

Die Feststellungen zum BF ergeben sich im Wesentlichen aus seinen Angaben. Auch das BFA hat diese im Wesentlichen seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Es sind im Beschwerdeverfahren mangels Bestreitung keine Zweifel daran aufgekommen. Seine Identität kann mangels der Vorlage unbedenklicher Dokumente jedoch nicht festgestellt werden.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit sowie zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit waren das gesamte Verfahren über gleichbleibend (AS 1, 91; S. 5 VP; zur Religionszugehörigkeit siehe auch noch näher unter III.3.2.). Gleiches gilt auch für die Sprachkenntnisse (AS 1, 91; S. 9 VP) und die Schul- (AS 1, 91; S. 6) und Berufserfahrung (AS 3, 91; S. 6 VP). Der BF bestätigte auch, dass er durch diese Arbeiten seinen Lebensunterhalt finanzieren (AS 91) und die Kosten der Schleppung (AS 9, 92) durch Ersparnisse begleichen konnte (AS 92). Insgesamt kann daher den Angaben des BF zu seinen persönlichen Umständen und dem Aufwachsen in Afghanistan sowie den dortigen Lebensumständen gefolgt werden.

Aufgrund der Widersprüche in den Angaben des BF zur Trennung von seiner in Afghanistan lebenden und nach islamischem Recht geehelichten Frau, war festzustellen, dass der BF mit dieser noch verheiratet ist. Der BF betonte vor dem Bundesverwaltungsgericht, dass er sich von seiner Frau in Afghanistan getrennt habe, jedoch darüber kein offizielles Schriftstück existiere (S. 13 VP). Während er vor dem BFA im Jänner 2018 noch angegeben hatte, dass die Ehe vor einem Jahr, also im Jänner 2017, geschieden worden sei (AS 90) und auch in der Erstbefragung noch betont hatte, er sei noch traditionell und standesamtlich verheiratet (AS 1), soll die Trennung nach seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung bereits in Afghanistan erfolgt sein und der BF seit seiner Ausreise nichts mehr von ihr gehört haben. Seine Frau soll daraufhin bei ihren Eltern gelebt haben (S. 13 VP). Auch die Aussage auf Vorhalt dieser Widersprüche konnte diese nicht auflösen, weshalb davon auszugehen ist, dass der BF nach wie vor mit seiner afghanischen Frau nach islamischem Recht verheiratet ist. Die Aussage, dass diese zu ihren Eltern zurückgekehrt ist, war plausibel und dieser konnte deshalb gefolgt werden.

Die Feststellung zur Sozialisierung mit den afghanischen Gepflogenheiten ergibt sich aus dem Aufwachsen in Afghanistan in einer afghanischen Familie. Der BF hat dort am gesellschaftlichen Leben teilgenommen. Ebenso hat er die Schule besucht und war berufstätig. Es sind daher keine Gründe ersichtlich, warum der BF mit den Gepflogenheiten seines Heimatlandes nicht vertraut sein sollte. Auch im Bundesgebiet suchte der BF neuerlich den Kontakt zu anderen afghanischen Staatsbürgern und heiratete nach islamischem Recht eine afghanische minderjährige Staatsangehörige. Er wohnte auch bis vor kurzem mit einem afghanischen Staatsangehörigen zusammen (S. 23 VP). Der BF hat daher auch im Bundesgebiet diese kulturellen Gepflogenheiten jedenfalls nicht verlernt beziehungsweise lebt er auch hier nach diesen und ist nach wie vor stark mit seinem Heimatland und in seiner Kultur verwurzelt.

Die Feststellung zur Gesundheit und zur Arbeitsfähigkeit des BF ergibt sich ebenso aus dem Akteninhalt. Der BF hat keine Befunde vorgelegt, die einen gegenteiligen Schluss zulassen und selbst angegeben, dass er gesund ist und seit seinem Aufenthalt in Österreich nie krank war (S. 4 VP). Darüber hinaus hat der BF ein Gewerbe angemeldet und ist erfolgreich als Marktfahrer tätig. Daraus kann nur der Schluss gezogen werden, dass er arbeitsfähig ist.

III.3. Zu den Feststellungen zu den Fluchtgründen des BF:

III.3.1. Der BF brachte im Verfahren in der Erstbefragung vor, er habe Afghanistan verlassen müssen, weil es unsicher sei. Er habe Angst vor den Taliban und die Strecke von Kabul nach J XXXX sei gefährlich (AS 9). In der Einvernahme vor dem BFA brachte er neu vor, sein Vater sei auf dem Weg von Ghazni nach J XXXX gewesen, als er von den Taliban aufgehalten worden sei. Sie hätten seinem Vater gesagt, dass der BF für sie arbeiten müsse und ihm einen Monat Frist dafür eingeräumt. Sein Vater habe das nicht akzeptiert. Dennoch sei fünf Monate nichts passiert. Dann seien der BF und seine Geschwister bei einer Hochzeit gewesen. Der Vater, der zu Hause geblieben sei, sei währenddessen von den Taliban umgebracht worden. Die Taliban hätten auch einen Drohbrief hinterlassen (AS 92f).

Bereits das BFA kam zur Beurteilung, dass es dem BF nicht gelungen sei, sein Fluchtvorbringen glaubhaft zu machen. Auch im Beschwerdeverfahren ist ihm das nicht annähernd gelungen. Im Besonderen weisen die Angaben des BF massive Widersprüche und Ungereimtheiten auf. Der BF konnte während des gesamten Verfahrens nicht den Eindruck erwecken, dass seine Angaben den Tatsachen entsprechen. Es ist ihm deshalb nicht gelungen, seine Angaben während des Verfahrens glaubhaft zu machen.

Dass dem Fluchtvorbringen keine Glaubwürdigkeit zukommen kann, ergibt sich bereits daraus, dass der BF nicht annähernd in der Lage war, die Vorfälle zeitlich nachvollziehbar einzuordnen. So gab der BF in seiner Erstbefragung im September 2015 an, er habe den Ausreiseentschluss vor drei Monaten gefasst. Er sei über den Iran in die Türkei und von dort nach Griechenland gereist. Ab der Einreise in die EU habe die Reise bis nach Österreich 20 Tage gedauert (AS 7). Vor dem BFA gab er dann an, dass er keine zeitlichen Angaben zu seinem Fluchtvorbringen machen könne (AS 93). Er datierte jedoch den Tod seines Vaters und das Verlassen seines Heimatlandes mit Ende 2014 (AS 89, 92). Er sei Ende 2015 in Österreich angekommen, obwohl die Reise nur drei Monate gedauert habe (AS 92). Widersprüchlich zu seinen Angaben, wonach er Ende 2014 Afghanistan verlassen habe, gab er jedoch gleichzeitig an, dass er bis 2015 dort gearbeitet habe (AS 91). Auch vor dem Bundesverwaltungsgericht behauptete er dann wieder, Afghanistan im Jahr 2014 nach der Ermordung seines Vaters verlassen zu haben (S. 6, 9f VP). Danach habe er weniger als einen Monat im Iran verbracht und sei nach insgesamt drei Monaten im Bundesgebiet angekommen (S. 10 VP). Der Vater des BF sei Ende 2014 umgebracht worden. Zu diesem Zeitpunkt habe der BF Afghanistan verlassen und sei nach drei Monaten Flucht im Bundesgebiet angekommen. Der BF müsste damit im März 2015 eingereist sein. Tatsächlich reiste der BF jedoch erst im September 2015 im Bundesgebiet ein, wie er auch selbst angab. Dieser Widerspruch fiel dem BF auch während der Beschwerdeverhandlung selbst auf, er konnte diesen allerdings nicht nachvollziehbar auflösen. Vielmehr gab er dazu nur an, er mache wohl einen Fehler (S. 10 VP).

Bereits dieser zeitliche Widerspruch zeigt klar, dass der für sein Heimatland überdurchschnittlich gebildete BF das von ihm Vorgetragene nicht tatsächlich erlebt hat. Der BF hat nämlich die Schule mit Matura abgeschlossen und danach mehrere Jahre lang erfolgreich am Arbeitsmarkt teilgenommen. Auch er selbst betonte in der Beschwerdeverhandlung, wie gebildet die gesamte Familie sei (S. 7 VP). Damit müsste der BF aber in der Lage sein, die von ihm selbst erlebten Ereignisse auch zeitlich einzuordnen, wobei nicht verkannt wird, dass seither Einiges an Zeit vergangen ist. Dem BF war es aber auch nicht möglich, den Vorfall zumindest anhand von Jahreszeiten einzuordnen. Dazu gab er zunächst an, er könne sich an die Jahreszeit, in der er Afghanistan verlassen habe, nicht erinnern, da er aufgrund des Tods seines Vaters durcheinander gewesen sei (S. 10 VP). Auch wenn nicht verkannt wird, dass man nach der Ermordung seines Vaters emotional aufgewühlt ist, ist es doch nicht nachvollziehbar, dass der BF zur Jahreszeit überhaupt keine Angaben tätigen können will. Der BF gab dann auch weiter an, die Beerdigung habe jedenfalls nicht im Winter stattgefunden, da die Bäume noch grün gewesen seien. Es müsse daher Ende Sommer gewesen sein (S. 10 VP). Das steht aber nicht nur im Widerspruch zu seinen vorigen Angaben, sein Vater sei Ende 2014 umgebracht und einen Tag danach beerdigt worden, weil die Beerdigung damit im Winter stattgefunden hätte. Diese Aussage steht nämlich erneut im Widerspruch zum tatsächlichen Einreisezeitpunkt des BF im September 2015. Nach seinen dazu stets gleichbleibenden Angaben, wonach die Flucht drei Monate gedauert habe, hätte er Afghanistan im Juni verlassen. Das ist aber nun nicht am Ende des Sommers. Der gebildete BF konnte oder wollte auch sonst keine konkreten Datumsangaben machen, was aber im Fall des BF gegen eine glaubhafte Schilderung spricht.

Auch die Schilderung der Fluchtgeschichte weist Widersprüche auf, die gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben sprechen. So gab der BF vor dem BFA an, dass die Taliban seinen Vater aufgefordert hätten, dass sein Sohn, also der BF, sich den Taliban anschließe (AS 92). Dagegen steigerte der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht sein Vorbringen dahingehend, dass die Taliban den Vater aufgefordert hätten, alle Söhne zu ihnen zu schicken (S. 16 VP). Weiters gab der BF vor dem BFA an, dass nach der Drohung durch die Taliban an seinen Vater fünf Monate vergangen seien, in denen nichts passiert sei (AS 92). Nach seinen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht sei die geschilderte Drohung durch die Taliban auf der Straße hingegen nur ein bis zwei Monate vor der angeblichen Ermordung seines Vaters erfolgt (S. 17 VP).

Der BF gab in der Beschwerdeverhandlung an, er habe von den genauen Umständen der Aufforderungen und Drohungen durch die Taliban erst vor einem Jahr von seiner Mutter in einem Telefonat erfahren. Er habe zwar durch den beim verstorbenen Vater aufgefundenen Drohbrief bereits gewusst, dass die Taliban den Vater aufgefordert hätten, seine Söhne an sie auszuliefern. Allerdings habe er beispielsweise von der Begegnung seines Vaters mit den Taliban auf dem Weg zwischen Ghazni und J XXXX von seiner Mutter erst ein Jahr vor der Beschwerdeverhandlung erfahren (S. 17f VP). Abgesehen davon, dass vor dem Hintergrund der afghanischen Gesellschaftsverhältnisse wenig plausibel ist, wenn der angeblich bedrohte BF als ältester, verdienender, verheirateter Sohn nichts von den Bedrohungen erfährt, während der Vater diese der Mutter mitteilte, hätte der BF nach diesen Angaben zum Zeitpunkt der Einvernahme vor dem BFA von dieser Begegnung und der dabei erfolgten Bedrohung noch nichts gewusst. Jedoch erwähnte der BF auch bereits vor dem BFA diese angebliche Begegnung. Aus der Schilderung des BF vor dem BFA, wonach „wir“ geglaubt haben, dass es vorbei sei (AS 92), geht sogar hervor, dass der BF bereits in Afghanistan von dieser angeblichen Bedrohung wusste. Der BF widerspricht sich damit gleich mehrmals damit, was er wissen beziehungsweise wann er welche Umstände erfahren haben will. Auch das zeigt eindeutig, dass er sich insofern eines Konstrukts bediente.

Weitere Differenzen ergeben sich bei der Schilderung des Inhalts des Drohbriefs. Dieser sei nach seiner Schilderung vor dem BFA an seinen Vater gerichtet gewesen und habe den Inhalt gehabt, dass von diesem mehrmals verlangt worden sei, dass die Söhne für die Taliban kämpfen sollten. Der Vater habe das aber nicht gewollt, weswegen sie ihn umgebracht hätten (AS 93). Nach dem Vorbringen in der Beschwerdeverhandlung habe der Drohbrief zwar ebenfalls diesen Inhalt gehabt. Zusätzlich gab er jedoch noch an, dass darin auch vermerkt gewesen sei, dass die Söhne ebenfalls sterben würden, wenn sie sich nicht den Taliban anschlössen (S. 17 VP). Damit will der BF offensichtlich den beweiswürdigenden Erwägungen des BFA entgegengetreten, wonach es unglaubhaft sei, dass sich dieser Brief ausschließlich an den Vater gerichtet habe. Das Vorbringen in der Beschwerdeverhandlung ist daher offensichtlich eine Schutzbehauptung, um sein Vorbringen plausibler und nachvollziehbarer zu machen und den Vorhalten des BFA entgegenzutreten.

Gleiches gilt auch für die Schilderung des Auffindens seines Vaters. Der BF schilderte diese Situation weit ausführlicher und detaillierter, als er das noch vor dem BFA tat und was ihm in der Beweiswürdigung vorgehalten worden war. In diesem Punkt kann auch die Behauptung des BF, er habe von vielen genaueren Umständen erst vor einem Jahr durch seine Mutter erfahren, nicht zutreffen, hat er diese Situation doch selbst erlebt. Es ist dann aber nicht erklärlich, warum der BF nicht auch bereits vor dem BFA die Situation derart schildern konnte. Der BF gab dort zudem, nach einer möglichen zeitlichen Einordnung gefragt an, dass ihm das nicht möglich sei (AS 93), während er vor dem Bundesverwaltungsgericht wusste, dass er um Mitternacht von der Hochzeit nach Hause gekommen war (S. 16 VP).

Vor dem BFA gab der BF an, er habe sich nach dem Vorfall versteckt. Auf die Frage, wo er sich versteckt habe, gab er an, er habe sich im Distrikt J XXXX versteckt, ohne das näher zu konkretisieren (AS 93). Dagegen habe er sich laut seinen Aussagen in der Beschwerdeverhandlung beim Nachbarn versteckt (S. 16 VP). Auch dieser Widerspruch zeigt, dass das vom BF Geschilderte nicht auf tatsächlichen Gegebenheiten beruht.

Der BF steigerte sein Vorbringen auch in wesentlichen Punkten, weswegen diesem auch deshalb keine Glaubhaftigkeit zukommen kann. Abgesehen davon, dass er von dieser ihn treffenden Bedrohung in der Erstbefragung noch nichts erwähnte (AS 9), gab der BF vor dem BFA nichts davon an, dass diese Bedrohung der Taliban (zumindest auch) mit einer früheren Tätigkeit seines Vaters für die Regierung zusammenhängen soll (AS 87ff). Eine derartige Tätigkeit seines Vaters und einen Zusammenhang mit den Bedrohungen stellte der BF erstmals in der Beschwerdeverhandlung in den Raum (S. 18 VP). Auch zur angeblichen Tätigkeit seines Vaters in der früheren Regierung waren die Angaben des BF aber derart vage (S. 7 VP), dass ihnen keine Glaubhaftigkeit zukommen kann. Ebenfalls steigerte er seine Angaben, wenn er vor dem Bundesverwaltungsgericht erstmals behauptete, dass es mehrere Drohungen der Taliban gegeben habe und auch seine Brüder bedroht waren sowie ihnen allen mit dem Tod gedroht wurde (S. 16 VP).

Das Vorbringen des BF ist aber auch wenig plausibel, weil es in Widerspruch zu den dem BF übergebenen und nicht beanstandeten Länderinformationen steht. Nach diesen rekrutierten die Taliban in der Regel junge Männer aus ländlichen Gemeinden, die arbeitslos, in Madrassen ausgebildet und ethnisch paschtunisch sind. Die Taliban-Kämpfer wurden laut einem Bericht in zwei Kategorien eingeteilt. Einerseits professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (vorgehaltenes LIB Juni 2021, Kapitel 5). Auf den BF trifft keines dieser Profile zu. Er war weder arbeitslos noch paschtunisch und hat auch keine Madrassa besucht. Ebenso wenig ergibt sich aus seiner Schilderung, dass er einem lokalen Kommandanten gegenüber loyal gewesen wäre. Auch aus diesem Gründen kann dem Vorbringen des BF keine Glaubhaftigkeit zukommen.

Abgerundet wird dieses Bild dadurch, dass der BF auf die Frage, wann er wo gelebt habe, sein Fluchtvorbringen bereits zusammenfassend schilderte (S. 6 VP), obwohl er sonst in der Lage war, gezielt auf die Fragen zu antworten. Auch dieses Aussageverhalten des BF zeigt, dass dem Fluchtvorbringen keine Glaubhaftigkeit zukommen kann.

III.3.2. Die Feststellungen zu den religiösen Aktivitäten des BF beruhen auf seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung beziehungsweise auf den von ihm vorgelegten Unterlagen. Zu den Aussagen des BF ist hervorzuheben, dass der BF sich selbst in der Beschwerdeverhandlung noch als schiitischer Moslem bezeichnete (S. 5 VP). Im Zusammenhang mit seinen Fluchtgründen brachte der BF auch selbst nichts zu einer möglichen Konversion vor. Erst auf konkretes Befragen durch die erkennende Richterin gab der BF an, dass er sich bereits lange für das Christentum interessiere. Er konnte jedoch weder die Motivation für den Glaubenswechsel noch warum er sein Interesse im Verfahren bisher nicht vorgebracht hatte, nachvollziehbar schildern (S. 24f VP). Der BF gab in diesem Zusammenhang auch an, das Interesse für das Christentum sei der Grund für die Trennung von seiner islamisch angetrauten Frau in Österreich gewesen (S. 25 VP). Zuvor erwähnte er davon jedoch bei den Fragen zu den Umständen der Trennung nichts davon, sondern sprach nur von nicht näher spezifizierten Problemen, an deren Lösung er gearbeitet habe (S. 15 VP). Diese Aussagen zeigen klar, dass es sich beim vorgebrachten Interesse am Christentum um eine Scheinkonversion handelt, weil er diese sonst bereits bei der Schilderung der Trennungsgründe oder zumindest bei den Fragen nach seinen Befürchtungen bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat angegeben hätte. Der BF will auch keinen Kontakt nach Afghanistan haben, sodass nicht ersichtlich ist, wie diese Aktivitäten in Österreich in Afghanistan bekannt geworden sein sollten. Der BF besuchte auch erst drei Termine seines Taufvorbereitungskurses und kann daher noch nicht über vertieftes Wissen verfügen, das für eine Konversion notwendig wäre.

Es ist daher nicht davon auszugehen, dass der BF seinem derzeitigen Interesse am christlichen Glauben auch bei einer Rückkehr nach Afghanistan weiter nachkommen würde. Insofern ist daher nicht zu befürchten, dass der BF im Heimatland diesbezüglich einer Verfolgung unterliegen würde. Vielmehr war festzustellen, dass der BF nach wie vor schiitischer Moslem ist.

III.3.3. In der Beschwerde wird behauptet, der BF falle unter das in den UNHCR-Richtlinien genannte Risikoprofil der „verwestlichten“ Personen. Die Beschwerde legt aber nicht dar, inwieweit der BF darunter fallen sollte. Insbesondere wird nicht dargelegt, welche Verhaltensweisen sich der BF angeeignet hätte, die zu einem Bestandteil seiner Identität geworden wären und aufgrund derer er in Afghanistan verfolgt wäre. Vielmehr belässt es die Beschwerde bei einer unsubstantiierten Behauptung in einem Halbsatz. Wie der BF anlässlich der Verhandlung selbst angab, kannte er den Inhalt der Beschwerde nicht (S. 4 VP). Es handelt sich daher insoweit lediglich um ein schriftliches Vorbringen des rechtlichen Vertreters ohne Sachverhaltsbezug, wogegen der BF selbst, der jahrelang in Afghanistan lebte und die dortigen Gebräuche und Gepflogenheiten kennt, nichts davon erwähnte und somit nicht davon ausgeht, dass er aufgrund seines Aufenthalts in einem „westlichen“ Land oder aufgrund hier angenommener Verhaltensweisen in Afghanistan irgendeiner Bedrohung ausgesetzt wäre. Auch im Rahmen der Beschwerdeverhandlung zu seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen nahm der BF darauf mit keinem Wort Bezug. Auch das vom BF geschilderte Verhalten im Bundesgebiet zeigt nichts auf, weswegen er in Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt sein könnte. Vielmehr hat er hier ein Ein-Personen-Unternehmen, wie er es – wenn auch in einem anderen Bereich –bereits in Afghanistan führte. Auch sein geschilderter Tagesablauf (S. 21ff VP) zeigt nichts, was er nicht auch in Afghanistan leben könnte.

Soweit der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht in Zusammenhang mit seinen Fluchtgründen vorbrachte, die Familie des BF vertrete eine freie Denkweise und befürworte die Bildung von Mädchen und Frauen (S. 19 VP), führt auch das zu keiner anderen Beurteilung, zumal der BF für diese Rechte der Frauen nicht öffentlich aktiv auftritt.

Auch die Machtübernahme der Taliban hat an dieser Einschätzung nichts geändert, zumal der BF auch keine Verhaltensweisen vorbrachte, die den Vorgaben der Taliban entgegenstünden. Aus den Berichten anerkannter Medien ergibt sich nicht, dass die Taliban schiitische Hazara bereits alleine aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder einer Religionsgemeinschaft verfolgen.

III.4. Zu den Feststellungen zum (Privat-)Leben des BF in Österreich:

Die Feststellungen zum Leben des BF in Österreich, insbesondere zur Aufenthaltsdauer, den Deutschkenntnissen und sozialen Anknüpfungspunkten in Österreich sowie zur Integration in Österreich, stützen sich auf die Aktenlage, auf die Angaben der BF vor dem BFA und im Beschwerdeverfahren sowie die von ihm vorgelegten Unterlagen. Der BF wurde in der Verhandlung aufgefordert, weitere Unterlagen, wie etwa die Einkommenssteuerbescheide vorzulegen, wozu er am 17.08.2021 um eine Fristerstreckung von zwei Wochen ersuchte. Trotz Ablaufs auch dieser Frist hat der BF die geforderten Unterlagen nicht vorgelegt. Sie sind allerdings aufgrund der seither massiv geänderten Gesamtlage in Afghanistan nicht mehr entscheidungsrelevant.

Die Feststellungen zur strafrechtlichen Unbescholtenheit sowie zum (fehlenden) Bezug der Grundversorgung beruhen auf entsprechenden im Akt einliegenden Auszügen.

III.5. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr des BF:

Die Feststellungen zu den Aufenthalten und der Situation der Familienangehörigen des BF ergeben sich so wie jene zum Kontakt zu ihnen im Wesentlichen aus der eigenen Aussage des BF (AS 89f; S. 11f VP). Lediglich den Angaben des BF zu seinen weiteren Verwandten kann nicht vollständig gefolgt werden. So gab der BF vor dem BFA noch an, er habe mehrere Onkel mütterlicherseits im Iran und einen Onkel väterlicherseits in Pakistan (AS 90). Dagegen behauptete er dann vor dem Bundesverwaltungsgericht, sein Vater sei ein Einzelkind gewesen (S. 7 VP). Später gab er dann zwar ebenfalls etwas von einer Familie in Pakistan an, behauptete jedoch, dazu nichts Näheres zu wissen, nicht einmal, ob diese mit dem Vater oder der Mutter verwandt sei (S. 11 VP). Vor dem Hintergrund der afghanischen Gesellschaftsverhältnisse ist es aber wenig nachvollziehbar, dass der BF als ältester, verheirateter und verdienender Sohn nichts von seinen Verwandten weiß. Den Angaben des BF dazu kann daher nicht gefolgt werden. Ebenfalls nicht gefolgt werden kann den Angaben des BF, wonach er nicht wisse, was mit dem Grundstück und dem Haus in Afghanistan nach der Ausreise der Familie passiert sei (S. 11 VP). Der BF und seine Familie hatten derart guten Kontakt zum Nachbarn, dass dieser sie angeblich direkt nach einem Angriff der Taliban und trotz einer angeblichen Bedrohung auch des BF und seiner Brüder bei sich aufnahm und dort einen Tag versteckte. Es ist daher davon auszugehen, dass die Familie zumindest über den Nachbarn über das Grundstück Bescheid weiß oder diesem dessen Verwaltung übertrug. Im Übrigen hat der BF den plötzlichen Aufbruch nicht glaubhaft gemacht, sodass überhaupt davon auszugehen ist, dass die Familie geregelt aufgebrochen ist und dementsprechend auch die Betreuung oder Verpachtung in Bezug auf das Grundstück und das Haus geklärt hat.

Beim BF handelt es sich um einen gesunden, arbeitsfähigen jungen Mann. Er ist mit der afghanischen Kultur und den afghanischen Gepflogenheiten sozialisiert und kann sich daher auch in den afghanischen Großstädten zurechtfinden. Der BF verfügt über jahrelange Schul- und Berufserfahrung, die ihm bei einer Rückkehr wieder zugutekommen wird. Der BF hat auch im Bundesgebiet seine Selbstständigkeit unter Beweis gestellt, indem er ein Unternehmen aufgebaut hat. Der BF schilderte, dass er offen auf andere Marktfahrer zuging und diese ihm die Funktionsweise erklärten und ihn anfangs unterstützten (S. 22 VP). Das wäre ihm aber auch in Afghanistan möglich. Der BF könnte sich daher grundsätzlich auch in Afghanistan selbst erhalten, ohne in eine existenzielle Notlage zu geraten. Bis vor kurzer Zeit war auch die Sicherheitslage jedenfalls in einigen Gebieten Afghanistans nicht derart, dass sie einer Rückkehr entgegenstanden wäre.

Mittlerweile hat sich die Lage in Afghanistan jedoch grundlegend geändert. So haben die Taliban die Macht übernommen, während die frühere afghanische Regierung wie auch die Streitkräfte zusammengebrochen sind und teilweise das Land verlassen haben. Die Berichte, die die derzeitige Lage schildern, zeigen, dass dem BF als schiitischem Hazara derzeit durchaus eine Gefahr einer Verletzung seiner in der EMRK garantierten Rechte droht und ihm aktuell eine Neuansiedelung nicht möglich ist. Die Taliban geben sich zwar nach außen als moderater, allerdings wurden diese Versprechen nach den oben zitierten Berichten in den von ihnen schon länger kontrollierten Gebieten in der Anfangsphase noch nicht eingehalten. Dies nährt die Furcht einer Rückkehr ihrer Herrschaft von 1996 bis 2001 und der damaligen Bedrohung von Frauen, Ortskräften und Menschenrechtsaktivisten sowie der religiösen Minderheiten wie insbesondere der schiitischen Hazara. Die übereinstimmenden Berichte legen dar, dass vor allem die wirtschaftliche Situation derzeit besonders angespannt ist, zumal nicht klar ist, ob die Nichtregierungsorganisationen weiterarbeiten können/wollen und derzeit auch kein Zugriff auf die Reserven der Nationalbank besteht. Teils formiert sich derzeit auch militärischer Widerstand, der zu Kampfhandlungen im afghanischen Staatsgebiet führt. Auch der Arbeitsmarkt ist von den Unruhen betroffen. Aufgrund der unübersichtlichen Situation in Afghanistan stehen Rückkehrer derzeit vor unüberwindbaren Hürden. Zudem ist nicht einmal eine Anreise möglich, ist der Flughafen in Kabul nach Übernahme der Kontrolle durch die Taliban doch derzeit nicht in Betrieb.

Eine Gesamtschau der Umstände führt zur Feststellung, dass es dem BF aufgrund der besonders angespannten Situation, deren Klärung zeitlich nicht absehbar ist, nicht möglich und zumutbar ist, in für ihn gefahrlos erreichbaren Teilen Afghanistans eine Existenz im Herkunftsstaat aufzubauen, ohne eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner körperlichen Unversehrtheit zu riskieren.

III.6. Zu den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation in Afghanistan stützen sich auf die Sonderkurzinformationen der Staatendokumentation des BFA und den dort genannten Quellen. Diese Berichte stehen auch in Übereinstimmung mit den zahlreichen Berichten verschiedener angesehener seriöser Medien, sodass keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen.

Diese Berichte wurden zwar weder dem BF noch dem BFA zur Stellungnahme übermittelt, allerdings sind beide dadurch nicht in ihren Parteirechten verletzt. Dem Antrag des BF wurde stattgeben, sodass in der Heranziehung der aktuellen Berichte keine Verletzung seiner Rechte erblickt werden kann. Das BFA ist nicht verletzt, weil die Berichte von der Staatendokumentation des BFA und damit von ihm selbst erstellt wurden und diese Berichte stets auch vom BFA dessen Entscheidungen zugrunde gelegt werden.

IV. Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.

IV.1. Zu Spruchpunkt A)

IV.1.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472; 29.01.2020, Ra 2019/18/0228).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Fremde bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Fremde im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass er im Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (Aktualität der Verfolgung; vgl. VwGH 06.04.2020, Ra 2019/01/0443; 25.09.2018, Ra 2017/01/0203).

Im gegenständlichen Fall sind diese Voraussetzungen, nämlich eine „begründete Furcht vor Verfolgung“ im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wie oben beweiswürdigend ausführlich dargelegt mangels Glaubhaftmachung einer Bedrohung durch die Taliban, einer beginnenden Konversion oder einer „Verwestlichung“ nicht gegeben. Zur „Verwestlichung“ ist darüber hinaus noch auszuführen, dass der Verwaltungsgerichtshof aufgrund der Berichtslage zu Afghanistan eine asylrelevante Verfolgung von „verwestlichten“ Männern im Allgemeinen verneint (VwGH 19.04.2021, Ra 2021/01/0034 mwN).

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. war daher als unbegründet abzuweisen.

IV.1.2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids:

IV.1.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt h

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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