Entscheidungsdatum
09.09.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W204 2205373-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER über die Beschwerde des A XXXX M XXXX , geb. am XXXX 1998, StA Afghanistan, vertreten durch Mag.a Susanne SINGER, Rechtsanwältin in 4600 Wels, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.07.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und A XXXX M XXXX gemäß § 8 Abs 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
Gemäß § 8 Abs 4 AsylG wird A XXXX M XXXX eine auf ein Jahr ab dem Tag der Zustellung des Erkenntnisses befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter erteilt.
III. Die Spruchpunkte III. bis VI. werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein afghanischer Staatsbürger, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 09.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Tags darauf wurde der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Oberösterreich niederschriftlich erstbefragt. Befragt nach seinen Fluchtgründen, führte der BF aus, er habe als Volkspolizist gearbeitet und die Taliban hätten von ihm verlangt, diese Tätigkeit einzustellen, sich ihnen anzuschließen und gegen die Regierung zu kämpfen.
I.3. Am 09.05.2018 wurde der BF von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und einer Vertrauensperson unter anderem zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die den BF bewogen, seine Heimat zu verlassen, gab der BF an, bei der lokalen Polizei tätig gewesen zu sein. Er sei von den Taliban bei einem zufälligen Zusammentreffen geschlagen und aufgefordert worden, sich ihnen anzuschließen, was er nicht gewollt habe.
I.4. Mit Bescheid vom 27.07.2018, dem BF am 03.08.2018 durch Hinterlegung zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
Begründend führte das BFA aus, der BF habe seine Fluchtgründe nicht glaubhaft gemacht, weswegen ihm der Status eines Asylberechtigten nicht gewährt werden könne. Dem BF sei eine Rückkehr nach Mazar-e Sharif möglich und zumutbar. Auch der Status des subsidiär Schutzberechtigten könne daher nicht gewährt werden. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, weil die Voraussetzungen nicht vorlägen. Letztlich hätten auch keine Gründe festgestellt werden können, wonach bei einer Rückkehr des BF gegen Art. 8 Abs. 2 EMRK verstoßen werde, weswegen auch eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.
I.5. Mit Verfahrensanordnung vom 31.07.2018 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
I.6. Gegen den unter I.4. genannten Bescheid richtet sich die Beschwerde des BF vom 29.08.2018, in der beantragt wurde, dem BF den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu den Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen, in eventu ihm den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren, in eventu die Rückkehrentscheidung aufzuheben sowie die Abschiebung für unzulässig zu erklären und eine Verhandlung anzuberaumen. Die Beweiswürdigung wurde im Wesentlichen mit Verweis auf das bisherige Vorbringen bestritten. Unabhängig davon lasse die Sicherheits- und Versorgungslage eine Rückkehr des BF nicht zu, wozu einige Berichte auszugsweise zitiert wurden.
I.7. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 10.09.2018 vorgelegt.
I.8. Am 16.04.2021 zeigte die im Spruch genannte Vertreterin ihre Bevollmächtigung an und legte Unterlagen zur Integration und zum Gesundheitszustand des BF vor.
I.9. Am 23.04.2021 legte der BF weitere Integrationsunterlagen vor.
I.10. Am 10.06.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der BF und seine Rechtsvertretung teilnahmen. Das BFA verzichtete auf die Teilnahme an der Verhandlung. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari u.a. zu seiner Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, seinen Familienangehörigen, seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich ausführlich befragt.
I.11. Am 23.07.2021 erstattete der BF eine Stellungnahme zu den zuvor übermittelten Länderinformationen und legte einen Arztbrief vor.
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
- Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den BF; insbesondere in die Befragungsprotokolle;
- Befragung des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 10.06.2021;
- Einsicht in die im Rahmen des Verfahrens vorgelegten Unterlagen und Stellungnahmen;
- Einsicht in die aktuellsten Länder- und Medienberichte;
- Einsicht in das Strafregister, in das Grundversorgungssystem und in das Zentrale Melderegister.
II. Feststellungen:
II.1. Zur Person des BF:
Der BF führt den im Rubrum genannten Namen und das dortige Geburtsdatum als Verfahrensidentität. Seine Identität steht nicht fest. Er ist afghanischer Staatsbürger. Der BF ist Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und als schiitischer Moslem aufgewachsen.
Die Muttersprache des BF ist Dari. Außerdem spricht er Farsi und Deutsch. Er kann in seiner Muttersprache weder lesen noch schreiben, jedoch verfügt er über Lese- und Schreibkenntnisse des lateinischen Alphabets.
Der BF stammt aus dem Dorf T XXXX , im Distrikt Qarabagh, in der Provinz Ghazni, wo er bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr mit seiner Familie – bestehend aus seinen Eltern, zwei Brüdern und drei Schwestern – lebte. Der BF reiste mit dreizehn Jahren gemeinsam mit seinem älteren Bruder in den Iran und lebte dort zwei Jahre lang. Der BF wurde mit fünfzehn Jahren vom Iran nach Afghanistan abgeschoben, worauf er bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr in seiner Heimatprovinz lebte und anschließend erneut in den Iran ausreiste. Vom Iran reiste der BF weiter nach Europa.
Der BF hat in Afghanistan keine Schule besucht und verfügt über keine Berufsausbildung. Die Familie betrieb eine Landwirtschaft, in der auch der BF mitarbeitete. Ferner war der BF als Elektriker ohne Ausbildung tätig. Der BF arbeitete im Iran während seines zweijährigen Aufenthalts von seinem dreizehnten bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr und bei seiner späteren Einreise in den Iran im Alter von achtzehn Jahren als Taschennäher.
Der BF ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.
Der BF leidet seit seinem Aufenthalt im Bundesgebiet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, welche sich im Alltag insbesondere durch Schlafstörung und Kopfschmerzen äußert. Seine psychischen Probleme sowie seine Suizidgedanken sind vor allem auf seine Einsamkeitsgefühle während seines Aufenthalts im Heim sowie auf den aufgrund des Heimwehs entstandenen Leidensdruck zurückzuführen und stehen somit in einem engen Zusammenhang mit seiner gegenwärtigen Lebenssituation. Der BF befand sich im Jahr 2020 wegen Suizidgedanken in stationärer Behandlung in einem Klinikum. Der BF nimmt aktuell verschiedene Psychopharmaka ein und besucht seit zirka einem Jahr einmal im Monat eine Gesprächstherapie.
Der BF ist arbeitsfähig. Eine im Zusammenhang mit der psychischen Erkrankung bestehende nennenswerte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit liegt nicht vor.
II.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Der BF arbeitete nicht bei der lokalen Polizei (Arbaki). Er wurde nicht von den Taliban aufgrund seiner vermeintlichen Tätigkeit bei den Arbaki bedroht. Er wird von den Taliban nicht gesucht. Es gab keinen körperlichen Angriff auf die Familie des BF durch die Taliban nach dessen Ausreise aus Afghanistan.
Es drohen dem BF bei einer Rückkehr individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein gezielt gegen seine Person gerichteter Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen.
Der BF hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen einer ihm drohenden Lebensgefahr verlassen.
Der BF besucht eine katholische Kirche und einen Taufkurs. Er ist bisher nicht vom Islam abgefallen und bezeichnet sich selbst als schiitischen Moslem. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan wird der BF seinem derzeitigen Interesse für den christlichen Glauben nicht mehr nachkommen und dieses Interesse nicht nach außen zur Schau tragen. In Afghanistan sind seine diesbezüglichen Aktivitäten niemandem bekannt.
II.3. Zum (Privat-)Leben des BF in Österreich:
Der BF reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit dem 09.01.2016 durchgehend in Österreich auf. Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom selben Tag in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.
Der BF besuchte im Bundesgebiet mehrere Alphabetisierungs- und Deutschkurse. Er hat noch keine Deutschprüfung abgelegt und verfügt über schlechte Deutschkenntnisse. Der BF absolvierte den Werte- und Orientierungskurs des ÖIF und nahm am Projekt XXXX OÖ teil.
Von September 2016 bis Juli 2018 betätigte sich der BF für insgesamt 68 Stunden ehrenamtlich für die Gemeinde W XXXX . Der BF arbeitete bei diversen Veranstaltungen in der Kirche mit und engagiert sich aktuell weiterhin in der Kirche seiner Wohnsitzgemeinde.
Die Freunde des BF im Bundesgebiet kommen aus Österreich und Afghanistan. Die afghanischen Freunde des BF stammen aus Ghazni.
Der BF war und ist kein Mitglied eines Vereins.
Der BF ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Der BF ist seit kurzem mit einer afghanischen Staatsangehörigen, welche ebenfalls aus der Provinz Ghazni stammt und im Iran lebt, verlobt. Der BF lernte seine Verlobte vor drei Jahren über das Internet kennen. Die Verlobung wurde durch seinen Bruder arrangiert, als der BF bereits in Österreich war.
Der BF hat in Österreich keine Verwandten und ist strafgerichtlich unbescholten.
Er bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.
II.4. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
Die Familie des BF, bestehend aus seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder, lebt nach wie vor im Heimatort des BF. Der Vater des BF ist zirka zwei Jahre vor seiner Ausreise an einem natürlichen Tod verstorben. Die Familie verfügt dort über ein Haus und landwirtschaftlich genutzte Grundstücke. Seine Mutter und sein jüngerer Bruder bewirtschaften die Felder der Familie. Der ältere Bruder des BF lebt im Iran. Die Schwestern des BF sind verheiratet, wobei zwei seiner Schwestern in seiner Heimatprovinz leben und eine in der Provinz Jaghori. Der ältere Bruder des BF, welcher im Iran lebt, arbeitet als Taschennäher. Die Familie des BF hat keine wirtschaftlichen Probleme. Der BF hat Kontakt zu seiner Familie.
Ein Onkel des BF väterlicherseits lebt in Kabul. Der BF hat Tanten mütterlicherseits, deren genauer Aufenthaltsort nicht feststellbar ist. Ein weiterer als Onkel bezeichneter Bekannter des BF lebt im Iran.
Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage, den Versorgungsengpässen und der berichteten Medikamentenknappheit sowie der damit einhergehenden willkürlichen Gewalt in Afghanistan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit droht. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, derzeit nicht befriedigen, ohne in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Es ist dem BF derzeit nicht möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten bei einer Ansiedlung in Afghanistan Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.
II.5. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
- Sonderkurzinformation der Staatendokumentation vom 17.08.2021 und
- Sonderkurzinformation der Staatendokumentation vom 20.08.2021.
II.5.1. Sonderkurzinformation vom 17.08.2021
Der afghanische Präsident Ashraf Ghani ist angesichts des Vormarsches der Taliban auf Kabul außer Landes geflohen. Laut al-Jazeera soll das Ziel Taschkent in Usbekistan sein. Inzwischen haben die Taliban die Kontrolle über den Präsidentenpalast in Kabul übernommen. Suhail Schahin, ein Unterhändler der Taliban bei den Gesprächen mit der afghanischen Regierung in Katar, versicherte den Menschen in Kabul eine friedliche Machtübernahme und keine Racheakte an irgendjemanden zu begehen.
Am 15.08.21 haben die Taliban mit der größtenteils friedlichen Einnahme Kabuls und der Besetzung der Regierungsgebäude und aller Checkpoints in der Stadt den Krieg für beendet erklärt und das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen. Man wünsche sich friedliche Beziehungen mit der internationalen Gemeinschaft. Die erste Nacht unter der Herrschaft der Taliban im Land sei ruhig verlaufen. Chaotische Szenen hätten sich nur am Flughafen in Kabul abgespielt, von welchem sowohl diplomatisches Personal verschiedener westlicher Länder evakuiert wurde als auch viele Afghanen versuchten, außer Landes zu gelangen. Den Taliban war es zuvor gelungen, innerhalb kürzester Zeit fast alle Provinzen sowie alle strategisch wichtigen Provinzhauptstädte wie z.B. Kandahar, Herat, Mazar-e Sharif, Jalalabad und Kunduz einzunehmen. In einigen der Städte seien Gefängnisse gestürmt und Insassen befreit worden.
Die Taliban zeigten sich am Sonntag gegenüber dem Ausland unerwartet diplomatisch. „Der Krieg im Land ist vorbei“, sagte Taliban-Sprecher Mohammed Naim am Sonntagabend dem Sender al-Jazeera. Bald werde klar sein, wie das Land künftig regiert werde. Rechte von Frauen und Minderheiten sowie die Meinungsfreiheit würden respektiert, wenn sie der Scharia entsprächen. Man werde sich nicht in Dinge anderer einmischen und Einmischung in eigene Angelegenheiten nicht zulassen.
Schätzungen zufolge wurden seit Anfang 2021 über 550.000 Afghanen durch den Konflikt innerhalb des Landes vertrieben, darunter 126.000 neue Binnenvertriebene zwischen dem 7. Juli 2021 und dem 9. August 2021. Es gibt zwar noch keine genauen Zahlen über die Zahl der Afghanen, die aufgrund der Feindseligkeiten und Menschenrechtsverletzungen aus dem Land geflohen sind, es deuten aber Quellen darauf hin, dass Zehntausende von Afghanen in den letzten Wochen internationale Grenzen überquert haben.
Der Iran richtete angesichts des Eroberungszugs der militant-islamistischen Taliban im Nachbarland Pufferzonen für Geflüchtete aus dem Krisenstaat ein. Die drei Pufferzonen an den Grenzübergängen im Nord- sowie Südosten des Landes sollen afghanischen Geflüchteten vorerst Schutz und Sicherheit bieten. Indes schloss Pakistan am Sonntag einen wichtigen Grenzübergang zu seinem Nachbarland. Innenminister Sheikh Rashid verkündete die Schließung des Grenzübergangs Torkham im Nordwesten Pakistans am Sonntag, ohne einen Termin für die Wiedereröffnung zu nennen. Tausende Menschen säßen auf beiden Seiten der Grenze fest.
Mittlerweile baut die Türkei an der Grenze zum Iran weiter an einer Mauer. Damit will die Türkei die erwartete Ankunft von afghanischen Flüchtlingen verhindern.
Medienberichten zufolge haben die Taliban in Afghanistan Checkpoints im Land errichtet und sie kontrollieren auch die internationalen Grenzübergänge (bisherige Ausnahme: Flughafen Kabul). Seit Besetzung der strategischen Stadt Jalalabad durch die Taliban, wurde eine Fluchtbewegung in den Osten (Richtung Pakistan) deutlich erschwert. Die Wahrscheinlichkeit, dass Afghanen aus dem westlichen Teil des Landes oder aus Kabul nach Pakistan gelangen ist gegenwärtig eher gering einzuschätzen. Es ist naheliegender, dass Fluchtrouten ins Ausland über den Iran verlaufen. Es ist jedoch auch denkbar, dass die mehrheitlich sunnitische Bevölkerung Afghanistans (statt einer Route über den schiitisch dominierten Iran) stattdessen die nördliche, alternative Route über Tadschikistan oder auch Turkmenistan wählt. Bereits vor zwei Monaten kam es laut EU-Kollegen zu einem Anstieg von Ankünften afghanischer Staatsbürger in die Türkei. Insofern ist davon auszugehen, dass eine erste Migrationsbewegung bereits stattgefunden hat. Pakistan gibt laut Medienberichten an, dass der Grenzzaun an der afghanisch-pakistanischen Grenze halte (laut offiziellen Angaben sind etwa 90 Prozent fertiggestellt).
Laut Treffen mit Frontex, kann zur Türkei derzeit noch keine Veränderung der Migrationsströme festgestellt werden. Es finden täglich nach Schätzungen ca. max. 500 Personen ihren Weg (geschleust) vom Iran in die Türkei. Dies ist aber keine außergewöhnlich hohe Zahl, sondern eher der Durchschnitt. Der Ausbau der Sicherung der Grenze zum Iran mit Mauer und Türmen schreitet immer weiter voran, und nach einstimmiger Meinung von Mig VB und anderen Experten kann die Türkei mit ihrem Militär (Hauptverantwortlich für die Grenzsicherung) und Organisationen (Jandarma, DCMM) jederzeit, je nach Bedarf die illegale Einreise von Flüchtlingen aus dem Iran kontrollieren. Die Türkei ist jedoch - was Afghanistan angeht - mit sehr hohem Interesse engagiert. Auch die Türkei möchte keine neunen massiven Flüchtlingsströme über den Iran in die Türkei.
IOM muss aufgrund der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration mit sofortiger Wirkung weltweit aussetzen. Die Aussetzung der freiwilligen Rückkehr erfolgt bis auf Widerruf.
Während die radikalislamischen Taliban ihren Feldzug durch Afghanistan vorantreiben, gehören Frauen und Mädchen zu den am meisten gefährdeten Gruppen. Schon in der letzten Regierungszeit der Taliban (1996–2001) herrschten in Afghanistan extreme patriarchale Strukturen, Misshandlungen, Zwangsverheiratungen sowie strukturelle Gewalt und Hinrichtungen von Frauen. Die Angst vor einer Wiederkehr dieser Gräueltaten ist groß. Eifrig sorgten Kaufleute in Afghanistans Hauptstadt Kabul seit dem Wochenende bereits dafür, Plakate, die unverschleierte Frauen zeigten, aus ihren Schaufenstern zu entfernen oder zu übermalen – ein Sinnbild des Gehorsams und der Furcht vor dem Terror der Taliban.
II.5.2. Sonderkurzinformation vom 20.08.2021
Aktuelle Lage
Die Spitzenpolitiker der Taliban sind aus Katar, wo viele von ihnen im Exil lebten, nach Afghanistan zurückgekehrt. Frauen werden Rechte gemäß der Scharia [islamisches Recht] genießen, so der Sprecher der Taliban. Nach Angaben des Weißen Hauses haben die Taliban versprochen, dass Zivilisten sicher zum Flughafen von Kabul reisen können. Berichten zufolge wurden Afghanen auf dem Weg dorthin von Taliban-Wachen verprügelt. Lokalen Berichten zufolge sind die Straßen von Kabul ruhig. Die Militanten sind in der ganzen Stadt unterwegs und besetzen Kontrollpunkte.
Die internationalen Evakuierungsmissionen von Ausländerinnen und Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan gehen weiter, immer wieder gibt es dabei Probleme. Die Angaben darüber, wie viele Menschen bereits in Sicherheit gebracht werden konnten, gehen auseinander, die Rede ist von 2.000 bis 4.000, hauptsächlich ausländisches Botschaftspersonal. Es mehren sich aktuell Zweifel, dass auch der Großteil der Ortskräfte aus dem Land gebracht werden kann. Bei Protesten gegen die Taliban in Jalalabad wurden unterdessen laut Augenzeugen drei Menschen getötet.
Jalalabad wurde kampflos von den Taliban eingenommen. Mit ihrer Einnahme sicherte sich die Gruppe wichtige Verbindungsstraßen zwischen Afghanistan und Pakistan. Am Mittwoch (18.8.2021) wurden jedoch Menschen in der Gegend dabei gefilmt, wie sie zur Unterstützung der alten afghanischen Flagge marschierten, bevor Berichten zufolge in der Nähe Schüsse abgefeuert wurden, um die Menschenmenge zu zerstreuen. Das von den Taliban neu ausgerufene Islamische Emirat Afghanistan hat bisher eine weiße Flagge mit einer schwarzen Schahada (Glaubensbekenntnis) verwendet. Die schwarz-rot-grüne Trikolore, die heute von den Demonstranten verwendet wurde, gilt als Symbol für die abgesetzte Regierung. Der Sprecher der Taliban erklärte, dass derzeit Gespräche über die künftige Nationalflagge geführt werden, wobei eine Entscheidung von der neuen Regierung getroffen werden soll.
Während auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul weiter der Ausnahmezustand herrscht, hat es bei einer Kundgebung in einer Provinzhauptstadt erneut Tote gegeben. In der Stadt Asadabad in der Provinz Kunar wurden nach Angaben eines Augenzeugen mehrere Teilnehmer einer Kundgebung zum afghanischen Nationalfeiertag getötet. Widerstand bildete sich auch im Panjshirtal, eine Hochburg der Tadschiken nordöstlich von Kabul. In der „Washington Post“ forderte ihr Anführer Ahmad Massoud, Chef der Nationalen Widerstandsfront Afghanistans, Waffen für den Kampf gegen die Taliban. Er wolle den Kampf für eine freiheitliche Gesellschaft fortsetzen.
Einem Geheimdienstbericht für die UN zufolge verstärken die Taliban die Suche nach "Kollaborateuren". In mehreren Städten kam es zu weiteren Anti-Taliban-Protesten. Nach Angaben eines Taliban-Beamten wurden seit Sonntag mindestens 12 Menschen auf dem Flughafen von Kabul getötet. Westliche Länder evakuieren weiterhin Staatsangehörige und Afghanen, die für sie arbeiten. Der IWF erklärt, dass Afghanistan keinen Zugang mehr zu seinen Geldern haben wird.
Vor den Taliban in Afghanistan flüchtende Menschen sind in wachsender medizinischer Not. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete, dass in Kliniken in Kabul und anderen afghanischen Städten immer mehr Fälle von Durchfallerkrankungen, Mangelernährung, Bluthochdruck und Corona-Symptomen aufträten. Dazu kämen vermehrt Schwangerschaftskomplikationen. Die WHO habe zwei mobile Gesundheitsteams bereitgestellt, aber der Einsatz müsse wegen der Sicherheitslage immer wieder unterbrochen werden.
Priorität für die VN hat derzeit, dass die UNAMA-Mission in Kabul bleibe. Derzeit befindet sich ein Teil des VN-Personals am Flughafen, um einen anderen Standort (unklar ob in AF) aufzusuchen und von dort die Tätigkeit fortzuführen. Oberste Priorität der VN sei es die Präsenz im Land sicherzustellen. Zwecks Sicherstellung der humanitären Hilfe werde auch mit den Taliban verhandelt (? Anerkennung). Ein Schlüsselelement dabei ist die VN-SR-Verlängerung des UNAMA-Mandats am 17. September 2021.
Die Anführer der Taliban
Mit der Eroberung Kabuls haben die Taliban 20 Jahre nach ihrem Sturz wieder die Macht in Afghanistan übernommen. Dass sie sich in ersten öffentlichen Statements gemäßigter zeigen, wird von internationalen Beobachtern mit viel Skepsis beurteilt. Grund dafür ist unter anderem auch, dass an der Spitze der Miliz vor allem jene Männer stehen, die in den vergangenen Jahrzehnten für Terrorangriffe und Gräueltaten im Namen des Islam verantwortlich gemacht werden. Geheimdienstkreisen zufolge führen die Taliban derzeit Gespräche, wie ihre Regierung aussehen wird, welchen Namen und Struktur sie haben soll und wer sie führen wird. Demzufolge könnte Abdul Ghani Baradar einen Posten ähnlich einem Ministerpräsidenten erhalten („Sadar-e Asam“) und allen Ministern vorstehen. Er trat in den vergangenen Jahren als Verhandler und Führungsfigur als einer der wenigen Taliban-Führer auch nach außen auf.
Wesentlich weniger international im Rampenlicht steht der eigentliche Taliban-Chef und „Anführer der Gläubigen“ (arabisch: amir al-mu’minin), Haibatullah Akhundzada. Er soll die endgültigen Entscheidungen über politische, religiöse und militärische Angelegenheiten der Taliban treffen. Der religiöse Hardliner gehört ebenfalls zur Gründergeneration der Miliz, während der ersten Taliban-Herrschaft fungierte er als oberster Richter des Scharia-Gerichts, das für unzählige Todesurteile verantwortlich gemacht wird.
Der Oberste Rat der Taliban ernannte 2016 zugleich Mohammad Yaqoob und Sirajuddin Haqqani zu Akhundzadas Stellvertretern. Letzterer ist zugleich Anführer des für seinen Einsatz von Selbstmordattentätern bekannten Haqqani-Netzwerks, das von den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Es soll für einige der größten Anschläge der vergangenen Jahre in Kabul verantwortlich sein, mehrere ranghohe afghanische Regierungsbeamte ermordet und etliche westliche Bürger entführt haben. Vermutet wird, dass es die Taliban-Einsätze im gebirgigen Osten des Landes steuert und großen Einfluss in den Führungsgremien der Taliban besitzt. Der etwa 45-jährige Haqqani wird von den USA mit einem siebenstelligen Kopfgeld gesucht.
Zur alten Führungsriege gehört weiters Sher Mohammad Abbas Stanikzai. In der Taliban-Regierung bis 2001 war er stellvertretender Außen- und Gesundheitsminister. 2015 wurde er unter Mansoor Akhtar Büroleiter der Taliban. Als Chefunterhändler führte er später die Taliban-Delegationen bei den Verhandlungen mit den USA und der afghanischen Regierung an.
Ein weiterer offenkundig hochrangiger Taliban ist der bereits seit Jahren als Sprecher der Miliz bekannte Zabihullah Mujahid. In einer ersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme schlug er, im Gegensatz zu seinen früheren Aussagen, versöhnliche Töne gegenüber der afghanischen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft an.
Stärke der Taliban-Kampftruppen
Obwohl in den vergangenen Jahren 100.000 ausländische Soldaten im Land waren, konnten die Taliban-Führer eine offenkundig von ausländischen Geheimdiensten unterschätzte Kampftruppe zusammenstellen. Laut BBC geht man derzeit von rund 60.000 Kämpfern aus, mit Unterstützern aus anderen Milizen sollen fast 200.000 Männer aufseiten der Taliban den Sturz der Regierung ermöglicht haben. Völlig unklar ist noch, wie viele Soldaten aus der Armee übergelaufen sind.
III. Beweiswürdigung:
III.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.
III.2. Zu den Feststellungen zur Person des BF:
Die Feststellungen zur Verfahrensidentität des BF ergeben sich aus seinen dahingehend im Wesentlichen übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem BFA und in der Beschwerdeverhandlung. Auch das BFA legte diese Feststellungen bereits seinem Bescheid zugrunde und sie wurden im Beschwerdeverfahren auch nicht bestritten. Die Identität des BF kann jedoch mangels der Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppenzugehörigkeit des BF, seinen Sprachkenntnissen und zu seinem Aufwachsen in Afghanistan, seinen Aufenthalten im Iran, zu den Arbeitstätigkeiten sowie zu seinen Sprachkenntnissen beruhen auf den weitgehend gleichbleibenden, glaubhaften Angaben des BF (AS 1, 3 66, 69; S. 6f VP). Soweit der BF auch vorbrachte, er habe als Koch und Reinigungskraft bei den Arbaki gearbeitet, kann dem nicht gefolgt werden, zumal er auf Nachfrage nach seiner Arbeitserfahrung davon nichts angab (S. 9 VP; siehe näher dazu auch noch untern II.3.).
Dass der BF nach den afghanischen Gepflogenheiten sozialisiert wurde, ergibt sich aus seinem Aufwachsen in Afghanistan in einer afghanischen Familie. Dort hat er nicht nur am gesellschaftlichen Leben teilgenommen, sondern auch gearbeitet. Es ist kein Grund ersichtlich, warum er durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet mit diesen Gepflogenheiten nicht mehr vertraut sein sollte. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass seine besten Freunde im Bundesgebiet sowie seine Verlobte ebenfalls aus Afghanistan stammen und der BF regelmäßigen Kontakt zur Familie in Afghanistan hat. Dies zeigt im Übrigen gemeinsam mit seinem starken Heimweh wie sehr der BF noch in seiner Kultur verankert ist.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergeben sich aus den vorgelegten fachärztlichen Befunden in Verbindung mit der Aussage des BF (S. 4-6 VP). Den ärztlichen Befundberichten ist zu entnehmen, dass der BF an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Der BF leidet bedingt durch seine psychische Erkrankung den ärztlichen Befunden zufolge vor allem an Schlafstörung und Kopfschmerzen (S. 6). Der BF steht wegen seiner psychischen Erkrankung weiterhin in Behandlung (S. 5 VP). Der BF befand sich zwar im Jahr 2020 wegen Suizidgedanken in stationärer Behandlung in einem Krankenhaus, jedoch wurden im aktuellen ärztlichen Bericht vom 31.03.2021 keine Suizidgedanken mehr befundet. Auch im Arztbrief vom 16.06.2021 ist festgehalten, dass Selbstmordgedanken negiert werden. Dass der Auslöser für seine psychische Erkrankung die gegenwärtige Lebenssituation, die Trennung von Familienangehörigen beziehungsweise die Einsamkeit und das Heimweh sind, konnte aufgrund der Angaben des BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung festgestellt werden (S. 5f VP). Auch wenn es bei der Abschiebung möglicherweise zu einer erhöhten psychischen Belastung kommen könnte, besteht nicht die reale Gefahr, dass der BF aufgrund der psychischen Störung in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten oder die Krankheit sich in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern könnte, zumal der BF wieder mit seiner Familie zusammenleben würde.
Eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit des BF konnte mangels eines diesbezüglichen Vorbringens sowie Vorliegens konkreter Anhaltspunkte nicht festgestellt werden, weil er selbst angab, arbeiten gehen zu wollen und es ihm schlechter gehe, wenn er keine Beschäftigung habe. Der BF vermutet, dass sich sein psychischer Zustand verbessern würde, wenn er einer Beschäftigung nachgehen würde (S. 20 VP). Der BF verrichtete zudem gemeinnützige Leistungen in seiner Wohnsitzgemeinde sowie in einer Kirche. Vor diesem Hintergrund und dem übrigen Vorbringen des BF zu seiner Lebenssituation in Österreich ergeben sich keine hinreichenden Hinweise auf eine gesundheitlich bedingte Einschränkung seiner Arbeitsfähigkeit. Mit Wegfall eines wichtigen Treibers, nämlich seines Heimwehs und der Einsamkeit aufgrund der Trennung von seiner Familie, wäre der BF jedenfalls im Heimatland entsprechend arbeitsfähig.
III.3. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des BF:
III.3.1. Der BF brachte in der Erstbefragung vor, er sei Volkspolizist gewesen und sei von den Taliban festgenommen worden, als er einkaufen gehen wollte. Sie hätten von ihm verlangt, sich ihnen anzuschließen und gegen die Regierung zu kämpfen. Dem BF sei es jedoch gelungen zu flüchten (AS 9). In der Einvernahme vor dem BFA gab er zusammengefasst an, er habe für die Polizei gekocht und geputzt. Er sei eines Tages mit dem Motorrad unterwegs gewesen, um für die Polizeibeamten Essen zu besorgen, wobei er von den Taliban angehalten worden sei. Die Taliban hätten ihn aufgefordert, seine Tätigkeit bei der Polizei aufzugeben sowie sich ihnen anzuschließen, und ihm ein Ultimatum von zwei Tagen gestellt. Er sei daraufhin nach Hause gefahren, wo er den Vorfall seiner Mutter geschildert habe. Danach habe er seinem Kommandanten davon erzählt. Dieser habe ihm geraten, einen Tag abzuwarten. Am nächsten Tag sei der Kommandant gekommen und habe gesagt, der BF müsse Afghanistan verlassen (AS 72f).
Dass das Vorbringen des BF betreffend eine ihm drohende Verfolgung durch die Taliban aufgrund seiner Tätigkeit für die afghanische Lokalpolizei nicht glaubhaft war, ergibt sich aus einer Gesamtschau der im Folgenden dargelegten beweiswürdigenden Erwägungen. Im Besonderen weisen die Angaben des BF massive Widersprüche und Ungereimtheiten auf. Der BF konnte während des gesamten Verfahrens nicht den Eindruck erwecken, dass seine Angaben den Tatsachen entsprechen. Es ist ihm deshalb nicht gelungen, seine Angaben während des Verfahrens glaubhaft zu machen.
Zunächst ist festzuhalten, dass der BF die gesamte Situation der Bedrohung durch die Taliban aufgrund seiner vermeintlichen Tätigkeit für die afghanische Lokalpolizei in der mündlichen Beschwerdeverhandlung sehr oberflächlich, detailarm und erst nach Aufforderung zur detaillierten Schilderung seiner Fluchtgründe schilderte (S. 13 VP).
Augenfällig ist, dass der BF vor dem BFA angab, dass er für die Polizei gekocht und geputzt habe, während er im Laufe seiner Einvernahme auf Nachfrage schilderte, dass es weder eine Polizeikantine noch eine Küche gegeben habe (AS 72f), womit er sich bereits vor dem BFA widersprach, weil nicht ersichtlich ist, wie er ohne Kantine oder Küche für die Polizisten kochen konnte. Hervorzuheben ist, dass der BF im Laufe des Verfahrens abweichende Angaben darüber machte, welche Funktion er bei der lokalen Polizei beziehungsweise welche Aufgaben er zu erledigen gehabt habe. Vor dem BFA gab der BF an, als Koch und Reinigungskraft bei der afghanischen Lokalpolizei gearbeitet zu haben. Hingegen gab er vor dem Bundesverwaltungsgericht an, als Wächter gearbeitet zu haben, zudem habe er für die Polizisten Essen geholt (S. 14 VP). Wäre er tatsächlich bei der lokalen Polizei tätig gewesen, ist davon auszugehen, dass er seine Tätigkeit und seine Funktion ausführlich und widerspruchsfrei schildern könnte und würde.
Zudem erwähnte der BF, in der Beschwerdeverhandlung befragt, welche Berufstätigkeiten er im Heimatland verrichtet habe, seine vermeintliche Tätigkeit bei der afghanischen Lokalpolizei nicht aus Eigenem (S. 9 VP). Erstmals schilderte er eine derartige Tätigkeit erst bei der Frage nach dem Befinden seiner Familie (S. 10 VP). Es ist nicht lebensnah, dass der BF die Tätigkeit bei der lokalen Polizei, die er über einen Zeitraum von sieben bis acht Monaten beziehungsweise laut seinen Angaben vor dem BFA ein Jahr lang ausgeübt haben will, auf die Frage nach seinen Berufstätigkeiten nicht erwähnen würde, zumal er im gesamten Verfahren über angab, dass seine Probleme in dieser Tätigkeit wurzeln (S. 13f VP). Das widerspricht auch seinem Verhalten vor dem BFA, wo er bereits bei der Frage nach seinen Arbeitstätigkeiten seine angebliche Tätigkeit für die Polizei anführte (AS 69).
Ferner sind seine zeitlichen Angaben zur Dauer seiner Tätigkeit bei der afghanischen Lokalpolizei widersprüchlich. So gab der BF vor dem BFA an, ein Jahr lang bei der Polizei als Koch und Reinigungskraft gearbeitet zu haben (AS 69), während er die Dauer seiner Tätigkeit vor dem Bundesverwaltungsgericht mit sieben bis acht Monaten angab (S. 14 VP). Auch die weiteren zeitlichen Angaben sind widersprüchlich und unplausibel. Der BF führte vor dem Bundesverwaltungsgericht aus, im Alter von sechzehn Jahren für zwei Jahre lang als Elektriker ohne Ausbildung den Motor, welcher für die Stromerzeugung in seinem Heimatdorf angeschafft worden sei, gewartet und Stromleitungen in den Häusern der Dorfbewohner verlegt zu haben. Als dieser Motor defekt gewesen sei, habe man ihn nicht repariert und er habe ein Jahr lang keine Arbeit gehabt. Danach habe er die Tätigkeit bei der afghanischen Lokalpolizei aufgenommen (S. 9, 16 VP). Folgt man seinen Angaben, müsste er mit zirka neunzehn beziehungsweise zwanzig Jahren bei der afghanischen Lokalpolizei angefangen haben. Diese Angaben stehen jedoch mit jenen Angaben des BF in unauflösbarem Widerspruch, wonach der Vorfall mit den Taliban vorgefallen sei, als er achtzehn Jahre alt gewesen sei, wobei er bereits sieben bis acht Monate vor dem Vorfall bei der lokalen Polizei angefangen und er seine Tätigkeit bei der lokalen Polizei aufgrund dieses Vorfalles aufgegeben habe und anschließend aus Afghanistan ausgereist sei (S. 14f VP). Überdies stehen seine zeitlichen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht in Widerspruch mit jenen vor dem BFA, wonach er bis zu seinem siebzehnten Lebensjahr als Elektriker in seinem Heimatdorf gearbeitet habe. Danach habe er mit achtzehn Jahren die Tätigkeit bei der Polizei als Reinigungskraft und Koch aufgenommen, wobei er ein Jahr lang für die afghanische Lokalpolizei gearbeitet habe (AS 69). Wenn aber der BF, wie vor dem Bundesverwaltungsgericht geschildert, mit achtzehn Jahren, nachdem der von ihm geschilderte Vorfall mit den Taliban stattgefunden habe, Afghanistan verlassen haben will, ergibt sich ein unauflösbarer Widerspruch zu seinen Angaben vor dem BFA (AS 69; S. 15 VP). Der BF war darüber hinaus nach seiner Verfahrensidentität zum Zeitpunkt der Erstbefragung noch nicht 18 Jahre alt (AS 1). Auch diese zeitlichen Angaben sind daher nicht annähernd mit dem von ihm behaupteten Ablauf in Einklang zu bringen. Auch wenn der BF Analphabet ist, müsste er jedoch in der Lage sein, dazu zumindest ungefähr gleichbleibende Angaben zu tätigen.
Der BF gab vor dem BFA an, dass er zur Lokalpolizei gegangen sei, weil er die Steuern nicht habe bezahlen können (AS 70). Dagegen behauptete er vor dem Bundesverwaltungsgericht als Grund für seine Zugehörigkeit zu den Arbaki, dass er diesen wegen seiner Arbeitslosigkeit kein Geld habe geben können (S. 13 VP). Aufgrund der derart vagen, unterschiedlichen und unplausiblen Angaben des BF und dem Widerspruch in seinem Erzählverhalten ist es ihm nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass er bei der afghanischen Lokalpolizei tätig war. Da aber die Verfolgung des BF gerade darauf beruhen soll, muss eine solche bereits deshalb als nicht glaubhaft beurteilt werden.
Selbst bei einer Wahrunterstellung, dass er in Afghanistan bei der lokalen Polizei tätig war, konnte er den vermeintlichen Vorfall mit den Taliban nicht glaubhaft machen. Vielmehr bediente er sich offensichtlich auch hier eines Konstrukts, das einer realen Grundlage entbehrt:
Bereits die Schilderung der Handlungsabläufe ist grob widersprüchlich und unplausibel, was gegen die Glaubhaftigkeit seiner Angaben in diesem Zusammenhang auch bei Berücksichtigung des niedrigen Bildungsniveaus des BF spricht. So gab der BF vor dem BFA nur an, dass er von den Taliban am Rückweg aufgehalten worden sei, nachdem er Essen geholt habe (AS 72). Gleichbleibend gab der BF zwar auch vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass er auf dem Rückweg seines Einkaufs von den Taliban angehalten worden sei, steigerte jedoch seine Angaben, wenn er erstmals angab, dass er trotz eines Anhalteversuchs seitens der Taliban weitergefahren und nur stehengeblieben sei, weil die Taliban auf ihn geschossen hätten (S. 13 VP). Es ist aber kein Grund ersichtlich, warum er die angeblichen Schüsse auf ihn nicht auch bereits vor dem BFA erwähnt hätte, vielmehr zeigt das, dass er nicht von selbst Erlebtem berichtet.
Das zeigt sich auch etwa daran, dass der BF unterschiedliche Angaben dazu machte, welche Sprache die Taliban beherrschten. Er gab zwar gleichbleibend an, dass zwei Personen Paschtu sprachen (AS 72; S. 13 VP). Vor dem BFA gab er zu den weiteren Sprachkenntnissen der Taliban an, dass einer der Taliban nur ein wenig Dari gesprochen habe, der andere ein wenig Urdu (AS 72). Nach seinen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht habe dagegen die Person, die Dari gesprochen habe, auch Urdu beherrscht (S. 13 VP).
Zudem sind die Angaben des BF auf die Frage, woher die Taliban gewusst hätten, dass er bei der afghanischen Lokalpolizei arbeite, massiv widersprüchlich. Vor dem BFA gab er an, dass er Soldatenstiefel angehabt habe und die Taliban daraus den Rückschluss auf seine Tätigkeit bei der afghanischen Lokalpolizei gezogen hätten. Außerdem könne ein Essen, wie der BF es transportiert habe, nur für die Polizei bestimmt sein (AS 73). Dagegen führte der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht erstmals aus, dass er außerdem auch noch ein Messer mitgehabt habe und die Taliban deswegen den Verdacht geschöpft hätten, dass er das Essen für die Polizei transportiere (S. 13 VP). Im Laufe des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht steigerte der BF seine Angaben weiter und gab schließlich an, dass er zwar keinen Ausweis, jedoch Militärschuhe, ein Messer und eine Pistole dabeigehabt habe (S. 14 VP). Abgesehen von der unglaubhaften Steigerung seiner Angaben erschließt sich nicht, weshalb der BF eine Pistole bei sich gehabt haben sollte, obwohl er, wie er selbst mehrmals angab, nicht direkt bei den Arbaki gearbeitet habe, sondern dort nur Hilfsarbeiter gewesen sei und damit eine bloß untergeordnete Funktion gehabt haben soll.
Der BF steigerte im Laufe der Verhandlung seine Angaben, woher die Taliban wussten, dass er bei der Polizei gearbeitet habe, zudem nochmals, was seine Angaben noch weniger glaubhaft erscheinen lässt. Während der BF vor dem BFA und zunächst auch noch vor dem Bundesverwaltungsgericht angab, dass die Taliban aufgrund konkreter Verdachtsmomente (Militärstiefel bzw. Messer und Pistole) Rückschluss auf seine vermeintliche Tätigkeit bei der lokalen Polizei gezogen hätten, gab er dann vor dem Bundesverwaltungsgericht erstmals an, die Taliban hätten ihm ein Foto gezeigt. Sie hätten dem BF gesagt, dass sie wissen würden, dass er die Polizei unterstütze und täglich zur Polizeistation gehe. Den Taliban sei die Identität seiner Familie beziehungsweise seiner Familienangehörigen bekannt gewesen (S. 14 VP). Hätten die Taliban dem BF tatsächlich ein Foto gezeigt und ihm mitgeteilt, dass ihnen sowohl die Identität des BF als auch die seiner Familienangehörigen bekannt sei, ist davon auszugehen, dass der BF dies auch bereits vor dem BFA vorgebracht hätte, zumal kein Grund ersichtlich ist, weshalb er daran gehindert gewesen sein sollte.
Die Unglaubhaftigkeit seiner Behauptungen zeigt sich auch an seiner Aussage vor dem BFA, wonach er sich nicht erklären könne, aus welchem Grund ausgerechnet er von den Taliban angehalten worden sei. Er sei wahrscheinlich zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen (AS 73). Es ist nicht plausibel, dass der BF, wenn die Taliban ihm tatsächlich das Foto von ihm gezeigt hätten, eine solche Aussage tätigt, obwohl er bereits zum damaligen Zeitpunkt gewusst hätte, dass seine Identität den Taliban bekannt war und sie ihn wohl auch deswegen anhielten.
Ferner führte der BF vor dem BFA aus, von den Taliban geschlagen worden zu sein, weil er den Taliban gesagt habe, dass er weder für die Polizei arbeite noch bereit sei, sich den Taliban anzuschließen (AS 72). Dagegen ließ der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht einen körperlichen Angriff durch die Taliban unerwähnt. Neu vor dem Bundesverwaltungsgericht brachte der BF jedoch vor, dass die Taliban dem BF mit der Vernichtung seiner Familie und seiner Person gedroht hätten (S. 13 VP), während er eine solche Bedrohung vor dem BFA nicht einmal ansatzweise erwähnte. Auch diese Widersprüche zeigen, dass der BF sich insofern eines Konstruktes bedient, ansonsten hätte er einen erfolgten körperlichen Angriff auf ihn sowohl vor dem BFA wie auch dem Bundesverwaltungsgericht geschildert.
Der BF gab zwar gleichbleibend an, dass ihm die Taliban bei dem Vorfall zwei Tage Bedenkzeit gegeben hätten (AS 72; S. 13 VP), allerdings stellte er sein Vorgehen nach dem Vorfall in wesentlichen Details krass widersprüchlich dar, was ebenfalls gegen die Glaubhaftigkeit seiner Angaben spricht. So gab der BF vor dem BFA noch an, er sei nach dem Vorfall nach Hause gefahren und habe diesen seiner Mutter erzählt. Die Mutter habe ihn aufgefordert, den Vorfall bei der Polizei zur Anzeige zu bringen, woraufhin er diesen Vorfall dem Polizeikommandanten gemeldet habe, welcher ihm angeraten habe, einen Tag abzuwarten. Am drauffolgenden Tag habe ihm der Kommandant mitgeteilt, dass er aus Sicherheitsgründen Afghanistan verlassen müsse, da er andernfalls von den Taliban mitgenommen werden würde (S. 73). In Widerspruch zu seinen Angaben vor dem BFA brachte der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht vor, er sei unmittelbar nach dem Vorfall zu seinem Arbeitsplatz gefahren und habe dort das Essen abgeladen. Der Kommandant des BF habe ihn aus Eigenem gefragt, weshalb er verängstigt sei, woraufhin der BF seinem Kommandanten den Vorfall mit den Taliban erzählt habe. Der Kommandant habe ihm empfohlen, ehestmöglich Afghanistan zu verlassen, da man die Taliban ernst nehmen müsse, zumal die Taliban schon viele Personen in höheren Positionen getötet hätten. Am nächsten Tag habe er daher Afghanistan verlassen (S. 13f, 15 VP).
Aufgrund dieser zahlreichen Widersprüchen zu durchaus zentralen Punkten in seinem Fluchtvorbringen, ist es dem BF nicht gelungen, dieses glaubhaft zu machen. Vielmehr war festzustellen, dass der BF nicht bei den Arbaki war und sich das von ihm Vorgebrachte nicht ereignet hat. Zusätzlich zu diesen Widersprüchen, die bereits für sich genommen geeignet sind, dem BF die Glaubwürdigkeit abzusprechen, kommt auch noch das Aussageverhalten des BF und die Unplausbilitäten in seinem Vorbringen. So gab der BF auf die Frage nach dem Befinden seiner Familie die Fluchtgeschichte an, obwohl er danach nicht gefragt wurde (S. 10 VP). Auf die Frage nach seinen Gründen für das Verlassen seines Heimatlandes schilderte der BF seine Probleme nur in zwei kurzen Sätzen, obwohl er zuvor aufgefordert worden war, ausführlich zu berichten (S. 13 VP). Erst auf weitere Nachfrage konkretisierte der BF seine Angaben. Auch dieses Aussageverhalten ist zu Ungunsten des BF zu werten.
Die angesprochene Unplausibiltät liegt darin, dass der BF von den Taliban zur Mitarbeit aufgefordert worden sei, obwohl er ein schiitischer Hazara - noch dazu ohne jegliche Schul- oder Koranausbildung oder für die Taliban brauchbare Berufserfahrung oder Ausbildung ist. Dass die Taliban einen schiitischen Hazara, der nicht einmal eine Koranschule besucht hat und dem sie eine Mitarbeit bei staatlichen Stellen vorwerfen, zwangsrekrutieren wollten, widerspricht der damaligen Rekrutierungsstrategie der Taliban, wie sie in den dem BF vorgehaltenen Länderinformationen dargelegt ist. Auch das spricht dagegen, dass sich das vom BF Vorgetragene tatsächlich zugetragen hat.
Das neue Vorbringen des BF vor dem Bundesverwaltungsgericht, wonach seine Familie nach seiner Ausreise von den Taliban bedroht worden und aus diesem Grund nach Pakistan geflüchtet sei, ist bereits deshalb nicht glaubhaft, weil der BF weder seine Tätigkeit bei den Arbaki noch die Bedrohung durch die Taliban glaubhaft machen konnte. Da auch die Bedrohung der Familie darauf beruhen soll, kann diesen Angaben auch keine Glaubwürdigkeit zukommen.
Darüber hinaus brachte der BF eine derartige Bedrohung, wie bereits erwähnt, erstmals in der Beschwerdeverhandlung vor. Insofern ist ihm daher auch eine unzulässige Steigerung seines Vorbringens vorzuwerfen, weswegen diesem keine Glaubhaftigkeit zukommen kann. Der BF gab in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, befragt nach dem Befinden seiner Familie an, dass seine Familie nach seiner Ausreise nicht in Ruhe gelassen worden sei, weswegen sie nach Pakistan geflüchtet sei. Nach drei Jahren sei sie nach Afghanistan zurückgekehrt. Als seine Mutter mit seinem jüngeren Bruder wieder in Afghanistan gewesen sei, sei sie von den Taliban aufgesucht und drei Mal geschlagen worden. Auch sein Bruder sei von den Taliban körperlich angegriffen worden. Diese Vorfälle hätten sich eineinhalb Jahre vor der mündlichen Beschwerdeverhandlung ereignet (S. 11 VP). Es ist unplausibel, dass die Taliban an der Person des BF, welcher ein schiitischer Hazara ist und bloß eine unterstützende Aufgabe bei der afghanischen Lokalpolizei gehabt haben soll und der auch keine Koranschule besucht hat, ein derart großes Interesse hätten, sodass sie sogar nach seiner Flucht seine Familie aufsuchten und körperlich angriffen.
In der öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte die erkennende Richterin nicht den Eindruck gewinnen, dass der BF die von ihm geschilderte Bedrohungssituation tatsächlich erlebt hat. Es ist daher davon auszugehen, dass sich der BF einer konstruierten Geschichte bediente, die aber nicht auf tatsächlichen Gegebenheiten beruht.
III.3.2. Die Feststellungen zu den religiösen Aktivitäten des BF beruhen auf seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung beziehungsweise auf den von ihm vorgelegten Unterlagen. Zu den Aussagen des BF ist zudem festzuhalten, dass der BF sich selbst in der Beschwerdeverhandlung noch als schiitischer Moslem bezeichnete (S. 6 VP). Im Zusammenhang mit seinen Fluchtgründen brachte der BF auch selbst nichts zu einer möglichen Konversion vor. Erst auf Befragen durch die Vertreterin gab der BF seine Aktivitäten in Bezug auf eine mögliche bevorstehende Konversion an (S. 21 VP). Bereits daraus ergibt sich, dass der BF innerlich jedenfalls nicht konvertiert ist, sondern nach wie vor schiitischer Moslem ist und sich selbst als solcher sieht. Das steht auch in Übereinstimmung mit dem Schriftsatz seiner Rechtsvertreterin vom 16.04.2021, wonach das Vorbringen zum Interesse am christlichen Glauben nicht als Fluchtvorbringen erstattet werde, sondern dies lediglich zur Information zur Abrundung des Persönlichkeitsbildes des BF erfolge. Weiters ist hervorzuheben, dass der BF erst seit dem 05.06.2021 wieder einen Taufkurs besucht, nachdem er diesen zuvor zwei bis drei Monate nach dessen Beginn aufgrund der pandemiebedingten Maßnahmen abbrechen musste. Hinzu kommt, dass der BF sich selbst nach wie vor mit einer afghanischen Frau als verlobt ansieht. Da der BF nichts Anderes erwähnte und die Familie des BF die Verlobung arrangierte, ist aufgrund seines Kulturkreises davon auszugehen, dass auch seine Verlobte schiitische Muslimin ist. Diese Verbindung, die erst wenige Wochen vor der Beschwerdeverhandlung eingegangen wurde, wäre aber bei einer tatsächlichen Konvertierung nicht mehr aufrecht bzw. würde der BF sich auch nicht mit einer Muslimin verloben, wenn er tatsächlich eine Konvertierung anstreben würde.
Es ist daher auch nicht davon auszugehen, dass der BF seinem derzeitigen Interesse am christlichen Glauben auch bei einer Rückkehr nach Afghanistan weiter nachkommen würde. Insofern ist daher nicht zu befürchten, dass der BF im Heimatland einer Verfolgung unterliegen würde. Vielmehr war festzustellen, dass der BF nach wie vor schiitischer Moslem ist. Es ist aus den Angaben auch nicht ersichtlich, dass seine Aktivitäten in Afghanistan in irgendeiner Weise bekannt geworden wären.
III.4. Zu den Feststellungen zum (Privat-)Leben des BF in Österreich:
Die Feststellungen zum Leben des BF in Österreich, insbesondere zur Aufenthaltsdauer, seinen Deutschkenntnissen, seinen Kursbesuchen sowie zu seiner Integration in Österreich, stützen sich auf die Aktenlage, die Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung (S. 19-21 VP) sowie auf die vom BF im Verfahren vorgelegten Unterlagen.
Zur Verlobung des BF und deren Arrangement kann den glaubhaften Angaben des BF vor dem Gericht gefolgt werden (S. 6f VP).
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus einem aktuellen Strafregisterauszug, die zur Grundversorgung aus einem aktuellen GVS Auszug.
III.5. Zu den Feststellungen zur Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
Die Feststellung zu seinem bereits verstorbenen Vater stützt sich insbesondere auf seine gleichgebliebenen Angaben im Verfahren (AS 3, 71; S. 17 VP).
Die Feststellungen zu den Aufenthaltsorten der Familienmitglieder waren aufgrund der Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung (S. 10 VP) zu treffen.
Der BF brachte weder im Verfahren vor noch gibt es konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die wirtschaftliche Situation seiner Familie schlecht wäre. Vielmehr lebt seine Familie nach wie vor in seinem Heimatort im Elternhaus. Die Familie verfügt über Grundstücke, auf dem verschiedenes Gemüse und Obst angebaut wird, sodass die entsprechende Feststellung getroffen werden konnte (S. 9 VP).
Die Feststellung zu seinem Kontakt mit seiner Familie beruht auf den Angaben des BF (S. 10 VP). Den Angaben des BF, wonach er keinen Kontakt zu seinem Bruder habe, kann nicht gefolgt werden, zumal er selbst angab, dass sein Bruder aktuell im Iran lebe und als Taschennäher beschäftigt sei (S. 10 VP). Da ihm der aktuelle Aufenthaltsort sowie die Berufstätigkeit seines Bruders bekannt sind, ist davon auszugehen, dass er Kontakt zu seinem Bruder hat. Dieser hat zudem die Verlobung des BF arrangiert, was ohne Kontakt zueinander wohl nicht möglich wäre.
Die Feststellungen zu seinen Verwandten stützen sich ebenfalls auf die Angaben des BF (AS 71, S. 12 VP). Zu etwaigen weiteren Verwandten konnte oder wollte der BF im gesamten Verfahren keine Angaben machen. Selbst wenn der BF seine Familienmitglieder nicht kennen sollte, wovon nicht auszugehen ist, beziehungsweise keinen Kontakt gehabt hätte und aktuell auch keinen hat, war in Verbindung mit seinen Angaben festzustellen, dass er weitere Verwandte hat.
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass der BF dem Gericht nicht bekanntgegeben hat, dass sich an der Situation seiner Verwandten durch die Machtübernahme der Taliban irgendetwas Entscheidungswesentliches geändert hätte. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Angaben des BF von Juni 2021 noch unverändert zutreffen.
Beim BF handelt es sich zwar um einen arbeitsfähigen, jungen Mann, der Berufserfahrung in Afghanistan vorweist. Er hat zwar psychische Probleme, diese hindern ihn allerdings nicht daran am Arbeitsmarkt teilzunehmen und beruhen nicht unwesentlich auf seinem Heimweh zu seiner Familie und seinem Herkunftsland. Es ist daher von einer grundsätzlichen Teilnahmemöglichkeit am Arbeitsmarkt auszugehen. Dazu kommt, dass der BF Familie in Afghanistan hat, die ein landwirtschaftliches Grundstück erfolgreich betreibt. Der BF könnte daher entweder zu seiner Familie zurückkehren und mit dieser die Landwirtschaft betreiben oder von seiner Familie Unterstützung erhalten, so das überhaupt notwendig ist. Bis vor kurzer Zeit war auch die Sicherheitslage jedenfalls in einigen Gebieten Afghanistans nicht derart, dass sie einer Rückkehr entgegenstanden wäre. Da der BF mit den wesentlichen Gegebenheiten und Bräuchen Afghanistans vertraut ist, Berufserfahrung als Landwirt und Elektriker hat sowie eine der Staatssprachen Afghanistans als Muttersprache spricht, war davon auszugehen, dass der BF durch Teilnahme am Arbeitsmarkt, allenfalls auch durch Ausübung von Hilfstätigkeiten oder als Tagelöhner, seine existenziellen Grundbedürfnisse decken wird können.
Mittlerweile hat sich die Lage in Afghanistan jedoch grundlegend geändert. So haben die Taliban die Macht übernommen, während die frühere afghanische Regierung wie auch die Streitkräfte zusammengebrochen sind und teilweise das Land verlassen haben. Die Berichte, die die derzeitige Lage schildern, zeigen, dass dem BF als schiitischem Hazara derzeit durchaus eine reale Gefahr einer Verletzung seiner in der EMRK garantierten Rechte droht und ihm aktuell eine Neuansiedelung nicht möglich ist. Die Taliban geben sich zwar nach außen als moderater, allerdings werden diese Versprechen nach den oben zitierten Berichten in den von ihnen schon länger kontrollierten Gebieten bereits nach einer kurzen Anfangsphase nicht eingehalten. Dies nährt die Furcht einer Rückkehr ihrer Herrschaft von 1996 bis 2001 und der damaligen Bedrohung von Frauen, Ortskräften und Menschenrechtsaktivisten sowie der religiösen Minderheiten wie insbesondere der schiitischen Hazara. Die übereinstimmenden Berichte legen dar, dass vor allem die wirtschaftliche Situation derzeit besonders angespannt ist, zumal nicht klar ist, ob die Nichtregierungsorganisationen weiterarbeiten können/wollen und derzeit auch kein Zugriff auf die Reserven der Nationalbank besteht. Teils formiert sich auch Widerstand, der zu Kampfhandlungen im afghanischen Staatsgebiet führt. Auch der Arbeitsmarkt ist von diesen Unruhen betroffen. Aufgrund der unübersichtlichen Situation in Afghanistan stehen Rückkehrer derzeit vor unüberwindbaren Hürden. Zudem ist derzeit die Anreise kaum möglich, die Weiterreise ins Heimatdort nicht hinreichend sicher und kann der BF ohne ein entsprechendes Netzwerk auch in den allenfalls erreichbaren Städten nicht Fuß fassen.
Ferner leidet der BF wie bereits festgestellt an einer posttraumatischen Belastungsstörung und befindet sich in medikamentöser Behandlung sowie in Psychotherapie. Aufgrund der unübersichtlichen Lage und der ungewissen Entwicklung in Afghanistan kann nicht mit maßgeblicher Sicherheit festgestellt werden, ob der BF Zugang zur Gesundheitsversorgung haben wird beziehungsweise seine Behandlung in seinem Herkunftsstaat fortsetzen kann, auch wenn vor der Machtübernahme durch die Taliban psychische Probleme in Afghanistan behandelbar waren. Allerdings ist gerade auch die medizinische Versorgung in Afghanistan von ausländischen Hilfen abhängig, die derzeit nicht oder nur eingeschränkt geleistet werden kann. Hinzu kommt die schwierige Lage durch die Corona-Pandemie und die berichteten Engpässe im Bereich der medikamentösen Versorgung.
Eine Gesamtschau der Umstände führt zur Feststellung, dass es dem BF aufgrund der angespannten Situation aktuell nicht möglich und zumutbar ist, in Afghanistan eine Existenz aufzubauen oder zu seiner Familie zu gelangen, ohne eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner körperlichen Unversehrtheit zu riskieren.
III.6. Zu den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation in Afghanistan stützen sich auf die Sonderkurzinformationen der Staatendokumentation des BFA und den dort genannten Quellen. Diese Berichte stehen auch in Übereinstimmung mit den zahlreichen Berichten verschiedener angesehener seriöser Medien, sodass keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen. Diese Berichte wurden zwar weder dem BF noch dem BFA zur Stellungnahme übermittelt, allerdings sind beide dadurch nicht in ihren Parteirechten verletzt. Dem Antrag des BF wurde aufgrund dieser Berichtslage stattgeben, sodass in der Heranziehung der aktuellen Berichte keine Verletzung seiner Rechte erblickt werden kann. Das BFA ist nicht verletzt, weil diese Berichte von der Staatendokumentation des BFA und damit von diesem selbst erstellt wurden und diese Berichte auch vom BFA dessen Entscheidungen stets zugrunde gelegt werden.
IV. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.
IV.1. Zum Spruchpunkt A)
IV.1.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtig