Entscheidungsdatum
15.09.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W265 2192008-1/26E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Karin RETTENHABER-LAGLER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.03.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.
II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer eines Jahres erteilt.
IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III., IV., V., VI., VII. und VIII. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer reiste unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 03.04.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 04.04.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er unter anderem an, afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volkgruppe der Paschtunen und sunnitischer Muslim zu sein. Er stamme aus der Provinz Kapisa. Zu seinem Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer aus, er habe Afghanistan aufgrund der schlechten Sicherheitslage verlassen. In seinem Heimatdistrikt XXXX würden alle Dörfer von den Taliban kontrolliert. Täglich gebe es Kämpfe und Anschläge. Er möchte hier in Österreich ein friedliches Leben führen. Bei einer Rückkehr habe er Angst, getötet zu werden.
3. Am 03.08.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich zu einer möglichen Überstellung nach Ungarn einvernommen.
4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.08.2016 wurde der Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen. Für die Prüfung des Antrages sei gemäß Art. 18 (1) b Dublin-III-VO Ungarn zuständig (Spruchpunkt I.). Gemäß § 61 Abs.1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer die Außerlandesbringung angeordnet. Demzufolge sei gemäß § 61 Abs. 2 FPG seine Abschiebung nach Ungarn zulässig (Spruchpunkt II.).
5. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.01.2017, Zl. W161 2133050-1/4E, wurde der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG stattgegeben, der Asylantrag zugelassen und der bekämpfte Bescheid behoben.
6. Mit Eingabe vom 09.11.2017 übermittelte das Stadt- und Bezirkspolizeikommando XXXX einen Abschlussbericht vom 24.10.2017, wonach der Beschwerdeführer der Anbahnung von Sexualkontakten zu Unmündigen, der pornographischen Darstellung Minderjähriger (als Bestimmungstäter) und der Nötigung verdächtig sei.
7. Am 30.01.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Die Einvernahme wurde vor Beginn der inhaltlichen Befragung abgebrochen, da der Beschwerdeführer angab, vor drei Tagen operiert worden und nur bedingt einvernahmefähig zu sein. Er legte einen medizinischen Befund vor.
8. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 05.02.2018, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs. 2 StGB, des Vergehens der versuchten pornographischen Darstellung Minderjähriger als Bestimmungstäter nach §§ 12 2. Fall, 15 Abs. 1, 207a Abs. 1 Z 1, Abs. 4 Z 3 lit. b StGB, des Vergehens der Anbahnung von Sexualkontakten zu Unmündigen nach § 208a Abs. 1 Z 1 StGB und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, die ihm unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
9. Am 22.02.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er zu seinen persönlichen Umständen ergänzend im Wesentlichen an, er stamme aus dem Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Kapisa. Er habe dort neun Jahre die Schule besucht. Seine Familie habe eine große Landwirtschaft gehabt und Weizen und Granatäpfel verkauft. Seine Mutter, drei Brüder und eine Schwester würden nun im Iran leben, er habe Kontakt zu ihnen. Sein Vater sei bei der Flucht in den Iran verstorben. Ein Onkel und eine Tante väterlicherseits seien noch in Afghanistan, eine Tante mütterlicherseits in Pakistan. Im Rahmen der Einvernahme legte der Beschwerdeführer ein afghanisches Dokument, Integrationsunterlagen und medizinische Befunde vor.
Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, er sei von den Taliban beschuldigt worden, ein Spion zu sein. Bei ihnen in XXXX werde die Gegend zur Gänze von den Taliban beherrscht. Eines Tages, als Taliban auf dem Weg zu einem Bazar gewesen seien, seien sie auf dem Grundstück seiner Familie von einer Drohne angegriffen worden. Der Bruder und Cousin eines wichtigen Taliban seien dabei getötet worden. Der Beschwerdeführer sei zu dieser Zeit auf den Grundstücken gewesen und habe gearbeitet. Man habe ihn gesehen und den Taliban gesagt, dass er als einziger dort gewesen sei und ein Spion sein müsse. Am nächsten Tag gegen 7 Uhr früh seien zwei Taliban zu ihm nachhause gekommen und hätten ihn festgenommen. Sie hätten ihn in ein altes Haus neben dem Bazar gebracht, dort befinde sich ihr Gefängnis. Er sei drei Tage lang gefoltert worden, erst dann habe man ihm gesagt, dass er verdächtigt werde, als Spion den Tod eines Mannes verursacht zu haben. Am dritten Tag sei das Haus von ausländischen Truppen und der afghanischen Armee angegriffen worden. Die Truppen hätten sie befreit und mit Autos zu einem anderen Bazar gebracht, wo die Regierung vertreten sei. Sie seien befragt worden und am nächsten Tag freigelassen worden. Er sei dann zu seiner Tante väterlicherseits gegangen und fünf oder sechs Tage lang dortgeblieben. Er habe seinen Bruder angerufen und diesem alles erzählt. Dieser habe dann seine Ausreise organisiert. Seine Familie habe Afghanistan sechs Monate nach ihm verlassen, sie seien von den Taliban unter Druck gesetzt und nach ihm gefragt worden.
10. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit oben genanntem Bescheid vom 21.03.2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Weiters wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.), gegenüber ihm gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für eine freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 habe der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet am dem 05.02.2018 verloren (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 15b AsylG 2005 iVm § 7 Abs. 1 VwGVG habe er ab 16.03.2018 im XXXX durchgehend Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VIII.).
Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aufgrund einer der in der GFK genannten Gründe verfolgt werde oder aktuell einer relevanten Bedrohungssituation für Leib und Leben ausgesetzt sei. Weiters habe keine wie auch immer geartete, sonstige besondere Gefährdung seiner Person bei einer Rückkehr nach Afghanistan festgestellt werden können. Auch eine wirtschaftlich oder finanziell ausweglose Lage im Fall seiner Rückkehr drohe nicht. Seine Heimatprovinz Kapisa sei grundsätzlich sicher, jedoch von Kabul aus nicht sicher erreichbar, weshalb dem Beschwerdeführer eine Rückkehr dorthin nicht zumutbar sei. Ihm stehe aber eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul zur Verfügung, wo ihm als volljährigem und gesundem Mann mit Schulbildung und Berufserfahrung ein Leben auch ohne lokale familiäre Anknüpfungspunkte zumutbar sei.
11. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung mit Eingabe vom 04.04.2018 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. In dieser wurde nach erneuter Darstellung des Fluchtvorbringens im Wesentlichen ausgeführt, dass er im Fall der Rückkehr nach Afghanistan einer unmittelbaren Gefährdung durch die Taliban ausgesetzt wäre, da er sich aus deren Sicht ihren Vorstellungen widersetzt habe und vor ihnen geflüchtet sei. Dieser Verfolgung komme Asylrelevanz zu, da sie auf der dem Beschwerdeführer unterstellten politischen Gesinnung beruhe und der afghanische Staat nicht in der Lage sei, ihm ausreichenden Schutz zu gewähren. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe aufgrund des landesweiten nachrichtendienstlichen Netzwerks der Taliban nicht, wozu auf einen Länderbericht verwiesen wurde. Der Beschwerdeführer habe seine Fluchtgründe detailliert und glaubwürdig vorgebracht. Überdies sei die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor höchst volatil und die Versorgung von Rückkehrern unzureichend, weshalb ihm in einer Gesamtbetrachtung eine Rückkehr nicht zumutbar wäre. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung sei dem Beschwerdeführer internationaler Schutz zu gewähren.
12. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Schreiben vom 05.04.2018 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt, wo sie am 10.04.2018 einlangten.
13. Mit Eingabe vom 25.02.2020 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mehrere Vorfallsmeldungen der Unterkunft des Beschwerdeführers, wonach sich dieser in einem schlechten psychischen Zustand befinde und am 20.02.2020 durch eine Amtsärztin in eine psychiatrische Abteilung eingewiesen worden sei.
14. Mit Eingabe vom 03.09.2020 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen Abschlussbericht der Polizeiinspektion XXXX , wonach der Beschwerdeführer einer gefährlichen Drohung am 09.10.2019 verdächtig sei.
15. Mit Eingabe vom 04.09.2020 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Meldung zur Überstellung des Beschwerdeführers in eine neue Betreuungsstelle.
16. Mit Eingaben vom 09.11.2020 und 22.12.2020 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl jeweils medizinische Befunde betreffend den Beschwerdeführer.
17. Mit Eingabe vom 18.02.2021 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Rückkehrberatungsformular, wonach mit dem Beschwerdeführer am 29.01.2021 ein Rückkehrberatungsgespräch stattgefunden habe und dieser nicht rückkehrwillig sei.
18. Auf Grund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 29.06.2021 wurde die gegenständliche Rechtssache der zuvor zuständigen Gerichtsabteilung W201 abgenommen und der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung W265 zugewiesen.
19. Mit Eingabe vom 27.07.2021 ersuchte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung um Übermittlung näher genannter und sonst relevanter Aktenbestandteile, die ihm mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.07.2021 übermittelt wurden.
20. Mit Eingabe vom 29.07.2021 erstattete der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung eine Stellungnahme, in der im Wesentlichen ausgeführt wurde, aus den Richtlinien von UNHCR und EASO sei abzuleiten, dass Personen, die von den Taliban als Spione wahrgenommen werden, zu den Zielen mit besonders hohe Priorität zählen würden. Die Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers sei volatil, sein Herkunftsdistrikt sei der konfliktträchtigste in der gesamten Provinz und stehe mittlerweile unter völliger Kontrolle der Taliban. Durch seinen längeren Aufenthalt in Europa werde er erst recht als Feind der Taliban wahrgenommen, das Verfolgungsrisiko werde dadurch noch erhöht. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe nicht zur Verfügung. Dies bereits aufgrund des großen Wirkungsradius der Taliban, aber auch, weil es angesichts der aktuellen Entwicklungen seit Abzug der internationalen Truppen keine dauerhaft sicheren Gebiete in Afghanistan mehr gebe, auch nicht in Mazar-e Sharif oder Herat. Im Falle des Beschwerdeführers komme hinzu, dass er angesichts seiner Tumorerkrankung und seines psychiatrischen Zustands auf eine engmaschige medizinische und psychologische Versorgung angewiesen sei, die in Afghanistan nicht gewährleistet wäre. Die bei ihm indizierte Strahlentherapie sei in Afghanistan generell nicht verfügbar. Mit der Stellungnahme wurden Integrationsunterlagen und medizinische Befunde vorgelegt.
21. Mit Eingabe vom 04.08.2021 beantragte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung die Einvernahme von XXXX als Zeugen zu dem zwischen ihnen bestehenden „brüderlichen“ Naheverhältnis. Mit dem Antrag wurde eine Integrationsunterlage vorgelegt.
22. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 05.08.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer in Anwesenheit seiner Rechtsvertretung zu seinen Fluchtgründen, seinen persönlichen Umständen und seiner Integration in Österreich befragt wurde. XXXX wurde als Zeuge einvernommen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsniederschrift wurde der Erstbehörde übermittelt.
Der Beschwerdeführer legte Integrationsunterlagen und Lichtbilder vor. Das Bundesverwaltungsgericht brachte in der mündlichen Verhandlung Länderberichte in das Verfahren ein und räumte dem Beschwerdeführer die Möglichkeit ein, hierzu eine Stellungnahme abzugeben.
23. Mit Eingabe vom 18.08.2021 erstattete der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung eine Stellungnahme, in der im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass angesichts der jüngsten Entwicklungen in Afghanistan und der landesweiten Machtergreifung durch die Taliban allgemein keine innerstaatliche Fluchtalternative mehr gegeben sei, worauf auch UNHCR hinweise. Die Eskalation des Konfliktes würde sich zudem negativ auf die ohnehin mangelhafte medizinische Versorgung auswirken. Angesichts dieser Umstände sei – ungeachtet der allgemeinen Gefahren für alle Rückkehrer – festzuhalten, dass die erforderliche medizinische Versorgung des Beschwerdeführers in Afghanistan nicht gesichert sei. Dessen Tumorerkrankung könne im Fall der Veränderung des Tumors und bei Fehlen entsprechender Untersuchungen und rascher Behandlung tödlich verlaufen. Eine Abschiebung nach Afghanistan würde daher jedenfalls eine Verletzung der gemäß Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen. Mit der Stellungnahme wurden medizinische Befunde und Länderberichte vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, des genannten Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Stellungnahmen, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers, zu seinen persönlichen Umständen in Afghanistan, zu seiner Ausreise und zu seinem Gesundheitszustand:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Muslim. Seine Muttersprache ist Paschtu.
Der Beschwerdeführer stammt aus dem Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Kapisa, wo er bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan gelebt hat. Er hat dort neun Jahre die Grundschule besucht und in der Landwirtschaft seiner Familie sowie zwei bis drei Jahre auf Baustellen gearbeitet. Er verfügt über keine Berufsausbildung.
Es kann nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer ledig oder verheiratet ist. Er hat keine Kinder.
Die Familie des Beschwerdeführers besteht aus seiner Mutter, drei Brüdern und einer Schwester. Sein Vater ist bereits verstorben. Seine Kernfamilie lebt seit ca. fünf Jahren im Iran, mit einem seiner Brüder hat er selten Kontakt.
In Afghanistan leben im Herkunftsdistrikt des Beschwerdeführers noch ein Onkel und eine Tante väterlicherseits, mit denen er keinen Kontakt hat. Eine Tante mütterlicherseits lebt in Pakistan. In Österreich lebt ein Cousin väterlicherseits, mit dem er gelegentlich Kontakt hat.
Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan 2016 allein und stellte am 03.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Der Beschwerdeführer leidet an einem Glomus-jugulare-Tumor rechts, der mit (gelegentlich starken) Schmerzen im rechten Hals-, Ohren- und Stirnbereich verbunden ist. Von Dezember 2020 bis Februar 2021 wurde eine Bestrahlung durchgeführt, ein operativer Eingriff ist aufgrund des Risikos nicht geplant. Indiziert sind derzeit eine Schmerztherapie, regelmäßige MRT-Untersuchungen sowie engmaschige neurologische und psychiatrische Kontrollen. Im Fall einer Veränderung des Tumors wäre eine neuerliche Bestrahlung indiziert. Weiters leidet der Beschwerdeführer an einer Depression, die mit Antidepressiva und einer Gesprächstherapie behandelt wird.
Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 05.02.2018, Zl. XXXX , wegen des Vergehens der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs. 2 StGB, des Vergehens der versuchten pornographischen Darstellung Minderjähriger als Bestimmungstäter nach §§ 12 2. Fall, 15 Abs. 1, 207a Abs. 1 Z 1, Abs. 4 Z 3 lit. b StGB, des Vergehens der Anbahnung von Sexualkontakten zu Unmündigen nach § 208a Abs. 1 Z 1 StGB und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, die ihm unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Davon abgesehen ist er in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Dem Beschwerdeführer wurde in Afghanistan nicht von den Taliban vorgeworfen, als Spion der afghanischen Regierung oder ausländischer Streitkräfte für einen Drohnenangriff auf diese verantwortlich zu sein. Er wurde von den Taliban nicht mitgenommen und drei Tage festgehalten. Ihm droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht konkret und individuell die Gefahr physischer und/oder psychischer Gewalt durch die Taliban.
Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht alleine auf Grund der Tatsache, dass er mehrere Jahre in Europa verbracht hat, konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan. Ebenso wenig ist jeder Rückkehrer aus Europa alleine aufgrund dieses Merkmals in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan
Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Fassung vom 11.06.2021 (auszugsweise, LIB), in der UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan vom August 2021 (UNHCR 2021), in der Kurzinformation der Staatendokumentation, Aktuelle Entwicklungen und Informationen in Afghanistan, Stand 20.08.2021 (KI Staatendokumentation), in den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 (UNHCR), den EASO-Leitlinien zu Afghanistan vom Dezember 2020 (EASO) und in der Arbeitsübersetzung Landinfo Report „Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne“ vom 23.08.2017 (Landinfo) enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:
1.3.1. Allgemeine aktuelle Sicherheitslage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (LIB).
Als Folge des Rückzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan hat sich die Sicherheits- und Menschenrechtslage in großen Teilen des Landes rapide verschlechtert. Die Taliban haben in einer schnell wachsenden Anzahl an Provinzen die Kontrolle übernommen, wobei sich ihr Vormarsch im August 2021 nochmals beschleunigte, als sie 26 von 34 Provinzhauptstädten innerhalb von zehn Tagen einnahmen und schließlich den Präsidentenpalast in Kabul unter ihre Kontrolle brachten. Die stark zunehmende Gewalt hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Kindern (UNHCR 2021).
Aufgrund des Konflikts sind seit Anfang 2021 Schätzungen zufolge über 550.000 Afghan*innen innerhalb des Landes neu vertrieben worden, davon 126.000 neue Binnenvertriebene allein zwischen 7. Juli und 9. August 2021. Während es bis dato noch keine genauen Zahlen gibt, wie viele Afghan*innen das Land aufgrund der Kampfhandlungen und Menschenrechtsverletzungen verlassen haben, haben Berichten zufolge zehntausende Afghan*innen in den letzten Wochen die Landesgrenzen überschritten (UNHCR 2021).
Die Spitzenpolitiker der Taliban sind aus Katar, wo viele von ihnen im Exil lebten, nach Afghanistan zurückgekehrt. Frauen werden Rechte gemäß der Scharia [islamisches Recht] genießen, so der Sprecher der Taliban. Nach Angaben des Weißen Hauses haben die Taliban versprochen, dass Zivilisten sicher zum Flughafen von Kabul reisen können. Berichten zufolge wurden Afghanen auf dem Weg dorthin von Taliban-Wachen verprügelt. Lokalen Berichten zufolge sind die Straßen von Kabul ruhig. Die Militanten sind in der ganzen Stadt unterwegs und besetzen Kontrollpunkte (KI Staatendokumentation).
Die internationalen Evakuierungsmissionen von Ausländerinnen und Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan gehen weiter, immer wieder gibt es dabei Probleme. Die Angaben darüber, wie viele Menschen bereits in Sicherheit gebracht werden konnten, gehen auseinander, die Rede ist von 2.000 bis 4.000, hauptsächlich ausländisches Botschaftspersonal. Es mehren sich aktuell Zweifel, dass auch der Großteil der Ortskräfte aus dem Land gebracht werden kann. Bei Protesten gegen die Taliban in Jalalabad wurden unterdessen laut Augenzeugen drei Menschen getötet (KI Staatendokumentation).
Jalalabad wurde kampflos von den Taliban eingenommen. Mit ihrer Einnahme sicherte sich die Gruppe wichtige Verbindungsstraßen zwischen Afghanistan und Pakistan. Am Mittwoch (18.08.2021) wurden jedoch Menschen in der Gegend dabei gefilmt, wie sie zur Unterstützung der alten afghanischen Flagge marschierten, bevor Berichten zufolge in der Nähe Schüsse abgefeuert wurden, um die Menschenmenge zu zerstreuen. Das von den Taliban neu ausgerufene Islamische Emirat Afghanistan hat bisher eine weiße Flagge mit einer schwarzen Schahada (Glaubensbekenntnis) verwendet. Die schwarz-rot-grüne Trikolore, die von den Demonstranten verwendet wurde, gilt als Symbol für die abgesetzte Regierung. Der Sprecher der Taliban erklärte, dass derzeit Gespräche über die künftige Nationalflagge geführt werden, wobei eine Entscheidung von der neuen Regierung getroffen werden soll (KI Staatendokumentation).
Während auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul weiter der Ausnahmezustand herrscht, hat es bei einer Kundgebung in einer Provinzhauptstadt erneut Tote gegeben. In der Stadt Asadabad in der Provinz Kunar wurden nach Angaben eines Augenzeugen mehrere Teilnehmer einer Kundgebung zum afghanischen Nationalfeiertag getötet. Widerstand bildete sich auch im Panjshirtal, eine Hochburg der Tadschiken nordöstlich von Kabul. In der „Washington Post“ forderte ihr Anführer Ahmad Massoud, Chef der Nationalen Widerstandsfront Afghanistans, Waffen für den Kampf gegen die Taliban. Er wolle den Kampf für eine freiheitliche Gesellschaft fortsetzen (KI Staatendokumentation).
Einem Geheimdienstbericht für die UN zufolge verstärken die Taliban die Suche nach „Kollaborateuren“. In mehreren Städten kam es zu weiteren Anti-Taliban-Protesten. Nach Angaben eines Taliban-Beamten wurden seit Sonntag mindestens 12 Menschen auf dem Flughafen von Kabul getötet. Westliche Länder evakuieren weiterhin Staatsangehörige und Afghanen, die für sie arbeiten. Der IWF erklärt, dass Afghanistan keinen Zugang mehr zu seinen Geldern haben wird (KI Staatendokumentation).
Vor den Taliban in Afghanistan flüchtende Menschen sind in wachsender medizinischer Not. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete, dass in Kliniken in Kabul und anderen afghanischen Städten immer mehr Fälle von Durchfallerkrankungen, Mangelernährung, Bluthochdruck und Corona-Symptomen aufträten. Dazu kämen vermehrt Schwangerschaftskomplikationen. Die WHO habe zwei mobile Gesundheitsteams bereitgestellt, aber der Einsatz müsse wegen der Sicherheitslage immer wieder unterbrochen werden (KI Staatendokumentation).
Priorität für die Vereinten Nationen (VN) hat derzeit, dass die UNAMA-Mission in Kabul bleibe. Derzeit befindet sich ein Teil des VN-Personals am Flughafen, um einen anderen Standort (unklar ob in AF) aufzusuchen und von dort die Tätigkeit fortzuführen. Oberste Priorität der VN sei es die Präsenz im Land sicherzustellen. Zwecks Sicherstellung der humanitären Hilfe werde auch mit den Taliban verhandelt (? Anerkennung). Ein Schlüsselelement dabei ist die VN-Sicherheitsrat Verlängerung des UNAMA-Mandats am 17. September 2021 (KI Staatendokumentation).
1.3.2. Allgemeine Wirtschaftslage
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. Das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten bleibt eklatant. Während in ländlichen Gebieten bis zu 60 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, so leben in urbanen Gebieten rund 41,6 % unter der nationalen Armutsgrenze (LIB).
1.3.3. Ethnische Gruppen
In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 36 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht. Schätzungen zufolge sind 40 bis 42 % Paschtunen, 27 bis 30 % Tadschiken, 9 bis 10 % Hazara, 9 % Usbeken, ca. 4 % Aimaken, 3 % Turkmenen und 2 % Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (LIB).
Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: „Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimak, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane‘ wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet“ (LIB)
Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag bestehen fort und werden nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB).
Ethnische Paschtunen sind mit ca. 40 % der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sie sind sunnitische Muslime. Die Paschtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50 % der Gesamtsitze. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44 % in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB).
Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben (LIB).
Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Paschtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (LIB).
Die Taliban sind eine vorwiegend paschtunische Bewegung, werden aber nicht als nationalistische Bewegung gesehen. Die Taliban rekrutieren auch aus anderen ethnischen Gruppen. Die Unterstützung der Taliban durch paschtunische Stämme ist oftmals in der Marginalisierung einzelner Stämme durch die Regierung und im Konkurrenzverhalten oder der Rivalität zwischen unterschiedlichen Stämmen begründet (LIB).
1.3.4. Taliban
In Afghanistan sind unterschiedliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB).
Die Taliban sind seit Jahrzehnten in Afghanistan aktiv. Die Taliban-Führung regierte Afghanistan bereits zwischen 1996 und 2001, als sie von US-amerikanischen/internationalen Streitkräften entmachtet wurde; nach ihrer Entmachtung hat sie weiterhin einen Aufstand geführt. Seit 2001 hat die Gruppe einige Schlüsselprinzipien beibehalten, darunter eine strenge Auslegung der Scharia in den von ihr kontrollierten Gebieten. Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert, welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (LIB).
Die Taliban sind eine religiös motivierte, religiös konservative Bewegung, die das, was sie als ihre zentralen „Werte“ betrachten, nicht aufgeben wird. Wie sich diese Werte in einer künftigen Verfassung widerspiegeln und in der konkreten Politik einer eventuellen Regierung der Machtteilung, die die Taliban einschließt, zum Tragen kommen, hängt von den täglichen politischen Verhandlungen zwischen den verschiedenen politischen Kräften und dem Kräfteverhältnis zwischen ihnen ab. Sie sehen sich nicht als bloße Rebellengruppe, sondern als eine Regierung im Wartestand und bezeichnen sich selbst als „Islamisches Emirat Afghanistan“, der Name, den sie benutzten, als sie von 1996 bis zu ihrem Sturz nach den Anschlägen vom 11.09.2001 an der Macht waren (LIB).
Die Anführer der Taliban
Mit der Eroberung Kabuls haben die Taliban 20 Jahre nach ihrem Sturz wieder die Macht in Afghanistan übernommen. Dass sie sich in ersten öffentlichen Statements gemäßigter zeigen, wird von internationalen Beobachtern mit viel Skepsis beurteilt. Grund dafür ist unter anderem auch, dass an der Spitze der Miliz vor allem jene Männer stehen, die in den vergangenen Jahrzehnten für Terrorangriffe und Gräueltaten im Namen des Islam verantwortlich gemacht werden. Geheimdienstkreisen zufolge führen die Taliban derzeit Gespräche, wie ihre Regierung aussehen wird, welchen Namen und Struktur sie haben soll und wer sie führen wird. Demzufolge könnte Abdul Ghani Baradar einen Posten ähnlich einem Ministerpräsidenten erhalten („Sadar-e Asam“) und allen Ministern vorstehen. Er trat in den vergangenen Jahren als Verhandler und Führungsfigur als einer der wenigen Taliban Führer auch nach außen auf (KI Staatendokumentation).
Wesentlich weniger international im Rampenlicht steht der eigentliche Taliban-Chef und „Anführer der Gläubigen“ (arabisch: amir al-mu’minin), Haibatullah Akhundzada. Er soll die endgültigen Entscheidungen über politische, religiöse und militärische Angelegenheiten der Taliban treffen. Der religiöse Hardliner gehört ebenfalls zur Gründergeneration der Miliz, während der ersten Taliban-Herrschaft fungierte er als oberster Richter des SchariaGerichts, das für unzählige Todesurteile verantwortlich gemacht wird (KI Staatendokumentation).
Der Oberste Rat der Taliban ernannte 2016 zugleich Mohammad Yaqoob und Sirajuddin Haqqani zu Akhundzadas Stellvertretern. Letzterer ist zugleich Anführer des für seinen Einsatz von Selbstmordattentätern bekannten Haqqani-Netzwerks, das von den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Es soll für einige der größten Anschläge der vergangenen Jahre in Kabul verantwortlich sein, mehrere ranghohe afghanische Regierungsbeamte ermordet und etliche westliche Bürger entführt haben. Vermutet wird, dass es die Taliban-Einsätze im gebirgigen Osten des Landes steuert und großen Einfluss in den Führungsgremien der Taliban besitzt. Der etwa 45-jährige Haqqani wird von den USA mit einem siebenstelligen Kopfgeld gesucht (KI Staatendokumentation).
Zur alten Führungsriege gehört weiters Sher Mohammad Abbas Stanikzai. In der Taliban Regierung bis 2001 war er stellvertretender Außen- und Gesundheitsminister. 2015 wurde er unter Mansoor Akhtar Büroleiter der Taliban. Als Chefunterhändler führte er später die Taliban-Delegationen bei den Verhandlungen mit den USA und der afghanischen Regierung an (KI Staatendokumentation).
Ein weiterer offenkundig hochrangiger Taliban ist der bereits seit Jahren als Sprecher der Miliz bekannte Zabihullah Mujahid. In einer ersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme schlug er, im Gegensatz zu seinen früheren Aussagen, versöhnliche Töne gegenüber der afghanischen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft an (KI Staatendokumentation).
Stärke der Taliban-Kampftruppen
Obwohl in den vergangenen Jahren 100.000 ausländische Soldaten im Land waren, konnten die Taliban-Führer eine offenkundig von ausländischen Geheimdiensten unterschätzte Kampftruppe zusammenstellen. Laut BBC geht man derzeit von rund 60.000 Kämpfern aus, mit Unterstützern aus anderen Milizen sollen fast 200.000 Männer aufseiten der Taliban den Sturz der Regierung ermöglicht haben. Völlig unklar ist noch, wie viele Soldaten aus der Armee übergelaufen sind (KI Staatendokumentation).
Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach „fehlverhalten“, unter anderem Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges, oder Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer „feindlicher“ Regierungen, Kollaborateure oder Auftragnehmer der afghanischen Regierung oder des ausländischen Militärs, oder Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der (ehemaligen) Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperationen an die Taliban zu binden. Diese Personen können einer „Verurteilung“ durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlich „feindseligen“ Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen (Landinfo 1, Kapitel 4).
1.3.5. Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf verschiedene Lebensbereiche
Aktuelle Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan
Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.02.2020 in Herat festgestellt (LIB).
Die Delta-Variante treibt Beobachtern zufolge die COVID-19-Infektionen in Afghanistan in die Höhe, wobei die Dunkelziffer an Fällen weiterhin als sehr hoch geschätzt wird. Krankenhäuser kommen weiterhin an ihre Belastungsgrenze und es sind nicht genug Betten vorhanden um neue Covid-19 Patienten zu behandeln. Gesundheitseinrichtungen berichten auch von Engpässen bei medizinischem Material und Sauerstoff. Schulen und Universitäten sind weiterhin geschlossen und es gibt Berichte, wonach sich Menschen nicht streng an die Vorgaben halten und häufig keine Masken tragen. Anfang Juli erreichten mehr als 1,4 Millionen Impfdosen des Herstellers Johnson & Johnson Afghanistan. Die Impfraten in Afghanistan sind nach wie vor extrem niedrig, weniger als 4 % der Bevölkerung sind geimpft (LIB).
COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN – d. s. ca. € 37,-) (LIB).
Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt. Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (LIB).
1.3.6. Medizinische Versorgung – Stand 11.06.2021
Seit 2002 hat sich die medizinische Versorgung in Afghanistan stark verbessert, dennoch bleibt sie im regionalen Vergleich zurück. Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit gab es deutliche Verbesserungen. Trotz der im Entwicklungsländervergleich relativ hohen Ausgaben für Gesundheit ist die Gesundheitsversorgung im ganzen Land sowohl in den von den Taliban als auch in den von der Regierung beeinflussten Gebieten generell schlecht. Zum Beispiel gibt es in Afghanistan 2,3 Ärzte und fünf Krankenschwestern und Hebammen pro 10.000 Menschen, verglichen mit einem weltweiten Durchschnitt von 13 bzw. 20. (LIB)
Der Konflikt, COVID-19 und unzureichende Investitionen in die Infrastruktur treiben den Gesundheitsbedarf an und verhindern, dass die betroffenen Menschen rechtzeitig sichere, ausreichend ausgestattete Gesundheitseinrichtungen und -dienste erhalten. Gleichzeitig haben der aktive Konflikt und gezielte Angriffe der Konfliktparteien auf Gesundheitseinrichtungen und -personal zur periodischen, verlängerten oder dauerhaften Schließung wichtiger Gesundheitseinrichtungen geführt, wovon in den ersten zehn Monaten des Jahres 2020 bis zu 1,2 Mio. Menschen in mindestens 17 Provinzen betroffen waren. (LIB)
90 % der medizinischen Versorgung in Afghanistan wird nicht direkt vom Staat erbracht, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die unter Vertrag genommen werden. Durch dieses Vertragssystem wird die primäre, sekundäre und tertiäre Gesundheitsversorgung bereitgestellt, Primärversorgungsleistungen auf Gemeinde- oder Dorfebene, Sekundärversorgungsleistungen auf Distriktebene und Tertiärversorgungsleistungen auf Provinz- und nationaler Ebene. Es mangelt jedoch an Investitionen in die medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während es in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken gibt, ist es für viele Afghanen schwierig, in ländlichen Gebieten eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen. Nach Berichten von UNOCHA haben rund zehn Mio. Menschen in Afghanistan nur eingeschränkten oder gar keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung. (LIB)
Die Verfügbarkeit und Qualität der Basisversorgung ist durch den Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenten (insbesondere Hebammen), den Mangel an Medikamenten, schlechtes Management und schlechte Infrastruktur eingeschränkt. Darüber hinaus herrscht in der Bevölkerung ein starkes Misstrauen gegenüber der staatlich finanzierten medizinischen Versorgung. Die Qualität der Kliniken ist sehr unterschiedlich. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. (LIB)
Insbesondere die COVID-19-Pandemie offenbarte die Unterfinanzierung und Unterentwicklung des öffentlichen Gesundheitssystems, das akute Defizite in der Prävention (Schutzausrüstung), Diagnose (Tests) und medizinischen Versorgung der Kranken aufweist. Die Verfügbarkeit und Qualität der Basisversorgung ist durch den Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenten (insbesondere Hebammen), den Mangel an Medikamenten, schlechtes Management und schlechte Infrastruktur eingeschränkt. (LIB)
Einige der Regional- und Provinzkrankenhäuser in den Großstädten wurden im Hinblick auf COVID-19 mit Test- und Quarantäneeinrichtungen ausgestattet. Menschen mit Anzeichen von COVID-19 werden getestet und die schwer Erkrankten im Krankenhaus in Behandlung genommen. Die Kapazität solcher Krankenhäuser ist jedoch aufgrund fehlender Ausrüstung begrenzt. In den anderen Provinzen schicken die Gesundheitszentren, die nicht über entsprechende Einrichtungen verfügen, die Testproben in die Hauptstadt und geben die Ergebnisse nach sechs bis zehn Tagen bekannt. Im Großteil der Krankenhäuser werden nur grundlegende Anweisungen und Maßnahmen empfohlen, es gibt keine zwingenden Vorschriften, und selbst die Infizierten erfahren nur grundlegende und normale Behandlung. (LIB)
Neben dem öffentlichen Gesundheitssystem gibt es auch einen weitverbreiteten, aber teuren privaten Sektor. Trotz dieser höheren Kosten wird berichtet, dass über 60 % der Afghanen private Gesundheitszentren als Hauptansprechpartner für Gesundheitsdienstleistungen nutzen. Vor allem Afghanen, die außerhalb der großen Städte leben, bevorzugen die private Gesundheitsversorgung wegen ihrer wahrgenommenen Qualität und Sicherheit, auch wenn die dort erhaltene Versorgung möglicherweise nicht von besserer Qualität ist als in öffentlichen Einrichtungen. Die Kosten für Diagnose und Behandlung variieren dort sehr stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden, was den privaten Sektor sehr vielfältig macht mit einer uneinheitlichen Qualität der Leistungen, die oft unzureichend sind oder nicht dem Standard entsprechen. (LIB)
Nur eine begrenzte Anzahl von staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenlose medizinische Versorgung an. Voraussetzung für die kostenlose Behandlung ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft durch einen Personalausweis oder eine Tazkira. Alle Bürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Allerdings gibt es manchmal einen Mangel an Medikamenten. Daher werden die Patienten an private Apotheken verwiesen, um verschiedene Medikamente selbst zu kaufen, oder sie werden gebeten, für medizinische Leistungen, Labortests und stationäre Behandlungen zu zahlen. Medikamente können auf jedem afghanischen Markt gekauft werden, und die Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produkts. Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern unterscheiden sich von den lokalen Marktpreisen. (LIB)
Private Krankenhäuser befinden sich meist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar, und die medizinische Ausstattung ist oft veraltet oder nicht vorhanden. Eine Unterbringung von Patienten ist nur möglich, wenn sie durch Familienangehörige oder Bekannte mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln versorgt werden. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. (LIB)
Die Patienten müssen für alle Medikamente bezahlen, außer für Medikamente in der Primärversorgung, die in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen kostenlos sind. Für bestimmte Arten von Medikamenten ist ein Rezept erforderlich. Obwohl es in Afghanistan viele Apotheken gibt, sind Medikamente nur in städtischen Gebieten leicht zugänglich, da es dort viele private Apotheken gibt. In ländlichen Gebieten ist dies weniger der Fall. Auf den afghanischen Märkten sind mittlerweile alle Arten von Medikamenten erhältlich, aber die Kosten variieren je nach Qualität, Firmennamen und Hersteller. Die Qualität dieser Medikamente ist oft gering; die Medikamente sind abgelaufen oder wurden unter schlechten Bedingungen transportiert. (LIB)
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seinen persönlichen Umständen in Afghanistan, seiner Ausreise und seinem Gesundheitszustand:
Die Feststellung zum Namen und Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers (Name und Geburtsdatum) getroffen wurden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung des Beschwerdeführers im Asylverfahren.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie Muttersprache des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen – im Wesentlichen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden – Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.
Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Geburtsort, seinen Aufenthaltsorten, seinem schulischen und beruflichen Werdegang, seinen Familienangehörigen und seiner Einreise nach Österreich waren im Wesentlichen gleichbleibend und widerspruchsfrei, weitgehend chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der bestehenden sozio-ökonomischen Strukturen in Afghanistan plausibel.
Nicht gefolgt werden konnte hingegen den Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Familienstand, da diese in höchstem Maße widersprüchlich waren. Während er in der Erstbefragung angab, verheiratet zu sein und den Namen und das ungefähre Alter seiner – vermeintlichen – Ehefrau nannte (vgl. AS 23, 25), behauptete er im weiteren Verfahren stets, nie verheiratet gewesen zu sein, und dass es sich um ein Missverständnis handeln müsse. Der Beschwerdeführer konnte jedoch zu keiner Zeit nachvollziehbar erklären, wie es diesfalls zur Angabe eines Namens und eines Alters in der Erstbefragung gekommen sein soll. Mangels sonstiger, in die eine oder andere Richtung weisender Beweisergebnisse konnte somit nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer ledig oder verheiratet ist.
Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zu den Erkrankungen des Beschwerdeführers und dem sich daraus ergebenden Behandlungsbedarf ergeben sich aus den von ihm Laufe des Verfahrens vorgelegten medizinischen Unterlagen (vgl. insbesondere OZ 19 und 25).
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug und dem vorliegenden Urteil des Landesgerichts XXXX vom 05.02.2018, Zl. XXXX .
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
2.2.1. Zur behaupteten Gefahr einer Verfolgung durch die Taliban:
Dass das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend eine ihm drohende Verfolgung durch die Taliban wegen des Vorwurfs, als Spion der afghanischen Regierung oder ausländischer Streitkräfte für einen Drohnenangriff auf diese verantwortlich gewesen zu sein, nicht glaubhaft war, ergibt sich aus einer Gesamtschau der im Folgenden dargelegten beweiswürdigenden Erwägungen. Im Besonderen steigerte der Beschwerdeführer sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens deutlich und weisen seine Angaben eine Reihe klarer Widersprüche und Ungereimtheiten auf, die er nicht plausibel auflösen konnte. Auch die vorgelegten Beweismittel waren nicht geeignet, das Vorbringen zu stützen.
In seiner polizeilichen Erstbefragung brachte der Beschwerdeführer vor, er habe Afghanistan aufgrund der schlechten Sicherheitslage verlassen. In seinem Heimatdistrikt XXXX würden alle Dörfer von den Taliban kontrolliert. Täglich gebe es Kämpfe und Anschläge. Er möchte hier in Österreich ein friedliches Leben führen. Bei einer Rückkehr habe er Angst, getötet zu werden (vgl. AS 31).
In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, er sei von den Taliban beschuldigt worden, ein Spion zu sein. Bei ihnen in XXXX werde die Gegend zur Gänze von den Taliban beherrscht. Eines Tages, als Taliban auf dem Weg zu einem Bazar gewesen seien, seien sie auf dem Grundstück seiner Familie von einer Drohne angegriffen worden. Der Bruder und Cousin eines wichtigen Taliban seien dabei getötet worden. Der Beschwerdeführer sei zu dieser Zeit auf den Grundstücken gewesen und habe gearbeitet. Man habe ihn gesehen und den Taliban gesagt, dass er als einziger dort gewesen sei und ein Spion sein müsse. Am nächsten Tag gegen 7 Uhr früh seien zwei Taliban zu ihm nachhause gekommen und hätten ihn festgenommen. Sie hätten ihn in ein altes Haus neben dem Bazar gebracht, dort befinde sich ihr Gefängnis. Er sei drei Tage lang gefoltert worden, erst dann habe man ihm gesagt, dass er verdächtigt werde, als Spion den Tod eines Mannes verursacht zu haben. Am dritten Tag sei das Haus von ausländischen Truppen und der afghanischen Armee angegriffen worden. Die Truppen hätten sie befreit und mit Autos zu einem anderen Bazar gebracht, wo die Regierung vertreten sei. Sie seien befragt worden und am nächsten Tag freigelassen worden. Er sei dann zu seiner Tante väterlicherseits gegangen und fünf oder sechs Tage lang dortgeblieben. Er habe seinen Bruder angerufen und diesem alles erzählt. Dieser habe dann seine Ausreise organisiert. Seine Familie habe Afghanistan sechs Monate nach ihm verlassen, sie seien von den Taliban unter Druck gesetzt und nach ihm gefragt worden (vgl. AS 399-402).
In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, er sei von den Taliban festgehalten und ihm sei vorgeworfen worden, dass er ein Spion sei. Ihr Bezirk sei immer unter Kontrolle der Taliban gewesen. Zwei Jahre vor seinen Problemen sei ein Taliban-Kommandant in der Nähe ihres Grundstücks mit einer Drohne getötet worden. Zwei Jahre später seien auch dessen Bruder und Cousin auf dem Weg zu einem Bazar mit Drohnen getötet worden. Er habe an diesem Tag auf seinen Feldern gearbeitet und sei gesehen worden. Jemand habe den Taliban gesagt, dass er spioniert habe und für den Mord an den beiden verantwortlich sei. Während des Angriffs sei er nachhause gelaufen. Am nächsten Tag seien gegen 7 Uhr früh zwei Taliban zu ihnen gekommen und hätten nach ihm gefragt. Sie hätten ihn mitgenommen und zu einem Gefängnis an einem Bazar gebracht. Drei Tage lang sei er dort gewesen und massiv geschlagen worden. Er habe nicht gewusst, was er getan habe. Nach drei Tagen sei ihm gesagt worden, dass er ein Spion sei. Als Spion bleibe man nicht lange am Leben. Dann sei das Gefängnis von ausländischen Truppen und afghanischen Streitkräften angegriffen worden. Er sei befreit und zu einem anderen Bazar mitgenommen worden, der sich unter Kontrolle der Regierung befunden habe. Sie hätten dort übernachtet und seien am nächsten Tag befragt worden. Dann sei er wieder frei gewesen und sei zu seiner Tante gegangen, wo er fünf bis sechs Tage geblieben sei. Er habe dann seinen Bruder kontaktiert und dieser habe dann seine Ausreise organisiert (vgl. S. 14-21 des Verhandlungsprotokolls).
Zunächst ist augenscheinlich, dass der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen im Laufe des Verfahrens deutlich steigerte. Während er in der polizeilichen Erstbefragung lediglich angab, Afghanistan aufgrund der schlechten Sicherheitslage verlassen zu haben, weil in seinem Heimatdistrikt alle Dörfer von den Taliban kontrolliert würden und es täglich Kämpfe und Anschläge gebe (vgl. AS 31), brachte er vor der belangten Behörde erstmals vor, von den Taliban persönlich als vermeintlicher Spion verfolgt und drei Tage in einem Taliban-Gefängnis festgehalten worden zu sein.
Das Gericht verkennt bei der Würdigung der Aussagen des Beschwerdeführers in der Erstbefragung nicht, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG die Erstbefragung „insbesondere“ der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden dient und sich nicht auf die „näheren“ Fluchtgründe zu beziehen hat. Die Beweisergebnisse der Erstbefragung dürfen nicht unreflektiert übernommen werden (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061). Ein vollständiges Beweisverwertungsverbot normiert § 19 Abs. 1 AsylG jedoch nicht. Im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen können Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten in den Angaben in der Erstbefragung zu späteren Angaben – unter Abklärung und in der Begründung vorzunehmender Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind – einbezogen werden (VwGH 26.03.2019, Ra 2018/19/0607 bis 0608-12, VwGH 28.06.2018, Ra 2018/19/0271, mwN).
Doch auch unter Berücksichtigung des Zwecks einer Erstbefragung ist für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer seinen angeblich zentralen Fluchtgrund, eine Verfolgung durch die Taliban als vermeintlicher Spion samt dreitägiger Gefangennahme, in seiner Erstbefragung mit keinem Wort erwähnen und stattdessen nur auf die allgemein schlechte Sicherheitslage verweisen sollte. Er gab im weiteren Verfahren stets an, ausschließlich aus diesem Grund – und nur wenige Tage nach seiner Befreiung – aus Afghanistan geflohen zu sein. Diesfalls wäre zu erwarten, dass er dies auf die Frage, warum er sein Heimatland verlassen habe, auch vorbringen würde. Der Beschwerdeführer bestätigte vor der Erstbefragung, den Dolmetscher zu verstehen und der Einvernahme ohne Probleme folgen zu können, und danach, dass ihm die Niederschrift rückübersetzt worden sei, er keine Korrekturen zu machen und alles verstanden habe (vgl. AS 25, 27, 33).
Auch in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde gestand der Beschwerdeführer zu, die persönliche Bedrohung in der Erstbefragung nicht erwähnt zu haben. Auf Vorhalt der gesteigerten Angaben sagte er, er habe für die Erstbefragung keine Ladung so wie heute bekommen und zehn Minuten Zeit gehabt, alles zu erzählen. Es stimme, er habe nur angegeben, aus dem gefährlichsten Distrikt Afghanistans zu kommen (vgl. AS 402). Eine nachvollziehbare Erklärung dafür, sein vermeintlich zentrales Fluchtmotiv in der Erstbefragung nicht erwähnt zu haben, fand er damit aber nicht. Auch ohne Vorbereitung hätte es dem Beschwerdeführer möglich sein sollen, den Grund seiner Flucht kurz zusammenzufassen. In der Einvernahme war er durchaus in der Lage, das Fluchtvorbringen auch in zwei kurzen Sätzen wiederzugeben („Mir wurde Spionage vorgeworfen. Mein Leben war in Gefahr.“, vgl. AS 402).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein gesteigertes Vorbringen im Allgemeinen nicht als glaubhaft anzusehen. Vielmehr müsse grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH). Vor diesem Hintergrund bestehen bereits im Hinblick auf die – nicht allein durch den Zweck der Erstbefragung erklärbare – Steigerung des Vorbringens Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers betreffend eine Bedrohung durch die Taliban als vermeintlicher Spion. Es liegt vielmehr nahe, dass es sich bei den ursprünglichen Angaben des Beschwerdeführers, in denen er auf die schlechte Sicherheitslage und die Herrschaft der Taliban in seinem Herkunftsdistrikt verwies, um seine tatsächlichen Ausreisegründe handelt.
Des Weiteren verstrickte sich der Beschwerdeführer bei seinen Schilderungen in mehrere klare Widersprüche, die er nicht nachvollziehbar auflösen konnte. So gab er in der Einvernahme vor der belangten Behörde an, dass er im Gefängnis der Taliban „3 Tage lang gefoltert“ worden sei (vgl. AS 399). Auch in der mündlichen Verhandlung sagte er zunächst: „Drei Tage lang war ich in diesem Gefängnis. Ich wurde massiv geschlagen.“ (vgl. S. 15 des Verhandlungsprotokolls). Später in der Verhandlung gab er jedoch auf entsprechende Nachfrage der erkennenden Richterin an, dass er nur einmal, nämlich bei seiner „Befragung“ am dritten Tag, geschlagen worden sei, die drei Tage sei er nur in Haft gewesen (vgl. S. 17). Dies widerspricht insbesondere seiner Angabe in der behördlichen Einvernahme, er sei drei Tage lang gefoltert worden, deutlich. Auf Vorhalt des Widerspruchs wiederholte er zunächst nur, dass er (in den drei Tagen) nicht geschlagen worden sei, aber es seien andere Leute in das Zimmer gebracht und geschlagen worden. Den Widerspruch löste er damit nicht auf. Schließlich gab er an, er habe bei der Behörde nicht gesagt, dass er drei Tage lang gefoltert worden sei. Er habe gesagt, dass er drei Tage lang in Haft gewesen sei (vgl. S. 17). Dies ist nicht glaubhaft: Die Niederschrift der Einvernahme wurde dem Beschwerdeführer rückübersetzt und er bestätigte zweimal deren Richtigkeit und gab an, dass er den Dolmetscher gut verstanden habe (vgl. AS 401, 403), was er auch in der mündlichen Verhandlung noch einmal bekräftigte (vgl. S. 7 des Verhandlungsprotokolls).
Ebenso widersprüchlich beschrieb der Beschwerdeführer mehrere Details der – vermeintlich ebenfalls durch seine Verfolgung notwendig gewordenen – Ausreise seiner Familie aus Afghanistan. In der mündlichen Verhandlung sagte er, auch seine Familie sei bedroht worden. Sie hätten die Grundstücke verkauft und seien in den Iran geflüchtet (vgl. S. 20 des Verhandlungsprotokolls). Zuvor in der Verhandlung hatte er demgegenüber angegeben, seine Grundstücke seien in der Hand der Taliban. Wer solche Probleme wie er habe, dem werde von den Taliban alles weggenommen (vgl. S. 9). Von der erkennenden Richterin auf diesen Widerspruch angesprochen, antwortete er, dass es sich um ein Missverständnis handle und er nicht gesagt habe, dass die Grundstücke verkauft worden seien (vgl. S. 21). Genau dies hatte er aber kurz davor angegeben. Auch wenn er im Zuge der Rückübersetzung – somit nach Konfrontation mit dem Widerspruch – anmerkte, die Grundstücke seien nicht verkauft, sondern weggenommen worden (vgl. S. 23), ist auch in diesem Fall die Behauptung einer falschen Übersetzung nicht überzeugend. Der Beschwerdeführer sagte sowohl vor Beginn als auch nach Ende der Befragung, dass er den Dolmetscher gut verstehe/verstanden habe (vgl. S. 3, 22). Es ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer betreffend alle drei im Laufe des Verfahrens (mit jeweils unterschiedlichen Dolmetschern) absolvierten Befragungen versucht hat, Ungereimtheiten in seinen Angaben mit falschen Übersetzungen und/oder Protokollierungen zu begründen.
Dies gilt auch betreffend die Widersprüche zum Tod seines Vaters. Sowohl in der Einvernahme vor der Behörde als auch in der Verhandlung sagte der Beschwerdeführer aus, dass dieser im Zuge der Flucht in den Iran verstorben sei. Zugleich gab er stets an, dass seine Familie rund sechs Monate na