Entscheidungsdatum
30.09.2021Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W265 2245214-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Karin RETTENHABER-LAGLER als Vorsitzende und die Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS sowie die fachkundige Laienrichterin Dr.in Christina MEIERSCHITZ als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 23.07.2021 betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 60 v. H.
Sie stellte am 09.04.2021 (einlangend) beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (in der Folge als belangte Behörde bezeichnet) einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29 b Straßenverkehrsordnung (StVO) (Parkausweis), der entsprechend dem von der belangten Behörde zur Verfügung gestellten und von der Beschwerdeführerin ausgefüllten Antragsformular auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gilt. Im Rahmen der Antragstellung vermerkte die Beschwerdeführerin eine Nachreichung aktueller Befunde.
Mit Schreiben vom 26.04.2021 ersuchte die belangte Behörde die Beschwerdeführerin, aktuelle Befunde in Kopie (nicht älter als ein halbes Jahr) nachzureichen.
Mit Eingabe vom 31.05.2021 übermittelte die Beschwerdeführerin die geforderten aktuellen medizinischen Befunde.
Die belangte Behörde gab in der Folge ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und einer Ärztin für Allgemeinmedizin unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung in Auftrag.
In diesem auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 29.06.2021 basierenden Gutachten vom 01.07.2021 wurde Folgendes – hier in den wesentlichen Teilen wiedergegeben – ausgeführt:
„Anamnese:
Letzte Begutachtung 14.12.2020
1 Versteifte linke Hüfte 50 %
2 Aufbraucherscheinungen am Stütz- und Bewegungsapparat 30 %
Gesamtgrad der Behinderung 60 v. H.
Zwischenanamnese seit 12/22:
keine Operation, kein stationärer Aufenthalt
Bluthochdruck, medikamentöse Behandlung
Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose links vor etwa 10 Jahren, Schwellungsneigung, Kompressionsstrumpf, Xarelto
Derzeitige Beschwerden:
„Beschwerden habe ich vor allem im Bereich der linken Hüfte, des linken Kniegelenks und der Lendenwirbelsäule, mein Gesundheitszustand insgesamt hat sich seit der letzten Begutachtung verschlechtert. Hergekommen bin ich mit der Straßenbahn."
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Medikamente: Xarelto, Euthyrox, Nebivolol, Candam Candesartan
Allergie: 0
Nikotin: 0
Hilfsmittel: keine
Laufende Therapie bei Hausarzt XXXX
Sozialanamnese:
Verheiratet, 2 Kinder, lebt in Wohnung im 3. Stockwerk mit Lift.
Berufsanamnese: Fußpflegerin, selbständig
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
XXXX Facharzt für Orthopädie u. Orthop. Chirurgie 28.05.2021 (Z.n. Arthrodese Hüfte links als Kind, Beinlängenverkürzung 3 1/2 cm links, Retropatellararthrose links)
Röntgen Beckenübersicht (Knochenstrukturrarefizierung. Tiefertreten der linken Beckenschaufel um 40 mm. Sacroiliacalgelenke, Symphyse und rechtes Hüftgelenk sind glatt konturiert. Arthrodese im linken Hüftgelenk, zwei Schrauben in reaktionsloser Lage.)
Röntgen linkes Kniegelenk 08.04.2021 (Geringe Varusgonarthrose. Keine signifikante Retropatellararthrose. Etwas rarefizierte Knochenstruktur. Weichteilverkalkungen medialseitig des distalen Femurschafts.)
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
gut, 60 Jahre
Ernährungszustand:
gut
Größe: 165,00 cm Gewicht: 85,00 kg Blutdruck:
Klinischer Status - Fachstatus:
Caput/Collum: klinisch unauffälliges Hör- und Sehvermögen, sichtbare Schleimhautpartien unauffällig, Pupillen rund, isocor. Halsvenen nicht gestaut.
Thorax: symmetrisch, elastisch
Atemexkursion seitengleich, VA. HAT rein, rhythmisch. Keine Dyspnoe, keine Zyanose. Abdomen: klinisch unauffällig, keine pathologischen Resistenzen tastbar.
Integument: unauffällig
Schultergürtel und beide oberen Extremitäten:
Rechtshänder. Der Schultergürtel steht horizontal, seitengleich mittelkräftig entwickelte Muskelverhältnisse. Die Durchblutung ist ungestört, Radialispulse beidseits tastbar, die Sensibilität wird als ungestört angegeben.
Die Benützungszeichen sind seitengleich vorhanden.
Sämtliche Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.
Aktive Beweglichkeit: Schultern, Ellbogengelenke, Unterarmdrehung, Handgelenke, Daumen und Langfinger seitengleich frei beweglich. Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar. Der Faustschluss ist komplett, Fingerspreizen beidseits unauffällig, die grobe Kraft in etwa seitengleich, Tonus und Trophik unauffällig.
Nacken- und Schürzengriff sind uneingeschränkt durchführbar.
Becken und beide unteren Extremitäten:
Freies Stehen sicher möglich, Zehenballengang und Fersengang beidseits ohne Anhalten und ohne Einsinken durchführbar.
Der Einbeinstand ist mit Anhalten möglich. Hocken ist ansatzweise möglich.
Die Beinachse ist im Lot. Seitengleich mittelkräftig entwickelte Muskelverhältnisse. Beinlänge nicht ident, im Liegen links - 2 cm
Die Durchblutung ist ungestört, geringgradig Ödem linker Unterschenkel, Pigmentverschiebung, Varizen, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Beschwielung ist in etwa seitengleich.
Hüftgelenk links: Mehrere zarte Narben linke Hüfte, linker Oberschenkel lateral, linkes Hüftgelenk versteift in etwa 15° Beugestellung, im Stehen das Becken leicht nach vorne gekippt.
Kniegelenk links: geringgradige Konturvergröberung und Umfangsvermehrung, keine Überwärmung, Bewegungsschmerzen, stabil.
Sämtliche weiteren Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.
Aktive Beweglichkeit: Hüften S rechts 0/100, IR/AR 10/0/30, links in 15° Beugestellung versteift, Knie beidseits 0/0/130, Sprunggelenke und Zehen sind seitengleich frei beweglich.
Das Abheben der gestreckten unteren Extremität ist rechts bis 60° möglich, links bis 20° bei versteiftem Hüftgelenk.
Wirbelsäule:
Beckenschiefstand, das Becken ist links etwa 3 cm tiefer, in etwa im Lot, regelrechte Krümmungsverhältnisse. Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet. Mäßig Hartspann. Geringgradig Klopfschmerz über der unteren BWS L5/S1, ISG und Ischiadicusdruckpunkte sind frei.
Aktive Beweglichkeit:
HWS: in allen Ebenen frei beweglich
BWS/LWS: FBA: Kniegelenke werden erreicht, Rotation und Seitneigen 20°
Lasegue bds. negativ, geprüfte Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft auslösbar.
Gesamtmobilität - Gangbild:
Kommt selbständig gehend mit Freizeitschuhen ohne Hilfsmittel, das Gangbild ist geringgradig links hinkend, weitgehend harmonisch
Bewegungsabläufe beim Hinlegen aufgrund der Versteifung des linken Hüftgelenk geringgradig eingeschränkt. Das Aus- und Ankleiden wird selbständig im Sitzen durchgeführt.
Status Psychicus:
Allseits orientiert; Merkfähigkeit, Konzentration und Antrieb unauffällig; Stimmungslage ausgeglichen.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd.
Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
1
Versteifung linkes Hüftgelenk
2
Abnützungserscheinungen des Stütz-und Bewegungsapparates, Lumbalgie, Gonarthrose links
3
Zustand nach Beinvenenthrombose links mit Schwellungsneigung, kein postthrombotisches Syndrom
4
Bluthochdruck
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
Hinzukommen von Leiden 3 und 4, sonst keine Änderung
X Dauerzustand
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Keine. Es liegen keine Funktionseinschränkungen der oberen und unteren Extremitäten und der Wirbelsäule vor, welche die Mobilität erheblich einschränkten. Es besteht kein ausgeprägt beeinträchtigtes Gangbild. Der Antragstellerin ist es möglich, kurze Wegstrecken (300 bis 400 m) selbstständig zurückzulegen, eine Gehhilfe wird nicht verwendet. Das Ein- und Aussteigen sowie die sichere Beförderung in sich bewegenden öffentlichen Verkehrsmitteln ist nicht maßgeblich beeinträchtigt, Kraft und Bewegungsumfang der weiteren Gelenke der unteren Extremitäten sind ausreichend, sodass die Versteifung der linken Hüfte kompensiert werden kann. Die Greiffunktion der oberen Extremität ist ausreichend erhalten, keine Behinderung der Beweglichkeit der oberen Extremitäten. Es liegen keine Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten vor. Eine Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit ist nicht objektivierbar, insbesondere ist keine maßgebliche cardiopulmonale Funktionseinschränkung objektivierbar, sodass, auch unter Berücksichtigung aller aufliegenden Befunde, eine erhebliche Erschwernis beim Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, Be- und Entsteigen sowie bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht begründbar ist.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt ein Immundefekt vor im Rahmen dessen trotz Therapie erhöhte Infektanfälligkeit und wiederholt außergewöhnliche Infekte wie atypische Pneumonien auftreten?
Nein
…“
Mit Schreiben vom 02.07.2021 brachte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in Wahrung des Parteiengehörs gemäß § 45 AVG zur Kenntnis und räumte ihr die Möglichkeit einer Stellungnahme ein.
Mit am 15.07.2021 eingelangtem Schreiben erstattete die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme, in der sie ausführte, entgegen den Ausführungen im Gutachten verwende sie zum Gehen eine Gehilfe, so auch am Tag der Begutachtung. Ein Aufstehen in einer fahrenden bzw. stoppenden Straßenbahn oder in einem Bus verursache bei ihr Stress, da sie sehr schnell durch ihre Beeinträchtigungen zum Wanken komme und die Gefahr des Fallens bestehe. In ihrer linken Hüfte habe sie zwei Metallschrauben, weshalb sie sich nicht richtig bücken bzw. in die Hocke gehen könne. Durch die Versteifung sei auch das linke Knie in einem schlechten Zustand, weswegen sie immer ein Knieschutz Band tragen müsse. Nicht nur die Stufen im Haus, sondern auch in der Straßenbahn seien eine Hürde für sie.
Die belangte Behörde gab in der Folge eine Stellungnahme der bereits befassten Fachärztin für Unfallchirurgie und einer Ärztin für Allgemeinmedizin unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung in Auftrag.
In dieser auf der Aktenlage basierenden Stellungnahme vom 23.07.2021 wurde Folgendes – hier in den wesentlichen Teilen wiedergegeben – ausgeführt:
„Die Antragstellerin erklärt sich mit dem Ergebnis der Begutachtung vom 29.06.2021 nicht einverstanden und bringt in der Stellungnahme vom 13. 17 2021 vor, dass sie eine Gehhilfe verwende, sie in öffentlichen Verkehrsmitteln rasch zum Wanken komme und sie sei auch schon mehrmals gestürzt. Das linke Bein schwelle beim Gehen an und sie könne sich nicht bücken wegen der Versteifung der linken Hüfte, habe Probleme beim Einsteigen und Aussteigen. Das linke Knie sei nicht richtig stabil, sie müsse einen Knieschutz tragen. Socken können Sie nur mit Sockenhilfe anziehen, damit sie orthopädische Schuhe tragen könne und eine Gehsicherheit habe.
Befunde:
keine neuen Befunde
Stellungnahme:
Maßgeblich für die Einstufung behinderungsrelevanter Leiden nach den Kriterien der EVO sind objektivierbare Funktionseinschränkungen unter Beachtung sämtlicher vorgelegter Befunde.
Die bei der Begutachtung am 29.06.2021 anhand einer gründlichen orthopädischen Untersuchung festgestellten Defizite im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates wurden in der Beurteilung hinsichtlich Einstufung nach der EVO und hinsichtlich beantragter Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in vollem Umfang berücksichtigt.
Die Versteifung der linken Hüfte ist durch die gute Beweglichkeit der rechten unteren Extremität ausreichend kompensierbar, das Einsteigen und Aussteigen im Nachstellschritt ist zumutbar und möglich. Eine hochgradige Funktionseinschränkung des linken Kniegelenks konnte nicht festgestellt werden, die Abnützungserscheinungen verunmöglichen nicht das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von 300-400 m und Benützen öffentlicher Verkehrsmittel.
Eine ausreichende Gangsicherheit konnte festgestellt werden, Festhalten ist möglich, sodass der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erheblich erschwert ist.
Befunde, die neue Tatsachen, noch nicht ausreichend berücksichtigte Leiden oder eine maßgebliche Verschlimmerung belegen könnten, wurden nicht vorgelegt. Die vorgebrachten Argumente beinhalten keine neuen Erkenntnisse, welche das vorhandene Begutachtungsergebnis entkräften könnten, sodass daran festgehalten wird.“
Mit angefochtenem Bescheid vom 23.07.2021 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ in den Behindertenpass ab. Im Ermittlungsverfahren sei ein Gutachten eingeholt worden, demzufolge die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorlägen. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, die einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Der Beschwerdeführerin sei Gelegenheit gegeben worden, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Die nachgereichten Einwendungen würden keine ausreichend relevanten Sachverhalte beinhalten, welche eine Änderung des Gutachtens bewirken würden. Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grund gelegt worden. Mit dem Bescheid wurden der Beschwerdeführerin das Sachverständigengutachten und die Stellungnahme übermittelt.
Mit Schreiben vom 06.08.2021 erhob die Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid fristgerecht Beschwerde und führte im Wesentlichen aus, sie sei mit dem Bescheid nicht einverstanden, da ihre Behinderung schwerwiegender sei. Sie wünsche eine nochmalige Beurteilung ihres Gesundheitszustandes. Die Verwendung des Stocks sei im Bericht nicht dokumentiert, und die besagten 300 Meter könne sie nur mit Schmerzen und Mühe zurücklegen.
Mit Schreiben vom 10.08.2021 legte die belangte Behörde die Beschwerde und den Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor, wo diese am selben Tag einlangten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin eines Behindertenpasses mit einen Grad der Behinderung von 60 v. H.
Sie stellte am 09.04.2021 beim Sozialministeriumservice einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass.
Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
- Versteifung linkes Hüftgelenk
- Abnützungserscheinungen des Stütz- und Bewegungsapparates, Lumbalgie, Gonarthrose links
- Zustand nach Beinvenenthrombose links mit Schwellungsneigung, kein postthrombotisches Syndrom
- Bluthochdruck
Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist der Beschwerdeführerin trotz dieser Funktionseinschränkungen möglich und zumutbar. Die Leidenszustände der Beschwerdeführerin stellen zweifellos eine Beeinträchtigung ihres Alltagslebens dar, schränken jedoch den Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erheblich ein.
Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen, deren Ausmaß, der wechselseitigen Leidensbeeinflussung und insbesondere der Auswirkungen der Funktionseinschränkung auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel werden die diesbezüglichen Beurteilungen in dem oben wiedergegebenen unfallchirurgischen/allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten vom 01.07.2021 und der Stellungnahme vom 23.07.2021 zu Grunde gelegt.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Behindertenpass und zur Antragsstellung ergeben sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, die zur Abweisung der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ führt, gründet sich auf das durch die belangte Behörde eingeholte Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 01.07.2021, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 29.06.2021 und einer Stellungnahme der bereits befassten Fachärztin für Unfallchirurgie und einer Ärztin für Allgemeinmedizin, basierend auf der Aktenlage. Dabei berücksichtigte die Sachverständige die von der Beschwerdeführerin in Vorlage gebrachten medizinischen Beweismittel.
Trotz der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen erreichen diese Einschränkungen kein Ausmaß, das eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bedingen würde. Die Sachverständige stellte aufgrund einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin diesbezüglich im Wesentlichen fest, dass keine der bei ihr festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen oder den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zulassen würden. Ein ausgeprägt beeinträchtigtes Gangbild besteht nicht. Der Beschwerdeführerin ist das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke (300 bis 400 m) selbstständig möglich, eine Gehilfe wird nicht verwendet. Ebenso wenig ist das Ein- und Aussteigen sowie die sichere Beförderung in sich bewegenden öffentlichen Verkehrsmitteln nicht maßgeblich beeinträchtigt, Kraft und Bewegungsumfang der weiteren Gelenke der unteren Extremitäten sind ausreichend, sodass die Versteifung der linken Hüfte kompensiert werden kann. Die Greiffunktion der oberen Extremität ist zudem ausreichend erhalten, sodass keine Behinderung der Beweglichkeit der oberen Extremität festgestellt werden konnte. Darüber hinaus liegen keine Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten vor. Eine Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit ist nicht objektivierbar, insbesondere ist keine maßgebliche cardiopulmonale Funktionseinschränkung objektivierbar, sodass, auch unter Berücksichtigung aller aufliegenden Befunde, eine erhebliche Erschwernis beim Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, Be- und Einsteigen sowie bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht begründbar ist.
Auch in ihrer zweiten, auf der Aktenlage basierenden Stellungnahme hielt die Sachverständige diese Einschätzungen vollinhaltlich aufrecht. Die bei der Begutachtung am 29.06.2021 anhand einer gründlichen orthopädischen Untersuchung festgestellten Defizite im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates wurden in der Beurteilung nach der Kriterien der Einschätzungsverordnung und hinsichtlich beantragter Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in vollem Umfang berücksichtigt. Zu den Einwänden der Beschwerdeführerin hielt die Sachverständige in ihrer Stellungnahme fest, dass die Versteifung der linken Hüfte durch die gute Beweglichkeit der rechten unteren Extremität ausreichend kompensiert ist, das Einsteigen und Aussteigen im Nachstellschritt ist zumutbar und möglich. Eine hochgradige Funktionseinschränkung des linken Kniegelenks konnte nicht festgestellt werden; die Abnützungserscheinungen verunmöglichen nicht das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von 300-400 m und das Benützen öffentlicher Verkehrsmittel. Ebenso konnte eine ausreichende Gangsicherheit und ein Festhalten festgestellt werden, sodass der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erheblich erschwert ist. Befunde, die neue Tatsachen, noch nicht ausreichend berücksichtigte Leiden oder eine maßgebliche Verschlimmerung belegen könnten, wurden im Rahmen des Parteiengehörs seitens der Beschwerdeführerin nicht vorgelegt. Angesichts dessen beinhalten die vorgebrachten Argumente keine neuen Erkenntnisse, welche das vorhandene Begutachtungsergebnis entkräften könnten.
Dem entgegnete die Beschwerdeführerin in der Beschwerde, dass die Verwendung eines Stockes im Gutachten fehle und dass sie die besagten 300 Meter nur mit Schmerzen und Mühe zurücklegen könne.
Diese Angaben wurden von der Beschwerdeführerin jedoch nicht durch medizinische Befunde belegt, sie widersprechen auch den Ergebnissen der klinischen Untersuchung durch die Sachverständige. Diese hielt wie bereits ausgeführt unter anderem fest, dass eine ausreichende Gangsicherheit und die Greif- und Haltefunktion beidseits gegeben ist, keine erheblichen funktionellen Einschränkungen der unteren oder oberen Extremitäten oder motorische Defizite vorliegen und das Zurücklegen einer Wegstrecke von 300 bis 400 Metern aus eigener Kraft möglich ist (vgl. AS 18). Auch die Verwendung eines Gehstockes steht der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht entgegen. Alle von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Aspekte ihrer Leidenszustände wurden damit in den Sachverständigengutachten entweder bereits berücksichtigt oder waren aus medizinischer Sicht nicht objektivierbar.
Die Beschwerdeführerin legte im Rahmen der Beschwerde keine neuen Befunde vor. Das Vorbringen in der Beschwerde war somit nicht geeignet, eine andere Beurteilung hinsichtlich der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel herbeizuführen bzw. eine zwischenzeitig eingetretene Verschlechterung der Leidenszustände zu belegen und allenfalls zu einer anderen rechtlichen Beurteilung zu führen.
Damit ist die Beschwerdeführerin den vorliegenden Sachverständigengutachten im Lichte obiger Ausführungen insgesamt nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).
Betreffend den Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens wird auf die Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung verwiesen.
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit des vorliegenden unfallchirurgischen/allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens vom 01.07.2021 und der ergänzenden Stellungnahme vom 23.07.2021. Diese werden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A)
1. Zur Entscheidung in der Sache
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
…
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
…
§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.
§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.“
§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, idg F BGBl II Nr. 263/2016 lautet – soweit im gegenständlichen Fall relevant - auszugsweise:
„§ 1 ….
(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
1. …….
2. ……
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller
Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1
Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
(6)……“
In den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 wird unter anderem – soweit im gegenständlichen Fall relevant – Folgendes ausgeführt:
„Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (neu nunmehr § 1 Abs. 4 Z. 3, BGBl. II Nr. 263/2016):
…
Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
…
Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.
Komorbiditäten der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
- arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
- Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
- hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
- Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
- COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
- Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
- mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden
Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:
- Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,
- hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,
- schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,
- nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.
Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:
- anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID – sever combined immundeficiency),
- schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),
- fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,
- selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.
Bei Chemo- und/oder Strahlentherapien im Rahmen der Behandlung onkologischer Erkrankungen, kommt es im Zuge des zyklenhaften Therapieverlaufes zu tageweisem Absinken der Abwehrkraft. Eine anhaltende Funktionseinschränkung resultiert daraus nicht.
Anzumerken ist noch, dass in dieser kurzen Phase die Patienten in einem stark reduzierten Allgemeinzustand sind und im Bedarfsfall ein Krankentransport indiziert ist.
Bei allen frisch transplantierten Patienten kommt es nach einer anfänglichen Akutphase mit hochdosierter Immunsuppression, nach etwa 3 Monaten zu einer Reduktion auf eine Dauermedikation, die keinen wesentlichen Einfluss auf die Abwehrkräfte bei üblicher Exposition im öffentlichen Raum hat.
Keine Einschränkung im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel haben:
- vorübergehende Funktionseinschränkungen des Immunsystem als Nebenwirkung im Rahmen von Chemo-und /oder Strahlentherapien,
- laufende Erhaltungstherapien mit dem therapeutischen Ziel, Abstoßreaktionen von Transplantaten zu verhindern oder die Aktivität von Autoimmunerkrankungen einzuschränken,
- Kleinwuchs,
- gut versorgte Ileostoma, Colostoma und Ähnliches mit dichtem Verschluss. Es kommt weder zu Austritt von Stuhl oder Stuhlwasser noch zu Geruchsbelästigungen. Lediglich bei ungünstiger Lokalisation und deswegen permanent undichter Versorgung ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar,
- bei Inkontinenz, da die am Markt üblichen Inkontinenzprodukte ausreichend sicher sind und Verunreinigungen der Person durch Stuhl oder Harn vorbeugen. Lediglich bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar.“
…“
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).
Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.
Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hiebei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).
Betreffend das Kalkül „kurze Wegstrecke“ wird angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof von einer unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 bis400 Metern ausgeht. (vgl. u. a. VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013)
Wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt – auf die diesbezüglichen Ausführungen wird verwiesen –, wurde in dem seitens der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 01.07.2021 sowie in der ergänzenden Stellungnahme vom 23.07.2021 nachvollziehbar verneint, dass im Fall der Beschwerdeführerin – trotz der bei ihr vorliegenden Gesundheitsschädigungen – die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass vorliegen. Bei der Beschwerdeführerin liegen ausgehend von diesem Sachverständigengutachten aktuell keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit, keine erheblichen Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten, psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen oder auch nicht das Vorliegen einer schweren anhaltenden Erkrankung des Immunsystems im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen vor.
Auch unter Berücksichtigung der bei der Beschwerdeführerin bestehenden dauerhaften Einschränkungen und der damit verbundenen Beeinträchtigungen im Alltag vermag diese noch nicht die Überschreitung der Schwelle der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen darzutun. Die dazu seitens des Gesetzgebers festgehaltenen Erläuterungen wurden im gegenständlichen Fall berücksichtigt und bestärken diese die Einschätzung, dass der Beschwerdeführerin die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel trotz ihrer zweifelsohne vorhandenen und festgestellten Gesundheitsschädigungen zumutbar ist.
Die Beschwerdeführerin legte im Rahmen der Beschwerde, wie in der Beweiswürdigung bereits ausgeführt, keine Befunde vor, die geeignet wären, die durch die medizinische Sachverständige getroffenen Beurteilungen zu widerlegen oder zusätzliche Dauerleiden bzw. eine zwischenzeitlich eingetretene Verschlechterung ihres Zustandes zu belegen.
Da der Sachverhalt feststeht und die Sache daher entscheidungsreif ist, war dem in der Beschwerde gestellten Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nicht Folge zu geben, zumal bereits ein medizinisches Sachverständigengutachten sowie eine ergänzende Stellungnahme eingeholt und der Entscheidung zu Grunde gelegt wurden. Die Beschwerdeführerin legte nicht dar, weshalb ein weiteres Gutachten erforderlich wäre oder zu welchem Beweisthema dieses beantragt würden. Lediglich der Vollständigkeit halber ist auch darauf hinzuweisen, dass kein Rechtsanspruch auf die Zuziehung eines Facharztes eines bestimmten medizinischen Teilgebietes besteht (vgl. VwGH 24.06.1997, 96/08/0114).
Die für die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass erforderliche Voraussetzung einer erheblichen Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit, der Funktionen der unteren Extremitäten, psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen oder des Vorliegens einer schweren anhaltenden Erkrankung des Immunsystems sind somit nicht erfüllt. Auch erreichen die übrigen Einschränkungen der Beschwerdeführerin kein Ausmaß, welches die Benützung der Verkehrsmittel unzumutbar erscheinen lässt.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Prüfung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in Betracht kommt.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist;
3. wenn die Rechtssache durch einen Rechtspfleger erledigt wird.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde iSd § 24 Abs. 1 VwGVG weder beantragt, noch hält Bundesverwaltungsgericht eine solche für erforderlich.
Die Frage der Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung wurde unter Mitwirkung einer ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die strittigen Tatsachenfragen (Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen) gehören dem Bereich zu, der vom Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund der vorliegenden, nicht substantiiert bestrittenen schlüssigen Sachverständigengutachten geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180) und des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfGH 09.06.2017, E 1162/2017) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W265.2245214.1.00Im RIS seit
12.11.2021Zuletzt aktualisiert am
12.11.2021