TE Bvwg Beschluss 2021/10/21 W216 2244329-1

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Veröffentlicht am 21.10.2021
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Entscheidungsdatum

21.10.2021

Norm

BEinstG §14
BEinstG §2
BEinstG §3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W216 2244329-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marion STEINER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Benedikta TAURER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 15.06.2021, OB: XXXX , betreffend die Neufestsetzung des Grades der Behinderung und Aberkennung der Begünstigteneigenschaft gemäß § 2 und § 14 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG), beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1.       Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge: belangte Behörde) hat mit Bescheid vom 05.01.1994 dem Antrag des Beschwerdeführers vom 04.04.1993 stattgegeben und festgestellt, dass dieser aufgrund des in Höhe von 70 vH festgestellten Grades der Behinderung ab dem 05.04.1993 dem Personenkreis der begünstigten Behinderten angehört.

2.       Der Beschwerdeführer hat am 09.07.2012 bei der belangten Behörde einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung gestellt, welcher mit Bescheid vom 31.08.2012 abgewiesen wurde.

Dieser Entscheidung wurde das medizinische Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin zugrunde gelegt, welches – basierend auf der Aktenlage – Folgendes feststellt:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Gewebsneubildung (Germinom) der Zirbel- und der Hirnanhangdrüse

553

50 vH

02

Diabetes insipidus (hirnanhangdrüsenhormonell bedingter Diabetes)

556

20 vH

03

Umfassender Mangel der Hirnanhangdrüsenhormonsekretion

381

30 vH

04

Vorderer Kreuzbandschaden rechts

124

30 vH

05

Arthrose des rechten Kniegelenks

417

10 vH

06

Entzündung der Schultergelenksweichteile beidseits

417

10 vH

07

Schielsehen durch Funktionsbeeinträchtigung des 6. Hirnnerven rechts

615

10 vH

Der Beschwerdeführer ist infolge des Ausmaßes der Gebrechen zumindest zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit auf einem geschützten Arbeitsplatz oder in einem Integrativen Betrieb geeignet.

3.       Der Beschwerdeführer hat am 15.03.2021 bei der belangten Behörde unter Vorlage eines Befundkonvolutes erneut einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung gestellt.

3.1.    Zur Überprüfung des Antrages wurde von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für HNO, basierend auf der Aktenlage, ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 27.04.2021, sowie eine Zusammenfassung der Sachverständigengutachten und Gesamtbeurteilung durch den Arzt für Allgemeinmedizin, mit dem Ergebnis eingeholt, dass eine Verbesserung des Gesundheitszustandes festgestellt worden sei und der Grad der Behinderung nunmehr in Höhe von 30 vH bewertet wurde.

Die Funktionseinschränkungen wurden folgendermaßen beurteilt:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Mangel an Hirnangangsdrüsenhormonsekretion

Heranziehung dieser Position mit 2 Stufen über dem unteren Rahmensatz, da durch Substitutionstherapie kompensiert

09.01.01

30 vH

02

Zustand nach anaplastischem Dysgerminom 1992

Heranziehung dieser Position mit 1 Stufe über dem unteren Rahmensatz, da ohne Rezidiv nach mehr als 25 jähriger Heilungsbewährung

13.01.02

20 vH

03

Diabetes insipidus

Heranziehung dieser Position mit 1 Stufe über dem unteren Rahmensatz, da durch Minirin erfolgreich behandelt.

09.01.01

20 vH

04

Hörstörung beidseits

Tabelle Zeile 2/Kolonne 3, fixer Rahmensatzwert.

12.02.01

20 vH

05

Depressio mit Angststörung

Heranziehung dieser Position mit 1 Stufe über dem unteren Rahmensatz, da durch regelmäßige Medikamenteneinnahme stabilisierbar

03.06.01

20 vH

06

Degenerative Wirbelsäulenveränderungen

Heranziehung dieser Position mit dem unteren Rahmensatz, da keine maßgeblichen Funktionseinschränkungen bei rezidivierender Dorsalgie und ohne radikuläre Ausfälle - inkludiert auch Osteoporose

02.01.01

10 vH

07

Kniegelenksabnützung rechts

Heranziehung dieser Position mit dem unteren Rahmensatz, da keine maßgeblichen Funktionseinschränkungen und Bandstabilität

02.05.18

10 vH

08

Schielsehen durch Funktionseinschränkungen des 6. Hirnnervs rechts

unterer Rahmensatz, da gut erhaltene Gesamtsehfähigkeit

11.01.03

10 vH

Gesamtgrad der Behinderung

30 vH

3.2.    Im Rahmen des seitens der belangten Behörde mit Schreiben vom 04.05.2021 gemäß § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs wurden vom Beschwerdeführer Einwendungen erhoben und unter anderem darauf hingewiesen, dass es ihm körperlich wie psychisch schlechter gehe als je zuvor.

3.3.    Zur Überprüfung der Einwendungen wurde von der belangten Behörde vom bereits befassten Arzt für Allgemeinmedizin, basierend auf der Aktenlage, eine mit 14.06.2021 datierte medizinischen Stellungnahme mit dem Ergebnis eingeholt, dass die erhobenen Einwendungen nicht geeignet seien, eine geänderte Beurteilung zu begründen.

3.4.    Mit dem angefochtenen Bescheid vom 15.06.2021 hat die belangte Behörde aufgrund des in Höhe von 30 vH festgestellten Grades der Behinderung ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer gemäß § 2, § 3 und § 14 BEinstG mit Ablauf des Monates, der auf die Zustellung des Bescheides folgt, nicht mehr dem Kreis der begünstigten Behinderten angehöre.

4.       Gegen diesen Bescheid wurde vom Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben.

4.1.    Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht am 14.07.2021 zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 19b Abs. 1 BEinstG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Verfahren über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des § 14 Abs. 2 durch den Senat. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG sind die Erkenntnisse zu begründen. Für Beschlüsse ergibt sich aus § 31 Abs. 3 VwGVG eine sinngemäße Anwendung.

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1.       wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.       die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes.

Der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus (vgl. u.a. 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016).

Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zur ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten (§ 3 BEinstG).

Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. (§ 4 Abs. 1 Einschätzungsverordnung BGBl. II Nr. 261/2010 auszugsweise)

Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten. (§ 4 Abs. 2 Einschätzungsverordnung BGBl. II Nr. 261/2010)

Als Nachweis für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten gilt die letzte rechtskräftige Entscheidung über die Einschätzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit mindestens 50 vH

a)       eines Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (der Schiedskommission) bzw. des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen oder der Bundesberufungskommission im Sinne des Bundesberufungskommissionsgesetzes, BGBl. I Nr. 150/2002, oder des Bundesverwaltungsgerichtes;

b)       eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung bzw. eines nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, zuständigen Gerichtes;

c)       eines Landeshauptmannes (des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz) oder des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen in Verbindung mit der Amtsbescheinigung gemäß § 4 des Opferfürsorgegesetzes;

d)       in Vollziehung der landesgesetzlichen Unfallfürsorge (§ 3 Z 2 Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 200/1967).

Die Feststellung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Nachweis gilt zugleich als Feststellung des Grades der Behinderung. Die Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten (§ 2 ) auf Grund der in lit. a bis d genannten Nachweise erlischt mit Ablauf des dritten Monates, der dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung folgt, sofern nicht der begünstigte Behinderte innerhalb dieser Frist gegenüber dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen erklärt, weiterhin dem Personenkreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Personen angehören zu wollen. (§ 14 Abs. 1 BEinstG)

Liegt ein Nachweis im Sinne des Abs. 1 nicht vor, hat auf Antrag des Menschen mit Behinderung das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen den Grad der Behinderung nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) einzuschätzen und bei Zutreffen der im § 2 Abs. 1 angeführten sonstigen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zum Kreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten (§ 2) sowie den Grad der Behinderung festzustellen. Hinsichtlich der ärztlichen Sachverständigen ist § 90 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, anzuwenden. Die Begünstigungen nach diesem Bundesgesetz werden mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens mit dem Tag des Einlangens des Antrages beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wirksam. Sie werden jedoch mit dem Ersten des Monates wirksam, in dem der Antrag eingelangt ist, wenn dieser unverzüglich nach dem Eintritt der Behinderung (Abs. 3) gestellt wird. Die Begünstigungen erlöschen mit Ablauf des Monates, der auf die Zustellung der Entscheidung folgt, mit der der Wegfall der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten rechtskräftig ausgesprochen wird. (§ 14 Abs. 2 BEinstG)

Maßgebend für die Entscheidung ob der Beschwerdeführer weiterhin dem Personenkreis der begünstigten Behinderten angehört, ist die Feststellung der Art und des Ausmaßes der beim Beschwerdeführer vorliegenden Gesundheitsschädigungen sowie ob eine maßgebende Verbesserung im Leidenszustand eingetreten ist.

Eine allenfalls unterlaufene Fehleinschätzung kann nämlich ohne entsprechende Sachverhaltsänderung (Besserung des Leidenszustandes) nur unter den Voraussetzungen für die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 und 3 AVG bzw. § 32 VwGVG nicht aber im Wege einer Neubeurteilung korrigiert werden.

Dazu hat die belangte Behörde im angefochtenen Verfahren nur ansatzweise Ermittlungen geführt.

Im Vergleich zu den Sachverständigengutachten, welche den rechtkräftigen Bescheiden vom 05.01.1994 und vom 31.08.2012 zugrunde gelegt wurden, hat sich – basierend auf der aktuellen Untersuchung – eine Herabsetzung des Gesamtgrades der Behinderung auf 30 vH ergeben, wobei diese Herabsetzung einerseits auf eine erstmalige Einstufung nach der Einschätzungsverordnung und andererseits auf einer Verbesserung des Leidens "Zustand nach anaplastischem Dysgerminom 1992" nach mehr als 25 jähriger Rezidivfreiheit und den Entfall der Leiden "Vorderer Kreuzbandschaden rechts" und "Entzündung der Schultergelenksweichteile beidseits" des Vorgutachtens, da keine funktionellen Behinderungen diesbezüglich mehr befunddokumentiert bzw. bei der Untersuchung objektivierbar waren, basiert. Neu in die Diagnoseliste aufgenommen wurden jedoch die Leiden "Hörstörung beidseits" mit einem Grad der Behinderung von 20 vH, "Depressio mit Angsstörung" mit einem Grad der Behinderung von 20 vH, "Degenerative Wirbelsäulenveränderungen" mit einem Grad der Behinderung von 10 vH, "Kniegelenksabnützung rechts" mit einem Grad der Behinderung von 10 vH und "Schielsehen durch Funktionseinschränkungen des 6. Hirnnervs rechts" mit einem Grad der Behinderung vom 10 vH.

Der Beschwerdeführer hat im verwaltungsbehördlichen Verfahren bereits mit seinem Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung vom 15.03.2021 psychologische Befunde in Vorlage gebracht.

Die belangte Behörde hat zur Überprüfung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers jedoch lediglich ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten sowie jenes eines Arztes aus dem Fachgebiet HNO eingeholt. Zwar besteht kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes, jedoch sind im vorliegenden Fall die von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten zur Beurteilung des beim Beschwerdeführer vorliegenden psychologischen Beschwerdebildes nicht geeignet. Aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass zusätzlich zur erfolgten Einholung von Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Allgemeinmedizin und HNO-Erkrankungen auch die Einholung zumindest eines Gutachtens der Fachrichtung Psychiatrie/Neurologie unbedingt erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers (auch im Hinblick auf eine mögliche wechselseitige Leidensbeeinflussung der festgestellten Gesundheitsschädigungen) zu gewährleisten. Insbesondere, da das psychische Leiden nunmehr erstmals beurteilt wurde. Die alleinige Heranziehung von Sachverständigen der Fachrichtungen Allgemeinmedizin und HNO-Erkrankungen durch die belangte Behörde ist somit offensichtlich sachwidrig erfolgt.

Die eingeholten medizinischen Sachverständigenbeweise vermögen daher die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen. Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage daher nicht möglich.

Es ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern, ein Gutachten der Fachrichtung Psychiatrie/Neurologie einzuholen.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung sowie einer eventuellen maßgebenden Verbesserung des Leidenszustandes als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde sohin unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens, des im Rahmen des Parteiengehörs erhobenen Einwandes und der vorgelegten Beweismittel unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen zusätzlich zu dem bereits eingeholten allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten und jenes eines Facharztes für HNO ein ärztliches Sachverständigengutachten der Fachrichtung Psychiatrie/Neurologie, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, einzuholen und die Ergebnisse bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben.

Die belangte Behörde hat sich auch mit der Rechtsfrage auseinanderzusetzen, ob eine maßgebende Verbesserung des Leidenszustandes objektiviert werden kann.

Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann – im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG – nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist – angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen – nicht ersichtlich.

Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 19 Abs. 1 BEinstG zweckmäßig. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführerin keine Möglichkeit gegeben wurde, zur ergänzenden Stellungnahme des Arztes für Allgemeinmedizin vom 14.06.2021 Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer hatte sohin keine Gelegenheit, der sachverständigen Beurteilung konkret und substantiiert entgegenzutreten und auszuführen ob, gegebenenfalls welche, gutachterlichen Ausführungen dem tatsächlichen Leidensausmaß widersprechen.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rascher und kostengünstiger festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016, Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015, Ra 2015/08/0171 vom 27.01.2016, Ra 2015/10/0106 vom 24.02.2016) ausgeführt, warum die Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen geboten war.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Neufestsetzung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W216.2244329.1.00

Im RIS seit

12.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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