Entscheidungsdatum
22.10.2021Norm
BBG §40Spruch
W133 2242345-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Vorsitzende und den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch den Verein ChronischKrank, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 04.01.2021, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin stellte am 29.06.2020 unter Vorlage eines Befundkonvoluts einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (in der Folge als „belangte Behörde“ bezeichnet).
Die belangte Behörde gab in der Folge ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung in Auftrag. In diesem Gutachten vom 27.10.2020 wurden auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und umfassender Darstellung der Statuserhebung die Funktionseinschränkungen den Leidenspositionen
Lfd.
Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen,
welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Reizdarmleiden, chronische Darmstörungen mit Schleimhautveränderungen, ED 2017
Unterer Rahmensatz, da reduzierte Stuhlkonsistenz, erhöhte Stuhlfrequenz; bei Hinweis auf entzündliche Darmerkrankung bisher einfache Behandlung ausreichend, relativ stabiles Körpergewicht. Appetitstörungen, Neigung zu Aphtenbildung im Mundschleimhautbereich, schlechter Zahnstatus inkludiert.
07.04.05
30
2
Psychische Belastungsreaktion, somatoforme Störungen ED 2013
Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz, da Vorliegen von psychosozialen Belastungsfaktoren; bei Zustand nach einem stationären Aufenthalt 2014 ist keine durchgehende Behandlung dokumentiert; Nacken-Armschmerz, Kopfschmerz, Augenschmerz, Rücken-und Gelenksschmerz inkludiert.
03.05.01
20
3
schmerzhafte Menstruation, prämenstrueller Beschwerdekomplex Unterer Rahmensatz, da keine fachärztliche Befunddokumentation vorliegt.
08.03.03
10
4
Tenosynovitis der Streckersehne dig II und IV rechts, Punktion 09/2019 ohne Hinweis auf maßgebliche entzündliche Veränderungen
Unterer Rahmensatz, da Handschmerz wechselnder Intensität und milde Funktionseinschränkungen.
02.02.01
10
zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 30 von Hundert (v.H.) eingeschätzt. Begründend führte die Gutachterin aus, dass das – in ursächlichem Zusammenhang mit Leiden 1 stehend zu beurteilende – Leiden 1, sowie Leiden 3 und 4 nicht maßgeblich ungünstig wechselwirksam seien.
Mit Schreiben vom 27.10.2020 räumte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin ein förmliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG samt Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Das Gutachten vom 27.10.2020 wurde der Beschwerdeführerin als Beilage übermittelt.
Mit E-Mail vom 18.12.2020 brachte die Beschwerdeführerin im Wege ihrer Vertretung bei der belangten Behörde eine Stellungnahme ein, in welcher sie die von der Sachverständigen vorgenommene Einstufung der Leiden 1, 2 und 4 monierte. Hinsichtlich des führenden Leidens führte sie im Wesentlichen aus, dass angesichts des Stuhlkonsistenz und -frequenz von einem Gesamtgrad der Behinderung von mindestens 50% und dem Vorliegen der Voraussetzung für die Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auszugehen sei. Dem Schreiben wurden keine neuen Befunde vorgelegt.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 04.01.2021 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab, da sie mit dem festgestellten Grad der Behinderung von 30 v.H. die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle. In der Begründung verwies die belangte Behörde auf das Ergebnis der ärztlichen Begutachtung, wonach der Grad der Behinderung 30 v.H. betrage.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin im Wege ihrer Vertretung mit E-Mail vom 15.02.2021 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin erstattete sie im Wesentlichen das gleiche Vorbringen wie in der Stellungnahme vom 18.12.2020 und legte drei ärztliche Schreiben vor, welche im Rahmen zweier, jeweils dreitägiger stationärer Krankenhausaufenthalte im November und Dezember 2020 erstellt worden waren.
Die belangte Behörde gab in der Folge zwei weitere Sachverständigengutachten durch eine Ärztin für Innere Medizin bzw. eine Ärztin für Allgemeinmedizin, Neurologie und Psychiatrie sowie eine Gesamtbeurteilung durch die Ärztin für Innere Medizin in Auftrag.
In dem Gutachten der Sachverständigen für Innere Medizin vom 24.03.2021 wurden auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und nach umfassender Darstellung der Statuserhebung die Funktionseinschränkungen der Leidensposition
Lfd.
Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Morbus Crohn
unterer Rahmensatz, da guter Allgemein- und Ernährungszustand,
histologisch weitgehend in Remission
07.04.05
30
zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Grad der Behinderung von 30 v.H. eingeschätzt. Hinsichtlich des im Gutachten vom 27.10.2020 genannten Leidens 2 wurde auf das separate psychiatrische Gutachten verwiesen. Die im Gutachten vom 27.10.2020 genannten Leiden 3 und 4 seien nicht weiter befundbelegt und würden entfallen. Im Übrigen wurde auf das Gesamtgutachten verwiesen.
In dem Gutachten der Sachverständigen für Allgemeinmedizin, Neurologie und Psychiatrie vom 11.05.2021 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und nach umfassender Darstellung der Statuserhebung die Funktionseinschränkungen der Leidensposition
Lfd.
Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Dysthymie, Persönlichkeitsakzentuierung (emotional instabil)
1 Stufe über unterem Rahmensatz, da fachärztliche Behandlungen erforderlich. Therapieoptionen unausgeschöpft. Dieser Rahmensatz inkludiert auch zyklothyme Schwankungen, Angststörung und somatoforme Störung.
03.05.01
20
zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Grad der Behinderung von 20 v.H. eingeschätzt. Hinsichtlich des im Gutachten vom 27.10.2020 genannten internen Leidens (1) wurde auf das (oben zitierte) gesonderte Gutachten verwiesen. Beim psychiatrischen Leiden sei es zu keiner wesentlichen Änderung im Vergleich zum Vorgutachten gekommen; die Therapieoptionen seien unausgeschöpft. Die im Gutachten vom 27.10.2020 weiters genannten Leiden 3 und 4 würden mangels Vorlage rezenter Befunde entfallen.
Die auf Basis dieser beiden Einzelgutachten vom 24.03.2021 und 11.05.2021 durch die Sachverständige für Innere Medizin vorgenommene Gesamtbeurteilung vom 11.05.2021 fasste die oben genannten Funktionseinschränkungen und die sich daraus ergebenden Leidenspositionen wie folgt zusammen
Lfd.
Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Morbus Crohn
unterer Rahmensatz, da guter Allgemein- und Ernährungszustand, histologisch weitgehend in Remission
07.04.05
30
2
Dysthymie, Persönlichkeitsakzentuierung (emotional instabil)
1 Stufe über unterem Rahmensatz, da fachärztliche Behandlungen erforderlich. Therapieoptionen unausgeschöpft. Dieser Rahmensatz inkludiert auch
zyklothyme Schwankungen, Angststörung und somatoforme Störung.
03.05.01
20
und schätzte den Gesamtgrad der Behinderung mit 30 v.H. ein. Das führende Leiden 1 werde von Leiden 2 aufgrund seiner geringen funktionellen Relevanz nicht weiter erhöht. Die im Gutachten vom 27.10.2020 genannten Leiden 3 und 4 seien nicht weiter befundbelegt und würden entfallen.
Die belangte Behörde legte die Beschwerde und den zugehörigen Akt mit Schreiben vom 11.05.2021, eingelangt am Folgetag, dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und gab im Begleitschreiben an, dass die Frist zur Beschwerdevorentscheidung bereits abgelaufen sei.
Mit Schreiben vom 06.07.2021 und 04.08.2021, zugestellt am 13.07.2021 bzw. 10.08.2021, setzte das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerdeführerin im Wege ihrer Rechtsvertretung von den Ergebnissen der Beweisaufnahme der belangten Behörde in Kenntnis und räumte jeweils eine zweiwöchige Frist zur Stellungnahme ein. Innerhalb der bezeichneten Frist langte keine Stellungnahme seitens der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Vertretung ein. Die aktuellen Gutachten wurden nicht bestritten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsbürgerin und hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich.
Sie brachte am 29.06.2020 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bei der belangten Behörde ein.
Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
1. Morbus Crohn, bei gutem Allgemein- und Ernährungszustand, histologisch weitgehend in Remission;
2. Dysthymie, Persönlichkeitsakzentuierung - emotional instabil, fachärztliche Behandlungen erforderlich, jedoch Therapieoptionen unausgeschöpft; inkludiert sind auch zyklothyme Schwankungen, Angststörung und somatoforme Störung.
Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt aktuell 30 v. H.
Das führende Leiden 1 wird durch das Leiden 2 aufgrund dessen geringer funktioneller Relevanz nicht weiter erhöht. Vorgebrachte (Prä-)Menstruationsbeschwerden und Tenosynovitis sind nicht durch aktuelle, aussagekräftige Facharztbefunde belegt.
Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen, deren Ausmaß, wechselseitiger Leidensbeeinflussung und medizinischer Einschätzung werden die diesbezüglichen Beurteilungen in den Gutachten einer Ärztin für Innere Medizin vom 24.03.2021 und einer Ärztin für Allgemeinmedizin, Neurologie und Psychiatrie vom 11.05.2021 sowie die darauf basierende Gesamtbeurteilung der Ärztin für Innere Medizin vom 11.05.2021 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt; diesbezüglich wird auf die nachfolgenden beweiswürdigenden und rechtlichen Ausführungen verwiesen.
Unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden medizinischen Befunde und der Untersuchungsergebnisse in den Gutachten ist eine höhere Einschätzung der festgestellten Funktionseinschränkungen zum Entscheidungszeitpunkt nicht möglich.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Inland ergeben sich aus einem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszug aus dem zentralen Melderegister und ihren eigenen Angaben bei der Antragstellung; konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sie ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Inland hätte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Auch die belangte Behörde ging vom Vorliegen dieser Voraussetzung aus.
Das Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses basiert auf dem Akteninhalt.
Der festgestellte Gesamtgrad der Behinderung beruht auf der – auf den Gutachten einer Ärztin für Innere Medizin vom 24.03.2021 und einer Ärztin für Allgemeinmedizin, Neurologie und Psychiatrie vom 11.05.2021 basierenden – Gesamtbeurteilung der sachverständigen Ärztin für Innere Medizin vom 11.05.2021. In den genannten Gutachten wird auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß von einer Sachverständigen für den jeweiligen Fachbereich vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen.
Die Gutachterinnen setzten sich auch umfassend und nachvollziehbar mit den vorgelegten Befunden und dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im Rahmen der Untersuchung auseinander. Die getroffenen Einschätzungen, welche auf den jeweils im Rahmen einer persönlicher Untersuchung erhobenen Befunden basieren, entsprechen auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen (diesbezüglich wird auch auf die oben auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen in den Gutachten verwiesen); die Gesundheitsschädigungen wurden nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.
Der untere Rahmensatz der Positionsnummer 07.04.05 der Einschätzungsverordnung (Chronische Darmstörungen mittleren Grades mit chronischen Schleimhautveränderungen) mit einem Grad der Behinderung von 30 v.H. ist anzuwenden auf häufige rezidivierende oder länger anhaltende Beschwerden, häufige Durchfälle mit nachweislichen chronischen Schleimhautveränderungen bei geringer bis mittelschwerer Beeinträchtigung des Allgemein- und Ernährungszustandes. Die entsprechende Einschätzung von Leiden 1 (Morbus Crohn) durch die beigezogene Ärztin für Innere Medizin erfolgte im Einklang mit diesen Vorgaben, da die Beschwerdeführerin zwar an der chronischen – wenn auch nach dem Patientenbrief vom 22.12.2020 histologisch weitgehend in Remission befindlichen – Darmerkrankung Morbus Crohn leidet, welche mit chronischen Schleimhautveränderungen einhergeht, jedoch einen guten Allgemein- und Ernährungszustand aufweist. Letzterer wurde im Wesentlichen sowohl von der Sachverständigen für Innere Medizin als auch von jener für Allgemeinmedizin, Neurologie und Psychiatrie im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhoben und in den Gutachten vom 24.03.2021 bzw. 11.05.2021 festgehalten.
Die gemäß Einschätzungsverordnung für die von der Beschwerdeführerin in der Beschwerde geforderte Einstufung mit einem höheren Grad der Behinderung bzw. nach der Positionsnummer 07.04.06 erforderliche krankheitsbedingte mittelschwere bzw. erhebliche Beeinträchtigung des Allgemein- und Ernährungszustands liegt sohin nicht vor.
Die herangezogene Ärztin für Innere Medizin hat sich bei der Erstellung des Gutachtens vom 24.03.2021 mit den von der Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerdeerhebung vorgelegten Unterlagen auseinandergesetzt und diese ihrer Einschätzung zugrunde gelegt, ohne diesen inhaltlich zu widersprechen. Insofern die behandelnde Ärztin in dem vorgelegten Schreiben vom 03.12.2020 die Ansicht vertritt, dass der Beschwerdeführerin die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar sei, ist anzumerken, dass es darauf für die Einschätzung des Grades der Behinderung nicht ankommt.
Nach den Vorgaben der Einschätzungsverordnung sind unter der Positionsnummer 03.05 alle neurotischen Belastungsstörungen, somatoforme Störungen, Verhaltensstörungen und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit umfasst. Die Einschätzung von Leiden 2 (Dysthymie, Persönlichkeitsakzentuierung – emotional instabil) erfolgte durch die beigezogene Ärztin im Einklang mit den Vorgaben der Anlage zur Einschätzungsverordnung unter der Positionsnummer 03.05.01 mit einem Grad der Behinderung von 20 v.H., da es sich um ein zwar schwankendes, aber anhaltendes Leiden mit - im Beschwerdefall unausgeschöpftem - Therapiebedarf handelt. Im Hinblick auf das Gutachten vom 27.10.2020 einer Ärztin für Allgemeinmedizin, welches ebenfalls auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin beruhte, stellte die Sachverständige fest, dass keine wesentliche Änderung des psychiatrischen Leidens eingetreten sei.
In der Beschwerde brachte die Beschwerdeführerin mit der Begründung, sie ziehe sich aufgrund ihres Gesamtzustands immer mehr zurück, vor, ihr Leiden sei mit einem höheren Grad der Behinderung einzuschätzen. Die beigezogene Sachverständige stellte im Rahmen der ausführlichen Erhebung des psychischen Zustandes der Beschwerdeführerin bei der persönlichen Untersuchung keine Anzeichen für soziale Desintegration fest, welche eine höhere Einstufung nach sich ziehen würde.
Was den Entfall der im ersten Sachverständigengutachten vom 27.10.2020 angeführten Funktionseinschränkungen „3. schmerzhafte Menstruation, prämenstrueller Beschwerdekomplex“, zugeordnet der Positionsnummer 08.03.03, und „4. Tenosynovitis der Streckersehnen dig II und IV rechts“, zugeordnet der Positionsnummer 02.02.01, mangels Vorlage aktueller Befunde betrifft, so sind die diesbezüglich übereinstimmenden Ausführungen der Sachverständigen für Innere Medizin in ihrem Gutachten vom 24.03.2021 und jener für Allgemeinmedizin, Neurologie und Psychiatrie in ihrem Gutachten vom 11.05.2021 nicht zu beanstanden.
Hinsichtlich der von der erstbegutachtenden Sachverständigen erhobenen Menstruations-beschwerden der Beschwerdeführerin basiert die damalige Einschätzung der Sachverständigen allein auf dem von der Beschwerdeführerin selbst im Rahmen der damaligen persönlichen Untersuchung geäußerten Endometriose-Verdacht; entsprechende Befunde wurden zu keinem Zeitpunkt im Verfahren vorgelegt. Nach der Anlage zur Einschätzungsverordnung erfolgt die Einschätzung des Grades der Behinderung unter der Positionsnummer 08.03.03 (Endometriose) entsprechend dem Ausmaß der Ausdehnung auf die Nachbarorgane und die Symptomatik. In dem Sachverständigengutachten vom 27.10.2020 wurde das Leiden der Beschwerdeführerin unter dieser Positionsnummer mit dem unteren Rahmensatz von 10 v.H. eingestuft, da keine fachärztliche Befunddokumentation vorliege. Angesichts der fehlenden Objektivierung einer Endometriose im Rahmen derartiger Befunde ist die damalige Einstufung nicht nachvollziehbar und der übereinstimmenden Einschätzung in den Gutachten vom 24.03.2021 und vom 11.05.2021 zu folgen. Die Beschwerdeführerin erstattete im Rahmen der Beschwerde auch kein Vorbringen zu ihren Menstruationsbeschwerden, noch nahm sie im Rahmen des ihr vom Bundesverwaltungsgericht eingeräumten Parteiengehörs zu den Gutachten vom 24.03.2021 und 11.05.2021 sowie der Gesamtbeurteilung vom 11.05.2021 Stellung.
Betreffend die im Erstgutachten vom 27.10.2020 weiters festgehaltene Sehnenscheidenentzündung, zugeordnet der Positionsnummer 02.02.01 (Generalisierte Erkrankungen des Bewegungsapparates mit funktionellen Auswirkungen geringen Grades) der Anlage zur Einschätzungsverordnung, entsprechend der von der Beschwerdeführerin damals vorgelegten ärztlichen Befunde brachte die Beschwerdeführerin in der Beschwerde vor, dass sie eine deutliche Schwellung des Handrückens mit einer Extensionseinschränkung des Handgelenks habe, legte Patientenbriefe aus dem November und Dezember 2020 mit der Diagnose Tendovaginitis des vierten Strecksehnenfaches vor, und forderte eine Einstufung unter der Positionsnummer 02.02.02 (Generalisierte Erkrankungen des Bewegungsapparates mit funktionellen Auswirkungen mittleren Grades). Den ausführlichen Aufzeichnungen der beiden Sachverständigen bei der Statuserhebung im Rahmen der persönlichen Untersuchungen am 23.03.2021 und 06.04.2021 lässt sich jedoch keine – zumindest geringe – Bewegungs- und Belastungseinschränkung, geschweige denn eine mäßige Funktionseinschränkung, entsprechend den Positionsnummern 02.02.01 bzw. 02.02.02 der Einschätzungsverordnung entnehmen. Zwar wurde laut dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Patientenbrief vom 26.11.2020 bei dieser nach einer Ultraschalluntersuchung eine Sehnenscheidenentzündung des vierten Strecksehnenfachs diagnostiziert, aufgrund derer die Extension des Handgelenks eingeschränkt gewesen sei, doch ist angesichts der genannten Ergebnisse der Statuserhebung am 23.03.2021 und 06.04.2021 sowie mangels Vorlage neuerer Befunde von einer aktuellen – voraussichtlich länger als sechs Monate anhaltenden – Funktionseinschränkung zum Entscheidungszeitpunkt nicht auszugehen.
Die Feststellung der Sachverständigen für Innere Medizin in der Gesamtbeurteilung vom 11.05.2021, wonach das führende Leiden 1 durch das Leiden 2 nicht erhöht werde, da dieses von geringer funktioneller Relevanz sei, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
Zusammenfassend ist daher vor dem Hintergrund der vorgelegten Befunde sowie unter Berücksichtigung der Ergebnisse der persönlichen Untersuchungen nicht ersichtlich, dass die beiden im Beschwerdevorverfahren herangezogenen Gutachterinnen die Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin tatsachenwidrig beurteilt hätten.
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerde war somit im Ergebnis nicht geeignet, die vorliegenden aktuellen Sachverständigengutachten zu entkräften und eine Änderung des Ermittlungsergebnisses herbeizuführen. Die Beschwerdeführerin legte im Beschwerdeverfahren keine weiteren Befunde vor, welche den getroffenen Feststellungen widersprechen würden. Die aktuellen Gutachten wurden nicht mehr bestritten. Sie ist den Sachverständigengutachten daher nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es der Antragstellerin, so sie der Auffassung ist, dass ihre Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen ihrer Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit der Sachverständigengutachten vom 24.03.2021 und 11.05.2021 sowie der darauf basierenden Gesamtbeurteilung vom 11.05.2021. Diese werden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A)
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:
"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
...
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
...
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
...
§ 45.
(1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
…
§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.“
Wie oben unter Punkt II.2. ausgeführt wurde, werden der gegenständlichen Entscheidung die Sachverständigengutachten aus dem Bereich Innere Medizin vom 24.03.2021 und Allgemeinmedizin, Neurologie und Psychiatrie vom 11.05.2021 sowie die darauf basierende Gesamtbeurteilung der Ärztin für Innere Medizin vom 11.05.2021zu Grunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin 30 v.H. beträgt. Die Gesundheitsschädigungen wurden in den Gutachten auch nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft; diesbezüglich wird auch auf die obigen Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung verwiesen. Wie ebenfalls bereits oben im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, waren die im Rahmen der Beschwerde erhobenen Einwendungen nicht geeignet, die vorliegenden Gutachten zu entkräften.
Im Hinblick auf den durch die eingeholten Gutachten umfassend geklärten Sachverhalt erweist sich die – in der Beschwerde in eventu beantragte – Einholung weiterer Gutachten aus den Fachgebieten der Gastroenterologie und der Psychiatrie bzw. Neurologie für die Klärung des Sachverhalts als nicht erforderlich und ist der diesbezügliche Beweisantrag abzuweisen. In dem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass sich ein Anspruch auf die Beiziehung von Fachärzten einer bestimmten medizinischen Fachrichtung sich aus dem Gesetz nicht ableiten lässt und es vielmehr auf die Schlüssigkeit des eingeholten Gutachtens ankommt (vgl. VwGH 24.06.1997, Zl. 96/08/0114). Die aktuellen, der Entscheidung zugrunde gelegten Gutachten wurden auch nicht mehr bestritten.
Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, nicht erfüllt.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass bei einer Verschlechterung des Leidenszustandes eine neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.
Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.
Im gegenständlichen Fall wurde die Frage der Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die strittigen Tatsachenfragen (Schmerzen, Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen) gehören dem Bereich zu, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht substantiiert bestrittenen schlüssigen Sachverständigengutachtens geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.12.2013, Zl. 2011/11/0180) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.12.2013, Zl. 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). Beide Parteien stellten zudem keinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird (vgl. dazu die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 09.06.2017, Zl. E 1162/2017-5).
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass Grad der Behinderung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W133.2242345.1.00Im RIS seit
12.11.2021Zuletzt aktualisiert am
12.11.2021