Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AVG §7 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des S L, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 24. August 2021, Zl. LVwG-M-48/001-2021, betreffend Richtlinienbeschwerde nach § 89 Abs. 4 SPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Niederösterreich), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Richtlinienbeschwerde des Revisionswerbers nach § 89 Abs. 4 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) „auf die“ Verwendung des „DU-Wortes“ gegenüber dem Revisionswerber durch einen Beamten der Landespolizeidirektion Niederösterreich (LPD) während einer Amtshandlung am 30. März 2021 keine Folge gegeben und festgestellt, dass keine Verletzung des § 5 Richtlinien-Verordnung (RLV) vorliegt (I.). Mangels Antrags der belangten Behörde wurde kein Kostenzuspruch getroffen (II.) und die Revision wurde für nicht zulässig erklärt (III.).
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, bei der Amtshandlung seien Aufforderungen und Weisungen durch die Polizeibeamten unter fallweiser Verwendung des „DU-Wortes“ erteilt worden. Unter Zusammenschau der gesamten Kommunikation, der Situation vor Ort und insbesondere des offensichtlich als Provokation gedachten Verhaltens des Revisionswerbers stelle die bloße Ansprache mit „DU“ keine Verletzung des § 5 RLV dar. Der Revisionswerber habe „durch unkooperatives Verhalten die situationsbedingte, emotionale Anspannung auch auf Seiten der amtshandelnden Exekutivorgane provozierend erhöht“ und es sei „erst durch seine Weigerung, den Anordnungen der Polizeibeamten vor Ort kooperativ zu folgen, ... zu einer wohl sachlich nicht nachvollziehbaren, ironisch überspitzten Frage hinsichtlich der Herstellung von Bildmaterial durch diesen Journalisten seitens der Beamten gekommen“. Auch „ein rüder und barscher Ton, verursacht ganz offensichtlich durch das Verhalten“ des Revisionswerbers sei allein nicht geeignet, eine Verletzung des § 5 RLV darzustellen. Selbst im Nachschlagewerk „Duden“ werde die Verwendung des „DU-Wortes“ grundsätzlich nicht als negativ, unsachlich in zwischenmenschlichem Umgang gesehen. Darüber hinaus sei im täglichen Wirtschaftsleben, sowohl bei kleinen Unternehmen als auch in beruflichen Führungsstrukturen und in Konzernen, oftmals die Verwendung des „DU-Wortes“ Standard und Teil der Unternehmenskultur, „unabhängig von unterschiedlichen beruflichen Hierarchien (z.B. Ikea) und auch bei Medien (Krone-Radio)“.
3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Zur Richtlinienbeschwerde nach § 89 Abs. 4 SPG und zu den gesetzlichen Vorgaben des § 31 Abs. 1 und Abs. 2 Z 5 SPG für § 5 RLV kann auf die bestehende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hingewiesen werden (vgl. VwGH 27.2.2018, Ra 2017/01/0401).
8 Gemäß § 5 Abs. 1 RLV haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei der Erfüllung ihrer Aufgaben alles zu unterlassen, das geeignet ist, den Eindruck von Voreingenommenheit zu erwecken oder als Diskriminierung auf Grund des Geschlechtes, der Rasse oder Hautfarbe, der nationalen oder ethnischen Herkunft, des religiösen Bekenntnisses, der politischen Auffassung oder der sexuellen Orientierung empfunden zu werden. Gemäß Abs. 2 leg. cit. haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes alle Menschen, bei denen dies dem üblichen Umgang entspricht oder die es verlangen, mit „Sie“ anzusprechen.
9 Polizeibeamte sind insofern zu einem freundlichen Verhalten verpflichtet, als Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach § 5 Abs. 1 RLV bei der Erfüllung ihrer Aufgaben alles zu unterlassen haben, das geeignet ist, den Eindruck von Voreingenommenheit zu erwecken, sowie auf dem Boden des § 5 Abs. 2 RLV grundsätzlich alle Menschen mit „Sie“ anzusprechen haben (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2015/03/0048, mwN). Ein in einem als aggressiv, unfreundlich, rüpelhaft, herrisch, streitsüchtig oder provokant empfundenen Tonfall ausgesprochener Befehl eines Organs der öffentlichen Aufsicht übersteigt - abgesehen von der Schwierigkeit, ein solches Empfinden mit objektiven Maßstäben zu werten - zwar den im Zusammenhang mit der Erteilung einer zu befolgenden Anordnung üblichen zwischenmenschlichen Umgangston. Ein solches Verhalten ist aber noch nicht so gravierend, dass hieraus eine Verletzung des § 5 RLV resultieren würde (vgl. VwGH 27.2.2018, Ra 2017/01/0401, mwN).
10 Ausgehend von diesen Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zeigt die Revision keine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Beurteilung des Einzelfalls durch das Verwaltungsgericht auf (vgl. zur Rolle des Verwaltungsgerichtshofes im Revisionsmodell etwa VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, Rn. 35, mwN). Der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. etwa VwGH 6.7.2016, Ra 2016/01/0008, mwN).
11 Auch wenn Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach § 5 Abs. 2 RLV grundsätzlich alle Menschen mit „Sie“ anzusprechen haben, kann ein dennoch gesetztes Verhalten, das den im Zusammenhang mit der Erteilung einer zu befolgenden Anordnung üblichen zwischenmenschlichen Umgangston durch die kurzzeitige Verwendung des Wortes „Du“ übersteigt, unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls noch nicht so gravierend sein, dass hieraus insgesamt eine Verletzung des § 5 RLV resultieren würde.
12 Eine Befangenheit des erkennenden Richters bzw. das behauptete Abweichen von (näher zitierter) Rechtsprechung dazu kann aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses insgesamt nicht abgeleitet werden (vgl. zur Befangenheit etwa VwGH 6.3.2019, Ro 2018/03/0031 - 0038, Ro 2019/03/0007 - 0009, wonach für die Beurteilung, ob eine Befangenheit in diesem Sinne vorliegt, maßgebend ist, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller konkreten Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Organwalters zu zweifeln, und VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0676, mwN, wonach nicht jede verbale Entgleisung eine Befangenheit indiziert).
13 Eine Verletzung der Verhandlungspflicht bzw. das behauptete Abweichen von (näher zitierter) Rechtsprechung dazu wird durch die Revision schon deshalb nicht dargetan, weil auf den Anspruch auf Durchführung einer Verhandlung verzichtet werden kann, was jedenfalls dann angenommen werden kann, wenn der durch einen Rechtsanwalt vertretene Beschwerdeführer keinen Verhandlungsantrag im Sinn des § 24 Abs. 3 VwGVG stellt (vgl. etwa VwGH 19.6.2020, Ro 2019/11/0017, mwN). Im Übrigen musste sich das Verwaltungsgericht entgegen dem Revisionsvorbringen auch nicht einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffen, da es im vorliegenden Verfahren alleine auf die Beurteilung des bei der Amtshandlung gesetzten Verhaltens und die Umstände der Amtshandlung (die auf Grundlage des vom Revisionswerbers vorgelegten Beweismittels vom Verwaltungsgericht der Entscheidung zugrunde gelegt wurden) angekommen ist.
14 Ebenso geht der Vorwurf der Revision, das Verwaltungsgericht sei von der ständigen hg. Rechtsprechung zur Begründungspflicht in Bezug auf verwaltungsgerichtliche Entscheidungen abgewichen, ins Leere.
15 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 6. Oktober 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021010319.L00Im RIS seit
12.11.2021Zuletzt aktualisiert am
29.11.2021