TE Vwgh Beschluss 2021/10/7 Ra 2020/21/0192

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Veröffentlicht am 07.10.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9
FrPolG 2005 §52
FrPolG 2005 §52 Abs5
MRK Art8
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des H S, vertreten durch Mag. Eva Velibeyoglu, Rechtsanwältin in 1100 Wien, Columbusgasse 65/22, gegen das am 7. Februar 2020 mündlich verkündete und mit 9. März 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, L521 2226318-1/19E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der 1977 geborene Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, war bereits im Laufe seines zweiten Lebensjahres mit den Eltern nach Österreich eingereist, um 1983 mit der gesamten Familie in die Türkei zurückzukehren. Im Jahr 1999 reiste der Revisionswerber (wieder) nach Österreich rechtmäßig ein, und er erhielt zunächst infolge seiner 1995 geschlossenen Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin Aufenthaltstitel und später dann den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“. Der im Jahr 2011 geschiedenen Ehe entstammen ein 1996 geborener Sohn und eine 2002 geborene Tochter, die beide österreichische Staatsbürger sind. Seit 2015 befindet sich der Revisionswerber in einer Beziehung mit einer rumänischen Staatsangehörigen, mit der er einige Monate lang bis zur Inhaftnahme im Oktober 2017 in einem gemeinsamen Haushalt lebte und deren minderjähriger Sohn aus einer früheren Beziehung in Rumänien die Schule besucht. Der Revisionswerber war zuletzt im Zeitraum Februar bis April 2014 (geringfügig) berufstätig.

2        Der Revisionswerber wurde während seines Aufenthaltes in Österreich wiederholt straffällig. Erstmals wurde er mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. Juni 2011 wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt.

3        Mit den rechtskräftigen Urteilen vom 4. Juni 2014 und vom 13. Juni 2016 verhängte das Landesgericht für Strafsachen Wien über den Revisionswerber jeweils wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall, Abs. 3 und 5 SMG eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von sechs Monaten bzw. eine teilbedingte Freiheitsstrafe von neun Monaten, wobei davon ein Teil der Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten bedingt nachgesehen wurde.

4        Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 27. Februar 2017 wurde der Revisionswerber wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall SMG sowie nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG unter Bedachtnahme auf das Urteil vom 13. Juni 2016 zu einer Zusatzstrafe von neun Monaten verurteilt, wobei ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten bedingt nachgesehen wurde. Dem Schuldspruch lag zugrunde, der Revisionswerber habe in neun Fällen in einer die Grenzmenge insgesamt übersteigenden Menge Suchtgift (die Methamphetamin HCL enthaltende Droge „Pico“) von der Slowakei aus- und nach Österreich eingeführt und im Zeitraum von Mai 2015 bis April 2016 anderen überlassen.

5        Mit rechtskräftigem Urteil vom 20. März 2017 verhängte das Landesgericht für Strafsachen Wien über den Revisionswerber wegen Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB und des Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG unter Bedachtnahme auf die Urteile vom 13. Juni 2016 und vom 27. Februar 2017 eine bedingte Zusatzstrafe von einem Monat. Dem Schuldspruch lag zugrunde, der Revisionswerber habe eine näher genannte Frau vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihr im November 2014 eine Ohrfeige versetzt habe, wodurch sie zu Boden gestürzt und mit dem Kopf gegen die Wand gestoßen sei, und indem er ihr im Jänner 2015 eine Ohrfeige versetzt, sie zu Boden geworfen und ihr mehrere Schläge sowie einen Tritt versetzt habe, wobei die Taten jeweils Hämatome und Schwellungen zur Folge gehabt hätten. Weiters habe der Revisionswerber am 22. Februar 2015 zwei Personen jeweils durch das Versetzen einer Ohrfeige zu einer Unterlassung genötigt, nämlich die schon erwähnte Frau am Verlassen der Örtlichkeit und die andere weibliche Person an der Verständigung der Polizei als Reaktion auf das Verhalten des Revisionswerbers. Darüber hinaus habe der Revisionswerber am 5. August 2015 trotz aufrechten Waffenverbotes einen als Handy getarnten Elektroschocker und sieben Stück Munition einer Faustfeuerwaffe besessen.

6        Kurz darauf wurde der Revisionswerber mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16. Mai 2017 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 2 Z 3 und Abs. 3 zweiter Fall SMG, des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG sowie wegen des Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG - unter Widerruf der mit Urteil vom 4. Juni 2014 gewährten bedingten Strafnachsicht - zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Dem Schuldspruch lag zugrunde, der Revisionswerber habe im Zeitraum von August bis Dezember 2016 in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Menge des Suchtgifts „Pico“ erworben bzw. besessen und gewinnbringend anderen Personen überlassen, wobei er selbst an ein Suchtmittel gewöhnt sei und die strafbaren Handlungen vorwiegend begangen habe, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen. Zudem habe der Revisionswerber zumindest am 14. Dezember 2016 trotz Waffenverbotes eine Waffe, nämlich ein Butterflymesser, besessen.

7        Der Vollzug der beiden Freiheitsstrafen wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16. Juni 2017 aufgeschoben, damit sich der Revisionswerber unter anderem einer ärztlichen Behandlung einschließlich Entzugs- und Substitutionsbehandlung unterziehe, wobei auf eine sechsmonatige stationäre Behandlung eine ambulante Therapie folgen sollte. Am 2. Oktober 2017 wurde der Revisionswerber, der zuvor die Therapie schon nach einem Tag abgebrochen hatte, wegen des dringenden Verdachts der neuerlichen Begehung eines Suchtmitteldeliktes festgenommen und über ihn die Untersuchungshaft verhängt.

8        Mit rechtskräftigem Urteil vom 15. Juni 2018 verurteilte das Landesgericht für Strafsachen Wien den Revisionswerber dann erneut wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall, Abs. 3 und 5 SMG und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall SMG - unter Widerruf der mit den Urteilen vom 13. Juni 2016 und vom 27. Februar 2017 gewährten bedingten Strafnachsichten - zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten, da er im Zeitraum von Juli 2017 bis Oktober 2017 das Suchtgift „Pico“ in einer die Grenzmenge nicht übersteigenden Menge anderen gewerbsmäßig überlassen und am 2. Oktober 2017 mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, besessen habe, indem er es in einer näher genannten Menge in seiner Wohnung für weitere Abnehmer bereitgehalten habe, wobei der Revisionswerber diese Taten vorwiegend deshalb begangen habe, um sich Suchtgift zu verschaffen, und er selbst an Suchtgift gewöhnt gewesen sei.

9        Wegen dieser Straftaten erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 13. September 2019 gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung und verband damit gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot. Des Weiteren stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Türkei zulässig sei, räumte gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die Ausreise ein und erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG ab.

10       In Erledigung der dagegen erhobenen Beschwerde erließ das BFA mit Bescheid vom 19. November 2019 unter Wiederholung der im erstgenannten Bescheid enthaltenen Spruchpunkte eine die Beschwerde abweisende und im Wesentlichen inhaltsgleiche Beschwerdevorentscheidung.

11       Im Hinblick auf einen fristgerechten Vorlageantrag wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde mit dem angefochtenen, in der Verhandlung am 7. Februar 2020 mündlich verkündeten und mit 9. März 2020 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis „mit der Maßgabe“ als unbegründet ab, dass es die Dauer des Einreiseverbotes auf sechs Jahre herabsetzte. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

12       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.

13       Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

15       Unter diesem Gesichtspunkt wendet sich die Revision ausschließlich gegen die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG und macht das Abweichen des BVwG von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes geltend, wonach bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen sei. Auf den gegenständlichen Fall übertragen, ergebe diese Judikatur für den Revisionswerber ein Aufenthaltsrecht nach Art. 8 EMRK, zumal nichts vorliege, „das zu einer Steigerung der öffentlichen Interessen an einer Außerlandesbringung beitragen könnte“.

16       Dem ist zunächst entgegen zu halten, dass diese Judikaturlinie nur für die Frage maßgeblich ist, ob einem unrechtmäßig aufhältigen Fremden ein aus Art. 8 EMRK ableitbares Aufenthaltsrecht zuzugestehen ist, und sie daher in Fällen wie dem vorliegenden, in dem es um eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen einen aufgrund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen wegen dessen Straffälligkeit geht, schon von vornherein nicht einschlägig ist. Außerdem käme diese Judikaturlinie, die sich in der Regel nur auf strafrechtlich unbescholtene Fremde bezieht, im gegenständlichen Fall auch wegen der - beim wiedergegebenen Revisionsvorbringen ausgeblendeten - Straffälligkeit des Revisionswerbers nicht zum Tragen (vgl. etwa VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn. 14, mwN).

17       In Anbetracht des - durch einschlägige, zuletzt in kurzen Abständen und ungeachtet eines gewährten Strafaufschubs erfolgte Rückfälle gekennzeichneten - strafrechtlichen Fehlverhaltens des Revisionswerbers kann im Übrigen keine Rede davon sein, dass keine Aspekte vorlägen, die das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung verstärken könnten. Das BVwG durfte daher im Rahmen der Interessenabwägung vertretbar davon ausgehen, dass die gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im Sinne des § 52 Abs. 5 FPG, die der weitere Aufenthalt des Revisionswerbers nach der in der Revision unbekämpften Einschätzung des BVwG darstellt, das öffentliche Interesse insbesondere hinsichtlich der Bekämpfung von Suchtgiftkriminalität maßgeblich erhöht, sodass die persönlichen Interessen des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet auch unter (durch die Herabsetzung der Dauer des Einreiseverbotes) ausreichender Berücksichtigung der langen Aufenthaltsdauer und der familiären Bindungen des Revisionswerbers in Österreich in den Hintergrund zu treten haben. Die vom Revisionswerber weiters noch geltend gemachten Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Herkunftsstaat sind aber - wie das BVwG ebenfalls der Sache nach vertretbar annahm - im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen. Eine solche einzelfallbezogene und nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Verwertung des dabei vom Revisionswerber gewonnenen persönlichen Eindrucks vertretbar vorgenommene Beurteilung steht nach ständiger Rechtsprechung der Zulässigkeit einer Revision entgegen (vgl. etwa VwGH 1.7.2021, Ra 2021/21/0034, Rn. 18, mwN).

18       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 7. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210192.L00

Im RIS seit

12.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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