TE Vwgh Beschluss 2021/10/13 Ra 2021/01/0324

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Veröffentlicht am 13.10.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
25/01 Strafprozess

Norm

B-VG Art130 Abs1 Z2
StPO 1975 §120 Abs1
StPO 1975 §121

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des I M in W, vertreten durch Dr. Farid Rifaat, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 23. Juli 2021, Zl. VGW-102/067/15411/2020-47, betreffend Maßnahmenbeschwerde im Zusammenhang mit einer Hausdurchsuchung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Beschluss wurde die Beschwerde des Revisionswerbers wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anlässlich der Durchsuchung (s)einer näher bezeichneten Wohnung auf Grund von näher bezeichneten staatsanwaltschaftlichen Anordnungen durch Organe der Landespolizeidirektion Wien am 9. November 2020 um ca. 05:00 Uhr morgens gemäß § 28 Abs. 1 und 6 iVm § 31 Abs. 1 VwGVG zurückgewiesen (1.), der Revisionswerber zu näher bezeichnetem Kostenersatz gegenüber dem Bund verpflichtet (2.) und ausgesprochen, dass die Revision unzulässig sei (3.).

2        Begründend stellte das Verwaltungsgericht auf das Wesentliche zusammengefasst fest, die Staatsanwaltschaft Graz habe wegen des Verdachtes nach § 165 Abs. 3 StGB (Geldwäscherei in Bezug auf eine kriminelle Organisation oder eine terroristische Vereinigung), § 278b Abs. 2 StGB (Mitglied einer terroristischen Vereinigung) und § 278d Abs. 1 und 1a Z 1 oder 2 StGB (Terrorismusfinanzierung) am 14. Oktober 2020 eine den Revisionswerber betreffende Anordnung der Wohnungsdurchsuchung, Sicherstellung und Vorführung zur sofortigen Vernehmung erlassen, welche mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen (gemeint: Graz) am 15. Oktober 2020 bewilligt worden sei. Am 9. November 2020 um ca. 05:03 Uhr sei die Wohnungstüre des Revisionswerbers von eines Beamten des Einsatzkommandos Cobra mittels eines näher bezeichneten technischen Öffnungsgerätes ohne vorherigen Versuch, die Wohnung ohne Anwendung von Zwangsgewalt zu betreten, geöffnet worden. Sodann traf das Verwaltungsgericht nähere Feststellungen zum Ablauf der Hausdurchsuchung, welche um ca. 07:45 Uhr beendet worden sei.

3        Ausgehend vom Inhalt der staatsanwaltschaftlichen Anordnung ergebe sich (auch nach der klarstellenden Ausführung im Schreiben des zuständigen Staatsanwaltes vom 29. Juni 2021), dass die staatsanwaltliche Anordnung auch die Ermächtigung zur gewaltsamen Wohnungsöffnung enthalten habe. Bei der Durchsetzung der Anordnung der Staatsanwaltschaft oder des Gerichtes komme gemäß § 93 Abs. 1 StPO der Kriminalpolizei die Befugnis zur Anwendung von Zwangsgewalt zu. Dass seitens der belangten Behörde aus einsatztaktischen Gründen nicht von der staatsanwaltschaftlichen Ermächtigung Abstand genommen worden sei, vermöge für sich keine Überschreitung der staatsanwaltschaftlichen Anordnung darzutun. Eine exzessive Überschreitung der den Organen zukommenden Befugnis zur Anwendung von Zwangsgewalt im Zuge der in Beschwerde gezogenen Handlungen könne das Verwaltungsgericht nicht erkennen. Die Modalitäten und die näheren Umstände, unter denen die Hausdurchsuchung erfolgt sei, seien keine vor den Verwaltungsgerichten selbständig bekämpfbare Maßnahmen. Die Beschwerde erweise sich daher als unzulässig.

4        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision behauptet zu ihrer Zulässigkeit eine Abweichung des angefochtenen Beschlusses von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, weil das Verwaltungsgericht die von der belangten Behörde vorgenommene gewaltsame Türöffnung nicht als Exzess angesehen habe und nicht von einer Überschreitung des Hausdurchsuchungsbefehls ausgegangen sei. Das Verwaltungsgericht sei von (nicht näher zitierter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es „unter völliger Negierung des Vorbringens und der Beweismittel in aktenwidriger Weise unter falscher Darlegungen und unter fälschlicher Berufung auf die Ausführungen der belangten Behörde“ festgestellt habe, dass die von der belangten Behörde vorgenommene gewaltsame Türöffnung und das gewaltsame Eindringen in die Wohnung keinen Exzess und keine Überschreitung der staatsanwaltlichen Anordnung dargestellt hätten.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits klargestellt, dass es für die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes zur Behandlung der Maßnahmenbeschwerde nach Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG entscheidend darauf ankommt, ob die gesetzten Maßnahmen durch die gerichtliche Anordnung gedeckt waren. Ausgangspunkt einer entsprechenden Beurteilung ist der Wortlaut des richterlichen Befehls. Auch dessen Sinngehalt ist für die Auslegung von Bedeutung. Für die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes zur Behandlung der Maßnahmenbeschwerde nach Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG ist alleine maßgeblich, ob es zu einer Überschreitung des Hausdurchsuchungsbefehls im Sinne eines Exzesses gekommen ist.

Die Modalitäten und die näheren Umstände, unter denen eine Hausdurchsuchung erfolgte, sind keine vor dem Verwaltungsgericht selbstständig bekämpfbaren Maßnahmen. Bei einer auf Grund eines richterlichen Befehls durchgeführten Hausdurchsuchung ist auch die Vorgangsweise bei Durchsetzung des Hausdurchsuchungsbefehls dem Gericht zuzurechnen. Auch wird die rechtliche Zurechnung des Vollzugshandelns zur Justizgewalt nicht schon dadurch unterbrochen, dass im Vollzug des richterlichen Befehls Gesetzwidrigkeiten hinsichtlich der bei einem Akt zu wahrenden Förmlichkeiten unterlaufen. Durchbrochen wird der Auftragszusammenhang des Organhandels zur richterlichen Gewalt nur durch solche Maßnahmen, die ihren Inhalt und Umfang nach in der gerichtlichen Anordnung keine Deckung mehr finden.

Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof ist nur dann unausweichlich, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist daher nach dem Revisionsmodell nicht dazu berufen, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern - diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten (vgl. zu allem VwGH 14.12.2018, Ro 2018/01/0017, mwN).

10       Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung zeigt die Revision in der vorliegenden Rechtssache keine krasse bzw. unvertretbare Beurteilung des Einzelfalles durch das Verwaltungsgericht im Rahmen der Grundsätze bzw. Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes zu den Modalitäten einer Hausdurchsuchung auf.

11       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 13. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021010324.L00

Im RIS seit

12.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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