Index
E000 EU- Recht allgemeinNorm
AsylG 2005 §12Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. Schindler sowie den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, über die Revision des XY, vertreten durch Mag. Tanja Hudelist, Rechtsanwältin in 9560 Feldkirchen, Dr.-Arthur-Lemisch-Straße 5/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. März 2019, L502 2188349-2/7E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt A) I., soweit damit die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis VI. des angefochtenen Bescheides vom 28. Jänner 2019 (Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz, Versagung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005, Erlassung einer Rückkehrentscheidung, Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak, Nichtgewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise) abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der im Jahr 1990 geborene Revisionswerber stammt aus dem Irak. Er stellte nach unrechtmäßiger Einreise in Österreich am 18. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Im Rahmen der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er an, Schiit zu sein. Schiitische Milizen hätten ihn aufgefordert, für sie zu kämpfen. Er wolle aber nicht kämpfen und auch nicht andere Leute töten oder selbst getötet werden. Außerdem sei die Lage im Irak sehr schlecht; es herrsche dort Krieg. Weiters betonte der Revisionswerber, dass dies sein „einziger Fluchtgrund“ sei.
2 Mit dem von seinem rechtsfreundlichen Vertreter dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl übermittelten Schreiben vom 23. März 2016 ersuchte der Revisionswerber um Vornahme seiner (bis dahin unterbliebenen) Vernehmung im Asylverfahren und brachte unter Hinweis auf gleichzeitig vorgelegte Unterlagen vor, er sei (gemeint: im Heimatland) fünf Monate lang in Untersuchungshaft angehalten worden. Ihm sei die Beteiligung an strafbaren Handlungen vorgeworfen worden. Weiters verwies er darauf, dass ihm im Jahr 2008 eine Schusswunde zugefügt worden sei.
3 Am 30. Mai 2017 wurde der Revisionswerber vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vernommen. Er gab zunächst an, ledig zu sein und keine Kinder zu haben. Er sei in Bagdad geboren und habe immer dort gelebt. Sein Vater und seine Geschwister - drei Brüder und zwei Schwestern - hätten ebenfalls in Bagdad gelebt; seine Mutter sei bereits verstorben. Der Revisionswerber habe bei ihnen gewohnt. Ob die Familie immer noch in Bagdad sei, wisse er nicht. Er habe in Bagdad bei einem näher bezeichneten Unternehmen als Kaufmann gearbeitet und SIM-Karten und Ladebons verkauft.
4 Über Aufforderung, die Gründe für das Verlassen des Heimatlandes zu schildern, führte der Revisionswerber aus, er und sein Vater seien Schiiten, seine Mutter und deren Verwandte hingegen Sunniten. Es gebe unter den Verwandten der Mutter „einige Leute“, die radikalen Gruppen angehörten. Diese hätten gewollt, dass der Revisionswerber ihnen vier SIM-Karten gebe. Sie hätten ihm gesagt, dass sie ihre Personalausweise nicht bei sich hätten. Da es sich um Verwandte gehandelt habe, habe der Revisionswerber die SIM-Karten auf seinen Namen registriert. Er habe sich dabei nichts gedacht. Zwei Monate später hätten in Bagdad drei Explosionen stattgefunden. Nach weiteren (etwa) zehn Tagen seien „Leute“ von der Behörde für Terrorbekämpfung zum Haus seiner Eltern gekommen. Den Eltern sei mitgeteilt worden, dass der Revisionswerber gesucht werde. Da er nicht zu Hause gewesen sei, sei sein Vater, den sie dann zwei Tage „bei sich behalten“ hätten, mitgenommen worden. Der Revisionswerber, der von seinem Bruder darüber informiert worden sei, habe dann bei einem Onkel väterlicherseits Unterkunft genommen. Dort seien die Verwandten seiner Mutter aufgetaucht und hätten gedroht, dass sie die ganze Familie auslöschen würden, wenn der Revisionswerber „irgendetwas über sie sage“. Der Revisionswerber habe sich etwa 15 bis 17 Tage bei seinem Onkel aufgehalten. Als er dann mit einem Cousin auf die Straße gegangen sei, sei auf sie geschossen worden. Er habe „eine Kugel in den Hals bekommen“. Sein Cousin sei infolge eines Kopfschusses gestorben. Der Revisionswerber habe in der Folge ein nichtstaatliches Krankenhaus aufgesucht und dort den Ausweis seines Cousins verwendet. Schon zuvor habe er außerdem ein Problem mit „den Milizen“ gehabt. Diese hätten ihn aufgefordert, mit ihnen zu kämpfen. Dem sei der Revisionswerber aber nicht nachgekommen, weil er weder jemanden habe töten noch selbst habe getötet werden wollen. Also habe er jetzt „ein Problem mit den verschiedensten Stellen der Regierung, den Terroristen und mit den Milizen“. Sein Vater habe ihn im Irak für tot erklären lassen. Die vom Sachbearbeiter des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gestellte Frage, „ob das alle Fluchtgründe“ seien, bejahte der Revisionswerber. Im Weiteren wurde der Revisionswerber zu den Details der von ihm ins Treffen geführten Vorfälle befragt. Danach wurde er nochmals gefragt, ob er alle Fluchtgründe genannt habe, worauf er wieder mit „ja“ antwortete. Zu seinem Aufenthalt in Österreich befragt, gab der Revisionswerber an, hier keine familiäre Beziehung zu haben. Jedoch habe er „viele Freunde hier“, die alle Österreicher seien. Am Ende der Befragung wurde der Revisionswerber nochmals gefragt, ob er alles vorgebracht habe, was ihm wichtig erscheine, was von ihm gleichfalls bejaht wurde.
5 Nach Durchführung weiterer Erhebungen wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers mit Bescheid vom 29. Jänner 2018 sowohl hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab. Weiters sprach die Behörde aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen ihn gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde nach § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
6 Die Behörde stufte das Vorbringen des Revisionswerbers als unglaubwürdig ein, wobei sie im Rahmen ihrer beweiswürdigenden Überlegungen des Näheren darlegte, worin sie die Widersprüche, die „Unlogik“ und diverse Ungereimtheiten in den Angaben des Revisionswerbers erblickte.
7 Der - rechtsanwaltlich vertretene - Revisionswerber erhob Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, womit er in erster Linie die Beweiswürdigung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl bekämpfte. Ein Vorbringen dahingehend, dass weitere Fluchtgründe vorhanden wären, wurde nicht erstattet.
8 Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23. Juli 2018 eine Verhandlung durch. Im Rahmen der Verhandlung wurde der Revisionswerber auch ausdrücklich gefragt, ob er hinsichtlich der Fluchtgründe etwas ergänzen wolle und ob diese unverändert seien. Der Revisionswerber gab dazu an, dass seine Gründe „nach wie vor dieselben“ seien.
9 Mit Erkenntnis vom 27. Juli 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und erklärte die Erhebung einer Revision für nicht zulässig.
10 Mit Schreiben vom 27. Juli 2018 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht der Staatsanwaltschaft Graz zwecks strafrechtlicher Würdigung eine Sachverhaltsdarstellung, in der es ausführte, im Rahmen der Verhandlung sei hervorgekommen, dass drei im Asylverfahren vorgelegte Urkunden (Bestätigungen einer irakischen Polizeibehörde und eines irakischen Gerichts über die Inhaftierung und Haftentlassung des Revisionswerbers sowie ein medizinischer Befund eines irakischen Krankenhauses) gefälscht oder verfälscht seien. Der Revisionswerber habe diese Urkunden während seines Aufenthalts in der Türkei von einer ihm unbekannten Person erworben, um durch deren Vorlage seine Chancen, in Europa Asyl erlangen zu können, zu erhöhen. Weiters bestehe der Verdacht, dass der Revisionswerber eine Verleumdung begangen habe, weil er seinen früheren rechtsfreundlichen Vertreter der behördlichen Verfolgung ausgesetzt habe, indem er ihn zu Unrecht bezichtigt habe, dass dieser die Urkunden der Behörde im Wissen um die Fälschung vorgelegt habe.
11 Gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juli 2018 erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung dieser Beschwerde mit Beschluss vom 25. September 2018 ab und trat die Beschwerde über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 25. Oktober 2018 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Die Erhebung einer Revision gegen dieses Erkenntnis ist beim Verwaltungsgerichtshof nicht verzeichnet.
12 Mit Schreiben vom 20. November 2018 brachte die Staatsanwaltschaft Graz dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Kenntnis, dass das aufgrund der Anzeige des Bundesverwaltungsgerichts gegen den Revisionswerber eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei.
13 Mit Bescheid vom 30. November 2018 trug das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Revisionswerber gemäß § 57 Abs. 1 FPG auf, sich binnen drei Tagen in einer näher bezeichneten Betreuungseinrichtung in Schwechat einzufinden und dort bis zu seiner Ausreise Unterkunft zu nehmen. Die Behörde begründete dies damit, dass sich der Revisionswerber strikt und vehement weigere, seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen.
14 Am 4. Dezember 2018 stellte der Revisionswerber einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der Erstbefragung gab er an, dass er bei seiner ersten Einvernahme „andere Gründe“ genannt habe. Er habe Angst gehabt, die wahren Gründe bekannt zu geben. Er sei schon sein ganzes Leben homosexuell. Das sei im Irak und „in seiner Religion“ nicht erlaubt. Die wahren Gründe habe er bislang nicht angeben können, weil er Angst um sein Leben gehabt habe. Auch „im Camp in Österreich“ habe er nichts sagen können, weil dort viele Iraker gelebt hätten.
15 Am 13. Dezember 2018 wurde der Revisionswerber vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vernommen. Im Zuge der Vernehmung legte der Revisionswerber ein Schreiben des Vereines Q B vor, demzufolge er mit der dortigen Beratungsstelle seit Juni 2018 in Kontakt stehe und aufgrund seiner Homosexualität spezifische Beratung „im Bereich Coming Out und Safer Sex“ benötige. Er sei - so in diesem Schreiben weiter - von einem Freund, der ebenfalls Klient des Vereines Q B sei, zur Beratungsstelle gebracht worden. Der Revisionswerber, für den es schwer sei, über seine Sexualität zu reden, habe bisher seine sexuelle Identität verstecken müssen. Daher habe er „in seinem ersten Asylantrag“ davon nichts gesagt. In Österreich sei er in einem Dorf untergebracht gewesen, wo es keine „Schwulenlokale“ gebe. Deswegen habe er auch „keine Kontakte mit anderen schwulen Männern“ gehabt. Als er nach Wien habe kommen können, habe er regelmäßig die sozialen Events des Vereines besucht. Mittlerweile habe er auch „schwule Freunde gefunden und kenn[e] diverse Schwule[n]lokale in Wien“. Weiters gaben drei Männer - im wesentlichen gleichlautende - schriftliche und ebenfalls vom Revisionswerber vorgelegte Stellungnahmen ab, in denen sie darauf hinwiesen, selbst aus dem Irak zu stammen, homosexuell zu sein und mit dem Revisionswerber durch Telefonate und Treffen in sowie Besuche von diversen Einrichtungen, wie etwa „Schwulenlokale“ und „einem schwulen Club“, sowie von Veranstaltungen („Regenbogenparade“) in Kontakt zu stehen. Sie würden sich im Verfahren des Revisionswerbers auch als Zeugen zur Verfügung stellen.
16 Im Rahmen der Vernehmung vom 13. Dezember 2018 verwies der Revisionswerber zunächst darauf, dass seine bisherigen Fluchtgründe aufrecht seien, und sich nunmehr auch „seine Eltern“ von ihm abgewendet hätten und nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten. Wenn er sich im Irak befände, würde er „von der Miliz“ getötet werden. Auch seine Familienangehörigen würden ihn umbringen, weil sie mit seinem Lebensstil nicht einverstanden seien. Österreich sei das einzige Land, das ihn beschützen könne. Befragt, welche neuen Fluchtgründe der Revisionswerber vorbringen wolle, gab er an, dass er, als er sein Land habe verlassen müssen, in einem kleinen Ort gelebt habe, wo seine Homosexualität nicht geduldet werde. Dort sei er „dem Tod geweiht“. Nach seiner Ankunft in Österreich habe er erfahren, dass hier die Freiheit des Menschen im Vordergrund stehe und Menschenrechte „eine[m] wie mir“ gewährt würden. Seit der Ankunft in Österreich könne er „mit gleichgesinnten gut auskommen und mit diesen [s]ein Leben leben“. Er sei seit seiner Pubertät homosexuell, habe aber „in Angst leben und versteckt leben“ müssen. Dazu befragt, weshalb er dies nicht bereits im ersten Asylverfahren angegeben habe, führte der Revisionswerber aus, die Situation in Österreich sei ihm nicht bekannt gewesen. Er habe nicht gewusst, dass er „es“ in Österreich ausleben dürfe, und er habe Angst gehabt, sich vor Arabern zu outen. Erst durch die Hilfe einer Organisation sei es leichter, „darüber“ zu sprechen. Im Juni 2018 sei er dahingehend aufgeklärt worden, dass er in Österreich „wie jeder normale Mensch“ leben könne, egal welche sexuelle Orientierung er habe. Erst da habe er „sich entfalten“ und aus sich „herauskommen“ können. Im Irak würde er getötet werden, damit die Ehre der Familie aufrecht bleibe. Er habe schon im Irak versucht, sich an anderen Orten zu verstecken. Er habe aber erfahren müssen, „dass es allgegenwärtig“ sei. Er habe von Freunden immer wieder gewarnt werden müssen, weil die Jagd auf Menschen wie ihn „eröffnet“ worden sei.
17 Das Asylverfahren des Revisionswerbers über den Folgeantrag wurde nicht zugelassen. Mit einer dem Revisionswerber noch am 13. Dezember 2018 durch persönliche Übergabe zugestellten Verfahrensanordnung wurde ihm gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 zur Kenntnis gebracht, dass beabsichtigt sei, seinen Folgeantrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, weil davon auszugehen sei, dass entschiedene Sache im Sinn des § 68 Abs. 1 AVG vorliege.
18 Am 19. Dezember 2018 wurde der Revisionswerber neuerlich vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vernommen. Nach Vorlage weiterer Urkunden gab er über Befragen an, dass er „primär“ wegen seiner Homosexualität den Irak verlassen habe, aber auch wegen der Verfolgung durch die schiitische Miliz. Seine Lebensweise sei eine Beleidigung für die Familie. Diese wisse seit dem Jahr 2011 von seiner Homosexualität. Seine Angehörigen würden ihn töten, wenn sie ihn „erwischen“ würden.
19 Nachdem der Revisionswerber schriftlich eine weitere Stellungnahme erstattet hatte, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, ohne zuvor jene Männer, die eine schriftliche Stellungnahme abgegeben hatten, als Zeugen zu befragen, den vom Revisionswerber am 4. Dezember 2018 gestellten (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz sowohl betreffend das Begehren auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid vom 28. Jänner 2019 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkte I. und II). Weiters sprach die Behörde aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.) erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nach § 55 Abs. 1a FPG nicht eingeräumt (Spruchpunkt VI.). Weiters enthält der Bescheid - nachdem der Revisionswerber bereits zuvor mit Verfahrensordnung in diesem Sinn aufgefordert worden war - den Abspruch darüber, dass ihn seit 15. Jänner 2019 die Pflicht treffe, in einem näher bezeichneten Quartier in Rappitsch Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VIII.).
20 In seiner Begründung ging das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - nach Offenlegung seiner beweiswürdigenden Erwägungen und soweit hier wesentlich - davon aus, die neu vorgebrachten Gründe hätten „keine glaubhafte Substanz“. Den „neu vorgebrachten Sachverhalten“ könne keine Glaubwürdigkeit „zugebilligt“ werden. Da in der maßgeblichen Sachlage keine Änderung eingetreten sei, stehe die Rechtskraft der im ersten Asylverfahren ergangenen Entscheidung einer neuen inhaltlichen Entscheidung über den Folgeantrag entgegen. Der Folgeantrag sei daher wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
21 Den Ausspruch betreffend die Feststellung, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in den Irak zulässig sei, begründete die Behörde allein damit, dass sich bereits aus den Erwägungen zur Zurückweisung seines Antrages auf internationalen Schutz ergebe, dass für ihn im Fall der Rückkehr in sein Heimatland keine Gefährdung im Sinn des § 50 FPG bestehe.
22 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, in der er (u.a.) auch die Durchführung einer Verhandlung beantragte.
23 Nach einer internen Diskussion am Bundesverwaltungsgericht, ob nach dem AsylG 2005 ein Richter desselben Geschlechts wie jenes des Revisionswerbers das Verfahren zu führen habe, wurde das Beschwerdeverfahren letztlich der von einem männlichen Richter geleiteten Gerichtsabteilung L502 endgültig zugewiesen.
24 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis vom 18. März 2019 gab das Bundesverwaltungsgericht (durch den Richter der Gerichtsabteilung L502) der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Erlassung des Einreiseverbotes richtete, statt und hob diesen Ausspruch ersatzlos auf. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei. Eine Verhandlung führte das Verwaltungsgericht nicht durch.
25 In seiner Begründung ging das Bundesverwaltungsgericht - soweit hier von Interesse - davon aus, der Revisionswerber habe seine im ersten Asylverfahren als unglaubwürdig eingestuften Fluchtgründe aufrechterhalten. Dies stelle keinen neuen Sachverhalt dar, der zu einer weiteren Sachentscheidung führen könnte. Der Revisionswerber habe aber auch - insoweit neu - eine Verfolgung wegen seiner sexuellen Orientierung geltend gemacht. Nach diversen beweiswürdigenden Überlegungen, weshalb es nicht glaubwürdig sei, dass es dem Revisionswerber nicht möglich gewesen wäre, das Vorbringen zu seiner Homosexualität schon im ersten Asylverfahren zu erstatten, kam das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis, dass „[a]us diesem Versäumnis, dies nicht getan zu haben“, folge, dass, unabhängig von der Frage, ob der Revisionswerber tatsächlich homosexuell orientiert sei (und deswegen im Heimatland einer asylrelevanten Verfolgung unterliege), das Prozesshindernis der entschiedenen Sache vorliege.
26 Die Revision sei ungeachtet dieses Ergebnisses in Bezug auf die Frage der Besetzung des Gerichts zuzulassen. Es sei nämlich in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch nicht geklärt, ob § 20 AsylG 2005 auch dann Anwendung zu finden habe, wenn der Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sei.
27 Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Einlangen der gegen dieses Erkenntnis erhobenen ordentlichen Revision das nach § 30a VwGG vorgesehene Verfahren durchgeführt und im Anschluss die Revision samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
28 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:
29 Zum Umfang der Anfechtung ist eingangs festzuhalten, dass sich die Revision nach ihrem Inhalt - im Besonderen auch nach den geltend gemachten Revisionspunkten - nicht gegen jenen Ausspruch wendet, mit dem dem Revisionswerber der Auftrag erteilt wurde, an einer bestimmten Örtlichkeit Unterkunft zu nehmen. Weiters wird die Aufhebung jenes behördlichen Ausspruches, mit dem ein Einreiseverbot erlassen worden war, erkennbar nicht bekämpft.
30 Der Revisionswerber verweist zur Zulässigkeit der Revision zunächst auf die vom Bundesverwaltungsgericht dargelegten Erwägungen. Er stellt allerdings die Richtigkeit der Besetzung des Gerichts nicht infrage.
31 Jene Rechtsfrage, die das Bundesverwaltungsgericht zum Anlass genommen hat, im vorliegenden Fall die Revision zuzulassen, wurde vom Verwaltungsgerichtshof mittlerweile mit dem Erkenntnis vom 26. Mai 2021, Ra 2020/19/0002 bis 0007, geklärt. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen. Aus den dort genannten Gründen hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall, in dem die Vorschrift des § 20 Abs. 2 AsylG 2005 beachtet wurde, in korrekter Besetzung entschieden.
32 Der Revisionswerber wendet sich zur Begründung der Zulässigkeit der Revision aber auch gegen die Annahme, sein zweiter Antrag auf internationalen Schutz wäre zurückzuweisen. Insoweit macht er geltend, es liege zwar nicht in seiner Homosexualität ein neuer Sachverhalt, aber in der nunmehr gegebenen Fähigkeit, diese artikulieren zu können. Sein Vorbringen, dass er erst infolge „seines Coming Outs“ dazu in der Lage gewesen sei, sei „jedenfalls“ glaubwürdig, weil dies mit der allgemeinen Lebenserfahrung in Einklang stehe. Seinem Vorbringen komme auch im Hinblick auf das Vorbringen zur Verfolgung von homosexuellen Menschen im Irak und den diesbezüglichen Berichten zur Situation von Menschen mit solcher sexuellen Orientierung in diesem Land Asylrelevanz zu. Es stelle sich die Frage, ob die österreichische Rechtslage dem Unionsrecht entspreche. Nach österreichischem Recht hätte der Revisionswerber das Vorbringen zur Homosexualität bereits im ersten Asylverfahren erstatten müssen. Es sei davon auszugehen, dass diesbezüglich nova reperta vorlägen. Diese könnten nach innerstaatlichem Recht nach rechtskräftigem Abschluss eines bereits abgeführten Verfahrens nur mit einem Antrag auf Wiederaufnahme des abgeschlossenen Verfahrens geltend gemacht werden, wobei dies nur innerhalb einer Frist von zwei Wochen zulässig sei. Nach Art. 40 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU sei es aber zulässig, im Rahmen eines Folgeantrages auch ein auf nova reperta gestütztes Vorbringen zu erstatten. Die Richtlinie unterscheide nämlich - anders als das österreichische Recht - nicht zwischen nova reperta und nova producta. Es reiche danach vielmehr aus, dass „neue Elemente oder Erkenntnisse“ vorlägen. Zwar sei es nach der Richtlinie zulässig, eine „Verschuldensschranke einzuziehen“. Jedoch liege im gegenständlichen Fall kein Verschulden des Revisionswerbers in Bezug darauf vor, dass er sein Vorbringen nicht schon früher erstattet habe. Zudem sehe die Richtlinie keine Frist vor, innerhalb derer ein sich auf die neuen Elemente oder Erkenntnisse beziehender Antrag, wie es nach nationalem Recht für den Wiederaufnahmeantrag angeordnet sei, gestellt werden müsste. Es sei auch Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU zu beachten, wonach der Zugang zu einem neuen Verfahren nicht verunmöglicht werden dürfe und das nationale Recht nicht zu einer effektiven Aufhebung oder erheblichen Beschränkung dieses Zugangs führen dürfe. Das Bundesverwaltungsgericht habe die Vorgaben der Richtlinie nicht beachtet. Zu dieser Frage fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters macht der Revisionswerber geltend, selbst wenn es das Unionsrecht zulasse, dass der Folgeantrag auf internationalen Schutz nicht inhaltlich bearbeitet werden müsse, hätte das Bundesverwaltungsgericht die Homosexualität des Revisionswerbers jedenfalls bei der Beurteilung, ob ein Refoulementverbot gegeben sei, berücksichtigen müssen. Er habe ausführlich dargelegt, dass ihm wegen seiner Homosexualität im Irak Verfolgung drohe. Daher hätte das Verwaltungsgericht auch Feststellungen „zu seiner Homosexualität“ (offenkundig gemeint: Feststellungen dazu, ob der Revisionswerber tatsächlich homosexuell sei) treffen müssen.
33 Weiters wendet sich der Revisionswerber gegen die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, es habe über die Beschwerde, die sich gegen eine im Zulassungsverfahren getroffene Entscheidung gerichtet habe, ohne Durchführung einer Verhandlung entscheiden dürfen. In der Beschwerde sei die Beweiswürdigung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl auch in Bezug auf die Beurteilung zum Bestehen seiner Homosexualität substantiiert bestritten worden. Die Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Verhandlung nach § 21 Abs. 7 BFA-VG seien somit nicht vorgelegen. Ob das Bundesverwaltungsgericht nach § 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA-VG verpflichtet gewesen sei, eine Verhandlung durchzuführen, habe es gar nicht geprüft. Da sich die Beweiswürdigung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, ebenso wie jene des Bundesverwaltungsgerichts, als unschlüssig darstelle, lägen in Bezug auf die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Revisionswerbers Ermittlungsmängel vor, die das Verwaltungsgericht in der für das Zulassungsverfahren gebotenen Eile hätte beseitigen können. Das Bundesverwaltungsgericht hätte eine Verhandlung, in der jedenfalls der Revisionswerber ergänzend zu befragen und die beantragten Zeugen zu vernehmen gewesen wären, durchführen müssen.
34 Schließlich wendet sich der Revisionswerber unter Hinweis auf die Dauer seines bisherigen Aufenthalts gegen die im Rahmen der Rückkehrentscheidung vom Bundesverwaltungsgericht nach § 9 BFA-VG vorgenommene Interessenabwägung.
35 Im Hinblick auf das Vorbringen zu einer möglichen Unionsrechtswidrigkeit der nationalen Rechtslage stellt sich die Revision als zulässig dar.
36 Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 18. Dezember 2019 dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„1. Erfassen die in Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), im Weiteren: Verfahrensrichtlinie, enthaltenen Wendungen ‚neue Elemente oder Erkenntnisse‘, die ‚zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind‘, auch solche Umstände, die bereits vor rechtskräftigem Abschluss des früheren Asylverfahrens vorhanden waren?
Falls Frage 1. bejaht wird:
2. Ist es in jenem Fall, in dem neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im früheren Verfahren ohne Verschulden des Fremden nicht geltend gemacht werden konnten, ausreichend, dass es einem Asylwerber ermöglicht wird, die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen früheren Verfahrens verlangen zu können?
3. Darf die Behörde, wenn den Asylwerber ein Verschulden daran trifft, dass er das Vorbringen zu den neu geltend gemachten Gründen nicht bereits im früheren Asylverfahren erstattet hat, die inhaltliche Prüfung eines Folgeantrages infolge einer nationalen Norm, die einen im Verwaltungsverfahren allgemein geltenden Grundsatz festlegt, ablehnen, obwohl der Mitgliedstaat mangels Erlassung von Sondernormen die Vorschriften des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt und infolge dessen auch nicht ausdrücklich von der in Art. 40 Abs. 4 Verfahrensrichtlinie eingeräumten Möglichkeit, eine Ausnahme von der inhaltlichen Prüfung des Folgeantrages vorsehen zu dürfen, Gebrauch gemacht hat?“
37 Der EuGH hat diese Fragen in seinem Urteil vom 9. September 2021, C-18/20, wie folgt beantwortet:
„1. Art. 40 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ist dahin auszulegen, dass die Wendung ‚neue Elemente oder Erkenntnisse‘, die ‚zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind‘, im Sinne dieser Bestimmung sowohl Elemente oder Erkenntnisse, die nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über den früheren Antrag auf internationalen Schutz eingetreten sind, als auch Elemente oder Erkenntnisse umfasst, die bereits vor Abschluss dieses Verfahrens existierten, aber vom Antragsteller nicht geltend gemacht wurden.
2. Art. 40 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 ist dahin auszulegen, dass die Prüfung eines Folgeantrags auf internationalen Schutz in der Sache im Rahmen der Wiederaufnahme des Verfahrens über den ersten Antrag vorgenommen werden kann, sofern die auf diese Wiederaufnahme anwendbaren Vorschriften mit Kapitel II der Richtlinie 2013/32 im Einklang stehen und für die Stellung dieses Antrags keine Ausschlussfristen gelten.
3. Art. 40 Abs. 4 der Richtlinie 2013/32 ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat, der keine Sondernormen zur Umsetzung dieser Bestimmung erlassen hat, nicht gestattet, in Anwendung der allgemeinen Vorschriften über das nationale Verwaltungsverfahren die Prüfung eines Folgeantrags in der Sache abzulehnen, wenn die neuen Elemente oder Erkenntnisse, auf die dieser Antrag gestützt wird, zur Zeit des Verfahrens über den früheren Antrag existierten und in diesem Verfahren durch Verschulden des Antragstellers nicht vorgebracht wurden.“
38 § 68 und § 69 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) legen (auszugsweise) fest:
„Abänderung und Behebung von Amts wegen
§ 68. (1) Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, sind, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
(2) ...
...
Wiederaufnahme des Verfahrens
§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
1. ...
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder
3. ...
...
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Bescheides und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat.“
39 § 32 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) sieht (auszugsweise) vor:
„Wiederaufnahme des Verfahrens
§ 32. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn
1. ...
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder
3. ...
...
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
(4) ...
(5) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.“
40 § 2 und § 75 AsylG 2005 bestimmen (auszugsweise):
„Begriffsbestimmungen
§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist
1. ...
23. ein Folgeantrag: jeder einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag;
24. ...
...
Übergangsbestimmungen
§ 75. (1) ...
(4) Ab- oder zurückweisende Bescheide auf Grund des Asylgesetzes, BGBl. Nr. 126/1968, des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992, sowie des Asylgesetzes 1997 begründen in derselben Sache in Verfahren nach diesem Bundesgesetz den Zurückweisungstatbestand der entschiedenen Sache (§ 68 AVG).
(5) ...
...“
41 Art. 33 und Art. 40 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), im Weiteren: Verfahrensrichtlinie, lauten (auszugsweise):
„Artikel 33 - Unzulässige Anträge
(1) Zusätzlich zu den Fällen, in denen nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 ein Antrag nicht geprüft wird, müssen die Mitgliedstaaten nicht prüfen, ob dem Antragsteller der internationale Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU zuzuerkennen ist, wenn ein Antrag auf der Grundlage des vorliegenden Artikels als unzulässig betrachtet wird.
(2) Die Mitgliedstaaten können einen Antrag auf internationalen Schutz nur dann als unzulässig betrachten, wenn
a) ...
...
d) es sich um einen Folgeantrag handelt, bei dem keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zu der Frage, ob der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, oder
e) ...
...
Artikel 40 - Folgeanträge
(1) Wenn eine Person, die einen Antrag auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat gestellt hat, in demselben Mitgliedstaat weitere Angaben vorbringt oder einen Folgeantrag stellt, prüft dieser Mitgliedstaat diese weiteren Angaben oder die Elemente des Folgeantrags im Rahmen der Prüfung des früheren Antrags oder der Prüfung der Entscheidung, gegen die ein Rechtsbehelf eingelegt wurde, insoweit die zuständigen Behörden in diesem Rahmen alle Elemente, die den weiteren Angaben oder dem Folgeantrag zugrunde liegen, berücksichtigen können.
(2) Für die Zwecke der gemäß Artikel 33 Absatz 2 Buchstabe d zu treffenden Entscheidung über die Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz wird ein Folgeantrag auf internationalen Schutz zunächst daraufhin geprüft, ob neue Elemente oder Erkenntnisse betreffend die Frage, ob der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind.
(3) Wenn die erste Prüfung nach Absatz 2 ergibt, dass neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, wird der Antrag gemäß Kapitel II weiter geprüft. Die Mitgliedstaaten können auch andere Gründe festlegen, aus denen der Folgeantrag weiter zu prüfen ist.
(4) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der Antrag nur dann weiter geprüft wird, wenn der Antragsteller ohne eigenes Verschulden nicht in der Lage war, die in den Absätzen 2 und 3 dargelegten Sachverhalte im früheren Verfahren insbesondere durch Wahrnehmung seines Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 vorzubringen.
(5) Wird ein Folgeantrag nach diesem Artikel nicht weiter geprüft, so wird er gemäß Artikel 33 Absatz 2 Buchstabe d als unzulässig betrachtet.
(6) ...
...“
42 1. Rechtsprechung zur Rechtskraft und entschiedenen Sache
43 Ein von einer Behörde erlassener Bescheid erwächst, wenn kein Rechtsmittelverzicht vorliegt, mit ungenutztem Ablauf der Beschwerdefrist in Rechtskraft (vgl. VwGH 29.10.2019, Ra 2019/09/0030, 0031, mwN). In jenem Fall, in dem die Entscheidung der Behörde mit Beschwerde beim Verwaltungsgericht bekämpft wird, treten die Wirkungen der Rechtskraft allerdings (sofern gesetzlich im Einzelnen nicht ausnahmsweise anderes bestimmt ist) erst mit der Erlassung der Entscheidung über die Beschwerde ein (Sonderkonstellationen, wie etwa die Zurückziehung einer Beschwerde, können hier mangels Relevanz außer Betracht bleiben). Es tritt jede Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, welche - allenfalls unter Rückgriff auf den Inhalt bzw. Abspruch eines (in Beschwerde gezogenen) verwaltungsbehördlichen Bescheides - die Angelegenheit erledigt, die zunächst von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war, an die Stelle des beim Verwaltungsgericht bekämpften Bescheides (vgl. VwGH 19.1.2016, Ra 2015/01/0070, mwN). Hingegen ändert für sich allein die Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof an der Rechtskraft nichts (vgl. VwGH 6.11.2019, Ra 2019/03/0125, mwN).
44 Im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten besteht grundsätzlich kein Neuerungsverbot, sodass von diesen Gerichten im Verfahren über eine Beschwerde gegen einen behördlichen Bescheid auch neu geltend gemachte Tatsachen zu beachten sind. § 20 BFA-VG sieht zwar insofern eine Einschränkung vor, jedoch bedarf es nach der Rechtsprechung für die Annahme eines Neuerungsverbotes der Auseinandersetzung mit der dafür erforderlichen Voraussetzung der missbräuchlichen Verlängerung des Asylverfahrens im jeweils konkreten Einzelfall (vgl. VwGH 29.7.2015, Ra 2015/18/0036, mwN). Dies muss hier aber mangels Relevanz für den vorliegenden Fall nicht weiter vertieft werden.
45 Es bestehen zwar Sonderbestimmungen, die auf Folgeanträge auf internationalen Schutz Bezug nehmen (etwa betreffend die Frage, ob einem Fremden nach der Antragstellung faktischer Abschiebeschutz zukommt und ob der faktische Abschiebeschutz allenfalls aberkannt werden kann). Jedoch richtet sich die Entscheidung, ob ein Folgeantrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen ist, nach den sonst allgemein für das Verwaltungsverfahren geltenden Bestimmungen. Spezifische Bestimmungen für die Behandlung eines Folgeantrages auf internationalen Schutz existieren in Bezug auf die Frage, ob entschiedene Sache vorliegt und der Antrag deswegen nicht inhaltlich in Behandlung zu nehmen ist, nicht. Lediglich eine im AsylG 2005 enthaltene Übergangsregelung sieht vor, dass in Verfahren, die nach dem AsylG 2005 geführt werden, auch jene abweisenden oder zurückweisenden Entscheidungen, die auf Grund früherer Asylgesetze ergangen sind, den Zurückweisungstatbestand der entschiedenen Sache im Sinn des § 68 AVG erfüllen (§ 75 Abs. 4 AsylG 2005).
46 Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
47 Eine dem vergleichbare Norm ist im VwGVG nicht enthalten und auch vom Verweis des § 17 VwGVG nicht erfasst, weil danach die Anwendung der Bestimmungen (u.a.) des IV. Teiles des AVG - somit auch der darin enthaltene § 68 - auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG ausgeschlossen ist.
48 Jedoch hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zum VwGVG bereits festgehalten, dass auf dem Boden der tragenden Grundsätze des Verfahrensrechts und der Rechtssicherheit über in Rechtskraft erwachsene Entscheidungen (grundsätzlich) nicht mehr in merito entschieden werden darf. Die Beachtung rechtskräftiger Entscheidungen zählt zu den Grundsätzen eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens, wobei die Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens allgemein anzuwenden sind. Dieser Grundsatz ist daher auch dann zu beachten, wenn § 17 VwGVG eine sinngemäße Anwendung des IV. Teils des AVG und damit des § 68 Abs. 1 AVG im Rahmen des VwGVG nicht vorkehrt. Auch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts wird mit ihrer Erlassung rechtskräftig, wobei alle Parteien eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens einen Rechtsanspruch auf Beachtung der eingetretenen Rechtskraft haben. Im Zusammenhang mit diesem Grundsatz ist - auch im Verfahren der Verwaltungsgerichte - die einschlägige Rechtsprechung zu § 68 AVG in sinngemäßer Weise heranziehbar. Daraus ist abzuleiten, dass über ein und dieselbe Rechtssache nur einmal rechtskräftig zu entscheiden ist (ne bis in idem). Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit der Entscheidung unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen. Zudem folgt aus dem Gedanken der materiellen Rechtskraft grundsätzlich eine Bindungswirkung der getroffenen Entscheidung (vgl. zum Ganzen VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).
49 Bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache ist (auch vom Verwaltungsgericht) von der rechtskräftigen Vorentscheidung - dies kann auch eine solche einer Verwaltungsbehörde sein - auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit derselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt. Erst nach Erlassung der rechtskräftigen Erstentscheidung hervorkommende Umstände, die eine Unrichtigkeit dieser Entscheidung dartun, stellen keine Änderung des Sachverhalts dar, sondern können lediglich einen Grund zur Wiederaufnahme eines Verfahrens darstellen. Dieser tragende Grundsatz soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern; die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die entschiedene Sache, also durch die Identität der Rechtssache, über die bereits mit einer formell rechtskräftigen Entscheidung abgesprochen wurde, mit der nunmehr vorliegenden (etwa der in einem neuen Antrag intendierten) bestimmt. Auf dem Boden der Rechtsprechung hat auch das Verwaltungsgericht dann, wenn der bei ihm in Beschwerde gezogene verwaltungsbehördliche Bescheid nach den vorstehenden Grundsätzen zu Unrecht eine Sachentscheidung beinhaltete, im Rahmen seiner Prüf- und Entscheidungsbefugnis einen Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen (vgl. auch dazu VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050, mwN).
50 Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt.
51 In jenem Fall, in dem das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den verfahrenseinleitenden Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat, ist „Sache des Beschwerdeverfahrens“ vor dem Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob diese Zurückweisung zu Recht erfolgt ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesfalls zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen früheren Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen - im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen.
52 Eine neue Sachentscheidung ist, wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Folgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Antrag auf internationalen Schutz verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft der über den Erstantrag absprechenden Entscheidung entgegensteht.
53 Behauptete Tatsachen, die bereits zur Zeit des ersten Asylverfahrens bestanden haben, die der Asylwerber jedoch in diesem nicht vorgebracht hat, sind von der Rechtskraft der über den Erstantrag absprechenden Entscheidung erfasst (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 28.8.2019, Ra 2019/14/0091, mwN).
54 2. Zur Frage der (teilweisen) Unvereinbarkeit dieser Rechtslage mit Unionsrecht in Bezug auf Entscheidungen über asylrechtliche Folgeanträge
55 Der Revisionswerber geht davon aus, dass diese (nationale) Rechtslage - im Besonderen jene, die soeben in den Rn. 52 und 53 dargestellt wurde - in Bezug auf Folgeanträge auf internationalen Schutz den Vorgaben der Verfahrensrichtlinie widerspricht. In der Verfahrensrichtlinie werde nämlich - anders als nach der soeben dargestellten österreichischen Rechtslage - nur darauf abgestellt, ob „neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind“. Eine Unterscheidung, wie sie die österreichische Rechtslage in Bezug auf den Zeitpunkt der Entstehung der neu vorgebrachten Tatsachen enthalte, mache die Verfahrensrichtlinie nicht. Die Mitgliedstaaten dürften lediglich vorsehen, dass der Folgeantrag nur dann nicht weiter geprüft werde, wenn der Antragsteller den neu bekanntgegebenen Sachverhalt aus eigenem Verschulden nicht schon im früheren Verfahren (allenfalls durch Wahrnehmung seines Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf) vorgebracht habe. Im hier vorliegenden Fall treffe den Revisionswerber aber kein Verschulden, weil er erst durch die Unterstützung von in Österreich lebenden Personen in die Lage versetzt worden sei, über seine Homosexualität zu sprechen.
56 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen, ohne das Asylverfahren des Revisionswerbers zuzulassen. Die Behörde ist dabei davon ausgegangen, dass die zur Begründung des Folgeantrages aufgestellten Behauptungen des Revisionswerbers, homosexuell zu sein, nicht den Tatsachen entsprächen. Daraus schloss die Behörde, dass kein neuer Sachverhalt vorliege, der zur Gewährung von internationalem Schutz führen könnte, sodass der Folgeantrag zurückzuweisen sei.
57 Demgegenüber hat das Bundesverwaltungsgericht im Verfahren über die dagegen erhobene Beschwerde nicht weiter geprüft, ob der Revisionswerber tatsächlich homosexuell sei. Dieses Gericht hat dies vielmehr ausdrücklich dahingestellt gelassen. Das Verwaltungsgericht hat sich allein auf die bisherige Rechtsprechung berufen, wonach (behauptete) Tatsachen, die bereits zur Zeit des ersten Asylverfahrens bestanden haben, die der Asylwerber jedoch in diesem nicht vorgebracht hat, von der Rechtskraft der über den Erstantrag absprechenden Entscheidung erfasst sind. Das Verwaltungsgericht hat sohin die Entscheidung der Behörde, dass der Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sei, allein deshalb bestätigt, weil die Homosexualität des Revisionswerbers schon zur Zeit des ersten Asylverfahrens - und nach dessen zur Begründung des Folgeantrages gemachten Angaben auch schon vor seiner Ausreise aus dem Heimatland - gegeben gewesen sei. Der Revisionswerber habe im Wissen um seine Homosexualität ein darauf bezugnehmendes Vorbringen zur Begründung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon im ersten Asylverfahren erstattet. Somit erfasse die Rechtskraft der Entscheidung über den ersten Antrag auf internationalen Schutz (auch) diesen Sachverhalt, weshalb die Zurückweisung des Folgeantrages rechtmäßig sei.
58 Das Bundesverwaltungsgericht ging sohin davon aus, jener Grund, den der Revisionswerber in seinem Folgeantrag erstmals geltend macht, um sein Begehren auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zu stützen, könnte lediglich geeignet sein, zur Wiederaufnahme des ersten Asylverfahrens zu führen.
59 Eine solche Sichtweise stellt sich allerdings - wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in seiner (unaufgefordert erstatteten) Stellungnahme vom 12. Oktober 2021 einräumt - mit dem Unionsrecht als nicht ohne Weiteres vereinbar dar.
60 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Vorbringen des Revisionswerbers zur Begründung seines Folgeantrages, mit dem er Umstände ins Treffen geführt hat, die zwar bereits vor Abschluss des früheren Asylverfahrens existiert hatten, aber im ersten Verfahren noch nicht geltend gemacht wurden, entsprechend den Ausführungen des EuGH in seinem Urteil vom 9. September 2021, C-18/20, im Sinn des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie „neue Elemente oder Erkenntnisse“, die „zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist“, darstellen kann.
61 Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie sehen eine Bearbeitung der Folgeanträge in zwei Etappen vor. In der ersten wird zunächst die Zulässigkeit dieser Anträge geprüft, während in der zweiten dann die Anträge in der Sache geprüft werden (vgl. EuGH 9.9.2021, C-18/20, Rn. 46). Zwar enthalten Art. 40 Abs. 2 bis 4 und Art. 42 Abs. 2 Verfahrensrichtlinie einige Verfahrensvorschriften für