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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. Bachler und Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des B B in M, vertreten durch die Kinberger-Schuberth-Fischer Rechtsanwälte-GmbH in 5700 Zell am See, Salzachtal Bundesstraße 13, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 22. Juni 2021, Zl. LVwG-2021/40/0119-9, betreffend Übertretung des Immissionsschutzgesetzes-Luft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Kufstein), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde dem Revisionswerber - in Bestätigung eines Straferkenntnisses der belangten Behörde vom 4. November 2020 - (nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung) zur Last gelegt, er habe am 8. September 2020 um 10.08 Uhr in A. auf der A 12 Inntal Autobahn bei Straßenkilometer 14,028 in westlicher Fahrtrichtung als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeugs die gemäß § 3 Abs. 1 der IG-L-Geschwindigkeitsbegrenzungsverordnung des Landeshauptmanns von Tirol, LGBl. Nr. 145/2014, im Sanierungsgebiet auf der A 12 Inntal Autobahn und der A 13 Brenner Autobahn erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 70 km/h überschritten. Aus diesem Grund wurde über ihn gemäß § 30 Abs. 1 Z 4 des Immissionsschutzgesetzes-Luft (IG-L) iVm. der genannten Verordnung eine Geldstrafe in der Höhe von € 850,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 5 Tage und 11 Stunden) verhängt. Die Revision wurde nicht zugelassen.
2 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
3 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
4 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
5 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 In der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision wird dem Verwaltungsgericht eine unvertretbare, die „Rechtsansicht“ beeinträchtigende Beweiswürdigung zur Feststellung des Tatorts bei Straßenkilometer 14,028 vorgeworfen. Dazu wird im Wesentlichen vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe selbst ausgeführt, dass die in der mündlichen Verhandlung geladenen Meldungsleger GrInsp. E. und RevInsp. E. unterschiedliche Standorte, an welchen die Geschwindigkeitsmessung des Revisionswerbers durchgeführt worden wäre, angegeben hätten. Diese Standorte dürften in der Natur 50 Meter auseinanderliegen. Aufgrund der divergierenden Angaben der Meldungsleger komme sohin als angeblicher Tatort entweder Straßenkilometer 14,028 oder 14,078 in Betracht. Bei den durch eine Strecke von 50 Metern auseinanderliegenden möglichen Tatorten sei jedenfalls nicht mit der für ein Verwaltungsstrafverfahren notwendigen Wahrscheinlichkeit zu beurteilen, ob der Revisionswerber tatsächlich an einem der Tatorte die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten habe. Das Verwaltungsgericht hätte daher mangels Nachvollziehbarkeit des Tatorts ausführen müssen, dass der genaue Tatort nicht mehr festgestellt werden könne, sohin dem Konkretisierungsgebot nach § 44a VStG nicht entsprochen werden könne und daher das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen sei.
7 Nach der ständigen hg. Rechtsprechung wirft eine im Einzelfall vorgenommene, nicht als grob fehlerhaft erkennbare Beweiswürdigung im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf. Vor dem Hintergrund des Umfangs der Prüfbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf die Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit einer im Einzelfall erfolgten Beweiswürdigung vielmehr nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer grob fehlerhaften, unvertretbaren Weise vorgenommen hat, sodass dadurch die Rechtssicherheit beeinträchtigt ist (vgl. etwa VwGH 23.7.2018, Ra 2016/07/0080; 12.5.2021, Ra 2019/07/0018 bis 0019, jeweils mwN).
8 Das Verwaltungsgericht hat im vorliegenden Fall in seiner Beweiswürdigung zur Feststellung des Tatorts zwar anerkannt, dass die beiden Meldungsleger im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf dem ihnen vorgelegten Orthofoto als Aufstellungsort ihres Einsatzfahrzeugs, aus dem heraus die Geschwindigkeit des Revisionswerbers gemessen worden sei, unterschiedliche Standorte angegeben hätten. Jedoch verschweigt der Revisionswerber die ebenso in dieser Verhandlung getätigten, übereinstimmenden Angaben der Meldungsleger, wonach sich diese auf der asphaltierten Fläche im Bereich der Autobahnauffahrt von der Raststätte A. auf die A 12 befunden hätten. Weiters gaben beide übereinstimmend an, dass „immer an derselben Stelle gemessen wird.“ In Zusammenschau mit den Daten der Anzeige, wonach der Revisionswerber in einer Entfernung von 352 Metern gemessen worden sei, nämlich bei Straßenkilometer 14,028, ergab sich für das Verwaltungsgericht daraus der Aufstellungsort des Einsatzfahrzeuges der beiden Meldungsleger bei Straßenkilometer 14,380.
9 Entgegen dem Zulässigkeitsvorbringen erweisen sich diese beweiswürdigenden Überlegungen zur Feststellung des Tatorts jedenfalls als nicht unvertretbar.
10 In der Zulässigkeitsbegründung wird dem Verwaltungsgericht auch eine „Verletzung tragender Grundsätze des Verfahrensrechts“ angelastet.
11 Dazu wird erstens vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe das Beschwerdevorbringen, mit dem die Rechtswidrigkeit der IG-L-Geschwindigkeitsbeschränkungsverordnung des Landeshauptmanns von Tirol moniert worden sei, nicht berücksichtigt. Insbesondere habe der Revisionswerber vorgebacht, dass vor Verordnungserlassung kein ausreichendes Anhörungs- und Ermittlungsverfahren durchgeführt worden und die Geschwindigkeitsbeschränkung aufgrund des Schutzes vor Immissionen zum angeblichen Tatzeitpunkt und Tatort jedenfalls nicht mehr vonnöten gewesen sei. Dem Revisionswerber sei sehr wohl bekannt, dass die Prüfung einer Verordnung grundsätzlich in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes falle. Der Umstand, dass das Vorbringen des Revisionswerbers im Hinblick auf die gesetzwidrige Verordnung vom Verwaltungsgericht gänzlich außer Acht gelassen worden sei, stelle „jedenfalls eine Verletzung tragender Grundsätze des Verfahrensrechtes dar“.
12 Damit wirft der Revisionswerber die Frage nach der Rechtmäßigkeit von generellen Rechtsvorschriften (wie hier einer Verordnung) auf. Die Entscheidung dieser Frage fällt allerdings - wie er selbst erkennt - in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes (Art. 139 ff B-VG), zu ihrer Lösung in der Sache ist der Verwaltungsgerichtshof also nicht zuständig.
13 Zwar kann der Verwaltungsgerichtshof dann, wenn ihm bei Behandlung einer Revision Bedenken bezüglich der Rechtmäßigkeit genereller Rechtsnormen erwachsen, einen Normprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof stellen (vgl. Art. 139 Abs. 1 Z 1 und Art. 140 Abs. 1 Z 1 B-VG). Die Zulässigkeit einer Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG kann mit einer solchen Frage jedoch nicht begründet werden, weil sie selbst als Rechtsfrage eben nicht vom Verwaltungsgerichtshof in der Sache „zu lösen“ ist. Im Hinblick auf die Möglichkeit des Revisionswerbers, gemäß Art. 144 B-VG den Verfassungsgerichtshof direkt mit dieser Rechtsfrage zu befassen, bedeutet dies im Übrigen auch keine Beschneidung des Revisionswerbers in seinen Rechten. (VwGH 27.2.2015, Ra 2015/06/0009; 3.2.2020, Ra 2019/02/0254; 7.1.2021, Ra 2020/18/0370). Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt in dieser Hinsicht daher ebenso nicht vor.
14 Zweitens habe das Verwaltungsgericht kein KFZ-technisches Sachverständigengutachten, welches den tatsächlichen Messstandpunkt geklärt hätte, eingeholt.
15 Ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt aber einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. ua VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0188, mwN). Davon ist fallbezogen angesichts der - wie oben dargelegt - nicht zu beanstandenden Feststellung der Lage des Messpunktes nicht auszugehen. Im Übrigen legt der Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels, weshalb also bei dessen Vermeidung in der Sache ein anderes, für ihn günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, nicht ansatzweise dar (vgl. VwGH 26.11.2020, Ra 2019/07/0017, mwN).
16 Dem drittens unter dem Gesichtspunkt einer behaupteten Verletzung tragender Grundsätze des Verfahrensrechts - erneut in Bezug auf den Tatort - erstatteten Zulässigkeitsvorbringen, wonach jemand nur dann verwaltungsstrafrechtlich belangt werden dürfe, wenn mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass eine Person eine Verwaltungsübertretung tatsächlich begangen habe, ist zu entgegnen, dass sich die Revision mit diesem Vorbringen vom festgestellten Sachverhalt entfernt. Ausgangspunkt der Prüfung, ob eine grundsätzliche Rechtsfrage vorliegt, ist der festgestellte Sachverhalt (VwGH 8.9.2021, Ra 2021/02/0174). Entfernt sich der Revisionswerber bei der Zulässigkeitsbegründung vom (hier: in Bezug auf den Tatort) festgestellten Sachverhalt, kann schon deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegen (VwGH 24.5.2018, Ra 2017/07/0013, 0031).
17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
18 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 21. Oktober 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021070064.L01Im RIS seit
12.11.2021Zuletzt aktualisiert am
06.12.2021