TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/2 W109 2211456-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.04.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

02.04.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W109 2211456-1/31E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BÜCHELE über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, vom 16.11.2018, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.08.2020 zu Recht:

A)       Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1., 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 46, 55 Abs. 1, 2 und 3 FPG als unbegründet abgewiesen

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Am 01.06.2016 stellte der Beschwerdeführer, afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, nach Einreise unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 01.06.2016 gab der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung im Wesentlichen an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, komme aus Nangarhar und habe elf Jahre die Schule besucht. Zum Fluchtgrund befragt führte er aus, er sei geflüchtet, weil sein älterer Bruder Kameramann des Bürgermeisters von Jalalabad gewesen sei und sie deswegen von den Taliban worden seien. Der Bruder sei damals aus Afghanistan geflüchtet und habe in Jalalabad in einem Basar gearbeitet. Dort habe es eine Explosion gegeben und der Beschwerdeführer sei schwer verletzt worden. Seine Schwester sei von den Taliban getötet worden.

Am 12.06.2018 führte der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, der Vater sei beim Militär Offizier gewesen. Nach dessen Tod sei der Bruder Familienoberhaupt gewesen. Der Bruder habe Fotografie studiert und sei mit dem Gouverneur von Nangarhar unterwegs gewesen und habe fotografiert. In ihrem Dorf seien viele Taliban gewesen, die den Bruder mehrmals bedroht hätten, dass er diesen Job aufgeben müsse, weil dieser Job im Islam verboten sei. Der Bruder habe Angst bekommen und sei auch ein paar Mal mit Drohbrief bedroht worden. Er hätte sie vom Heimatbezirk nach Behsud zum Cousin väterlicherseits gebracht und sei aus Afghanistan geflüchtet. Eines Tages habe sie die verheiratete Schwester besucht, sie habe die Mutter fragen wollen, ob sie im Elternhaus leben könne. Die Mutter habe dies erlaubt. In dieser Nacht hätten die Taliban ihr Haus überfallen und hätten die Schwester ermordet. Kurze Zeit später sei er in eine Selbstmordexplosion geraten und dabei verletzt worden. Der Fotografieladen, in dem er gearbeitet habe, sei mehrmals mit Drohbriefen gewarnt worden, dass er zusperren solle. Mehrmals seien Explosionen angedroht worden, bis dieses Selbstmordattentat gewesen sei, wo der Fotografieladen und die Kabul-Bank gewesen seien. Es seien mehrere Leute verletzt und umgebracht worden, auch der Beschwerdeführer sei schwer verletzt worden. Die Körperteile von Verstorbenen seien auf ihn gefallen. Ca. ein Jahr nach dem Vorfall sei der Bruder nach Kabul gegangen, um zu arbeiten. Er habe die Polizeiakademie in Kabul besucht, sei Polizist in der Provinz Laghman geworden. In Laghman sei dem Bruder mit drei Kugeln ins Bein geschossen worden. Der Beschwerdeführer habe nicht mehr dort leben können und das Land verlassen müssen

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 16.11.2018, zugestellt am 23.11.2018, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die belangte Behörde aus, die vom Beschwerdeführer angegeben Gründe für das Verlassen des Heimatstaates seien nicht glaubwürdig. Eine ihn individuell betreffende Bedrohung aufgrund der Tätigkeit des Vaters oder des ältesten Bruders habe der Beschwerdeführer nicht vorgebracht. Hinsichtlich der Tätigkeit des anderen Bruders sei nicht ersichtlich, weshalb der Beschwerdeführer einer Bedrohung ausgesetzt gewesen wäre, während der Bruder weiterhin im Heimatland leben könne. Im Vorbringen würden Ungereimtheiten und Widersprüche auftreten. Aus einem der Drohbriefe sei eine konkrete Bedrohung des Beschwerdeführers nicht ersichtlich. Am zweiten sei nicht logisch, dass die Taliban den Beschwerdeführer auffordern, mit seiner Tätigkeit aufzuhören, wenn er in diesem Zeitpunkt nicht mehr dort gearbeitet habe. Der in diesem Drohbrief angeführte Mullah Mohammad Omar sei zudem 2013 verstorben, was seit Sommer 2015 bekannt sei. Drohbriefe seien dem notorischen Amtswissen nach leicht zu fälschen und würden in Afghanistan in großem Umfang hergestellt. Die Taliban seien auch nie persönlich an den Beschwerdeführer herangetreten, obwohl sie gewusst hätten wo er lebe. Dass der Beschwerdeführer sich bei einem Anschlag Verletzungen zugezogen habe, sei glaubhaft. Dass er selbst Ziel des Anschlages gewesen sei, habe nicht festgestellt werden können. Es sei auch nicht plausibel, dass der Beschwerdeführer nach Erhalt des zweiten Drohbriefes noch viereinhalb Monate im Heimatdorf habe leben können. Im Hinblick auf die Herkunftsprovinz liege eine Gefährdungslage vor, dem Beschwerdeführer stehe eine inländische Fluchtalternative in Mazar-e Sharif und Herat zur Verfügung.

3.       Am 14.12.2018 langte die vollumfängliche Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bei der belangten Behörde ein in der im Wesentlichen ausgeführt wird, es sei nicht nachvollziehbar, dass das angegebene Geburtsdatum aufgrund des Gutachtens ausgebessert worden sei, obwohl dieses um nur 24 Tage abweiche und der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Einreise unbestritten noch jugendlich gewesen sei. Es werde nachzuprüfen sein, ob das Gutachten tatsächlich mit derartiger Genauigkeit das angegebene Geburtsdatum ausschließen könne, dass die Annahme eines fiktiven gerechtfertigt sei. Es sei nicht berücksichtigt worden, dass der Bruder dem Beschwerdeführer von Beginn an Unterkunft und Unterstützung gewährt habe. Sie würden ein Familienleben führen und im gemeinsamen Haushalt leben. Der Bruder sei subsidiär Schutzberechtigt und sei ihm im Aberkennungsverfahren wegen dauerhafter Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung ein Aufenthaltstitel gewährt worden. Das Verfahren in Bezug auf die Aberkennung sei gegenwärtig beim Bundesverwaltungsgericht anhängig und werde um Zusammenlegung der beiden Verfahren in einem Familienverfahren ersucht. Im Hinblick auf eine Schutzbedürftigkeit wären abweichende Entscheidungen unzulässig. Es werde zudem vollinhaltlich auf die Beschwerde des Bruders verwiesen. Zu den Beschwerdegründen werde auf das bisherige Vorbringen und den Akt des Bruders verwiesen. Das Vorbringen sei nachvollziehbar, der Beschwerdeführer habe Beweismittel vorgelegt. Es werde um Überprüfung des Ausstellungsdatums des zweiten Talibandrohbriefes ersucht. Dass der Bruder sich noch in Afghanistan befinde, sei dessen Entscheidung, dieser sei einem laufenden Risiko ausgesetzt, Opfer von Anschlägen oder Ziel eines Angriffes zu werden. Der Beschwerdeführer habe aufgrund seiner Verletzungen nicht früher ausreisen können. In Großstädten fehle ihm jegliche Anbindung. Der Bruder sei nach wie vor subsidiär schutzberechtigt. Die in Afghanistan lebenden Familienangehörigen seien selbst von Unterstützung abhängig. Die Sicherheitslage sei schlecht und die Furcht vor Anschlägen sei aufgrund der erlittenen schweren Verletzungen nachvollziehbar. Eine Rückkehrentscheidung würde massiv in das Familienleben eingreifen, wobei auf das Erlebte hingewiesen werde. Der Beschwerdeführer habe zahlreiche Integrationsschritte gesetzt.

Mit Ladung vom 23.12.2019 brachte das Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein

Am 04.08.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin, ein im Akt namentlich genannter Zeuge und ein Dolmetscher für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, er werde im Herkunftsstaat von den Taliban verfolgt, aufrecht.

Mit Schreiben vom 26.11.2020, vom 28.12.2020 und vom 12.02.2020 brachte das Bundesverwaltungsgericht jeweils nochmals aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Am 11.12.2020, am 19.01.2021 und am 26.02.2021 langten jeweils Stellungnahmen des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein, in denen auf das Wesentliche zusammengefasst ausgeführt wird, der Beschwerdeführer sei als Minderjähriger nach Österreich gekommen und lebe westliche Grundwerte. Er befinde sich mehrere Jahre im Bundesgebiet und sei in die österreichische Gesellschaft integriert. Er könne sich nur mit Schwierigkeiten wieder an das afghanische Wertesystem anpassen. Eine Rückkehr nach Nangarhar sei aufgrund der derzeitigen Sicherheitslage nicht möglich. In einer größeren Stadt würde er in eine lebensbedrohliche Lage geraten. In Herat seien Gesetzlosigkeit und Gewalt in Form von Kriminalität, gezielten Tötungen und Explosionen stark angestiegen. Die Versorgungslage sei prekär, dies betreffe insbesondere Rückkehrer. Die Situation in Mazar-e Sharif habe sich verschlechtert, die Kriminalität sei angestiegen, als häufigste Form der Gewalt würden Spreng- und Brandvorrichtungen auftreten. Es komme aufgrund der Präsenz einer Anzahl bewaffneter Gruppen und Milizen des Öfteren zu sicherheitsrelevanten Vorfällen. Rückkehrer seien oft gezwungen, sich in prekären Verhältnissen niederzulassen, Gründe dafür seien mangelnde Netzwerke und damit verbunden die Unmöglichkeit, eine Arbeit zu finden. Aufgrund des Lockdowns würde ein Großteil der Tätigkeit für Tagelöhner entfallen. Die Sicherheitslage in ganz Afghanistan spitze sich täglich weiter zu. Es sei von keiner zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative auszugehen, infolge der Pandemie habe sich die Versorgungslage verschlechtert, die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei daher nicht mehr aktuell. Der Beschwerdeführer verfüge über kein Unterstützungsnetzwerk und keinen bildungs- oder beruflichen Hintergrund oder finanzielle Mittel, um sich eine Existenzgrundlage aufzubauen.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Tazkira des Beschwerdeführers

?        Medizinische Unterlagen

?        Schulunterlage

?        Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse

?        ÖSD Zertifikat A2

?        Zwei fotografierte „Drohbriefe“

?        Fotos

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde spätestens am XXXX in XXXX geboren und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen. Er bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu. Er spricht allerdings besser Dari. Weiter spricht der Beschwerdeführer Urdu, etwas Englisch und Deutsch auf dem Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

Der Beschwerdeführer kann zwei Zehen am linken Fuß nicht bewegen, ansonsten ist er gesund.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Mit Strafverfügung vom 12.12.2018 wurde über den Beschwerdeführer eine Verwaltungsstrafe in Höhe von gesamt EUR 500,– gemäß §§ 81 Abs. 1 SPG, 13, 4 Abs. 1 Tiroler Landes-Polizeigesetz verhängt. Der Beschwerdeführer hatte die öffentliche Ordnung gestört, den öffentlichen Anstand verletzt und ungebührlicherweise störenden Lärm erregt. Er hatte junge Damen/Mädchen bedrängt und belästigt und als er von diesen abgewiesen wurde anfing, diese Personen lautstark zu beschimpfen. Des Weiteren hatte er die jungen Damen/Mädchen geschubst und gestoßen. Hierdurch waren viele Leute zusammengelaufen und die Polizei musste gerufen werden. Durch das mehrfache, lautstarke Betiteln der Polizei als „Fuck the Police“ hatte er den öffentlichen Anstand verletzt. Die Strafverfügung blieb unbeeinsprucht und hat der Beschwerdeführer in der Folge die verhängte Verwaltungsstrafe bezahlt.

Der Beschwerdeführer stammt aus einem Dorf in der Provinz Nangarhar, Distrikt Surkhrod und hat in Jalalabad zehn Jahre die Schule besucht und neben der Schule in einem Fotogeschäft.

Die Mutter und Schwester des Beschwerdeführers leben bei einem Cousin väterlicherseits des Beschwerdeführers in der Provinz Nangarhar, Distrikt Behsud. Zu ihnen besteht Kontakt. Sie werden vom Bruder des Beschwerdeführers finanziell unterstützt.

Ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers lebt ebenso in Afghanistan. Zu ihm besteht ebenso Kontakt.

Ein weiterer Cousin väterlicherseits lebt in Kabul. Zudem hat der Beschwerdeführer zwei Onkel mütterlicherseits. Der Onkel väterlicherseits ist bereits verstorben.

Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits etwa im Jahr 2007 verstorben. Seither hat der in Österreich aufhältige ältere Bruder die Rolle des „Familienoberhauptes“ übernommen. Auch nach seiner Einreise nach Österreich hat der die Familie von Österreich aus finanziell unterstützt.

Der ältere Bruder des Beschwerdeführers reiste etwa im Juli 2011 ins Bundesgebiet ein und stellte am 27.07.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.01.2012 hinsichtlich §§ 3 und 8 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 09.12.2014 hinsichtlich § 3 AsylG 2005 ab, behob den Bescheid hinsichtlich der übrigen Spruchpunkte und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.04.2016 wurde dem Bruder des Beschwerdeführers gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt, die mit Bescheid vom 06.04.2016 bis zum 06.04.2018 verlängert wurde. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.08.2018 wurde dem Bruder des Beschwerdeführers der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt, ihm die Aufenthaltsberechtigung entzogen und gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 eine Aufenthaltsberechtigung plus erteilt. Die hiergegen erhobene Beschwerde wurde zurückgezogen und das Verfahren in der Folge mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.12.2019 eingestellt.

Der Beschwerdeführer hält sich seit Juni 2016 durchgehend im Bundesgebiet auf. Er lebte zunächst in einem Grundversorgungsquartier und zog im Oktober 2016 zu seinem älteren Bruder, dem auch die Obsorge übertragen wurde. Seither lebt er im gemeinsamen Haushalt mit seinem älteren Bruder und dessen Ehefrau. Im Jahr 2016 hat der Beschwerdeführer einen Deutschkurs besucht. Im Schuljahr 2017/2018 hat der Beschwerdeführer die Übergangsstufe einer Berufsbildenden mittleren und höheren Schule besucht. Am 23.11.2017 hat der Beschwerdeführer die Deutschprüfung für das Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen besucht. Der Beschwerdeführer bezieht Grundversorgung. Er wird jedoch auch von seinem Bruder bzw. dessen Familie finanziell unterstützt, etwa im Hinblick auf die Miete, Lebensmittel, Kleidung etc. Er pflegt ein enges Verhältnis zu seinem Bruder. In seiner Freizeit kümmert sich der Beschwerdeführer um den Hund des Bruders, trifft Freunde, mit ihnen schwimmen oder spazieren. Außerdem spielt er Spiele auf Facebook.

Der Bruder des Beschwerdeführers arbeitet seit dem Jahr 2015 als Hilfsarbeiter in der Gastronomie, auch seine Frau ist berufstätig.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer war in Jalalabad Opfer eines Anschlages auf die dem Fotogeschäft benachbarte Bankfiliale, bei dem mehrere Menschen verletzt bzw. getötet wurden. Dass der Anschlag dem Beschwerdeführer gegolten hat, wird nicht festgestellt. Der Beschwerdeführer war hiervon zufällig betroffen.

Dass der Beschwerdeführer wegen seiner Tätigkeit im Fotogeschäft in Jalalabad von den Taliban bedroht oder angegriffen wurde, wird nicht festgestellt.

Der in Afghanistan verbliebene Bruder des Beschwerdeführers ist nicht für die afghanischen Sicherheitskräfte tätig. Die Ermordung einer Schwester des Beschwerdeführers durch die Taliban wird nicht festgestellt.

Auch im Zusammenhang mit der behaupteten Tätigkeit des Vaters oder des in Österreich aufhältigen Bruders wird nicht festgestellt, dass dem Beschwerdeführer hieraus Übergriffe drohen.

1. 3.   Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Nangarhar zählt zu den volatilen Provinzen Afghanistans, für die Provinz sind für das Jahr 2019 1.070 zivile Opfer (356 Tote und 714 Verletzte) verzeichnet. Dies entspricht einem Rückgang von 41% gegenüber 2018. Die Hauptursachen dafür waren improvisierte Sprengkörper, gefolgt von Kämpfen am Boden und Selbstmordangriffen. Die Provinz galt als ISKP-Hochburg, anhaltender Druck der US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte und der Taliban resultierten in Niederlagen des ISKP im November 2019 in Nangarhar. Sowohl die Taliban als auch die Regierungstruppen haben Gebietsgewinne erzielt, die afghanischen Streitkräfte konnten nach November 2019 die vom ISKP geräumten Gebiete halten und die Rückkehr von ISKP-Kämpfern verhindern. Im Distrikt Surkhrod kam es von 01.01. bis 30.09.2020 der Globalincidentmap zufolge zu zwei sicherheitsrelevanten Vorfällen, nach ACLED kam es zu fünf sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer, für das Jahr 2019 sind acht Vorfälle nach der Glopalincidentmap und 13 nach ACLED verzeichnet. Der Distrikt Shurkrod wird mit Ausnahme des Distriktzentrums und dessen Umgebung von den Taliban kontrolliert. Shurkrod war zuletzt besonders stark von Sicherheitsvorfällen der Kategorie „Kämpfe“ betroffen. Im Zeitraum 01.03.2019 – 30.06.2020 wurden 9 856 Personen aus Shurkrod vertrieben. Im Distrikt Behsud kam es von 01.01. bis 30.09.2020 der Globalincidentmap zufolge zu keinen sicherheitsrelevanten Vorfällen, nach ACLED kam es zu drei sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer, für das Jahr 2019 sind ebenso keine Vorfälle nach der Glopalincidentmap und drei nach ACLED verzeichnet. Behsud wird fast vollständig von der Regierung kontrolliert.

Jalalabad verfügt über einen Flughafen, Linienflüge durch zivile Fluggesellschaften finden jedoch nicht statt. Er wird von der NATO militärisch genutzt und bei Bedarf auch zivil, vor allem während der Hadsch nach Mekka. Das United Humanitarian Air Service, ein Flugbetreiber vorwiegend für Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen, der UN und Diplomaten, fliegt Jalalabad Stand Oktober 2020 zwei Mal wöchentlich von Kabul aus an.

Nangarhar ist mit Kabul über die „Grand Trunk Road“, Abschnitt Kabul-Jalalabad verbunden, die durch die Provinzen Kabul (Distrike Bagrami, Khak-e Jabbar, Surobi) und Laghman (Distrikt Qarghayi) nach Nangarhar und dort über Surkhrod und Jalalabad nach Behsud führt.

Entlang der Fernstraße Kabul-Jalalabad greifen Aufständische Konvois der Sicherheitskräfte an. An Checkpoints von Taliban und afghanischen Sicherheitskräften kommt es zu Erpressungen. Die Bewegungsfreiheit wird insbesondere durch bewaffnete Zusammenstöße, Checkpoints, Entführungen und Tötungen beeinträchtigt. Auf Straßen und Autobahnen werden IEDs (Sprengfallen) platziert, die auch zu zivilen Opfern führen.

Balkh zählte zuletzt zu den konfliktintensivsten Provinzen des Landes. Für die gesamte Provinz sind für das Jahr 2019 277 zivile Opfer (108 Tote und 169 Verletzte) verzeichnet, eine Steigerung von 22% gegenüber 2018. Hauptursachen für die Opfer waren Bodenkämpfe, improvisierte Sprengkörper und gezielte Tötungen. Im Zeitraum 01.01.-30.09.2020 sind 553 zivile Opfer (198 Tote, 355 Verletzte) dokumentiert, was mehr als eine Verdopplung gegenüber derselben Periode im Vorjahr ist. Balkh ist ethnisch divers und wird unter anderem von Paschtunen bewohnt.

In Mazar-e Sharif kam es von 01.01. bis 30.09.2020 der Globalincidentmap zufolge zu einem sicherheitsrelevanten Vorfall, nach ACLED kam es zu 9 sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer. Mazar-e Sharif gilt als vergleichsweise sicher und steht unter Regierungskontrolle. 2019 fanden beinahe monatlich kleinere Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern statt. Deren Ziel waren oftmals Sicherheitskräfte, doch gab es auch zivile Opfer. Kriminalität stellt ein Problem dar, insbesondere bewaffnete Raubüberfälle. Im Dezember und März 2019 kam es in Mazar-e Sharif zudem zu Kämpfen zwischen Milizführern bzw. lokalen Machthabern und Regierungskräften. Mazar-e Sharif verfügt über einen internationalen Flughafen, für den keine Sicherheitsvorfälle verzeichnet sind.

Der durch die afghanische Regierung geleistete Menschenrechtsschutz ist trotz ihrer ausdrücklichen Verpflichtungen, nationale und internationale Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, inkonsistent. Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden unabhängig von der tatsächlichen Kontrolle über das betreffende Gebiet durch den Staat und seine Vertreter, regierungsnahe Gruppen und regierungsfeindliche Gruppierungen statt. Straflosigkeit ist weit verbreitet. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen sind insbesondere in umkämpften Gebieten verbreitet. Das formale Justizsystem ist schwach ausgeprägt, Korruption, Drohungen, Befangenheit und politische Einflussnahme sind weit verbreitet, es mangelt an ausgebildetem Personal und Ressourcen. Die Sicherheitskräfte wenden unverhältnismäßige Gewalt an, Folter ist in Haftanstalten weit verbreitet.

Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die Covid-19-Pandemie stetig weiter verschärft. In urbanen Gebieten leben rund 41,6% unter der nationalen Armutsgrenze. Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Das Wirtschaftswachstum konnte sich zuletzt aufgrund der besseren Witterungsbedingungen für die Landwirtschaft erholen und lag 2019 laut Weltbank-Schätzungen bei 2,9%. Für 2020 geht die Weltbank Covid-19-bedingt von einer Rezession (bis zu -8% BIP) aus. 2016/2017 waren rund 45 % der Menschen von anhaltender oder vorrübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen.

Der Arbeitsmarkt ist durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit, sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert. Die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung liegt auf hohem Niveau und dürfte wegen der Covid-19-Pandemie wieder steigen. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke, ist die Arbeitssuche schwierig. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen.

Finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit existiert nicht. Ein Mangel an Bildung korreliert mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind.

Mazar-e Sharif gilt als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten. Die Arbeitsmarktsituation ist auch In Mazar-e Sharif eine der größten Herausforderungen. Auf Stellenausschreibungen melden sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr viele Bewerber und ohne Kontakte ist es schwer einen Arbeitsplatz zu finden. In den Distrikten ist die Anzahl der Arbeitslosen hoch. Die meisten Arbeitssuchenden begeben sich nach Mazar-e Sharif, um Arbeit zu finden. In Mazar-e Sharif stehen zahlreiche Wohnungen zur Verfügung. Auch eine Person, die in Mazar-e Sharif keine Familie hat, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden. Des Weiteren gibt es in Mazar-e Sharif eine Anzahl von Hotels sowie Gast- oder Teehäusern, welche unter anderem von Tagelöhnern zur Übernachtung benutzt werden.

Die COVID-19-Krise führte in der ersten Hälfte des Jahres 2020 zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise. Die Preise scheinen seit April 2020, nach Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, Durchsetzung von Anti-Preismanipulations-Regelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Lebensmittelimporte, wieder gesunken zu sein. Ein „Lockdown“ besteht aktuell nicht.

Der Finanzsektor in Afghanistan entwickelt sich, zur Eröffnung eines Bankkontos ist ein Ausweisdokument (Tazkira), zwei Passfotos und 1.000 bis 5.000 AFN als Mindestkapital erforderlich, zudem sind Überweisungen aus dem Ausland über das Hawala-System möglich.

Afghanistan ist von der COVID-Pandemie betroffen, die Zahl der Fälle geht seit Juni 2020 kontinuierlich zurück. Die Versorgung Erkrankter ist mangelhaft, es mangelt an Kapazitäten. Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der allgemeine Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert.

Die Verfügbarkeit und Qualität der medizinischen Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. In großen Städten ist die medizinische Versorgung grundsätzlich sichergestellt.

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% der Gesamtbevölkerung geschätzt. 40 % der Gesamtbevölkerung sind Paschtunen, sie sind die größte Volksgruppe Afghanistans und sprechen Paschtu. Offizielle Landessprachen sind Dari und Paschtu.

2.       Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, Muttersprache und sonstigen Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers, die auch die belangte Behörde ihrer Entscheidung zugrunde legte. Zum Geburtsdatum ist anzumerken, dass sich aus dem von der belangten Behörde in Auftrag gegebenen Rechtsmedizinischen Sachverständigengutachten zum Lebensalter vom 04.08.2016 ergibt, dass das vom Beschwerdeführer behauptete Lebensalter mit dem festgestellten Mindestalter vereinbar ist (AS 120). Die Änderung des vom Beschwerdeführer angegebenen Geburtsdatums durch die belangte Behörde (AS 497) erfolgte damit ohne vertretbare Grundlage. Die Feststellung zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers beruhen auf seinem vorgelegten ÖSD-Zertifikat (Beilage zu OZ 18).

Zu seinem Gesundheitszustand gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 04.08.2020 an, es gehe ihm schlecht, wenn jemand laut spreche, er höre dann wegen des Vorfalles Geräusche und er könne zwei Zehen am linken Fuß nicht bewegen. Dies stehe ebenso mit dem Vorfall in Zusammenhang (OZ 18, S. 4-5). Im Hinblick auf die in Afghanistan erlittenen Verletzungen – zu denen der Beschwerdeführer auch zahlreiche Fotos vorgelegt hat – ist aktenkundig, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich (auch) in Österreich behandelt wurde, aus dem EMG-Befund vom 29.08.2016 geht auch hervor auch hervor: „links erschwerte Zehenhebung“ (AS 197), sowie, dass der Beschwerdeführer ebenso im Jahr 2016 in einem weiteren Krankenhaus in der plastischen Chirurgie vorstellig war. Dass weiterhin Behandlungsbedarf besteht, hat der Beschwerdeführer nicht behauptet und sind weitere medizinische Unterlagen hierzu auch nicht aktenkundig. Weiter ist ein Ambulanzbericht vom 07.08.2016 aktenkundig, aus dem hervorgeht, dass der Beschwerdeführer an einem beginnenden viralen Infekt litt (AS 193 f.), späteres Vorbringen hierzu wurde nicht erstattet. Die behauptete psychische Belastung ist dagegen nicht medizinisch objektiviert und hat der Beschwerdeführer zum behaupteten Arztbesuch (OZ 18 S. 15) auch keine Unterlagen vorgelegt und auch im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Aussicht gestellte weitere medizinische Unterlagen (OZ 18 S. 14) im Wege seiner Rechtsvertretung in der Folge nicht vorgelegt.

Die Unbescholtenheit wurde auf Grundlage des im Akt einliegenden aktuellen Auszuges aus dem Strafregister getroffen.

Die Feststellungen zur Verwaltungsstrafe beruhen auf den von der BH XXXX übermittelten Aktenbestandteilen, dass der Beschwerdeführer die Strafe bezahlt hat, hat er auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 04.08.2020 (OZ 18, S. 14).

Die Angaben zum Lebenswandelt hat der Beschwerdeführer im Wesentlichen gleichbleibend erstattet.

Dass Mutter und Schwester beim Cousin väterlicherseits in Behsud leben, hat der Beschwerdeführer (und auch sein Bruder) gleichbleibend angegeben. Dass Kontakt besteht hat der Beschwerdeführer zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 04.08.2020 bestätigt (OZ 18, S. 7). Dass er seine Familie im Herkunftsstaat unterstützt, hat der Bruder des Beschwerdeführers durchgehend in seinen Verfahren angegeben und nochmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 04.08.2020 bestätigt (OZ 18, S. 16). Dass auch zum in Afghanistan aufhältigen Bruder Kontakt besteht, ergibt sich ebenso aus den Angaben des Beschwerdeführers.

Die Feststellungen zu den weiteren in Afghanistan aufhältigen Verwandten beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers in der niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 12.06.2018 (AS 180). Erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 04.08.2020 behauptete der Beschwerdeführer, seine restlichen Verwandten nicht zu kennen (OZ 18, S. 6) und begründet dies damit, er kenne sie nicht, weil er noch klein gewesen sei, als sein Vater verstorben sei (OZ 18, S. 7). Dies erweist sich damit als widersprüchlich und – auch mit Blick auf die Unglaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens (siehe hierzu unter 2.2.) – als nicht glaubhaft.

Dass der Vater bereits seit langem verstorben ist, hat der Beschwerdeführer stets gleichbleibend angegeben, in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 04.08.2020 gab er auch an, er sei wegen Herzproblemen gestorben (OZ 18, S. 7). Auf etwa das Jahr 2007 kommt das Bundesverwaltungsgericht aufgrund der Angaben des älteren Bruders in dessen Verfahren, der in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 22.11.2011 angab, sein Vater sei etwa vier Jahre zuvor verstorben (AS 143). Die Rolle des älteren Bruders als „Familienoberhaupt“ seit dem Tod des Vaters wurde von beiden Brüdern wiederholt in ihren Verfahren angesprochen.

Die Feststellung zu den Verfahren und zum Aufenthaltsstatus des Bruders des Beschwerdeführers beruhen auf den Akten zu dessen Verfahren (W176 424529-1/2012 und W150 1424529-2).

Das Datum der Antragstellung ist aktenkundig und sind Hinweise auf eine zwischenzeitige Ausreise nicht hervorgekommen. Dass ein gemeinsamer Haushalt des Beschwerdeführers mit seinem Bruder und dessen Frau besteht, wurde gleichbleibend angegeben und sind keinerlei dies in Zweifel ziehende Anhaltspunkte hervorgekommen. Dass dem Bruder auch die Obsorge übertragen wurde, hat dieser in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 04.08.2020 angegeben (OZ 18, S. 16). Die Heiratsurkunde des Bruders wurde in dessen Aberkennungsverfahren (AS 1059) vorgelegt.

Zum Deutschkurs ist eine Bestätigung aktenkundig (AS 283, Beilagen zu OZ 18), zum Schulbesuch im Schuljahr 2017/2018 Schulbesuchsbestätigungen (AS 277-281, Beilagen zu OZ 18). Das ÖSD-Zertifikat des Beschwerdeführers für das Niveau A2 ist mehrfach aktenkundig (AS 285, Beilage zu OZ 18).

Dass der Beschwerdeführer Grundversorgung bezieht, geht aus dem im Akt einliegenden aktuellen Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem hervor. Dass er zusätzlich finanzielle Unterstützung vom Bruder erhält, hat der Bruder in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht plausibel dargelegt (OZ 18, S. 16).

Die Feststellungen zur Berufstätigkeit des Bruders und seiner Ehefrau beruhen auf den Angaben in der mündlichen Verhandlung (OZ 18, S. 14), im Akt zum Verfahren des Bruders sind auch zahlreiche Lohn-Gehaltsabrechnungen aktenkundig (AS 923 ff.). Zudem macht der Bruder des Beschwerdeführers hier genauere Angaben zur Tätigkeit seiner Frau (AS 559).

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Im Hinblick auf seine Verwicklung in einen Anschlag hat der Beschwerdeführer gleichbleibend angegeben, in eine Explosion bzw. einen Anschlag geraten zu sein und erscheint dies vor dem Hintergrund der Länderberichte plausibel. So berichten etwa die bereits mit Ladung vom 23.12.2019 (OZ 8) in das Verfahren eingebrachten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien) von einem Anstieg der zivilen Opfer zwischen 2012 und 2017 und führt zivile Opfer insbesondere auch auf kombinierte IED-Taktiken regierungsfeindlicher Kräfte zurück, besonders in zivilen, dicht besiedelten Gebieten (Abschnitt II. Überblick über die Situation in Afghanistan, Kapitel B. Die Sicherheitslage in Afghanistan: Auswirkungen des Konflikts auf die Zivilbevölkerung, Unterkapitel 1. Zivile Opfer, S. 23). Hinsichtlich der Herkunftsprovinz Nangarhar berichtet außerdem der vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 26.11.2020 (OZ 24) in das Verfahren eingebrachte EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von September 2020, dass sich die Sicherheitslage bereits seit dem Jahr 2011 destabilisiert (Kapitel 2.23 Nagarhar, Unterkapitel 2.23.2 Conflict background and actors in Nangarhar, S. 228 ff.), was insbesondere auf Taliban- und IS-Aktivitäten in der Provinz zurückgeführt wird. Weiter sind schwere Verletzungen des Beschwerdeführers in vorgelegten medizinischen Unterlagen objektiviert und hat der Beschwerdeführer auch Fotos aus dem Krankenhaus in Afghanistan vorgelegt, die ihn mit vernähten Wunden an den Beinen zeigen.

Der Beschwerdeführer kann jedoch nicht nachvollziehbar darlegen, dass der Anschlag ihm gegolten haben soll. So gab der Beschwerdeführer selbst im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 04.08.2020 an, das Geschäft habe sich neben der Bank befunden und sei die Bank in die Luft gesprengt worden (OZ 18, S. 8). Hiermit ist die Behauptung des Beschwerdeführers, die Taliban hätten „uns“ (den Bruder, die Schwester und den Beschwerdeführer) „gezielt“ angegriffen (OZ 18, S. 8) im Hinblick auf den Beschwerdeführer nicht vereinbar. Auch in der niederschriftlichen Einvernahme schildert der Beschwerdeführer lediglich, er sei in eine Selbstmordexplosion „geraten“ und seien dabei mehrere Leute verletzt und getötet worden (AS 182).

Der Beschwerdeführer behauptete zwar im Vorfeld der Explosion wegen seiner Tätigkeit im Fotogeschäft bedroht worden zu sein und hat hierzu Fotos zweier Drohbriefe vorgelegt (AS 311 und 313; Übersetzungen AS 317 und 319). Wie bereits das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beweiswürdigend anmerkt (AS 502), ist allerdings der mit 24.03.1393 (=14.06.2014) datierte Drohbrief nicht an den Beschwerdeführer persönlich gerichtet, sondern spricht eine generelle Aufforderung an „die gesamten Distriktbewohner“ aus, „ihre Liebsten, Brüder, Söhne, Cousins und Verwandten davon zu überzeugen, dass sie ihre Arbeit für die ungläubige Regierung beenden“. Der Beschwerdeführer persönlich wird nicht adressiert. Im Hinblick auf den anderen „Drohbrief“, datiert mit 23.10.1394 (=13.01.2016) ist auszuführen, dass dieser zwar dem Wortlaut nach an den Beschwerdeführer gerichtet ist und ihn auffordert, sein für die Spezialtruppen der Regierung arbeitender Bruder müsse seine Arbeit beenden und der Beschwerdeführer selbst mit seinem Job beim zentralen Fotostudio aufhören. Allerdings hat der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 04.08.2020 angegeben, der Bruder habe, als er selbst noch in Afghanistan gewesen sei, seine Dokumente für die Anmeldung vorbereitet und sei nach der Ausreise des Beschwerdeführers im Jahr 2016 zur Polizei gegangen (OZ 18, S. 11). Auch gab der Beschwerdeführer in der Erstbefragung am 01.06.2016 an, er habe den Entschluss zur Ausreise zwei Monate zuvor gefasst (AS 5) und gab auch in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde an, er sei viereinhalb Monate nach Erhalt des letzten Drohbriefs ausgereist (AS 184). Damit ist die im „Drohbrief“ formulierte Forderung nicht mit der vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht geschilderte Chronologie in Einklang zu bringen. Damit erweist sich das Vorbringen auch in diesem Punkt als widersprüchlich. Zur im Übrigen beantragten Überprüfung des Datums ist anzumerken, dass ein Abgleich der Transkription des Datums des zweiten Drohbriefes mit allgemein verfügbaren Quellen aus dem Internet (z.B. http://www.nabkal.de/kalrechN.html) zum arabisch-indischen Zahlenschreibweise ergibt, dass das Datum allenfalls auch 23.10.1293 heißen könnte, was dem 14.01.1915 entspricht. Zur Glaubhaftmachung des Vorbringens ist hierdurch jedoch nicht beigetragen.

Weiter scheint die Erklärung des Beschwerdeführers zu den Intentionen des Bruders in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 04.08.2020 völlig lebensfremd. Hier gab der Beschwerdeführer an, der Bruder habe geglaubt, er bekomme bei der Polizei eine Waffe und werde sich selbst schützen, er habe nicht damit gerechnet, dass er auch angegriffen werde (OZ 18, S. 11). So berichten sämtliche vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichte von regelmäßigen Angriffen der Taliban auf Angehörige der Streitkräfte (etwa die mit Schreiben vom 12.02.2021 [OZ 29] in das Verfahren eingebrachte EASO Country Guidance: Afghanistan von Dezember 2020 [in der Folge: EASO Country Guidance], Kapitel 2.1 Members of the security forces and pro-government militias, S. 58). Vor dem Hintergrund der Regelmäßigkeit dieser Angriffe in Afghanistan und der Behauptung des Beschwerdeführers, die Familie sei bereits mehrfach von den Taliban aufgrund beruflicher Tätigkeiten ihrer Mitglieder bedroht worden, ist nicht nachvollziehbar, dass der Bruder des Beschwerdeführers keine Kenntnis hiervon gehabt haben soll.

Im Hinblick auf die Fotos, die der Beschwerdeführer vorgelegt hat und die nach seinen Angaben den verletzten Bruder zeigen, ist anzumerken, dass sich anhand dieser Fotos weder verifizieren lässt, dass es sich hierbei um den Bruder des Beschwerdeführers handelt, noch sind diese geeignet, den Ursprung der augenscheinlichen Verletzungen zu belegen.

Im Hinblick auf den zweiten Drohbrief ist überdies anzumerken, dass der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme angegeben hat, er habe den Drohbrief sechs bis sieben Monate nach der Verletzung erhalten (AS 183) und sei nach der Verletzung nur zu Hause gewesen und habe nur für die Behandlung das Haus verlassen (AS 185). Damit war der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Attentates seinen Angaben zufolge bereits seit mehreren Monaten nicht mehr im Fotogeschäft tätig und wird demnach eine seit langem erfüllte Forderung gestellt. Aus dem ersten Drohbrief geht dagegen – wie bereits dargelegt – keinerlei gegen den Beschwerdeführer konkret gerichtete Drohung oder Aufforderung hervor.

Auch die behauptete Ermordung der Schwester durch die Taliban stellt der Beschwerdeführer nicht konsistent dar. So ist, nachdem die Schwester den Angaben des Beschwerdeführers zufolge bereits 2013 ermordet worden sein soll und der Beschwerdeführer erst im Jahr 2016 ausgereist ist, keinerlei Zusammenhang zwischen Ausreise des Beschwerdeführers und behauptetem Angriff auf die Schwester ersichtlich. Weiter schilderte der Beschwerdeführer die Ermordung der Schwester in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 12.06.2018 dergestalt, dass die Schwester sie besucht und die Mutter gefragt habe, ob sie im Elternhaus leben könne. Die Mutter habe dies erlaubt und in der Nacht hätten die Taliban das Haus überfallen und die Schwester ermordet (AS 182) und gab kurz später diesbezüglich befragt an, der Sohn der Schwester und die Nachbarn hätten ihnen davon (dass die Schwester ermordet worden war), erzählt (AS 184). Erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 04.08.2020 gab der Beschwerdeführer an, er habe den Tod seiner Schwester selbst erlebt, man habe ihr in die Brust geschossen (OZ 18, S. 9). Die Angaben des Beschwerdeführers erweisen sich damit im Kern des Vorbringens als widersprüchlich. Angemerkt wird zudem, dass bereits der Bruder des Beschwerdeführers in seinem Verfahren die Ermordung einer Schwester behauptete und dies vom Bundesverwaltungsgericht als nicht glaubhaft bewertet wurde (BVwG 09.12.2017, W176 1424529-1/11E, S. 12).

So weit der Beschwerdeführer im Hinblick auf eine Bedrohung seiner Person auf das Fluchtvorbringen seines Bruders verweist, wird angemerkt, dass die vom Bruder des Beschwerdeführers behauptete Bedrohung durch die Taliban vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 09.12.2017, W176 1424529-1/11E, als nicht glaubhaft beurteilt wurde, wobei das Bundesverwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung im genannten Erkenntnis umfassend darlegt, wie es zu dieser Einschätzung gelangt. Im gegenständlichen Verfahren sind keinerlei (neue) Anhaltspunkte ersichtlich, die zu einer anderen Einschätzung führen würden, sondern ist die Schilderung des Beschwerdeführers viel mehr – wie bereits dargelegt – widersprüchlich.

Auch die Schilderung des Beschwerdeführers zur letztendlichen Ausreiseentscheidung deutet auf keinerlei konkrete Gefährdung des Beschwerdeführers durch die Taliban hin. So gab der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme an, sie hätten nach seiner Verletzung vorgehabt, dass er ausreisen müsse. Die legale Einreise habe nicht funktioniert. Der Bruder als Oberhaupt der Familie habe den Beschwerdeführer nach seiner Verletzung bei sich haben wollen, weil er sich Sorgen gemacht habe (AS 181). Damit stellt der Beschwerdeführer die eigentliche Ausreiseentscheidung in keinerlei Zusammenhang mit einer konkreten, künftigen Bedrohung und ist ein solcher auch – nachdem der Beschwerdeführer nach dem Anschlag noch mehrere Monate im Herkunftsstaat verblieb und keinerlei weitere konkrete Angriffe schilderte – aus der vom Beschwerdeführer geschilderten Chronologie nicht ersichtlich.

Im Hinblick auf die behauptete Tätigkeit des Vaters als Oberst ist der EASO Country Guidance zwar zu entnehmen, dass auch ehemalige Angehörige des afghanischen Militärs Übergriffen ausgesetzt sein könnten, sowie, dass auch Familienangehörige bereits zum Ziel Aufständischer geworden seien (Kapitel 2.1 Members of the security forces and pro-government militias, S. 58-59). Der Beschwerdeführer schildert jedoch keinerlei hiermit konkret in Zusammenhang stehenden Übergriff, gibt an, seiner Vater sei an Herzproblemen gestorben (OZ 18, S. 7) und habe im Zeitpunkt seines Todes bereits eineinhalb Jahre mit der Arbeit aufgehört gehabt, weil er Probleme gehabt habe (AS 184). Dass der Beschwerdeführer diese Probleme des Vaters nicht weiter konkretisieren kann, mag an seinem damals jungen Alter liegen. Er schildert jedoch in der Folge keinerlei Angriffe oder Bedrohungen, die in konkretem Zusammenhang mit der behaupteten Tätigkeit des Vaters stünden.

Insgesamt erweisen sich die diversen, vom Beschwerdeführer behaupteten Bedrohungsszenarien als nicht glaubhaft, sondern erwecken den Eindruck, als habe der Beschwerdeführer um das reale Ereignis des Anschlages, in den er geraten ist, ein Fluchtvorbringen herum konstruiert.

Das Bundesverwaltungsgericht übersieht dabei nicht, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der behaupteten Bedrohung noch minderjährig war. So hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es zur Berücksichtigung der Minderjährigkeit in der Beweiswürdigung einer besonders sorgfältigen Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen bedarf und dass die Dichte dieses Vorbringens nicht mit „normalen Maßstäben“ gemessen werden darf. Es müsse sich aus der Entscheidung erkennen lassen, dass solche Umstände in die Beweiswürdigung Eingang gefunden haben und dass darauf Bedacht genommen wurde, aus welchem Blickwinkel die Schilderung der Fluchtgeschichte erfolgt (etwa VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0150). Gegenständlich widerspricht sich der Beschwerdeführer allerdings teilweise im Kern seines Fluchtvorbringens, hat Beweismittel vorgelegt, die mit seinem Fluchtvorbringen nicht in Einklang stehen und kann ansonsten keine konkreten Angriffe oder Bedrohungen nennen. Dies lässt sich nicht durch die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers erklären.

2.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellung zum internationalen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan, Aktualisierung vom 16.12.2020, vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebracht mit Schreiben vom 28.12.2020 (OZ 27), der EASO Country Guidance und den UNHCR-Richtlinien.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Nangarhar beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 5.22. Nangarhar, die von der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 3.3 Article 15(c) QD, Abschnitt Nangarhar, S. 138-139, bestätigt werden. Die Feststellung, dass der Distrikt Surkhrod Großteils von den Taliban kontrolliert wird, beruht auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 5. Sicherheitslage, Unterkapitel 5.22. Nangarhar, Abschnitt Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren). Dass der Distrikt Shrukrod weitgehend unter Talibankontrolle steht, berichten Länderinformationsblatt und EASO gleichermaßen (Länderinformationsblatt, Kapitel 5.22. Nangarhar, Abschnitt Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren; EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von September 2020, Kapitel 2.23 Nangarhar, S. 232) wobei EASO konkretisiert, dass die ANDSF nur im Distriktzentrum und dessen Umgebung präsent ist. EASO berichtet auch, dass Shurkrod zuletzt besonders stark von Sicherheitsvorfällen der Kategorie „Kämpfe“ betroffen war (S. 233), sowie von Vertreibungen in Shurkrod (S. 236). Hier wird auch berichtet, dass Behsud weitgehend von der Regierung kontrolliert wird.

Die Feststellungen zum Flughafen in Jalalabad beruhen ebenso auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 5.22. Nangarhar.

Von der „Grand Trunk Road“, Abschnitt Kabul-Jalalabad, berichtet etwa das Länderinformationsblatt, Kapitel 5.35. Erreichbarkeit, Abschnitt Grand Trunk Road - Highway Jalalabad-Peshawar / Pak-Afghan-Highway. Der festgestellte Straßenverlauf beruht auf dem EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von September 2020, und geht aus den jeweiligen Kapiteln zu den jeweiligen Provinzen, sowie den dort enthaltenen Landkarten hervor (Kapitel 2.15 Kabul province, Karte S. 162 und S. 163; Kapitel 2.21 Laghman, Karte S. 211 und S. 212; Kapitel 2.23 Nangarhar, Karte S. 227 und S. 228). Von Angriffen entlang der Fernstraße Kabul-Jalalabad berichtet Kapitel 5.22. Nagnarhar. Von Erpressungen („cases of extortion“) berichtet der EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von September 2020, Kapitel 1.6. Mobility, S. 53, dem auch die Feststellungen zu den allgemeinen Auswirkungen des Konfliktes auf die Bewegungsfreiheit entnommen sind. Auch das Länderinformationsblatt nennt Sicherheitsbedenken als zentrale Hürde für die Bewegungsfreiheit und berichtet, dass in bestimmten Gebieten Gewalt durch Aufständische, Landminen und IEDs (Sprengfallen) das Reisen besonders gefährlich machen (Kapitel 20. Bewegungsfreiheit).

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Balkh und insbesondere Mazar-e Sharif beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 5. Sicherheitslage, Unterkapitel 5.5. Balkh. Die Feststellung zum Flughafen beruht ebenso auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 5. Sicherheitslage, Unterkapitel 5.35. Erreichbarkeit, Abschnitt Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif. Die EASO Country Guidance bestätigt die Informationen des Länderinformationsblattes und berichtet hinsichtlich des Flughafens von Mazar-e Sharif, dass keine Sicherheitsvorfälle bekannt sind (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 5. Internal protection, Abschnitt Safety, S. 164).

Die Feststellungen zur Menschenrechtslage beruhen auf den UNHCR-Richtlinien, Kapitel II. Überblick über die Situation in Afghanistan, Unterkapitel C. Die Menschenrechtssituation, S. 26 ff., sowie dem damit übereinstimmenden Länderinformationsblatt, Kapitel 6. Rechtsschutz/Justizwesen, 8. Folter und unmenschliche Behandlung und 12. Allgemeine Menschenrechtslage. Mangels konkreter Anhaltspunkte im Vorbringen des Beschwerdeführers wurden genauere Feststellungen zu den jeweiligen Themenkreisen nicht getroffen.

Die Feststellungen zur Wirtschaftslage beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 22. Grundversorgung. Dort finden sich auch Informationen zum Finanzsektor.

Die Feststellungen zur COVID-Pandemie beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 3. COVID-19, die Feststellungen zur medizinischen Grundversorgung beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 23 Medizinische Versorgung. Hinweise auf einen aktuell bestehenden Lockdown in Afghanistan konnten nicht gefunden werden (etwa https://af.usembassy.gov/covid-19-information/, Zugriff am 01.04.2021).

Die Feststellung zur Verbreitung der sunnitischen Glaubenszugehörigkeit in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 15. Religionsfreiheit. Die Feststellung zum Anteil der Paschtunen an der Gesamtbevölkerung beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 16.1. Paschtunen, zu den Landessprachen auf Kapitel 16. Relevante ethnische Minderheiten.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3.       Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.1.1.  Zur behaupteten Verfolgungsgefahr von Seiten der Taliban

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung den Familienverband als „soziale Gruppe“ gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anerkannt. Verfolgung kann daher schon dann Asylrelevanz zukommen, wenn ihr Grund in der bloßen Angehörigeneigenschaft des Asylwerbers, somit in seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe iSd Art. 1 Z 2 GFK, etwa jener der Familie liegt (Vgl. VwGH vom 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 mwN).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass sein Bruder für die afghanischen Sicherheitskräfte arbeitet, sowie, dass ihm aus der behaupteten früheren Tätigkeit des Vaters oder des in Österreich aufhältigen Bruders Übergriffe drohen. Auch die Ermordung seiner Schwester durch die Taliban konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen. Damit ist für den Fall der Rückkehr eine Verfolgungsgefahr im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes nicht ersichtlich.

Weiter konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass er aufgrund seiner Tätigkeit von den Taliban bedroht oder angegriffen wurde, weswegen sich eine Auseinandersetzung mit der Frage, unter welchen GFK-Fluchtgrund dieses Vorbringen allenfalls zu subsumieren wäre, erübrigt.

Im Hinblick auf die zufällige Betroffenheit des Beschwerdeführers von einem Anschlag ist auszuführen, dass hierbei einerseits die nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erforderliche kausale Verknüpfung zwischen Konventionsgrund und Bedrohung (jüngst etwa VwGH 28.05.2020, Ra 2019/18/0421) nicht ersichtlich ist. Andererseits handelt es sich hierbei nicht um eine individuell gegen den Beschwerdeführer gerichtete Handlung (Vgl. etwa VwGH 25.09.2020, Ra 2019/19/0407). Eine asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Fall der Rückkehr ist damit nicht ersichtlich.

3.1.2.  Zur behaupteten westlichen Orientierung

Im Hinblick auf die behauptete westliche Orientierung des Beschwerdeführers wird angemerkt, dass dieses Vorbringen sich auf die Schriftsätze seiner Rechtsvertretung beschränkt und in den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht keinen Niederschlag findet.

Weiter muss das Vorbringen eines Asylwerbers, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 21.12.2020, Ra 2020/14/0445).

Das auf „westliche Orientierung“ bezogene Vorbringen des Beschwerdeführers geht über unsubstantiierte, pauschale Behauptungen nicht hinaus und genügt damit dem Maßstab der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht.

Die war daher im Ergebnis hinsichtlich Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.

3.2.    Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (Subsidiärer Schutz)

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Zwar widerspricht es nach der die Rechtsprechung des EuGH berücksichtigenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Statusrichtlinie, einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder eine Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuzuerkennen (VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106). Nachdem aber eine mit der Statusrichtlinie im Einklang stehende Interpretation des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer Auslegung contra legem führen würde, hielt der Verwaltungsgerichtshof an seiner Rechtsprechung fest, wonach eine reale Gefahr („real risk“) einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat – auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird – die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 begründen kann (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).

Um von einer solchen realen Gefahr ausgehen zu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten