Entscheidungsdatum
23.08.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W150 2159588-2/23E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geb. XXXX 1998, StA. Afghanistan, vertreten durch BBU, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 01.09.2020, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.08.2021, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird in sämtlichen Punkten als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden auch BF) reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 08.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen führte er aus, dass es in Afghanistan keine Sicherheit gebe. Die Familie des BF habe entschieden nach Europa zu gehen und der Beschwerdeführer sei einfach mitgegangen. Niemand in der Familie wäre jemals bedroht worden. Der Vater hätte ein Autogeschäft gehabt und es sei allen Mitgliedern der Familie gut gegangen.
2. Am 15.04.2016 fand eine Befragung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) statt. Der BF gab an, wonach seine Eltern und Geschwister in Afghanistan leben würden. Sein Vater besitze zwei Häuser in XXXX und ein Bekleidungsgeschäft. Des Weiteren hätten seine Eltern Felder und eine Landwirtschaft geerbt. Der Beschwerdeführer sei regelmäßig mit seiner Familie in XXXX in telefonischem Kontakt. Der BF schilderte, von unbekannten Männern mit einem Messer bedroht worden zu sein. Bei diesem Vorfall wäre er verletzt und die Tageslosung des Bekleidungsgeschäftes wie auch sein Handy gestohlen worden. Ungefähr zwei Monate später hätten zwei bis drei Männer versucht, ihn zu entführen. Der Beschwerdeführer gab Weiters an, demzufolge seine Familie nicht aufgrund dieser Vorfälle das Land verlassen hätte, sondern vielmehr, da Deutschland die Grenzen geöffnet habe und dort alle Flüchtlinge willkommen seien. Der Vater des Beschwerdeführers hätte die Entscheidung getroffen, Afghanistan aus wirtschaftlichen Gründen zu verlassen und der BF sei schlichtweg mitgekommen.
3. Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 31.05.2016, Zl. XXXX , setzte die Erstinstanz das Verfahren hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm 2Abs. 1 Z 13 AsylG, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, bis zur Klärung der Vorfrage gemäß § 38 AVG aus.
4. In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer vom LG INNSBRUCK am 18.08.2016, Zl. 027 HV 72/2016y, wegen des Verbrechens des § 201 Abs. 1 und 2 StGB (Vergewaltigung) und des Vergehens gemäß § 107 Abs. 1 und 2 StGB (gefährliche Drohung) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von sieben Jahren rechtskräftig verurteilt.
Als erschwerend wurden hiebei wörtlich „die besonders brutale Vorgangsweise, der Einsatz der Tatmittel der Gewalt und der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben sowie die Vollziehung sowohl des Vaginal- als auch des Anal- und Oralverkehrs“ ebenso gewertet, wie das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen.
Der Milderungsgrund des Einräumens möglicher Delinquenz in Verbindung mit Reue, welcher neben dem Alter von unter 21 Jahren, der unterstellten Unbescholtenheit und der zum Tatzeitpunkt alkoholbedingt als eingeschränkt gewerteten Zurechnungsfähigkeit, wurde seitens des vom BF am Rechtsmittelweg angerufenen OLG INNSBRUCK, in seinem Urteil vom 21.12.2016, Zl. 6 Bs 326/16s, als unzutreffend korrigiert, zumal die seitens des Beschwerdeführers rechtfertigend behauptete starke Alkoholisierung in casu ebenso definitiv ausgeschlossen werden könne, wie der daraus resultierende angebliche Erinnerungsverlust (vgl. Seite 242 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).
5. Mit Bescheid vom 10.05.2017, Zl. XXXX , wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte es dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen diesen eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, wonach seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Zugleich stellte das Bundesamt fest, demzufolge der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 03.03.2016 verloren habe (Spruchpunkt IV.) und verhängte über selbigen ein unbefristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt V.). Die Behörde stellte fest, wonach keine Frist für eine freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.) und erkannte der Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VII).
6 Gegen den Bescheid des Bundesamtes erhob der BF, mit Schriftsatz seiner Rechtsvertretung vom 26.05.2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Begründend führte er im Wesentlichen aus, wonach er Afghanistan aus wohlbegründeter Furcht verlassen habe, zumal er in Afghanistan von maskierten Männern überfallen und dabei am Oberschenkel mit einem Messer verletzt sowie ausgeraubt worden wäre. Der Beschwerdeführer sei dann erneut von unbekannten Männern angegriffen worden, die auch versucht hätten, ihn zu entführen. Im Falle einer Rückkehr wäre das Leben des BF aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage und der individuellen Situation in Afghanistan gefährdet. Seine Abschiebung sei zudem unzulässig, da eine Abschiebung Art. 2 und Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) verletzten würde.
7. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.06.2017, W252 2159588-1/2E, wurde die Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde als unbegründet abgewiesen.
Zum Antrag auf Asyl hielt das Bundesverwaltungsgericht in der rechtlichen Begründung zusammenfassend fest, demzufolge der Beschwerdeführer nicht aufgrund einer asylrelevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern vielmehr – wie auch in weiterer Folge alle anderen seiner Kernfamilienmitglieder, welche aufgrund der von Deutschlands Bundeskanzlerin Merkel geöffneten Landesgrenzen aus Afghanistan Richtung Mitteleuropa ausgereist wären, um ein besseres Leben führen zu können – aus rein wirtschaftlichen Motiven heraus sein Heimatland verlassen habe.
Hinsichtlich des Antrags auf subsidiären Schutz wies das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, wonach dem BF – unter Berücksichtigung der Länderberichte, seiner persönlichen Lebensumstände und der von UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan – eine innerstaatliche Fluchtalternative in MAZAR-E SHARIF zumutbar sei.
Die ordnungsgemäß zugestellte Entscheidung erwuchs in weiterer Folge in Rechtskraft.
8. Am 15.07.2020 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der aufrechten Strafhaft den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Zur Begründung seiner Folgeantragstellung verwies der BF im Rahmen seiner Ersteinvernahme auf seine am XXXX 2020 erfolgte Taufe. Daraus resultierend würde nunmehr in Afghanistan die Todesstrafe auf ihn warten. Seine ursprünglich im ersten Rechtsgang ins Treffen geführten Fluchtgründe halte er weiterhin aufrecht; „sonst habe ich keine Gründe (Seite 32 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“ Im Falle seiner Rückführung befürchte der Beschwerdeführer hingerichtet zu werden. Als Beweismittel legte er seinen Taufschein vor.
9. Im Rahmen der in weiterer Folge am 20.08.2020 vor der belangten Behörde durchgeführten niederschriftlichen Einvernahme brachte der BF, auf die Frage, warum er einen neuerlichen Asylantrag stelle, vor, demzufolge er seine Religion geändert habe. Ursprünglich gebürtiger Moslem, gehöre er nunmehr auch offiziell dem Christentum an.
Anlässlich seiner Ersteinvernahme wäre er zudem gestresst gewesen und „habe nicht gut aufgepasst (Seite 83 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)“, weshalb er versehentlich seine Schulbildung mit zwölf Jahren beziffert hätte, anstatt mit neun. Eigentlich könne er weder gut schreiben noch lesen, dennoch sei es ihm mittlerweile gelungen, erfolgreich ein A1-Zertifikat zu erwerben, welches er nunmehr als Beweismittel für seine Integrationsbemühungen vorlege.
Uneingeschränkt gesund, habe der BF – abgesehen von der zuvor gemachten Einschränkung – im Verfahren bisher immer stets die Wahrheit gesagt.
Ausschlaggebend für seine gegenständliche Folgeantragstellung aus dem Stande der Strafhaft wäre seine eingangs erwähnte Zuwendung zur christlichen Religion. Bereits in Afghanistan „war ich müde von meinem alten Glauben, vom Islam (Seite 85 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“ Die in dessen Rahmen idealisierten Elemente von Mord und Gewalt hätten ihn schon in seinem Heimatland abgestoßen, weshalb „ich kein Muslim mehr sein wollte (Seite 85 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“ Noch vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsland „habe ich mich für das Christentum interessiert, aber nicht die Möglichkeit gehabt, meinen Glauben zu wechseln (Seite 85 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“ Erst in Österreich sei ihm in der Strafhaftanstalt endlich die Möglichkeit eröffnet worden, seinem starken inneren Bedürfnis auch in der Praxis folgen zu können – eine Option, die ihm noch in Freiheit befindlich und vor Begehung seiner Straftat mangels Zugang zu geeignet scheinenden Helfern als nicht erreichbar erschienen wäre. Während im Islam der Name Gottes dazu missbraucht werde, um zu morden und Krieg zu führen, sei dies im Christentum in wohltuender Weise anders. „Ich habe Gott gesucht und habe Gott jetzt gefunden. Das war es (Seite 87 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“
Konkret hätte sich der Genannte, wie bereits erwähnt, schon in Afghanistan für das Christentum interessiert, aber erst in der Haftanstalt wäre ihm durch einen Freund die Möglichkeit eröffnet worden, die Glaubensinhalte näher zu studieren. Jener Freund habe ihn Unterlagen in Form von vier Zetteln überreicht, in denen auszugsweise das Wirken Jesu wiedergegeben gewesen sei. „Die werden evangelische Zettel genannt (Seite 87 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“
Wenngleich sich dieses prägende Ereignis im Jahre 2018 zugetragen hätte, welches im Ergebnis seinen Wunsch nach Konversion zum Christentum zusätzlich bekräftigt habe, so „habe ich auch in Afghanistan vorgehabt, dass ich nach Europa komme und meinen Glauben wechsle (Seite 87 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“ Besonders angesprochen an der christlichen Glaubenslehre hätte ihn dabei das Prinzip der Vergebung der Sünden. Aufgrund dieses zentralen Elements sei die Wahl des Beschwerdeführers endgültig auf das Christentum gefallen; von der islamischen Religion habe er sich schon lange davor in seiner Heimat endgültig abgewandt. So hätte er sich auch gegen den Willen seines Vaters geweigert, die Moschee zu besuchen und trete erschwerend hinzu, dass der Koran ausschließlich auf Arabisch verfasst und somit für den Genannten unverständlich sei; „es gibt in ganz Afghanistan keinen Koran auf Dari, den man verstehen kann (Seite 91 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“
Im ersten Rechtsgang wäre sein Abfall vom muslimischen Glauben und seine Zuwendung zum Christentum seinerseits nur deshalb nie erwähnt worden, da der BF „ängstlich“ gewesen sei und nicht gewusst habe, „was ich bei der Einvernahme sagen sollte (Seite 89 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“
Aktiv begonnen, die Kirche zu besuchen, hätte er erst nach seiner Inhaftierung im Strafvollzug ab Juni 2018; davor habe ihn die Anwesenheit vieler Landsleute abgeschreckt. So sei es ihm ursprünglich seit seiner Einreise ins Bundesgebiet im Jänner 2016 angesichts seiner Angst und seinen mangelnden Sprachkenntnissen nicht gelungen, einen Zugang zu der seinerseits noch in der Heimat favorisierten Religion zu finden. „Ich wusste nicht, wie ich zum Christentum komme (Seite 89 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“
Obgleich er weder in Dari noch in Deutsch gut lesen könne, studiere er anhand eines in seinem Besitz befindlichen zweisprachigen Bibelexemplars die wesentlichen Glaubensinhalte seiner neuen religiösen Überzeugung. Auch wenn das gesamte Buch insgesamt äußerst interessant und lehrreich wäre, so würden den Beschwerdeführer doch ganz besonders jene Stellen ansprechen, in denen Jesus Wunder vollbracht und Sündern ihre Verfehlungen vergeben habe.
Seine christliche Überzeugung steigere generell sein Wohlbefinden im Vergleich zu früher und besuche der BF auch regelmäßig die Heilige Messe. Daneben fühle er sich der „Lege Maria (sic! – vgl. Seite 91 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)“ sehr verbunden und nehme an deren Veranstaltungen teil. Zudem versuche der Priester in der Haftanstalt, die Glaubensinhalte zu erklären. Wenngleich er die auf Deutsch vorgetragenen Passagen der Messen bloß in Teilen verstehe, bemühe sich der Beschwerdeführer auch den Rest inhaltlich zu erfassen.
Abschließend „gebe ich zu, dass ich einen Fehler gemacht habe (Seite 93 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)“, jedoch ersuche der Beschwerdeführer dennoch darum, weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen. Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft wolle er sich um Integration bemühen und anpassen.
Als Beweismittel wurden unter einem vorgelegt:
- Taufschein der Pfarre XXXX , datiert vom XXXX 2020;
- ÖSD Zertifikat A1, Note „bestanden“, datiert vom XXXX 07.2018;
- Therapiebestätigung „Forensische Einzeltherapie“ der JA XXXX , datiert vom XXXX 2019;
- Therapiebestätigung „Alkoholmodul“ der JA XXXX , datiert vom XXXX 2018;
- Empfehlungsschreiben des Gefangenenseelsorgers der JA XXXX , datiert vom XXXX2020.
10. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten sowie der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I. und II.). Unter einem wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.).
11. Gegen diese Entscheidung erhob der rechtsfreundlich vertretene BF fristgerecht Beschwerde und brachte zusammenfassend vor, demzufolge es ihm keineswegs, wie seitens der belangten Behörde begründend ausgeführt, an einer inneren Überzeugung hinsichtlich des Christentums mangle, was auch der als Beweismittel beigelegten Stellungnahme des Gefängnisseelsorgers zu entnehmen sei. Die Erstinstanz hätte insgesamt zu wenig den Umstand berücksichtigt, wonach der Beschwerdeführer schlichtweg aus mangelnden Deutsch- wie auch Lesekenntnissen heraus gewisse religiöse Themenkreise nicht verstehe. Wichtiger als das Wissen um konkrete Glaubensinhalte wären aber ohnehin die treibenden Beweggründe, welche hinter dem Religionswechsel vom Islam zum Christentum stehen würden. Die Einschätzung des Bundesamtes, laut welcher es sich in der Person des BF in Wahrheit um einen Scheinkonvertiten handle, welcher sowohl die wöchentlichen Messebesuche wie auch die Taufe als reine Formalakte interpretieren und obendrein den Gefängnisseelsorger in Bezug auf seine wahre Motivation täuschen würde, sei verfehlt. Insgesamt wäre diese Beweiswürdigung im Ergebnis nicht nachvollziehbar und daher korrekturbedürftig. Ebenso vertrete die Erstinstanz in ihrer Sichtweise unzulässigerweise den Standpunkt, demzufolge es sich bei dem nunmehr ins Treffen geführten Sachverhalt des Übertritts zum Christentum um keinen neuen Sachverhalt handle, zumal der Genannte zwischenzeitlich offiziell getauft worden sei. Im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan müsse der BF mit massiven Verfolgungshandlungen rechnen.
Es werde daher beantragt
1. den Antrag des BF auf internationalen Schutz einer inhaltlichen Prüfung zu unterziehen;
2. in eventu den angefochtenen Bescheid der Erstbehörde zu beheben und zur inhaltlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen;
3. eine mündliche Verhandlung gem. § 24 Abs. 1 VwGVG anzuberaumen (unter Ladung eines Dolmetschers der Sprache Dari).
Dem Schriftsatz beigelegt war ein Schreiben des Gefangenenseelsorgers, datiert vom XXXX 09.2020. Darin bestätigt der Verfasser die aktive Teilnahme des BF an den wöchentlich in der Haftanstalt abgehaltenen Heiligen Messe seit Juni 2018 und der damit parallel – ebenfalls im selben Monat und Jahr begonnenen sowie im Wochenrhythmus abgehaltenen – Taufvorbereitung (Katechese). Der Beschwerdeführer hätte sich hiebei „freundlich und interessiert“ gezeigt, wenngleich dieser keine abgeschlossene Schulbildung und einen Mangel am Deutschkenntnissen aufweisen würde. Er sei aber bemüht, letztere zu verbessern und sich zu integrieren. Bei einer künftigen Wohnungssuche würde die katholische Seelsorge in seinem Fall nach erfolgter Verbüßung der Strafhaft ebenso Hilfestellung leisten wollen, wie auch bei der Suche nach Arbeit. Positiv angemerkt wurde auch die Mitarbeit des Genannten im Rahmen der einmal pro Woche stattfindenden „Legion Mariens“ – Apostolatsgruppe. Dies werde seitens des Gefängnisseelsorgers als „sehr intensive Auseinandersetzung mit dem Glauben der römisch-katholischen Kirche“ und deren Praxis interpretiert. Zudem würde es der Verfasser des Schreibens ausdrücklich begrüßen, wenn sein Schützling in Österreich bleiben dürfte, zumal dieser seinen Fehler einsehe, sein Leben „total geändert“ hätte und außerdem dessen Schwester mit ihrer Familie auch in XXXX leben würde.
12. Mit Schriftsatz vom 13.11.2020 erstattete der BF über seine rechtsfreundliche Vertretung eine als „Nachtrag“ bezeichnete Beschwerdeergänzung. Darin wolle er „folgende Sachen klarstellen:“ So würden sowohl seine Schwester als auch sein Cousin mittlerweile in XXXX leben und hätten ihn diese auch schon in der Haftanstalt besucht. Der Umstand, dass er anlässlich seiner Asylantragstellung als Religionszugehörigkeit „Moslem“ angegeben habe, sei nicht gleichzusetzen mit einer inneren Überzeugung. Vielmehr hätte er nur seine offizielle Konfession genannt, ähnlich einem Taufscheinchristen hierzulande, der in Wahrheit gar nicht religiös wäre. Tatsächlich habe der Beschwerdeführer nicht zuletzt auch aufgrund der religiösen Zwänge des Scharia-Islams Afghanistan verlassen. Wie bereits vorgebracht, hätte der Genannte aus Angst vor anderen Moslems erst in der Strafhaft über einen Seelsorger den Mut gefunden, sich aktiv dem Christentum anzunähern. Die Tatsache, derzufolge er nicht in der Lage sei, mit Bibeldetails aufzuwarten, wäre nicht dazu geeignet, Rückschlüsse in Bezug auf seine Glaubensüberzeugung zu ziehen; dies könne sein Seelsorger zweifellos besser beurteilen als jemand der ihn nicht kenne. Sein Glaubensübertritt stelle kein gesteigertes Vorbringen, sondern vielmehr einen neuen Sachverhalt dar. So hätte er nie behauptet, in Afghanistan einer gezielten individuellen Verfolgung ausgesetzt zu sein, jedoch wäre er nunmehr im Falle einer Rückkehr von der Todesstrafe bedroht, wenn bekannt würde, dass er zwischenzeitlich zum Christentum konvertiert sei. Dies wolle er gerne in einer mündlichen Verhandlung im Detail näher darlegen.
13. In weiterer Folge übermittelte der Beschwerdeführer am 17.11.2020 über seine rechtsfreundliche Vertretung eine schriftliche Stellungnahme einer Mitarbeiterin des XXXX , in welcher dem BF seine Teilnahme an einem einmonatigen Programm zur Erarbeitung beruflicher Perspektiven nach seiner Entlassung aus der Strafhaft bestätigt wird. Selbiger hätte im Verlauf dieses Projekts seine Bereitschaft zur Erweiterung seiner Deutschkenntnisse und Computerfertigkeiten bekundet. Insgesamt habe man den Genannten „als sehr engagierten jungen Mann“ erlebt.
14. Am 15.04.2021 erreichte das erkennende Gericht im Rahmen eines als „Urkundenvorlage“ bezeichneten Schriftsatzes ein Schreiben der aktuell in Österreich lebenden Schwester des Beschwerdeführers. Darin schildert diese, demzufolge der BF schon in Afghanistan den Islam „ablehnte und zu entkommen versuchte.“ Für die nach wie vor in Afghanistan lebende Familie, konkret Vater, Onkel und Bruder, würde der Beschwerdeführer hingegen nunmehr als Verräter und „Schande“ betrachtet werden. Eine Rückkehr in sein Heimatland wäre für diesen daher sehr gefährlich, da nach der Scharia die Todesstrafe für den Wechsel vom Islam zu einer anderen Religion vorgesehen sei – eine Vorgangsweise, die von den vor Ort lebenden Angehörigen vermeintlich begrüßt werden würde. Deshalb ersuche die Verfasserin des Briefes darum, ihren Bruder weiterhin in Österreich zu belassen.
15. In weiterer Folge beantragte der BF mit Schreiben vom 15.07.2021 die Bewilligung einer Verfahrenshilfe für das Beschwerdeverfahren.
Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.07.2021, Zl. W150 2159588-2/13Z, wurde selbiger Antrag abgewiesen.
16. Mit Schreiben vom 26.07.2021 übermittelte der Beschwerdeführer ein Empfehlungsschreiben eines ehrenamtlich in der JA XXXX seelsorgerisch tätigen Privaten. Inhaltlich wurde auf dessen gepflegtes Erscheinungsbild und einwandfreies Benehmen verwiesen und der persönlichen Überzeugung des Verfassers, derzufolge sich der BF im Falle der Asylgewährung „weiter gut in die Gesellschaft integrieren wird.“
17. Am 03.08.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein eines Dolmetschers für DARI, des Beschwerdeführers, dessen rechtsfreundlichen Vertretung, zweier Zeugen und einer Vertreterin der belangten Behörde eine mündliche Verhandlung statt.
Uneingeschränkt gesund könne der BF alle an ihn gerichteten Fragen wahrheitskonform beantworten.
In XXXX als Angehöriger der tadschikischen Volksgruppe geboren und aufgewachsen, habe er in beiden Rechtsgängen stets die Wahrheit gesagt. „Dann bin ich leider ins Gefängnis gegangen (Seite 5 der Verhandlungsschrift vom 03.08.2021)“ – ein Umstand, der primär auf übermäßigen Alkoholkonsum zurückzuführen sei, obwohl er bloß „ein gutes normales Leben haben wollte (Seite 5 der Verhandlungsschrift vom 03.08.2021).“
Erst ab dem Jahr 2018 hätte der Beschwerdeführer begonnen, sich für das Christentum zu interessieren. Konfrontiert mit seiner Aussage vom 20.08.2020, derzufolge er sich bereits in Afghanistan für das Christentum interessiert und vorgehabt hätte, in Europa die Religion zu wechseln, bestritt der BF vehement, jemals ein derartiges Vorbringen erstattet zu haben. Wenngleich in eine muslimische Familie hineingeboren, habe er selbst nie eine Religion gehabt. Die anderslautenden Passagen früherer Protokolle und Niederschriften wären vermutlich Fehler der involvierten Dolmetscher gewesen.
Seit seinem Konfessionswechsel hätte sich sein Leben zum Positiven geändert. So wäre er früher von seinem Vater dazu gezwungen worden, den Koran zu lesen, was er jedoch aufgrund seiner Leseschwäche nur mit Schwierigkeiten zu bewerkstelligen vermocht habe. Zudem hätte sich der Beschwerdeführer in der Moschee als Kind vor den Gelehrten mit ihren schwarzen Haaren, dunklen Augen und langen Bärten gefürchtet. „Das ist jetzt anders (Seite 8 der Verhandlungsschrift vom 03.08.2021).“ Seine Lieblingsstelle in der Bibel sei jene, in der Jesus den Sündern ihre Untaten vergebe. Auch das „Vater unser“ gefalle ihm sehr, ebenso wie die zehn Gebote.
In Österreich habe er begonnen Alkohol zu trinken, was auch die Ursache für seine Straftaten gewesen wäre; Schweinefleisch esse er seit seiner Inhaftierung „auch immer ohne Unterbrechung (Seite 9 der Verhandlungsschrift vom 03.08.2021).“ Den Konsum von Alkohol versuche er demgegenüber immerhin insoweit einzuschränken, als dass er dadurch nicht die Kontrolle über sein Handeln verliere. Auf Vorhalt, demzufolge er in der Haftanstalt ausschließlich muslimisch rituelle Halalkost zum Essen bestelle, bestritt der Genannte dies jemals selbst veranlasst zu haben; vielmehr wäre dies automatisch von den Verantwortlichen der Haftanstalt so eingeteilt worden, er habe es lediglich nicht aktiv ändern lassen.
In Afghanistan würden neben seinen beiden Eltern auch noch drei Brüder und drei Schwestern leben sowie auch der Rest der gesamten Verwandtschaft, abgesehen von einer in Österreich lebenden Schwester, einem Cousin in der Schweiz und einem Onkel in XXXX . Ein paar nicht näher genannte Angehörige würden zudem in XXXX wohnen.
Selbst ledig und kinderlos habe er nur in seinem Herkunftsland einmal eine Freundin gehabt. Bildungsmäßig könne er nur auf eine bloß fünfjährige Schulbildung in seinem Herkunftsland verweisen; zudem hätte er die Ausbildung eines Erzeugers künstlicher Blumen absolviert, Berufspraxis aber dann als Kleidungshändler erworben. In Österreich habe der BF zudem in der Justizvollzugsanstalt ein A1 – Zertifikat erlangt.
Das Haus seiner Eltern verfüge über neun Zimmer auf insgesamt zwei Stockwerken.
Im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland befürchte der Beschwerdeführer die faktische Unmöglichkeit, seine neue Religion, die nunmehr alles für ihn bedeuten würde, in der Praxis ausüben zu können. Seit 2020 sei er auch Mitglied in der „Legion Mariens“. Mitinhaftierte Landsleute hätten ihn angekündigt, in Afghanistan dafür zur Rechenschaft ziehen zu wollen.
Auf die Frage nach dem nächsten christlichen Fest vermochte er das unmittelbar bevorstehende Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel (Mariä Himmelfahrt am 15. August) nicht zu nennen. Erst auf präzise Nachfrage zur Marienverehrung und damit verbundenen Festen konnte er zwei der insgesamt 16 röm.-kath. Marienfeste nennen: „Einer davon heißt auch der Mariafeiertag, das ist am 08.12. Im August ist der Feiertag von Maria.“ (Seite 13 der Verhandlungsschrift vom 03.08.2021).
Seine Straftat bereue er sehr und bete er zu Gott, dass sein Vergewaltigungsopfer „ihr Leben noch einmal in Griff bekommt (Seite 14 der Verhandlungsschrift vom 03.08.2021).“ Hinsichtlich seiner zweiten Straftat, aufgrund er ebenfalls rechtskräftig verurteilt worden ist, konkret jener der Morddrohung gegenüber einer weiteren Frau, könne sich der BF nicht erinnern, was vermutlich auf den seinerzeitigen übermäßigen Konsum von Alkohol zurückzuführen sei.
Im Rahmen der Beichte habe er einem Priester von seiner Straftat erzählt, dieser habe sodann zum lieben Gott gebetet „und damit meine ich, ist mir verziehen worden (Seite 15 der Verhandlungsschrift vom 03.08.2021).“
Die fünf Voraussetzungen für eine gültige Beichte wären ihm aktuell – ebenso wie der Begriff der „Todsünde“ nicht erinnerlich, aber sei ihm durchaus bewusst, etwas Schlimmes getan zu haben, was er nunmehr bereuen würde.
Abschließend wolle er sich bei allen bedanken, insbesondere bei Jesus Christus für seine Errettung. Auch entschuldige er sich für seine Straftaten und beabsichtige in Hinkunft ein gesetzeskonformes Leben in Österreich zu führen.
Der als Zeuge nominierte Gefängnisseelsorger brachte vor, den Beschwerdeführer seit Juni 2018 zu kennen. Im Rahmen wöchentlicher Seelsorgeeinheiten hätte er diesen erstmalig gesehen. Zudem habe der BF über zwei Jahre hindurch an der wöchentlichen Katechese teilgenommen. Dies stelle eine intensive Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben dar. Auch sei dies aus seiner Sicht als ein Akt besonderen Mutes zu qualifizieren, zumal andere Muslime diesen Schritt nicht positiv bewerten würden.
Vor der Taufe des Beschwerdeführers wäre es nicht möglich gewesen, diesen zuvor beichten zu lassen, aber hätten dafür eine Einführung und Erklärung stattgefunden. Insgesamt habe man dann die Beichte schon einige Male vollzogen. Er sei subjektiv absolut davon überzeugt, dass der BF aus Überzeugung dem Christentum beigetreten wäre, denn ansonsten würde dieser wohl nicht so regelmäßig weiterhin an den wöchentlichen Zeremonien teilnehmen. Zudem habe er zu Beginn ausdrücklich darauf hingewiesen, wonach eine Konversion nicht zwangsläufig ein Bleiberecht bedeute. Ob oder inwieweit dieser aktuell noch muslimische Gebote einhalte, entziehe sich seiner Kenntnis.
Die ebenfalls als Zeugin geladene Schwester des Beschwerdeführers gab an, ein Monat vor diesem nach Österreich gekommen zu sein. Ihre weiterhin in Afghanistan lebende Familie, zu denen sie nach wie vor Kontakt habe, wisse von anderen zwischenzeitlich abgeschobenen ehemaligen Strafgefangenen vom Glaubenswechsel ihres Bruders, was vor allem ihrer Mutter große Sorgen bereiten würde. Innerhalb der Familie hätte sich diese Neuigkeit wie ein Lauffeuer verbreitet und würde der Mutter die Schuld für diesen als Schande empfundenen Schritt des BF gegeben werden.
Noch in Afghanistan habe sich ihr Bruder für das Christentum stark interessiert gezeigt, insbesondere während des Fastenmonats Ramadan, zumal er weder täglich beten noch das Fastenritual vollziehen hätte wollen, wie es etwa vom gemeinsamen Vater verlangt worden sei. Stattdessen hätte er es vorgezogen, regelmäßig heimlich zu essen und trinken. Zudem wären wiederholt seine Augen gerötet gewesen, wobei er zur selben Zeit aus dem Mund nach Alkohol gerochen habe.
Als Beweismittel wurde abschließend eine Bestätigung über die Teilnahme an einem 16-stündigen Erste Hilfe Grundkurs präsentiert.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers/Asylfolgeantrag:
1.1.1. Der Beschwerdeführer ist ein afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an.
In XXXX geboren wuchs der BF dort gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern im afghanischen Familienverband im familieneigenen Haus auf. Er lebte dort bis zu seiner Ausreise.
Der Beschwerdeführer besuchte mehrere Jahre die Schule in seinem Herkunftsstaat und war anschließend als Verkäufer im familieneigenen Geschäft tätig.
Bereits wenige Wochen nach seiner illegalen Einreise ins Bundesgebiet beging der BF ein seitens der Strafgerichtbarkeit als besonders brutal und grausam gewertetes Verbrechen in Kombination mit einem Vergehen, in deren Verlauf zwei junge Frauen massiv geschädigt worden sind und aufgrund dessen der Genannte rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von sieben Jahren verurteilt worden ist.
1.1.2. Weder ist im gegenständlichen Verfahren hervorgekommen noch vermochte es der Beschwerdeführer glaubhaft darzutun, wonach in der Zwischenzeit seit der Entscheidung des BVwG vom 06.06.2017 Umstände eingetreten wären, aufgrund derer dem BF in Afghanistan aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person drohen würde oder ihm im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und arbeitsfähig, sodass er im Herkunftsstaat zumindest durch einfache Arbeit das nötige Einkommen erzielen könnte, um sich eine Existenzgrundlage zu schaffen. Zudem kann er Rückkehrhilfe ebenso in Anspruch nehmen, wie sich der Unterstützung diverser Kernfamilienmitglieder wie Eltern, Bruder und weiterer Angehöriger wie etwa Onkeln und Cousins bedienen.
1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat wurde unter Heranziehung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation des Bundesamtes zu Afghanistan (Stand: 21.07.2020) im Bescheid festgestellt:
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan, Stand 21.07.2020:
„Länderspezifische Anmerkungen
COVID-19:
Stand 21.7.2020
Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.
Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan
Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).
Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).
Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe
Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).
Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).
Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).
Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).
Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).
Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).
Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans
Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).
Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).
In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).
In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).
In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).
In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (RA KBL 16.7.2020).
In der Provinz Samangan gibt es ebenso ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Wie auch in der Provinz Daikundi müssen Proben nach Kabul zur Testung geschickt werden. Eine unzureichende Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Haushalte haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (RA KBL 16.7.2020).
Wirtschaftliche Lage in Afghanistan
Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).
Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).
Einreise und Bewegungsfreiheit
Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).
Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).
Quellen:
? AnA – Andolu Agency (19.7.2020): Turkey suspends Iran and Afghanistan flights, https://www.aa.com.tr/en/middle-east/turkey-suspends-iran-and-afghanistan-flights-/1915627, Zugriff 20.7.2020
? AnA – Andolu Agency (18.7.2020): Afghanistan: Virus cases hit low as testing declines, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/afghanistan-virus-cases-hit-low-as-testing-declines/1914895, Zugriff 20.7.2020
? Arab News (10.7.2020): Coronavirus-hit Afghanistan gets $200 million World Bank grant, https://www.arabnews.com/node/1702656/world, Zugriff 20.7.2020
? BBC – News (30.6.2020): Coronavirus overwhelms hospitals in war-ravaged Afghanistan, https://www.bbc.com/news/world-asia-53198785, Zugriff 20.7.2020
? DS – Daily Sabah (19.7.2020): Turkey suspends flights to Iran, Afghanistan amid COVID-19 outbreak, https://www.dailysabah.com/business/transportation/turkey-suspends-flights-to-iran-afghanistan-amid-covid-19-outbreak, Zugriff 20.7.2020
? FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (16.7.2020): Afghanistan Revised humanitarian response Coronavirus disease 2019 (COVID-19) May–December 2020, https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-revised-humanitarian-response-coronavirus-disease-2019-covid-19-may, Zugriff 20.7.2020
? JHU - John Hopkins Universität (20.7.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 20.7.2020
? Mangalorean (19.7.2020): Afghanistan launches new COVID-19 relief package, https://www.mangalorean.com/afghanistan-launches-new-covid-19-relief-package/, Zugriff 20.7.2020
? OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (16.7.2020): Strategic Situation Report COVID-19, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Afghanistan%20-%20Strategic%20Situation%20Report%20-%20COVID-19%2C%20No.%2062%20%2816%20July%202020%29.pdf, Zugriff 20.7.2020
? OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (15.7.2020): COVID-19 Multi-Sectoral Response Operational Situation Report, 15 July 2020, https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/documents/files/operational_sitrep_covid-19_15_july_2020.pdf, Zugriff 20.7.2020
? OCHA – United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (8.7.2020): Afghanistan: COVID-19 Multi-Sectoral Response Operational Situation Report, 8 July 2020, https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-covid-19-multi-sectoral-response-operational-situation-report-8-july, Zugriff 20.7.2020
? PT – Pakistan Today (17.9.2020): Trade with Afghanistan increased 25pc despite Covid-19, NA told, https://profit.pakistantoday.com.pk/2020/07/17/trade-with-afghanistan-increased-25pc-despite-covid-19-na-told/, Zugriff 20.7.2020
? RA KBL – Rechtsanwalt in Kabul (16.7.2020): Antwortschreiben, per Mail
? TN – Tolonews (19.7.2020): Afghan Goods Enter India Through Wagah Border, https://tolonews.com/business/afghan-goods-enter-india-through-wagah-border, Zugriff 20.7.2020
? TN – Tolonews (18.7.2020a): Afghan Govt Launches New COVID-19 Relief Package, https://tolonews.com/afghanistan/afghan-govt-launches-new-covid-19-relief-package, Zugriff 20.7.2020
? TN – Tolonews (18.7.2020b): Health Ministry’s COVID-19 Strategy Questioned, https://tolonews.com/health/health-ministry%E2%80%99s-covid-19-strategy-questioned, Zugriff 20.7.2020
? TN – Tolonews (12.7.2020): Afghanistan Faces Catastrophe if Health Measures Not Heeded: AIMA, https://tolonews.com/health/afghanistan-faces-catastrophe-if-health-measures-not-heeded-aima, Zugriff 20.7.2020
? TN – Tolonews (14.7.2020): Herat Health Dept Warns of Second Wave of COVID-19, https://tolonews.com/afghanistan/herat-health-dept-warns-second-wave-covid-19, Zugriff 20.7.2020
? TN – Tolonews (20.7.2020): Turkey Suspends Flights to Afghanistan and Iran, https://tolonews.com/business/turkey-suspends-flights-afghanistan-and-iran, Zugriff 20.7.2020
? TN – Tolo News (5.4.2020): 300-Bed Hospital Opened for COVID-19 Patients in Herat, https://tolonews.com/health/300-bed-hospital-opened-covid-19-patients-herat, Zugriff 20.7.2020
? TN – Tolo News (19.3.2020): Govt Builds 100-Bed Hospital in Herat for COVID-19 Patients, https://tolonews.com/health/govt-builds-100-bed-hospital-herat-covid-19-patients, Zugriff 20.7.2020
? WB – World Bank (10.7.2020): World Bank: $200 Million for Afghanistan to Protect People, Support Businesses Amid COVID-19, https://reliefweb.int/report/afghanistan/world-bank-200-million-afghanistan-protect-people-support-businesses-amid-covid, Zugriff 20.7.2020
? WFP – World Food Programme (15.7.2020): Afghanistan: Countrywide Weekly Market Price Bulletin, Issue 9 (Covering 2nd week of July 2020), https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-countrywide-weekly-market-price-bulletin-issue-9-covering-2nd-week, Zugriff 15.7.2020
? WFP – World Food Programme (5.2020): WFP Afghanistan Country Brief May 2020, https://docs.wfp.org/api/documents/WFP-0000116792/download/, Zugriff 20.7.2020
? WHO – World Health Organization (20.7.2020): Coronavirus disease (COVID-19) Dashboard, https://covid19.who.int/?gclid=EAIaIQobChMIjryr5qHb6gIVkakYCh3mbwOQEAAYASABEgIpyPD_BwE, Zugriff 20.7.2020
? WHO – World Health Organization (o.D.): Afghanistan - Hospital and laboratory services http://www.emro.who.int/afg/programmes/hospital-and-laboratory-services.html, Zugriff 20.7.2020
? UNICEF (19.4.2020): Female-headed households bear the brunt of Covid-19 as livelihood gaps increase, https://www.unicef.org/afghanistan/stories/female-headed-households-bear-brunt-covid-19-livelihood-gaps-increase, Zugriff 20.7.2020
Stand 29.6.2020
Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.
Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).
In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).
In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).
Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).
Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen
In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).
Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).
Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung
Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).
Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen(RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).
Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).
Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan
Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).
Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).
Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran
Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den