Entscheidungsdatum
19.10.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W227 2247222-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Karin WINTER über die Beschwerde von XXXX , gesetzliche Vertreterin der mj. Schülerin XXXX , gegen den Bescheid der Bildungsdirektion für Oberösterreich vom 21. September 2021, Zl. Präs/3a-103-2/328-2021:
A)
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Bildungsdirektion für Oberösterreich zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Begründung
I. Verfahrensgang
1. Am 8. September 2021 zeigte die Beschwerdeführerin die Teilnahme ihrer am XXXX geborenen Tochter XXXX (Kind) am häuslichen Unterricht auf der 2. Schulstufe (2. Klasse Volksschule) für das Schuljahr 2021/2022 an. Als ihren Beruf führte die Beschwerdeführerin „Tagesmutter“ an.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid untersagte die Bildungsdirektion für Oberösterreich gemäß § 11 Abs. 3 Schulpflichtgesetz (SchPflG) die Teilnahme des Kindes am häuslichen Unterricht für das Schuljahr 2021/2022 (Spruchpunkt 1.) und erkannte die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde ab (Spruchpunkt 2.).
Begründend führte die Bildungsdirektion für Oberösterreich zusammengefasst aus:
Aus der eingeholten Stellungnahme der Kinder- und Jugendhilfe gehe hervor, dass nicht bekannt sei, wie die Beschulung des Kindes zu Hause mit der Tätigkeit als Tagesmutter in Einklang zu bringen sei. Es werde angezweifelt, ob eine Gleichwertigkeit gegeben sei. Die Kinder- und Jugendhilfe empfehle einen regelmäßigen Schulbesuch, um soziale Kontakte und soziales Lernen zu ermöglichen. Die Bildungsdirektion für Oberösterreich sehe keinen Anlass, diese Stellungnahme in Zweifel zu ziehen.
3. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde, in der sie im Wesentlichen vorbringt:
Die Bildungsdirektion für Oberösterreich habe ein amtswegiges Ermittlungsverfahren nicht durchgeführt. Sie habe lediglich die Stellungnahme der Kinder- und Jugendhilfe übernommen und den relevanten Sachverhalt nicht ermittelt. Aus dieser Stellungnahme gehe lediglich hervor, dass nicht bekannt sei, wie die Beschwerdeführerin den häuslichen Unterricht bewerkstellige.
Häuslicher Unterricht könne jedoch nur untersagt werden, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, dass die Gleichwertigkeit des Unterrichts nicht gegeben sei. Dem angefochtenen Bescheid sei aber nicht zu entnehmen, welche Gründe für und gegen die Gleichwertigkeit sprächen und welche dieser Gründe nach Ansicht der Bildungsdirektion für Oberösterreich weitaus überwiegten.
Weiters beantragte die Beschwerdeführerin, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
4. Am 11. Oktober 2021 legte die Bildungsdirektion für Oberösterreich die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch gemacht zu haben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Die Beschwerdeführerin zeigte am 8. September 2021 (Datum des Einlangens bei der Behörde) die Teilnahme des Kindes am häuslichen Unterricht im Schuljahr 2021/2022 an. Das Schuljahr in Oberösterreich hat am 13. September 2021 begonnen.
Die Bildungsdirektion für Oberösterreich unterließ Ermittlungen zur Gleichwertigkeitsprüfung.
2. Beweiswürdigung
Die Feststellungen ergeben sich aus dem Verwaltungsakt.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zur Behebung und Zurückverweisung [Spruchteil A)]
3.1.1. Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefoch-tenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Mit Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung not-wendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinne einer „Delegierung“ der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, siehe dazu bspw. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, S. 127 und S. 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Schaffung einer Verwaltungsgerichts-barkeit erster Instanz, 2008, S. 65 und S. 73 f.; siehe auch VwGH 06.07.2016, Ra 2015/01/0123; 25.01.2017, Ra 2016/12/0109, jeweils m.w.H. sowie VwGH 08.08.2018, Ra 2017/10/0097).
3.1.2. Art. 17 Staatsgrundgesetz (StGG) garantiert die Freiheit des häuslichen Unterrichts auf jedem theoretischen Wissensgebiet ohne jede Beschränkung (siehe VfGH Slg. Nr. 4579 und 4990). Es ist dem Gesetzgeber verwehrt, die Erteilung häuslichen Unterrichts irgendwelchen Beschränkungen zu unterwerfen. Die Regelungen des Schulpflichtgesetzes beziehen sich daher ausschließlich auf die Frage, ob ein Kind durch die Teilnahme am häuslichen Unterricht bereits seine Schulpflicht erfüllt, oder ob es dazu des Besuches einer allgemeinen Pflichtschule bedarf (siehe VwGH 29.01.2009, 2008/10/0332 m.w.N.).
Gemäß § 11 Abs. 2 SchPflG kann die allgemeine Schulpflicht durch die Teilnahme an häuslichem Unterricht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 genannten Schule – ausgenommen die Polytechnischen Schule – mindestens gleichwertig ist.
Gemäß Abs. 3 leg. cit. haben die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten die Teilnahme ihres Kindes an einem im Abs. 1 oder 2 genannten Unterricht der Bildungsdirektion jeweils vor Beginn des Schuljahres anzuzeigen. Die Bildungsdirektion kann die Teilnahme an einem solchen Unterricht untersagen, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die im Abs. 1 oder 2 geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichtes nicht gegeben ist oder wenn gemäß Abs. 2a eine öffentliche Schule oder eine mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schule mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung zu besuchen ist.
Das Gesetz räumt der Behörde die Befugnis ein, die Teilnahme am häuslichen Unterricht zu untersagen, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die im Abs. 2 geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichtes im Vergleich zu dem in einer öffentlichen Volksschule nicht gegeben ist.
Mit Wahrscheinlichkeit ist eine Tatsache als gegeben anzunehmen, wenn gewichtigere Gründe für ihr Vorhandensein sprechen als dagegen. Von großer Wahrscheinlichkeit kann daher nur dann gesprochen werden, wenn die Gründe, die dafür sprechen, gegenüber den anderen, die dagegen anzuführen sind, weitaus überwiegen (siehe VwGH 25.04.1974, 0016/74).
3.1.3. Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen mangelhaft:
Wie oben ausgeführt, kann von großer Wahrscheinlichkeit i.S.d. § 11 Abs. 3 SchPflG nur dann gesprochen werden, wenn die Gründe, die dafür sprechen, gegenüber den anderen, die dagegen anzuführen sind, weitaus überwiegen.
Eine solche Abwägung der Gründe, die für oder gegen eine Teilnahme am häuslichen Unterricht sprechen, nahm die Bildungsdirektion für Oberösterreich jedoch überhaupt nicht vor, sondern ging ohne nähere Beweisaufnahme von bloßen Annahmen aus. So erfüllt das Begründungselement im angefochtenen Bescheid, wonach nicht bekannt ist, wie die Beschwerdeführerin aufgrund der Tätigkeit als Tagesmutter die Beschulung des Kindes zu Hause in Einklang bringen soll, die Anforderungen einer Gleichwertigkeitsprüfung nicht. Vielmehr wäre es die Aufgabe der Bildungsdirektion für Oberösterreich gewesen, diese Zweifel an der Vereinbarkeit von Beruf und häuslichen Unterricht nicht im Raum stehen zu lassen, sondern Ermittlungen dahingehend zu tätigen. Damit fehlen wesentliche Ermittlungsergebnisse (etwa Arbeitsauslastung der Mutter, Strukturierung des Unterrichts), um die Gleichwertigkeit des Unterrichts schlüssig beurteilen zu können.
Folglich kann nicht nachvollzogen werden, warum die zu treffende ex-ante Prüfung negativ ausfallen könnte.
Der Sachverhalt ist somit in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben. Es kann auch nicht gesagt werden, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Somit ist das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an die Bildungsdirektion für Oberösterreich zurückzuverweisen.
3.1.4. Ein gesonderter Abspruch über die aufschiebende Wirkung erübrigt sich angesichts der erfolgten Sachentscheidung.
3.1.5. Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen. Außerdem ist das Schulrecht nicht von Art. 6 EMRK und auch nicht von Art. 47 GRC erfasst (siehe VfGH 10.03.2015, E 1993/2014, sowie VwGH 23.05.2017, Ra 2015/10/0127; 27.03.2019, Ra 2019/10/0017, jeweils m.w.N.).
3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision [Spruchteil B)]
3.2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
3.2.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Ermittlungspflicht Gleichwertigkeit häuslicher Unterricht Kassation mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W227.2247222.1.00Im RIS seit
11.11.2021Zuletzt aktualisiert am
11.11.2021