TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/22 W133 2243113-1

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Veröffentlicht am 22.10.2021
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Entscheidungsdatum

22.10.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W133 2243113-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Vorsitzende und den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Burgenland, vom 19.05.2021, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Am 13.01.2017 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Burgenland (in der Folge als „belangte Behörde“ bezeichnet). In dem in der Folge von der belangten Behörde eingeholten Gutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin wurde aufgrund der folgenden Funktionseinschränkungen und diesen zugeordneten Leidenspositionen

Lfd.

Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Brustkrebs rechts, operative Tumorentfernung, adjuvante Strahlentherapie

Unterer Rahmensatz bei komplikationslosem Verlauf.

13.01.03

50

2

rezidivierende depressive Störung, generalisierte Angststörung, Somatisierungsstörung, Fibromyalgie

Unterer Rahmensatz dieser Position, da deutliche Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit.

03.06.02

50

ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 von Hundert (v.H.) eingeschätzt, da das Gesamtbild durch das Leiden 2 maßgeblich negativ beeinflusst werde. Die belangte Behörde stellte aufgrund dieses Ergebnisses einen mit 31.05.2021 befristeten Behindertenpass aus.

Die Beschwerdeführerin stellte am 09.03.2021 unter Vorlage eines Befundkonvoluts den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Neuausstellung eines Behindertenpasses beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Burgenland (in der Folge als „belangte Behörde“ bezeichnet), wegen des Ablaufes des zuvor ausgestellten Behindertenpasses. Am selben Tag stellte sie bei der belangten Behörde weiters einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO (Parkausweis).

Die belangte Behörde gab in der Folge ein neues Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung in Auftrag. In diesem Gutachten vom 30.04.2021 wurden auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und umfassender Darstellung der Statuserhebung die Funktionseinschränkungen den Leidenspositionen

Lfd.

Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Rezidivierende depressive Störung, Somatisierungsstörung, Benzodiazepinabusus, Reizdarmsyndrom, generalisierte Angststörung
Eine Stufe unter oberem Rahmensatz, unter Medikation stabil, keine stationären Aufenthalte, medikamentöse Therapiereserve

03.06.01

30

2

Zustand nach brusterhaltender Operation rechts

Eine Stufe über unterem Rahmensatz, bei Zustand nach Teilresektion

08.03.01

20

3

Aufbraucherscheinungen am Bewegungsapparat

Oberer Rahmensatz, bei geringer funktioneller Einschränkung, Schmerzbedarfsmedikation

02.02.01

20

zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. eingeschätzt. Begründend führte die Gutachterin aus, dass das Gesamtbild durch Leiden 2 und 3 nicht maßgeblich weiter verschlechtert werde. Gegenüber dem Vorgutachten habe sich das damalige Leiden 1 (nunmehr 2) nach Ablauf der Heilungsbewährung verbessert; auch das damalige Leiden 2 (nunmehr 1) habe sich mit einer deutlichen Reduktion der medikamentösen Therapie und einem Ausbleiben stationärer Aufenthalte deutlich gebessert.

Mit Schreiben vom 30.04.2021 räumte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin ein förmliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG samt Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Das Gutachten vom 30.04.2021 wurde der Beschwerdeführerin als Beilage übermittelt.

Die Beschwerdeführerin brachte eine Stellungnahme, eingelangt am 14.05.2021, ein, worin sie ausführte, dass mehrere Funktionsstörungen (komplexe posttraumatische Belastungsstörung, Fibromyalgie, Verdauungsstörungen mit unkontrolliertem Stuhlgang und Zervikalsyndrom) sowie weitere Umstände (Medikationsrückgang aufgrund von großen Magenbeschwerden, extreme Schmerzmedikation, pandemiebedingt erfolglose zweimalige Beantragung eines stationären Aufenthalts und infolgedessen unterbliebene Besserung des Zustands) nicht angemessen berücksichtigt worden seien. Der Stellungnahme schloss die Beschwerdeführerin ein Konvolut an Befunden an.

Zu diesem Vorbringen und den vorgelegten Befunden führte die Gutachterin in ihrer in der Folge von der belangten Behörde eingeholten Stellungnahme vom 17.05.2021 aus, dass sich aus den Befunden keine Änderung des auf der Grundlage der persönlichen Untersuchung am 21.04.2021 erstellten Gutachtens ergebe. Die psychischen Leiden seien unter Position 1 erfasst und es würden weder Befunde für unkontrollierten Stuhlgang vorliegen, noch sei eine „extreme“ Schmerzmedikation dokumentiert.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 19.05.2021 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab, da sie mit dem festgestellten Grad der Behinderung von 30 v.H. die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle. In der Begründung verwies die belangte Behörde auf das Ergebnis der ärztlichen Begutachtung, wonach der Grad der Behinderung 30 v.H. betrage. Weiters wies die belangte Behörde darauf hin, dass mangels Erfüllung der Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses ein Parkausweis (§ 29b StVO) nicht erteilt werden könne. Ein gesondertes bescheidmäßiger Abspruch über den diesbezüglichen Antrag erfolgte nicht.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin ohne Vorlage neuer Beweismittel mit E-Mail vom 01.06.2021 fristgerecht eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin führt sie aus, dass der angefochtene Bescheid verschiedene Kriterien wie den Zuspruch der unbefristeten Invaliditätspension nicht berücksichtige. Eine neuerliche Untersuchung durch einen anderen Arzt sei laut ihrer behandelnden Fachärztin für Neurologie empfehlenswert.

Die belangte Behörde legte am 07.06.2021 dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsbürgerin und hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich.

Aufgrund ihres Antrags vom 13.01.2017 auf Ausstellung eines Behindertenpasses wurde ihr von der belangten Behörde ein mit 31.05.2021 befristeter Behindertenpass ausgestellt, nachdem ein eingeholtes Gutachten die Funktionseinschränkungen

1.       Brustkrebs rechts, operative Tumorentfernung, adjuvante Strahlentherapie

2.       rezidivierende depressive Störung, generalisierte Angststörung, Somatisierungsstörung, Fibromyalgie mit deutlicher Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit

und einen Gesamtgrad der Behinderung von 60 v.H. aufgrund des negativen Einflusses des Leiden 2 auf das Gesamtbild ergeben hatte.

Die Beschwerdeführerin brachte am 09.03.2021 einen Antrag auf Neuausstellung eines Behindertenpasses wegen Ablaufes des alten Behindertenpasses bei der belangten Behörde ein.

Bei der Beschwerdeführerin bestehen zum Entscheidungszeitpunkt folgende Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1.       Rezidivierende depressive Störung, Somatisierungsstörung, Benzodiazepinabusus, Reizdarmsyndrom, generalisierte Angststörung (unter Medikation stabil, keine stationären Aufenthalte, medikamentöse Therapiereserve);

2.       Zustand nach brusterhaltender Operation rechts, Zustand nach Teilresektion;

3.       Aufbraucherscheinungen am Bewegungsapparat mit geringer funktioneller Einschränkung und Schmerzbedarfsmedikation.

Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt aktuell 30 v.H. Das führende Leiden 1 wird durch die Leiden 2 und 3 nicht weiter erhöht, da das Gesamtbild nicht maßgeblich weiter verschlechtert wird.

Gegenüber dem Vorgutachten hat sich das damalige Leiden 1 (nunmehr Leiden Nr. 2) nach Ablauf der Heilungsbewährung verbessert. Das damalige Leiden 2 (nunmehr Leiden Nr. 1) hat sich mit einer deutlichen Reduktion der medikamentösen Therapie und einem Ausbleiben stationärer Aufenthalte ebenfalls deutlich gebessert.

Eine Verdauungsstörung mit unkontrolliertem Stuhlgang ist nicht durch aktuelle, aussagekräftige Facharztbefunde belegt. Schmerzmedikation „extremen Ausmaßes“, wie vorgebracht, ist ebenfalls nicht dokumentiert.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen, deren Ausmaß, wechselseitiger Leidensbeeinflussung und medizinischer Einschätzung werden die diesbezüglichen Beurteilungen im Gutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 30.04.2021 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt; diesbezüglich wird auf die nachfolgenden beweiswürdigenden und rechtlichen Ausführungen verwiesen.

Unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden medizinischen Befunde und der Untersuchungsergebnisse im Gutachten ist eine höhere Einschätzung des festgestellten Leidenszustandes zum Entscheidungszeitpunkt nicht möglich.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Inland ergeben sich aus einem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszug aus dem zentralen Melderegister und ihren eigenen Angaben bei der Antragstellung; konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sie ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Inland hätte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Auch die belangte Behörde ging vom Vorliegen dieser Voraussetzung aus.

Das Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Neuausstellung eines Behindertenpasses sowie die vorherige Antragstellung und Erteilung des bis 31.05.2021 befristeten Behindertenpasses aufgrund der im Vorgutachten vom 14.02.2017 festgestellten Funktionseinschränkungen basieren auf dem Akteninhalt.

Der aktuelle Gesamtgrad der Behinderung beruht auf dem seitens der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie vom 30.04.2021. Darin wird auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Die Gutachterin setzte sich auch umfassend und nachvollziehbar mit den vorgelegten Befunden und dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im Rahmen der Untersuchung auseinander. Die getroffenen Einschätzungen, welche auf den im Rahmen einer persönlicher Untersuchung erhobenen Befunden basieren, entsprechen auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen (diesbezüglich wird auch auf die oben auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen im Gutachten verwiesen); die Gesundheitsschädigungen wurden nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft. Die Gutachterin setzte sich in ihrem Gutachten vom 30.04.2021 sowie der ergänzenden Stellungnahme vom 17.05.2021 ausreichend mit den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befunden auseinander, wobei die im Rahmen der Stellungnahme vom 14.05.2021 von der Beschwerdeführerin vorgelegten Dokumente – mit Ausnahme eines MRT-Befunds – zum Teil bereits bei der Antragstellung eingereicht wurden bzw. weitere Einzelbefunde sind, die inhaltlich mit den bei der Antragstellung vorgelegten übereinstimmen. Im Rahmen der Beschwerde wurde zudem weder inhaltlich auf die Feststellungen der Gutachterin eingegangen, noch wurden weitere Befunde vorgelegt.

Die Einschätzung von Leiden 1 (Rezidivierende depressive Störung, begleitet von einer Somatisierungsstörung, einem Benzodiazepinabusus, einem Reizdarmsyndrom und einer generalisierten Angststörung) durch die beigezogene Ärztin für Neurologie erfolgte im Einklang mit den Vorgaben der Anlage zur Einschätzungsverordnung unter der Positionsnummer 03.06.01 (Depressive Störung – Dysthymie - leichten Grades ) mit einem Grad der Behinderung von 30 v.H. – eine Stufe über dem unteren Rahmensatz – da die Beschwerdeführerin unter Medikation stabil ist, es keine weiteren stationären Aufenthalte gegeben hat und eine medikamentöse Therapiereserve besteht. Im Hinblick auf die unterbliebenen stationären Aufenthalte und die Reduktion der medikamentösen Therapie ging die Sachverständige von einer deutlichen Besserung des psychischen Leidens im Vergleich zum Vorgutachten aus. Auch die nicht mehr in Anspruch genommene Psychotherapie sah die Sachverständige als Indiz für eine eingetretene Besserung. Diese Einschätzung beruht nachvollziehbar auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin sowie einer Auseinandersetzung mit den von ihr vorgelegten Befunden. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 14.05.2021, dass keine Verbesserung eingetreten sei und eine stationäre Aufnahme sowie eine Therapie notwendig, aber pandemiebedingt nicht möglich gewesen seien, vermag dem nicht substantiiert entgegenzutreten, zumal die Beschwerdeführerin auch keinerlei neuere Befunde beigebracht hat, die eine solche Therapiebedürftigkeit belegen würden. Die erschwerend zur Depression hinzutretenden Störungen (Somatisierungsstörung, Benzodiazepinabusus, Reizdarmsyndrom und generalisierte Angststörung) wurden im Rahmen der Einschätzung ausreichend mitberücksichtigt. Eine von der Beschwerdeführerin in der Stellungnahme vom 14.05.2021 vorgebrachte, in den vorgelegten psychiatrischen Befunden aus März und April 2019 diagnostizierte Posttraumatische Belastungsstörung, wurde weder im Rahmen des Gutachtens vom 30.04.2021 noch durch die Vorlage aktueller Befunde objektiviert.

Für die in der Stellungnahme vom 14.05.2021 eingewandte Verdauungsstörung mit unkontrolliertem Stuhlgang sowie Magenbeschwerden legte die Beschwerdeführerin keine Befunde vor, sodass – nicht zuletzt im Hinblick auf den in der persönlichen Untersuchung erhobenen guten Allgemein- und Ernährungszustand – keine separate Funktionsstörung des Verdauungssystems festzustellen war, welche einen einschätzungsrelevanten Einzelgrad der Behinderung erreichen würde. Im Rahmen des psychiatrischen Leidens Nr. 1 wurde das Reizdarmsyndrom der Beschwerdeführerin zudem ohnedies bereits mitberücksichtigt.

Auch die – von der Beschwerdeführerin zu keinem Zeitpunkt monierte – Beurteilung des Zustands der Beschwerdeführer nach der brusterhaltenden Operation rechts aufgrund einer Krebserkrankung erfolgte im Einklang mit der Anlage zur Einschätzungsverordnung unter der Positionsnummer 08.03.01 mit einem Grad der Behinderung von 20 v.H. korrekt, da es sich um den Zustand nach einer (erfolgreichen) Teilresektion handelt. Aus den von der Beschwerdeführerin vorgelegten aktuellen Befunden ergibt keinen Hinweis mehr auf ein Malignom, wie es noch im Vorgutachten vorlag.

Gemäß der Einschätzungsverordnung ist bei generalisierten Erkrankungen des Bewegungsapparates unter der Positionsnummer 02.02 die resultierende Gesamtfunktionseinschränkung bei entzündlich rheumatischen Systemerkrankungen, degenerativen rheumatischen Erkrankungen und systemischen Erkrankungen der Muskulatur einzuschätzen. Im Einklang damit erfolgte die Beurteilung des – im Vergleich zum Vorgutachten neu hinzukommenden – Leidens 3 (Aufbraucherscheinungen am Bewegungsapparat) unter der Positionsnummer 02.02.01 (funktionelle Auswirkungen geringen Grades) mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 v.H. korrekt, da im Rahmen der persönlichen Untersuchung nur endlagig geringe Funktionseinschränkungen im Bereich der Halswirbelsäule objektiviert werden konnten. Im Übrigen waren die Gelenke frei beweglich und das Gang- und Standbild der Beschwerdeführerin unauffällig. Der im Hinblick auf die Schmerzbedarfsmedikation gewählte obere Rahmensatz deckt auch die von der Beschwerdeführerin geäußerten Schmerzen aufgrund einer Fibromyalgie und eines Zervikalsyndroms ab. In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 17.05.2021 führte die Gutachterin zutreffend aus, dass die von der Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 14.05.2021 vorgebrachte „extreme Schmerzmedikation“ nicht durch Befunde belegt ist.

Die sachverständige Feststellung, dass die Leiden 2 und 3 zu keiner maßgeblichen Verschlechterung führen und sich auf den Gesamtgrad der Behinderung sohin nicht erhöhend auswirken, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

Zusammenfassend ist daher vor dem Hintergrund der vorgelegten Befunde sowie unter Berücksichtigung des Untersuchungsergebnisses nicht ersichtlich, dass die Gutachterin die Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin tatsachenwidrig beurteilt hätte.

In ihrer Beschwerde ist die Beschwerdeführerin auf das eingeholte Fachgutachten bzw. die ergänzende Stellungnahme inhaltlich gar nicht näher eingegangen. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerde war somit nicht geeignet, das vorliegende Sachverständigengutachten zu entkräften und eine Änderung des Ermittlungsergebnisses herbeizuführen. Die Beschwerdeführerin legte im Rahmen der Beschwerde auch keine Befunde vor, welche den getroffenen Feststellungen widersprechen würden. Sie ist dem Sachverständigengutachten daher nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es der Antragstellerin, so sie der Auffassung ist, dass ihre Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen ihrer Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 30.04.2021. Dieses wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt. Im Hinblick auf den durch das Gutachten vollständig geklärten Sachverhalt ist dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, eine neuerliche Untersuchung durchzuführen, nicht zu folgen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

...

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

...

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

...

§ 45.

(1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.“

Wie oben unter Punkt II.2. ausgeführt wurde, wird der gegenständlichen Entscheidung das Sachverständigengutachten vom 30.04.2021 zu Grunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin 30 v.H. beträgt. Die Gesundheitsschädigungen wurden im Gutachten auch nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft; diesbezüglich wird auch auf die obigen Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung verwiesen. Wie ebenfalls bereits oben im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, waren die im Rahmen der Beschwerde erhobenen Einwendungen nicht geeignet, das vorliegende Gutachten zu entkräften.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, nicht erfüllt.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass bei einer Verschlechterung des Leidenszustandes eine neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.

Was die von der Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerde monierte Außerachtlassung der Zuerkennung einer unbefristeten Invaliditätspension (Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 30.09.2020) betrifft, ist auszuführen, dass es sich bei dem Bezug einer in § 40 Abs. 1 Z 2 BBG umschriebenen Leistung um keine hinreichende Bedingung für die Ausstellung eines Behindertenpasses handelt, sondern auch in diesem Fall die allgemeine Voraussetzung gemäß § 40 Abs. 1 BBG gilt, dass ein Grad der Behinderung oder eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% vorliegen muss (vgl. VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0041).

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

Im gegenständlichen Fall wurde die Frage der Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung unter Mitwirkung einer ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die strittigen Tatsachenfragen (Schmerzen, Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen) gehören dem Bereich zu, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht substantiiert bestrittenen schlüssigen Sachverständigengutachtens geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.12.2013, Zl. 2011/11/0180) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.12.2013, Zl. 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). Beide Parteien stellten zudem keinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird (vgl. dazu die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 09.06.2017, Zl. E 1162/2017-5).

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W133.2243113.1.00

Im RIS seit

11.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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