TE Vfgh Beschluss 2021/9/22 G254/2021

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Veröffentlicht am 22.09.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
IntegrationsG §11 Abs2, §12 Abs2
VfGG §7 Abs2, §62 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrages der Erstantragstellerin auf Aufhebung von Bestimmungen des IntegrationsG wegen Zumutbarkeit der Erwirkung eines Bescheides sowie mangels Betroffenheit; Zurückweisung des Antrages des Zweitantragstellers auf Aufhebung derselben Bestimmungen mangels Legitimation

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litc B-VG gestützten Antrag begehren die Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge den Satz "Die Wiederholung von einzelnen Prüfungsinhalten ist nicht zulässig." in "§11 Abs2 und §12 Abs2 des Integrationsgesetzes in der Fassung BGBl I Nr 42/2020", als verfassungswidrig aufheben.

II. Rechtslage

1. §§11 Abs2 und 12 Abs2 des Bundesgesetzes zur Integration rechtmäßig in Österreich aufhältiger Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft (Integrationsgesetz – IntG), BGBl I 68/2017, lauten wie folgt (der jeweils angefochtene Satz ist hervorgehoben):

"Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1

§11. (1) […]

(2) Die Prüfung umfasst Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolg ist mit 'Bestanden' oder 'Nicht bestanden' zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen werden. Wiederholungen von nicht bestandenen Prüfungen sind zulässig. Die Wiederholung von einzelnen Prüfungsinhalten ist nicht zulässig.

(3) […]

Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 2

§12. (1) […]

(2) Die Prüfung umfasst Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte Kenntnisse der deutschen Sprache zur selbständigen Sprachverwendung auf dem Sprachniveau B1 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über vertiefte Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolg ist mit 'Bestanden' oder 'Nicht bestanden' zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen werden. Wiederholungen von nicht bestandenen Prüfungen sind zulässig. Die Wiederholung von einzelnen Prüfungsinhalten ist nicht zulässig.

(3) […]"

2. §45 des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 145/2017 lautet auszugsweise wie folgt:

"Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU'

§45. (1) Drittstaatsangehörigen, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen tatsächlich niedergelassen waren, kann ein Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' erteilt werden, wenn sie

1. die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

2. das Modul 2 der Integrationsvereinbarung (§10 IntG) erfüllt haben.

(2) Zur Niederlassung berechtigten Drittstaatsangehörigen ist die Zeit eines unmittelbar vorangehenden rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet auf Grund einer Aufenthaltsbewilligung (§8 Abs1 Z12) oder eines Aufenthaltstitels 'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' (§57 AsylG 2005) zur Hälfte auf die Fünfjahresfrist gemäß Abs1 anzurechnen. Zur Niederlassung berechtigten Drittstaatsangehörigen ist die Zeit eines unmittelbar vorangehenden rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet aufgrund einer 'Aufenthaltsberechtigung plus' (§54 Abs1 Z1 AsylG 2005) oder einer 'Aufenthaltsberechtigung' (§54 Abs1 Z2 AsylG 2005) zur Gänze auf die Fünfjahresfrist anzurechnen.

(3) Nach zwei Jahren ununterbrochener Niederlassung eines Inhabers eines Aufenthaltstitels 'Blaue Karte EU' gemäß §50a Abs1 ist sein zuvor rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat mit einem Aufenthaltstitel 'Blaue Karte EU' dieses Mitgliedstaates auf die Fünfjahresfrist gemäß Abs1 anzurechnen.

(4) […]"

III. Antragsvorbringen

1. Die Antragsteller bringen im Wesentlichen vor, dass die Erstantragstellerin ugandische Staatsangehörige und mit dem Zweitantragsteller, der die österreichische Staatsbürgerschaft besitze, verheiratet sei. Das der Ehe entstammende gemeinsame Kind besitze ebenfalls die österreichische Staatsbürgerschaft. Die Erstantragstellerin lebe seit 2012 im Bundesgebiet und erfülle die Voraussetzungen des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt – EU" weitestgehend. Sie habe an mehreren Terminen an einer Integrationsprüfung B1 teilgenommen und dabei zwar einzelne Prüfungsmodule, die gesamte Prüfung jedoch knapp nicht bestanden. Aus diesem Grund seien alle Module zu wiederholen. Bereits positiv absolvierte Module würden weder berücksichtigt noch angerechnet. Nach dem jeweils letzten Satz des §§11 Abs2 und 12 Abs2 IntG sei die Wiederholung einzelner Prüfungsinhalte ausdrücklich unzulässig.

2. Das angefochtene Gesetz greife in die Rechtssphäre der Antragsteller unmittelbar, aktuell und in eindeutig bestimmter Weise ein, ohne dass es hiefür einer behördlichen Entscheidung bedürfe, wobei gleichzeitig eine Betroffenheit durch den angefochtenen Satz in §11 Abs2 IntG im Antrag deshalb verneint wird, weil die Erstantragstellerin das Modul 1 bereits erfüllt habe. Jedenfalls stehe auch ein anderer, zumutbarer Weg nicht zur Verfügung. Das Integrationsgesetz sehe keine Möglichkeit vor, einen Bescheid zu erwirken, der dann in weiterer Folge beim Verfassungsgerichtshof bekämpft werden könne, insbesondere seien negativ abgeschlossene Prüfungen nicht bekämpfbar.

3. In der Sache werde das dem Integrationsgesetz innewohnende Ziel einer raschen Integration durch das Wiederholen bereits positiv absolvierter Module konterkariert. Die Absicht aller Integrationsmaßnahmen sei, die rasche Selbsterhaltungsfähigkeit und aktive Teilnahme am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich zu fördern. Das Antreten zur gesamten Prüfung, selbst wenn bereits einzelne Prüfungsinhalte positiv beendet wurden, untergrabe die beabsichtigte rasche Integration. Zudem seien in vielen Bereichen einzelne positiv absolvierte Prüfungen nicht nochmals abzulegen, wie etwa im Berufsausbildungsgesetz, im Führerscheingesetz, wenn bei Nichtbestehen einer praktischen Fahrprüfung der theoretische Teil nicht wiederholt werden müsse, oder auch im Schulsystem. Der jeweils letzte Satz der §§11 Abs2 und 12 Abs2 IntG verstoße daher sowohl gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens als auch gegen den Gleichheitsgrundsatz.

IV. Erwägungen

1. Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist also, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.

Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

2. Der Antrag ist nicht zulässig:

2.1. Zunächst führt es für sich allein nicht zur Unzulässigkeit des Antrages, wenn die Antragsteller jeweils den letzten Satz in §§11 Abs2 und 12 Abs2 IntG, der jeweils in der Stammfassung des Integrationsgesetzes, BGBl I 68/2017, in Geltung steht, in ihrem Individualantrag irrtümlich mit (der letzten Änderung des Integrationsgesetzes) "in der Fassung BGBl I Nr 42/2020" bezeichnen. Dem in §62 Abs1 erster Satz VfGG festgelegten Erfordernis einer genauen und eindeutigen Bezeichnung ist mit der wörtlichen Wiedergabe der Bestimmung Genüge getan (vgl etwa VfSlg 20.395/2020).

2.2. Gemäß Absatz 1 des §45 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 145/2017 kann Drittstaatsangehörigen, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen tatsächlich niedergelassen waren, ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EU" erteilt werden, wenn sie unter anderem das Modul 2 der Integrationsvereinbarung (§10 IntG) erfüllt haben. Dementsprechend sieht §10 Abs1 IntG vor, dass Drittstaatsangehörige mit der Stellung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §45 NAG das Modul 2 der Integrationsvereinbarung erfüllt haben müssen. Eine der Voraussetzungen für die Erfüllung des Moduls 2 der Integrationsvereinbarung ist nach §10 Abs2 Z1 IntG der Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß §12 IntG. Diese umfasst nach §12 Abs2 IntG Sprach- und Werteinhalte. Im letzten Satz dieser Bestimmung wird ausdrücklich festgehalten, dass Wiederholungen einzelner Prüfungsinhalte nicht zulässig sind.

Damit steht der Erstantragstellerin die Möglichkeit offen, durch einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt – EU" einen (allenfalls abweisenden) Bescheid zu erwirken und auf diesem Weg ihre Bedenken gegen den letzten Satz des §12 Abs2 IntG an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Der Antrag der Erstantragstellerin, §12 Abs2 letzter Satz IntG aufzuheben, ist insoweit als unzulässig zurückzuweisen.

§11 Abs2 letzter Satz IntG greift nicht in die Rechtssphäre der Erstantragstellerin ein, da die Erstantragstellerin nach eigenen Angaben das Modul 1 der Integrationsvereinbarung bereits erfüllt hat. Die Erstantragstellerin kann daher – wie bereits im Antrag selbst ausgeführt – nicht (mehr) durch die angefochtene Bestimmung betroffen sein (vgl VfSlg 13.629/1993). Der Antrag ist daher auch insoweit unzulässig.

2.3. Das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz regelt – siehe §1 Abs1 NAG – ua die Erteilung, Versagung und Entziehung von Aufenthaltstiteln von Fremden, die sich länger als sechs Monate im Bundesgebiet aufhalten oder aufhalten wollen, sowie die Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts. Als Fremde gelten dabei natürliche Personen, die die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzen (§2 Abs1 Z1 NAG). Das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz ist mit dem Integrationsgesetz insofern verschränkt, als dieses ua Integrationsanforderungen für rechtmäßig in Österreich aufhältige Personen regelt, die nicht über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügen.

Der Zweitantragsteller, der Ehemann der Erstantragstellerin, ist nach den Angaben im Antrag österreichischer Staatsbürger. Er scheidet damit als Normadressat der angefochtenen Bestimmungen des Integrationsgesetzes aus, weshalb der Antrag des Zweitantragstellers schon aus diesem Grund mangels Legitimation als unzulässig zurückzuweisen ist (vgl VfGH 23.2.2021, G168/2019).

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist daher insgesamt als unzulässig zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Legitimation, VfGH / Weg zumutbarer, Integrationsprüfung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:G254.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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