TE Vfgh Erkenntnis 2021/10/5 E3008/2021

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Veröffentlicht am 05.10.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen von Äthiopien; mangelhafte Auseinandersetzung mit den Länderfeststellungen zur Situation von Personen aus der Region Tigray

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf

Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist äthiopischer Staatsangehöriger, christlichen Glaubens und Angehöriger der Volksgruppe der Amharen. Er wurde in Addis Abeba geboren, zog aber in seinem siebten Lebensjahr nach Humera in die Provinz Tigray, wo er bis zu seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat ansässig war. Danach lebte der Beschwerdeführer jeweils drei Jahre im Sudan sowie in der Türkei. Am 27. Februar 2016 stellte er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer insbesondere an, er sei Mitglied der Partei "Genbot 7" und habe immer wieder Probleme mit der Regierung gehabt. Er sei von der Polizei festgenommen und geschlagen worden, weswegen er sich zur Ausreise entschlossen habe.

2. Mit Bescheid vom 22. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Äthiopien zulässig sei und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

3. Das Bundesverwaltungsgericht wies die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 30. Juni 2021 als unbegründet ab.

3.1. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht zunächst hinsichtlich des angeführten Fluchtvorbringens aus, dass diesem nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung keine Glaubhaftigkeit zukomme. So habe das Vorbringen des Beschwerdeführers zahlreiche Widersprüche, etwa hinsichtlich des zeitlichen Ablaufes, enthalten. Diese Widersprüche habe der Beschwerdeführer auch auf Vorhalt nicht ausräumen können.

3.2. Zu den Kampfhandlungen in der Region Tigray und den sich daraus ergebenden Folgen für die Sicherheitslage im Herkunftsstaat trifft das Bundesverwaltungsgericht die folgenden Feststellungen:

"KI der Staatendokumentation vom 09.11.2020, Kampfhandlungen im Bundesstaat Tigray:

Aus mehreren Teilen des äthiopischen Bundesstaates Tigray werden schwere Kämpfe gemeldet (RE 9.11.2020). An mindestens acht Orten ist es zu Kampfhandlungen zwischen äthiopischer Armee und Kräften von Tigray gekommen. Seit 4.11.2020 gab es dabei Dutzende Todesopfer, es kam und kommt auch zu Luftschlägen durch die äthiopische Luftwaffe (BBC 8.11.2020). Alleine in ein Spital in Sanja wurden fast 100 verwundete Bundessoldaten eingeliefert (TG 8.11.2020).

Allerdings wurden am 4.11.2020 auch alle Kommunikationskanäle in und nach Tigray abgeschaltet (IPAI 5.11.2020; vgl BBC 8.11.2020) und der Bundesstaat abgeriegelt (BBC 8.11.2020). Dadurch bleibt weitgehend unklar, was in Tigray tatsächlich gerade geschieht (AJ 8.11.2020).

Zwischen der Bundesregierung und Tigray herrscht seit Monaten ein (politischer) Konflikt (AJ 8.11.2020), ua um den potentiellen Rückzug äthiopischer Kräfte von der eritreischen Grenze (gleichzeitig Nordgrenze von Tigray). Der Bundesstaat fürchtet eine eritreische Aggression (IPAI 5.11.2020). Außerdem verweigert die Regierung von Tigray Premierminister **** die Anerkennung, da aus ihrer Sicht seine Amtszeit abgelaufen ist. Tatsächlich hätten 2020 eigentlich Wahlen stattfinden sollen, diese sind aber aufgrund der Covid-19-Pandemie verschoben worden (IPAI 5.11.2020; vgl BBC 8.11.2020). Tigray hat aber im September 2020 trotzdem wählen lassen, diese Wahl wurde wiederum von der Bundesregierung für illegal erklärt. Das Bundesparlament hat derweil für die Auflösung der Regierung von Tigray gestimmt (BBC 8.11.2020; vgl TG 8.11.2020).

In einer außerordentlichen Sitzung des äthiopischen Ministerkabinetts wurde am 4.11.2020 über den Bundesstaat Tigray ein sechsmonatiger Ausnahmezustand verhängt (IPAI 5.11.2020; vgl BBC 8.11.2020). Zusätzlich wurde eine Task Force der äthiopischen Armee geschaffen. Diese darf Gewalt anwenden, um 'das Land und die Region vor dem Abgleiten in die Instabilität zu bewahren' (IPAI 5.11.2020). Zusätzliche Truppen der äthiopischen Armee und der Luftwaffe wurden bereits nach Tigray verlegt (TG 8.11.2020). Die Operationen, bei welchen es auch zu Luftschlägen kommt, werden von Premierminister **** als 'law enforcement operation' bezeichnet (RE 9.11.2020).

Als direkter Auslöser für die militärische Intervention wird – von der Bundesregierung – der Versuch von Kräften von Tigray angegeben, das Northern Command der Bundesarmee in Mekele zu übernehmen (STRATFOR 5.11.2020; vgl IPAI 5.11.2020) bzw dort Ausrüstung zu stehlen (RE 9.11.2020). Laut der Regierung von Tigray sei das Northern Command hingegen ohnehin auf die Seite des Bundesstaates übergelaufen. Dies ist insofern relevant, als dieser Armeeteil über knapp die Hälfte der Ausrüstung und Mannstärke der Bundesarmee verfügt und viele der Angehörigen ethnische Tigray sind bzw mit Tigray sympathisieren (STRATFOR 5.11.2020). Zusätzlich verfügt Tigray über eigene, kampfgeprüfte Truppen und über bedeutende Mittel an Waffen. Die Rede ist von bis zu 250.000 Mann (RE 9.11.2020).

Analysten gehen davon aus, dass die Situation für das zweitbevölkerungsreichste afrikanische Land in einen langen blutigen Bürgerkrieg münden könnte (TG 8.11.2020; vgl BBC 8.11.2020; STRATFOR 5.11.2020). Der Regierungschef von Tigray, Debretsion Gebremichael hat derweilen angekündigt, dass sich sein Land solange verteidigen werde, bis die Bundesregierung verhandlungsbereit sei (BBC 8.11.2020). Unklar ist außerdem die Rolle Eritreas – Erzfeind von Tigray. Berichten zufolge werden in Eritrea aktuell intensiv Rekruten eingezogen und Truppenteile in Richtung Grenze verlegt (AJ 8.11.2020).

In Äthiopien besteht zusätzlich die Gefahr, dass Tigrayer außerhalb des eigenen Bundesstaates vom Mob angegriffen werden könnten. Premierminister **** hat daher auf Twitter bereits vorausschauend dazu aufgerufen, von derartigen Übergriffen abzulassen (TG 8.11.2020). Auch die UN warnt vor derartigen Übergriffen. In Addis Abeba sind derweil mehr als 160 Personen verhaftet worden, da sie der Unterstützung für Tigray verdächtigt werden (RE 9.11.2020).

Ein weiterer Nebeneffekt ist, dass in anderen Landesteilen ein Sicherheitsvakuum entstehen könnte, da Sicherheitskräfte und Armee von dort abgezogen werden (RE 9.11.2020).

KI der Staatendokumentation vom 25.01.2021, Bundesstaat Tigray vor Hungersnot, Menschenrechtsverbrechen, Internationalisierung des Konfliktes:

Laut UNO brauchen mindestens 2,3 Millionen Menschen im Bundesstaat Tigray dringend Hilfe. Erreichen konnte sie in den Monaten November 2020 bis Jänner 2021 aber lediglich 77.000 (Spiegel 24.1.2021). Nach anderen Angaben sind sogar 4,5 Millionen Menschen dringend auf Hilfe angewiesen (TG 24.1.2021) – das sind nahezu alle Bewohner von Tigray (DF 21.1.2021). Zwei Millionen Menschen gelten als vertrieben, nur rund 60.000 gelang die Flucht in den Sudan (BBC 25.1.2021).

Einerseits gilt: Wenn keine sofortige Nothilfe mobilisiert wird, könnten Hunderttausende verhungern. Andererseits ist es aber gerade die äthiopische Regierung selbst, die derartige Hilfe verhindert (Spiegel 24.1.2021; vgl TG 24.1.2021). Lebensmittellieferungen für den Bundesstaat Tigray werden entweder geplündert oder zerstört. Andere Lieferungen werden durch die Bundesregierung in den Bundesstaat Amhara umgeleitet (Spiegel 24.1.2021).

Nach Meldungen aus Tigray verhungern bereits Menschen, zB im Bezirk Adwa (TG 24.1.2021; vgl DF 21.1.2021). Der von Addis Abeba für Tigray eingesetzte Übergangspräsident ********* ist derweil zurückgetreten, da man seiner Meinung nach die Menschen in Tigray zu Tode hungern lasse und gegen die durch ausländische Truppen verübte sexuelle Gewalt nichts getan werde (EEPA 25.1.2021).

Tausende sind bislang im Konflikt in Tigray ums Leben gekommen (Spiegel 24.1.2021). Die Leiterin der Notfallabteilung von Ärzte ohne Grenzen sagt, dass die Zahl an zivilen Opfern extrem hoch ist (Spiegel 24.1.2021). Laut Augenzeugen plündern eritreische Soldaten – die zu tausenden an der Seite der äthiopischen Bundesregierung gegen die Tigray People’s Liberation Front (TPLF) kämpfen – und sie töten in Tigray Männer und Buben. Die Plünderungen haben zur Entstehung von Hunger beigetragen (AP 25.1.2021). Immer wieder gibt es – unbestätigte – Berichte über Massaker, Folter, Vergewaltigung und Entführung (TG 24.1.2021; vgl Spiegel 24.1.2021; EEPA 25.1.2021) – zuletzt etwa hinsichtlich hunderter Morde beim Weltkulturerbe St. Maria von Zion (TG 24.1.2021). Allerdings dürfen nach wie vor kaum Journalisten nach Tigray, Versorgungs- und Kommunikationswege sind eingeschränkt (AP 25.1.2021).

Eritreische Flüchtlinge in den Lagern Mai Aini und Adi Harush werden nicht versorgt, von Bewaffneten belästigt und manche auch zwangsweise nach Eritrea gebracht. Der Zugang zu den Lagern Shimbela und Hitsats ist weiterhin gar nicht möglich (TG 24.1.2021; vgl UNN 19.1.2021), zumindest Teile dieser Lager sind in Brand gesetzt worden (TG 24.1.2021). Insgesamt ist ein typischer Guerillakrieg entstanden (Spiegel 24.1.2021). In einigen Gebieten kommt es zu Kampfhandlungen (DW 19.1.2021). Gemäß dem Experten ************ hat sich der Krieg in Tigray zu einem uneingeschränkten Konflikt ausgeweitet. Die TPLF kämpft nicht nur gegen die Bundesarmee und Milizen aus dem Bundesstaat Amhara, sondern auch gegen eritreische und somalische Soldaten (***** 21.1.2021; vgl Spiegel 24.1.2021).

Letztere sind aber vermutlich nicht freiwillig am Kriegsschauplatz und dienen Eritrea als Kanonenfutter (TG 24.1.2021). Jedenfalls ist die TPLF bisher trotzdem in der Lage, größere Teile des Bundesstaates Tigray zu halten (***** 21.1.2021). Eritrea hat derweil in Teilen der besetzten Gebiete (zB in Irob) die eigene Fahne gehisst und Menschen angewiesen, sich eritreische Papiere zu besorgen. Menschen werden angewiesen, die eritreische Herrschaft zu akzeptieren oder das Land zu verlassen. Dabei besetzt Eritrea auch Teile tief in äthiopischem Gebiet – etwa Sheraro (EEPA 25.1.2021).

Gleichzeitig kommt es auch in anderen äthiopischen Bundesstaaten immer öfter zu schweren, ethnisch motivierten Auseinandersetzungen (Spiegel 24.1.2021). Und auch regional zieht der Krieg immer weitere Kreise. Die Spannungen mit dem Sudan eskalieren zunehmend (Spiegel 24.1.2021; vgl DW 19.1.2021). Die Grenze war immer schon umstritten. Bereits im November waren Truppen tief auf äthiopisches Territorium vorgedrungen. Berichtet wird in diesem Zusammenhang von Plünderungen, Morden und dem Verbrennen von Ernten (DW 19.1.2021). Die äthiopische Luftwaffe hat begonnen, Angriffe gegen die sudanesische Armee zu fliegen (EEPA 25.1.2021). Immer öfter wird über einen möglichen Krieg zwischen beiden Ländern spekuliert (Spiegel 24.1.2021).

Generell ist die Angst vor einem Bürgerkrieg und dem Zerfall Äthiopiens groß (Spiegel 24.1.2021; vgl TAR 20.1.2021) – etwa bei Experten des US Institute for Peace (***** 21.01.2021). Derweil ist der äthiopische Premier **** seit 23.12.2020 nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten (EEPA 25.1.2021)."

3.3. In seiner Beweiswürdigung führt das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst aus, den Länderberichten sei zu entnehmen, dass die Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers (Region Tigray) volatil sei. Nahezu alle Bewohner von Tigray seien dringend auf Hilfe angewiesen. Zur Zumutbarkeit der Übersiedelung in andere Landesteile, insbesondere die Stadt Addis Abeba, werde auf die rechtliche Beurteilung verwiesen.

3.4. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führt das Bundesverwaltungsgericht das Folgende aus:

"Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt, kommt dem Beschwerdeführer betreffend das von ihm ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen keine Glaubwürdigkeit zu. Dem Beschwerdeführer ist es deshalb insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Äthiopien sowie der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens kann daher nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.

Andere asylrelevante Gründe wurden nicht vorgebracht und ergeben sich auch nicht aus der Länderinformation. Dem Beschwerdeführer ist es daher nicht gelungen, eine aus einem in Art1 Abschnitt A Z2 GFK genannten Grund aktuell drohende Verfolgung maßgeblicher Intensität glaubhaft zu machen.

Im Ergebnis war daher die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

[…]

Der Beschwerdeführer wurde zwar in Addis Abeba geboren, zog jedoch in seinem siebten Lebensjahr nach Humera (Tigray Region), wo er aufwuchs, zur Schule ging und bis zu seiner Ausreise lebte. Aus den aktuellsten Kurzinformationen der Staatendokumentation geht zusammengefasst hervor, dass die Sicherheitslage in der Tigray Region volatil ist und die Menschen, die nicht flüchten konnten, an Hungersnot leiden. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Äthiopien und einer Ansiedelung in seine[m] Heimatort die reale Gefahr einer Verletzung des Art3 EMRK drohen würde.

Der Beschwerdeführer kann nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes aus folgenden Gründen in zumutbarer Weise auf die Übersiedlung in andere Landesteile, wie insbesondere die Stadt Addis Abeba verwiesen werden:

Aus den getroffenen Länderfeststellungen zu Äthiopien ergeben sich keine Gründe für die Annahme, dass jeder zurückkehrende Staatsbürger der reellen Gefahr einer Gefährdung einer Verletzung von Art3 EMRK ausgesetzt wäre, sodass nicht von einem Rückführungshindernis im Lichte der Art2 und 3 EMRK auszugehen ist. Die Sicherheitslage in Äthiopien und in der Region Oromia ist zwar von Spannungen und Unruhen geprägt, aber erreicht nicht ein so hohes Niveau an willkürlicher Gewalt, dass es begründete Hinweise darauf gibt, anzunehmen, dass für den Beschwerdeführer alleine durch seine Anwesenheit dort, ein reales Risiko für seine körperliche Unversehrtheit oder sein Leben besteht. Ebenso sind keinem Länderbericht Anhaltspunkte zu entnehmen, die es erlauben würden, den Reiseweg nach Addis Abeba für den Beschwerdeführer als unsicher zu bewerten.

Der Beschwerdeführer ist gesund, weshalb auch keine Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art3 EMRK aus Gründen des Vorliegens einer Krankheit bzw eines maßgeblich beeinträchtigten Gesundheitszustands ersichtlich ist.

Dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien und der Ansiedelung in Addis Abeba die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art3 EMRK deshalb überschritten wäre (vgl diesbezüglich das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.07.2003, 2003/01/0059, zur dargestellten 'Schwelle' des Art3 EMRK), kann angesichts der Feststellungen ebenso nicht angenommen werden.

Es wird dabei nicht verkannt, dass Äthiopien zu einem der ärmsten Länder der Welt zählt, strukturell von Nahrungsmittelknappheit betroffen ist und ein signifikanter Teil der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze lebt. Aus den getroffenen Feststellungen geht hinsichtlich der in Äthiopien vorherrschenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung jedoch hervor, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa u. a. der Zugang zu Arbeit, Nahrung, und Gesundheitsversorgung möglich bzw gesichert ist. Der Beschwerdeführer zeigte im Verfahren zudem nicht auf, dass er im Falle seiner Rückkehr nach Äthiopien von den Versorgungsunsicherheiten persönlich betroffen wäre. Auch das Bundesverwaltungsgericht vermag eine derartige maßgebliche Gefahr für den Beschwerdeführer nicht zu erkennen, handelt es sich bei ihm um einen gesunden Mann im erwerbsfähigen Alter, der durch seine eigene Arbeitskraft seinen Lebensunterhalt erwirtschaften könnte. Der Beschwerdeführer verfügt über Schulbildung. Wenn der Beschwerdeführer zwar bereits im Jugendalter Äthiopien verlassen und dort noch nicht berufstätig war, so konnte er sich im Sudan und in der Türkei seinen Lebensunterhalt sichern (Tätigkeit in einem Restaurant und einem Textilunternehmen) und bereits Berufserfahrung sammeln. Hinzukommt, dass die Mutter des Beschwerdeführers in Äthiopien lebt und auch die Schwester des Beschwerdeführers zu Besuchszwecken nach Äthiopien reist, weshalb der Beschwerdeführer trotz der langen Ortsabwesenheit über ein familiäres Netz in Äthiopien verfügt, wenn auch nicht verkannt wird, dass die Mutter finanziell von ihrer Tochter unterstützt wird und er somit keine finanzielle Hilfe von seiner Mutter erwarten kann. Dass eine Unterstützung durch familiäre Angehörige in keiner Weise möglich wäre, machte der Beschwerdeführer jedoch im Verfahren auch nicht geltend. Zu einer etwaigen Rückkehr befragt, erstattete der Beschwerdeführer kein Vorbringen, das den Schluss zuließe, dass er in eine existenzbedrohende Lage geraten würde. Dem Beschwerdeführer wird es somit möglich sein, sich nach anfänglichen Schwierigkeiten in der Stadt Addis Abeba anzusiedeln und dort ein Leben ohne unbillige Härten aufzubauen.

Insofern kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer – in materieller bzw finanzieller Hinsicht – in Addis Abeba in seiner Existenz bedroht wäre (vgl VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174; 23.09.2009, 2007/01/0515).

Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des Beschwerdeführers ist in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass dieser im Fall seiner Abschiebung nach Äthiopien und Ansiedelung in Addis Abeba in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen [würde], eine Verletzung seiner durch Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Auch unter Berücksichtigung der Covid-19 Pandemie ergibt sich hierzu keine andere Beurteilung. Es wurde von dem Beschwerdeführer auch nicht vorgebracht, dass dieser wegen der derzeitigen Covid-19-Pandemie besonders gefährdet wäre. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr nach Äthiopien möglich ist. Der Beschwerdeführer hat nicht detailliert und konkret dargelegt, dass exzeptionelle Umstände vorliegen, die ein reales Risiko einer drohenden Verletzung von Art3 EMRK bedeuten."

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sowie die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

Das Erkenntnis verstoße gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie gegen das Recht gemäß Art3 EMRK, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden. Das Bundesverwaltungsgericht gehe davon aus, dass dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative in Addis Abeba zur Verfügung stehe. Dies entspreche jedoch nicht den Tatsachen; eine solche innerstaatliche Fluchtalternative sei dem Beschwerdeführer nicht zumutbar. Die Länderberichte zeichneten ein katastrophales Bild von der Lage in Äthiopien; das Land sei von Bürgerkriegen und Naturkatastrophen geplagt. Es bestehe zudem die Befürchtung, dass der Bürgerkrieg noch größere Dimensionen erreichen und letztlich zu einem Zerfall des Staates führen könne.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht in seinem Erkenntnis davon aus, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat keine asylrelevante Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohe. Ihm sei zwar eine Rückkehr in seine Herkunftsregion Tigray auf Grund des dort vorherrschenden Bürgerkrieges sowie der volatilen Sicherheitslage nicht möglich. Es sei ihm jedoch möglich und zumutbar, sich in anderen Landesteilen, insbesondere der Stadt Addis Abeba, anzusiedeln.

3.2. Aus der vom Bundesverwaltungsgericht zitierten Kurzinformation der Staatendokumentation vom 9. November 2020 geht unter anderem hervor, in Äthiopien bestehe – zusätzlich zur angespannten Sicherheitslage auf Grund des Bürgerkrieges – die Gefahr, dass "Tigrayer außerhalb des eigenen Bundesstaates vom Mob angegriffen werden könnten". In diesem Zusammenhang habe der Premierminister bereits dazu aufgerufen, von derartigen Übergriffen abzusehen. Auch die Vereinten Nationen warnten vor solchen Angriffen. In Addis Abeba seien mehr als 160 Personen verhaftet worden, weil sie der Unterstützung für Tigray verdächtig seien. Ein weiterer Nebeneffekt sei, dass in anderen Landesteilen ein Sicherheitsvakuum entstehen könne, weil Sicherheitskräfte und Armee von dort abgezogen werden könnten.

3.3. Eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit diesen Länderberichten und damit der konkreten Rückkehrsituation des Beschwerdeführers, der seit seinem siebten Lebensjahr bis zu seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat in der Region Tigray gelebt hat, ist dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen. Insbesondere geht das Bundesverwaltungsgericht mit keinem Wort auf die Feststellung ein, wonach Tigrayer außerhalb des eigenen Bundesstaates vom Mob angegriffen werden könnten. Indem sich das Bundesverwaltungsgericht mit dieser Frage nicht auseinandergesetzt hat, hat es sein Erkenntnis mit Willkür belastet, sodass dieses aufzuheben ist.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E3008.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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