TE Vfgh Erkenntnis 2021/10/6 V86/2021

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Veröffentlicht am 06.10.2021
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 Z3
EMRK Art10
EMRK 1. ZP Art1
StGG Art2
StGG Art5
StGG Art6
StGG Art17a
COVID-19-MaßnahmenG §1, §3, §4
EpidemieG 1950 §15
COVID-19-SchutzmaßnahmenV BGBl II 58/2021 §12
COVID-19-SchutzmaßnahmenV BGBl II 58/2021 idF BGBl II 76/2021 §13
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung im Recht auf Freiheit der Kunst durch ein Veranstaltungs- und Betretungsverbot für Kulturstätten; Verhältnismäßigkeit der Bestimmungen der COVID-19-SchutzmaßnahmenV als Teil eines umfassenden Regelungskomplexes zur Verhinderung von Infektionen durch die Hintanhaltung von Menschenansammlungen; hinreichende Dokumentation der volatilen epidemiologischen Entwicklung; Verbot angesichts der umfassenden Coronamaßnahmen und der Auslastung der Gesundheitsinfrastruktur im Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers

Spruch

I. Der Antrag der erst- und zweitantragstellenden, der viert- bis achtantragstellenden sowie der zehntantragstellenden Parteien wird abgewiesen.

II. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z3 B-VG gestützten Antrag begehren die antragstellenden Parteien (ohne die Hervorhebungen im Original),

"[…] in §12 Abs1 die Wortfolge '- und Kultur' iVm §12 Abs3 (gesamt) der 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung (4. COVID-19-SchuMaV), BGBl II Nr 58/2021, in der geltenden Fassung, zuletzt geändert durch die 2. Novelle der Verordnung BGBl II Nr 94/2021;

in eventu

[…] §12 Abs1 (gesamt) iVm §12 Abs3 (gesamt) der 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung (4. COVID-19-SchuMaV), BGBl II Nr 58/2021, in der geltenden Fassung, zuletzt geändert durch die 2. Novelle der Verordnung BGBl II Nr 94/2021;

in eventu

[…] §12 (gesamt) der 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung (4. COVID-19- SchuMaV), BGBl II Nr 58/2021, in der geltenden Fassung, zuletzt geändert durch die 2.Novelle der Verordnung BGBl II Nr 94/2021;

sowie

[…] in §13 Abs2 die Wortfolge 'kulturelle Veranstaltungen' der 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung (4. COVID-19-SchuMaV), BGBl II Nr 58/2021, in der geltenden Fassung, zuletzt geändert durch die 2.Novelle der Verordnung BGBl II Nr 94/2021;

in eventu

[…] §13 Abs1 (gesamt) iVm §13 Abs2, Wortfolge 'kulturelle Veranstaltungen', in eventu iVm §13 Abs2 (gesamt) der 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung (4. COVID-19-SchuMaV), BGBl II Nr58/2021, in der geltenden Fassung, zuletzt geändert durch die 2.Novelle der Verordnung BGBl II Nr 94/2021;

in eventu

[…] §13 (gesamt) der 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung (4. COVID-19- SchuMaV), BGBl II Nr 58/2021, in der geltenden Fassung, zuletzt geändert durch die 2.Novelle der Verordnung BGBl II Nr 94/2021;

wegen Gesetz- und/oder Verfassungswidrigkeit auf[zu]heben."

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz – COVID-19-MG), BGBl I 12/2020, lauteten in der anzuwendenden Fassung BGBl I 33/2021 (§1 und §3 leg. cit.) bzw BGBl I 104/2020 (§4 leg cit) – auszugsweise – wie folgt:

"Anwendungsbereich und allgemeine Bestimmungen

§1. (1) Dieses Bundesgesetz ermächtigt zur Regelung des Betretens und des Befahrens von Betriebsstätten, Arbeitsorten, bestimmten Orten und öffentlichen Orten in ihrer Gesamtheit, zur Regelung des Benutzens von Verkehrsmitteln sowie zu Ausgangsregelungen als gesundheitspolizeiliche Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19.

(2) – (4) […]

(5) Als Auflagen nach diesem Bundesgesetz kommen insbesondere in Betracht:

1. Abstandsregeln,

2. die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung,

3. sonstige Schutzmaßnahmen wie organisatorische oder räumliche Maßnahmen,

4. Präventionskonzepte, das sind programmhafte Darstellungen von – dem jeweiligen Angebot angepassten – Regelungen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 und

5. In Bezug auf Regelungen gemäß Abs5b und 5c: Nachweis über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr. Ein Nachweis ist bei einem negativen Testergebnis auf SARS-CoV-2, bei einer ärztlichen Bestätigung über eine erfolgte und aktuell abgelaufene Infektion oder bei einem positiven Antikörpertest auszustellen. Eine geringe epidemiologische Gefahr kann bei einem negativen Testergebnis auf SARS-CoV-2, bei einer ärztlichen Bestätigung über eine erfolgte und aktuell abgelaufene Infektion oder bei einem positiven Antikörpertest vorliegen. Einer ärztlichen Bestätigung über eine erfolgte und aktuell abgelaufene Infektion ist ein Nachweis nach §4 Abs18 des Epidemiegesetzes und ein Absonderungsbescheid gleichzuhalten, wenn dieser für eine nachweislich an COVID-19 erkrankte Person ausgestellt wurde.

(5a) […]

(5b) Durch Verordnung gemäß §3 Abs1 Z1 oder §4 Abs1 Z1 kann bestimmt werden, dass Betriebsstätten oder bestimmte Orte, bei denen es zu einer länger andauernden Interaktion mit anderen Personen kommt, von Kunden bzw Besuchern nur betreten werden dürfen, wenn dem Inhaber einer Betriebsstätte oder dem gemäß §4 hinsichtlich bestimmter Orte Verpflichteten ein Nachweis gemäß §1 Abs5 Z5 vorgewiesen und für die gesamte Dauer des Aufenthalts für eine allfällige weitere Überprüfung durch den Inhaber bzw Verpflichteten oder für eine Überprüfung durch die Behörde bereitgehalten wird. Der Inhaber bzw der Verpflichtete ist zu diesem Zweck zur Ermittlung von personenbezogenen Daten und zur Identitätsfeststellung berechtigt. Eine Aufbewahrung des Nachweises und des Identitätsnachweises ist unzulässig.

(5c) – (6) […]

(7) Die Bewertung der epidemiologischen Situation hat insbesondere anhand folgender Kriterien zu erfolgen:

1. Übertragbarkeit, gemessen an neu aufgetretenen COVID-19-Fällen und Clustern,

2. Clusteranalyse, gemessen an der Anzahl der Fälle mit geklärter Quelle,

3. Ressourcen und Kapazitäten im Gesundheitswesen unter Berücksichtigung der aktuellen Auslastung der vorhandenen Spitalskapazitäten sowie der aktuellen Belegung auf Normal- und Intensivstationen,

4. durchgeführte SARS-CoV-2-Tests samt Positivrate und

5. regionale Besonderheiten wie ein besonderer Zustrom ortsfremder Personen, insbesondere Tourismus- und Pendlerströme.

(8) […]

[…]

Betreten und Befahren von Betriebsstätten und Arbeitsorten sowie Benutzen von Verkehrsmitteln

§3. (1) Beim Auftreten von COVID-19 kann durch Verordnung

1. das Betreten und das Befahren von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen,

2. das Betreten und das Befahren von Arbeitsorten oder nur bestimmten Arbeitsorten gemäß §2 Abs3 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) und

3. das Benutzen von Verkehrsmitteln oder nur bestimmten Verkehrsmitteln

geregelt werden, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist.

(2) In einer Verordnung gemäß Abs1 kann entsprechend der epidemiologischen Situation festgelegt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit oder unter welchen Voraussetzungen und Auflagen Betriebsstätten oder Arbeitsorte betreten und befahren oder Verkehrsmittel benutzt werden dürfen. Weiters kann das Betreten und Befahren von Betriebsstätten oder Arbeitsorten sowie das Benutzen von Verkehrsmitteln untersagt werden, sofern gelindere Maßnahmen nicht ausreichen.

Betreten und Befahren von bestimmten Orten und öffentlichen Orten in ihrer Gesamtheit

§4. (1) Beim Auftreten von COVID-19 kann durch Verordnung das Betreten und das Befahren von

1. bestimmten Orten oder

2. öffentlichen Orten in ihrer Gesamtheit

geregelt werden, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist.

(2) In einer Verordnung gemäß Abs1 kann entsprechend der epidemiologischen Situation festgelegt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit oder unter welchen Voraussetzungen und Auflagen diese Orte betreten und befahren werden dürfen. Weiters kann das Betreten und Befahren bestimmter Orte gemäß Abs1 Z1, nicht aber öffentlicher Orte in ihrer Gesamtheit gemäß Abs1 Z2 untersagt werden, sofern gelindere Maßnahmen nicht ausreichen."

2. §15 Epidemiegesetz 1950, BGBl 186, lautete in der hier anzuwendenden Fassung BGBl I 33/2021 – auszugsweise – wie folgt:

"Maßnahmen gegen das Zusammenströmen größerer Menschenmengen.

§15. (1) Sofern und solange dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, sind Veranstaltungen, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringen,

1. einer Bewilligungspflicht zu unterwerfen,

2. an die Einhaltung bestimmter Voraussetzungen oder Auflagen zu binden oder

3. auf bestimmte Personen- oder Berufsgruppen einzuschränken.

Erforderlichenfalls sind die Maßnahmen gemäß Z1 bis 3 nebeneinander zu ergreifen. Reichen die in Z1 bis 3 genannten Maßnahmen nicht aus, sind Veranstaltungen zu untersagen.

(2) Voraussetzungen oder Auflagen gemäß Abs1 können je nach epidemiologischen Erfordernissen insbesondere sein:

1. Vorgaben zu Abstandsregeln,

2. Verpflichtungen zum Tragen einer mechanischen Mund-Nasen-Schutzvorrichtung,

3. Beschränkung der Teilnehmerzahl,

4. Anforderungen an das Vorhandensein und die Nutzung von Sanitäreinrichtungen sowie Desinfektionsmitteln,

5. Zur Verhinderung der Weiterverbreitung von COVID-19: Nachweis über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr des Teilnehmers. Ein Nachweis ist bei einem negativen Testergebnis auf SARS-CoV-2, bei einer ärztlichen Bestätigung über eine erfolgte und aktuell abgelaufene Infektion oder bei einem positiven Antikörpertest auszustellen. Eine geringe epidemiologische Gefahr kann bei einem negativen Testergebnis auf SARS-CoV-2, bei einer ärztlichen Bestätigung über eine erfolgte und aktuell abgelaufene Infektion oder bei einem positiven Antikörpertest vorliegen. Einer ärztlichen Bestätigung über eine erfolgte und aktuell abgelaufene Infektion sind ein Nachweis nach §4 Abs18 und ein Absonderungsbescheid gleichzuhalten, wenn dieser für eine nachweislich an COVID-19 erkrankte Person ausgestellt wurde.

6. ein Präventionskonzept zur Minimierung des Infektions- sowie des Ausbreitungsrisikos. Ein Präventionskonzept ist eine programmhafte Darstellung von Regelungen zur Verhinderung der Weiterverbreitung einer näher bezeichneten meldepflichtigen Erkrankung im Sinne dieses Bundesgesetzes.

(3) – (9) […]"

3. Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der besondere Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung von COVID-19 getroffen werden (4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung – 4. COVID-19-SchuMaV) lauteten in der Stammfassung BGBl II 58/2021 (§12 leg. cit.) bzw idF BGBl II 76/2021 (§13 leg cit) bzw idF BGBl II 94/2021 (§16 leg cit) – auszugsweise – wie folgt (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Freizeit- und Kultureinrichtungen

§12. (1) Das Betreten von Freizeit- und Kultureinrichtungen zum Zweck der Inanspruchnahme von Dienstleistungen dieser Einrichtungen ist untersagt.

(2) Als Freizeiteinrichtungen gelten Betriebe und Einrichtungen, die der Unterhaltung, der Belustigung oder der Erholung dienen. Freizeiteinrichtungen, deren Betreten gemäß Abs1 untersagt ist, sind insbesondere

1.     Schaustellerbetriebe, Freizeit- und Vergnügungsparks,

2.     Bäder und Einrichtungen gemäß §1 Abs1 Z1 bis 7 des Bäderhygienegesetzes (BHygG), BGBl Nr 254/1976; in Bezug auf Bäder gemäß §1 Abs1 Z6 BHygG (Bäder an Oberflächengewässern) gilt das Verbot gemäß Abs1 nicht, wenn in diesen Bädern ein Badebetrieb nicht stattfindet,

3.     Tanzschulen,

4.     Wettbüros, Automatenbetriebe, Spielhallen und Casinos,

5.     Schaubergwerke,

6.     Einrichtungen zur Ausübung der Prostitution,

7.     Indoorspielplätze,

8.     Paintballanlagen und

9.     Museumsbahnen,

nicht aber Tierparks, Zoos und botanische Gärten.

(3) Als Kultureinrichtungen gelten Einrichtungen, die der kulturellen Erbauung und der Teilhabe am kulturellen Leben dienen. Kultureinrichtungen, deren Betreten gemäß Abs1 untersagt ist, sind insbesondere:

1.     Theater,

2.     Konzertsäle und -arenen,

3.     Kinos,

4.     Varietees und

5.     Kabaretts,

nicht aber Museen, Kunsthallen, kulturelle Ausstellungshäuser, Bibliotheken, Büchereien und Archive.

Veranstaltungen

§13. (1) Veranstaltungen sind untersagt.

(2) Als Veranstaltung gelten insbesondere geplante Zusammenkünfte und Unternehmungen zur Unterhaltung, Belustigung, körperlichen und geistigen Ertüchtigung und Erbauung. Dazu zählen jedenfalls kulturelle Veranstaltungen, Sportveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Geburtstagsfeiern, Jubiläumsfeiern, Filmvorführungen, Fahrten mit Reisebussen oder Ausflugsschiffen zu touristischen Zwecken, Kongresse, Fach- und Publikumsmessen und Gelegenheitsmärkte.

(3) Abs1 gilt nicht für

1.     unaufschiebbare berufliche Zusammenkünfte, wenn diese zur Aufrechterhaltung der beruflichen Tätigkeiten erforderlich sind und nicht in digitaler Form abgehalten werden können,

2.     Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz 1953, BGBl Nr 98/1953,

3.     Sportveranstaltungen im Spitzensport gemäß §14,

4.     unaufschiebbare Zusammenkünfte von Organen politischer Parteien, sofern eine Abhaltung in digitaler Form nicht möglich ist,

5.     unaufschiebbare Zusammenkünfte von statutarisch notwendigen Organen juristischer Personen, sofern eine Abhaltung in digitaler Form nicht möglich ist,

6.     unaufschiebbare Zusammenkünfte gemäß dem Arbeitsverfassungsgesetz, BGBl Nr 22/1974, sofern eine Abhaltung in digitaler Form nicht möglich ist,

7.     Begräbnisse mit höchstens 50 Personen,

8.     Proben und künstlerische Darbietungen ohne Publikum, die zu beruflichen Zwecken erfolgen,

9.     Zusammenkünfte zu unbedingt erforderlichen beruflichen Aus- und Fortbildungszwecken, zur Erfüllung von erforderlichen Integrationsmaßnahmen nach dem Integrationsgesetz, BGBl I Nr 68/2017, und zu Fahraus- und -weiterbildungen, allgemeinen Fahrprüfungen sowie beruflichen Abschlussprüfungen, sofern eine Abhaltung in digitaler Form nicht möglich ist,

10.    Zusammenkünfte von nicht mehr als vier Personen, wobei diese nur aus zwei verschiedenen Haushalten stammen dürfen, zuzüglich deren minderjähriger Kinder oder Minderjähriger, denen gegenüber eine Aufsichtspflicht besteht, insgesamt höchstens jedoch sechs Minderjähriger und

11.    Zusammenkünfte im privaten Wohnbereich, mit Ausnahme von Zusammenkünften an Orten, die nicht der Stillung eines unmittelbaren Wohnbedürfnisses dienen, wie insbesondere in Garagen, Gärten, Schuppen oder Scheunen.

(4) Beim Betreten von Orten zum Zweck der Teilnahme an Veranstaltungen gemäß Abs3 Z1, 2, 4 bis 7, 9 und 10 ist gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens zwei Metern einzuhalten. Zusätzlich ist

1.     bei Veranstaltungen gemäß Abs3 Z1, 2, 4 bis 7 und 9 sowie

2.     bei Veranstaltungen gemäß Abs3 Z10 in geschlossenen Räumen

eine Atemschutzmaske der Schutzklasse FFP2 (FFP2-Maske) ohne Ausatemventil oder eine Maske mit mindestens gleichwertig genormtem Standard zu tragen.

(5) Für Zusammenkünfte zu Aus- und Fortbildungszwecken sowie für Zusammenkünfte gemäß Abs3 Z1 im Kundenbereich von Betriebsstätten gilt §5 Abs1 Z4 und 5 nicht.

(6) Bei Proben und künstlerischen Darbietungen gemäß Abs3 Z8 gelten §6 und §9 Abs3 letzter Satz sinngemäß. Basierend auf einer Risikoanalyse ist ein dem Stand der Wissenschaft entsprechendes COVID-19-Präventionskonzept zur Minimierung des Infektionsrisikos auszuarbeiten und umzusetzen. Zudem ist ein COVID-19-Beauftragter zu bestellen. Das COVID-19-Präventionskonzept hat insbesondere zu enthalten:

1.     spezifische Hygienevorgaben,

2.     Regelungen zum Verhalten bei Auftreten einer SARS-CoV-2-Infektion,

3.     Regelungen betreffend die Nutzung sanitärer Einrichtungen,

4.     Regelungen zur Steuerung des Teilnehmeraufkommens,

5.     Vorgaben zur Schulung der Teilnehmer in Bezug auf Hygienemaßnahmen.

Das COVID-19-Präventionskonzept kann auch ein datenschutzkonformes System zur Nachvollziehbarkeit von Kontakten, wie beispielsweise ein System zur Erfassung von Anwesenheiten auf freiwilliger Basis der Teilnehmer von Proben oder künstlerischen Darbietungen, beinhalten.

(7) Bei Zusammenkünften gemäß Abs3 Z9 darf der Mindestabstand von zwei Metern zwischen Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ausnahmsweise unterschritten werden, wenn durch sonstige geeignete Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko minimiert werden kann.

(8) Kann bei Zusammenkünften gemäß Abs3 Z9 auf Grund der Eigenart der Aus- oder Fortbildung oder der Integrationsmaßnahme von Personen das Tragen einer Atemschutzmaske der Schutzklasse FFP2 (FFP2-Maske) nicht eingehalten werden, ist durch sonstige geeignete Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko zu minimieren.

[…]

Ausnahmen

§16. (1) Diese Verordnung gilt nicht

1. für – mit Ausnahme von §6 Abs2, 4 Z1 und 5, §15, §16 Abs3, 6, 8 und 12 sowie §§17 bis 21 – elementare Bildungseinrichtungen, Schulen gemäß dem Schulorganisationsgesetz, BGBl Nr 242/1962, ArtV Z2 der 5. SchOG-Novelle, BGBl Nr 323/1975, und dem Privatschulgesetz, BGBl Nr 244/1962, land- und forstwirtschaftliche Schulen, die regelmäßige Nutzung von Sportstätten im Rahmen des Regelunterrichts und Einrichtungen zur außerschulischen Kinderbetreuung,

2. für Universitäten gemäß dem Universitätsgesetz 2002, BGBl I Nr 120/2002, Privathochschulen gemäß dem Privathochschulgesetz, BGBl I Nr 77/2020, Fachhochschulen gemäß dem Fachhochschulgesetz, BGBl Nr 340/1993, und Pädagogische Hochschulen gemäß dem Hochschulgesetz 2005, BGBl I Nr 30/2006, einschließlich der Bibliotheken dieser Einrichtungen,

3. für Tätigkeiten im Wirkungsbereich der Organe der Gesetzgebung und Vollziehung mit Ausnahme des Parteienverkehrs in Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten, sofern keine anderslautenden Regelungen im Bereich der Hausordnung bestehen,

4. für Veranstaltungen zur Religionsausübung.

(2) – (13) […]"

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die antragstellenden Parteien bringen wie folgt vor:

1.1. Zur Zulässigkeit der Anträge:

1.1.1. Das Verbot kultureller Veranstaltungen sowie das Veranstaltungs- und Betretungsverbot für Kulturstätten betreffe die antragstellenden Parteien unmittelbar, da ihnen die Ausübung ihres künstlerischen Berufes und ihrer künstlerischen Tätigkeit bzw die Konsumation von Kunst und Kultur, die damit einhergehende Bildung und der Empfang von Meinungen verunmöglicht, jedenfalls aber erheblich erschwert werde. Die berufliche und künstlerische Tätigkeit sei massiv beschränkt und für einen wesentlichen Zeitraum eingestellt worden, die Normen seien für die antragstellenden Parteien daher tatsächlich wirksam geworden. Dadurch seien zahlreiche Auftritte bzw Veranstaltungen entfallen, staatliche Förderungs- und Unterstützungsleistungen seien unzureichend. Ein zumutbarer anderer Rechtsweg bestehe nicht.

Konkret seien zahlreiche Auftritte, Konzerte und Tourneen des Erstantragstellers, eines Satirikers, Autors und Kolumnisten, der Zweitantragstellerin, einer freiberuflichen Opernsängerin, die ua in der Wiener Staatsoper und im Wiener Musikverein auftrete, des Viertantragstellers, eines Musikers und Komponisten, der Fünftantragstellerin, einer Schauspielerin, Sängerin und Veranstalterin sowie des Sechstantragstellers, eines Schlagzeugers und Musik-Managers, entfallen.

Dem Drittantragsteller, einem Maler, sei es angesichts der Schließung von Museen und Kunstgalerien verunmöglicht, seine Werke an einem frei zugänglichen Ort für ein breites Publikum und die Allgemeinheit zu präsentieren.

Der Siebtantragsteller, ein freischaffender Regisseur und Theatermacher, bzw der Achtantragsteller, ein Regisseur und Intendant, hätten finanzielle Verluste auf Grund stornierter Regieverträge bzw abgesagter Kunstwochen und Festivals erlitten.

Die Neuntantragstellerin, eine Universitätsprofessorin für Europapolitik und Demokratieforschung, sei in ihrem Recht, Kunst und Kultur in dem von ihr gewünschten Ausmaß zu genießen bzw zu konsumieren und dadurch Meinungen zu empfangen, verletzt.

Der Zehntantragsteller sei im Kulturmanagement tätig und habe den Entfall von zahlreichen Veranstaltungen, an deren Planung er beteiligt gewesen sei, hinnehmen müssen.

1.1.2. Darüber hinaus sei das Gefüge der österreichischen Kulturszene auf Jahre finanziell geschwächt, die langfristigen Folgen seien noch nicht abzusehen. Das "Ökosystem" von Kulturveranstaltungen fuße auf dem primären Live-Erlebnis auf der Bühne und der unmittelbaren Teilhabe im Publikum. Durch die Veranstaltungsverbote sei dieses "Ökosystem" empfindlich und mit langfristigen Auswirkungen grob beeinträchtigt.

1.2. Die antragstellenden Parteien erachten sich durch das Betretungsverbot für Kultureinrichtungen gemäß §12 der 4. COVID-19-SchuMaV und das Verbot kultureller Veranstaltungen gemäß §13 der 4. COVID-19-SchuMaV insbesondere im Bestimmtheitsgebot gemäß Art18 B-VG, in der Kunstfreiheit gemäß Art17a StGG, in der Freiheit der Meinungsäußerung gemäß Art10 EMRK, in der Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG, in der Erwerbsausübungsfreiheit gemäß Art6 StGG und im Gleichheitsgrundsatz gemäß Art7 B-VG und Art2 StGG verletzt und legen ihre Bedenken – nach Darstellung der Rechtslage seit Beginn der Corona-Pandemie – wie folgt dar:

1.2.1. Die strengen Maßnahmen im Bereich der Kunst und Kultur seien vor allem mit Blick auf die frühzeitig ausgearbeiteten und erfolgreich umgesetzten Präventionskonzepte unverhältnismäßig. Grund- und Menschenrechte stünden gleichgewichtig zueinander; im konkreten Einzelfall sei zu beurteilen, inwiefern das Recht auf Schutz des Lebens die Einschränkung einer Vielzahl von Grund- und Freiheitsrechten – etwa der Freiheit der Kunst – rechtfertigen könne. Der Zweck, die Gesundheit und das Leben besonders vulnerabler Personen(-gruppen) zu schützen, könne und dürfe nicht dauerhaft mit Maßnahmen einhergehen, die wiederum eine Vielzahl von anderen Betroffenen unverhältnismäßig belasten und in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzen, wenn andere geeignete Maßnahmen zur Verfügung stünden.

Kunst und Kultur seien – als unerlässliche Bausteine einer freien demokratischen Gesellschaft – jedenfalls mehr als nur ein "Luxusgut".

Der Individualantrag gründe sich auch auf den Umstand, dass den Betroffenen ein erheblicher finanzieller Schaden entstanden sei, primär aber auf die fehlende Verhältnismäßigkeit der Eingriffe in die geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte.

1.2.2. Die 4. COVID-19-SchuMaV verstoße nicht nur gegen §4 Abs1 sowie §1 Abs7 COVID-19-MG, sondern auch gegen Art18 B-VG. Die verordnungserlassende Behörde sei mit dem bloßen Verweis auf die rechtlichen Begründungen zur ersten bis 3. COVID-19-SchuMaV ihrer Pflicht zur Grundlagenerforschung sowie zur aktenmäßigen Dokumentation nicht hinreichend nachgekommen. Dass gelindere Mittel nicht ausreichten, lasse sich der Begründung in Zusammenschau mit aktuellen Forschungs- und Studienergebnissen nicht entnehmen.

1.2.3. Art17a StGG schütze das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst und die Lehre der Kunst. Jedenfalls erfasst seien das Recht des Künstlers zur Darbietung seines Werkes und die öffentliche Darbietung vor und mit Publikum. Durch die COVID-19-SchuMaV werde in den Schutzbereich des Art17a StGG zum Schutz des Rechtes auf Leben eingegriffen, ein legitimes öffentliches Interesse sei sohin zweifellos gegeben. Es fehle jedoch – vor allem in einer Gesamtbetrachtung mit anderen Maßnahmen der COVID-Gesetzgebung – an der Adäquanz der angefochtenen Maßnahmen, da aus der rechtlichen Begründung zur 4. COVID-19-SchuMaV nicht hervorgehe, dass das absolute Veranstaltungs- und Betretungsverbot das gelindeste Mittel wäre.

1.2.4. Die Kunst sowie ihre Darbietung und die Verbreitung von Kunstwerken seien von der Meinungsäußerungsfreiheit des Art10 EMRK erfasst. Auch im Hinblick auf dieses Grundrecht erwiesen sich die Maßnahmen als nicht verhältnismäßig, diesbezüglich werde auf die Ausführungen zu Art17a StGG verwiesen.

1.2.5. Mit dem für den Kunst- und Kulturbereich geschaffenen Veranstaltungs- und Betretungsverbot gemäß §12 Abs1 iVm §12 Abs3 der 4. COVID-19-SchuMaV werde in das Recht der antragstellenden Parteien auf Unverletzlichkeit des Eigentums gemäß Art5 StGG eingegriffen, da ein freier Abschluss privatrechtlicher Verträge – der Verkauf ihrer künstlerischen Erzeugnisse – nicht mehr möglich sei. Das Betretungsverbot betreffend Kunst- und Kulturstätten erscheine mit Blick auf die mit der 4. COVID-19-SchuMaV in der Stammfassung BGBl II 58/2021 unter Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorgenommenen Lockerungen betreffend die Museen, andere Kunststätten, den Handel und religiöse Veranstaltungen zur Zielerreichung nicht geeignet und überdies auch nicht verhältnismäßig. Jüngste Studien zeigten, dass Ansteckungen gerade nicht auf den Kunst- und Kulturbereich, insbesondere auf geschlossene (Theater-)Räume, zurückzuführen seien, vielmehr sei dort die Ansteckungsgefahr gering und könne die Hälfte der Plätze gefahrlos belegt werden. Gelindere Mittel – wie etwa die Reduktion des Publikums in Relation zur Größe des Veranstaltungsraumes, schachbrettmusterartig oder sonst tauglich angeordnete, individuell zugewiesene Sitzplätze, Lüftungskonzepte, Eintritts(schnell-)tests oder eine FFP2-Maskenpflicht – reichten aus.

1.2.6. Durch das Veranstaltungs- und Betretungsverbot für Kunst- und Kulturstätten werde den antragstellenden Parteien die Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit verunmöglicht und daher auf Grund der Alternativlosigkeit besonders schwer in ihr Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit gemäß Art6 StGG eingegriffen. Der Infektionsschutz könne unzweifelhaft auch durch gelindere Mittel – wie etwa durch die Schaffung von Ausnahmetatbeständen oder die Möglichkeit des Betretens unter Einhaltung eines Sicherheitskonzeptes – erreicht werden, das Verbot sei nicht verhältnismäßig.

1.2.7. Die differenzierte Behandlung künstlerischer bzw kultureller Veranstaltungen einerseits und religiöser Veranstaltungen andererseits durch die angefochtenen Bestimmungen widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz. Beide Veranstaltungsformen seien hinsichtlich der Raumgröße, der Anzahl teilnehmender Personen, der Einhaltung von Sicherheitsabständen, der Möglichkeit des Tragens von MNS-Masken, der Möglichkeit verpflichtender (Einlass-)COVID-Tests sowie der Möglichkeit der Erstellung und Einhaltung von Sicherheitskonzepten vergleichbar. Vom Schutzbereich des Grundrechtes der Kunstfreiheit und der Religionsfreiheit seien die Abhaltung von Veranstaltungen und die Teilnahme einzelner Personen daran erfasst. Sowohl die Teilnahme an kulturellen als auch an religiösen Veranstaltungen könne zu einer Infektion mit COVID-19-Viren führen. Bei diesen Veranstaltungsformen sei sohin von gleichen Sachverhalten auszugehen, die eine unterschiedliche Beurteilung und eine rechtliche Differenzierung ohne sachliche Rechtfertigung verbieten würden. Der Verordnungsgeber stütze sich unrichtigerweise auf den Umstand, religiöse Veranstaltungen würden in den "inneren Bereich" von Religionsgemeinschaften fallen, zumal ein Verbot religiöser Veranstaltungen nicht dazu führe, die Autonomie von Religionsgemeinschaften in der Verkündung der von ihnen gelehrten Heilswahrheiten und der praktischen Ausübung ihrer Glaubenssätze einzuschränken. Veranstaltungen hätten keinen rein innerreligiösen Charakter, die Handlungen träten nach außen, sie seien sohin im Sinne der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen. Zwar könne die Religionsausübung als Teil der Ausübung täglicher Bedürfnisse qualifiziert werden, dies hänge jedoch von der persönlichen Lebensgestaltung ab und könne auch auf den Besuch kultureller Veranstaltungen zutreffen. Die Legalisierung allein religiöser Veranstaltungen führe zu einer Reihung von Grundrechten, die sich einer sachlichen Begründung und nachvollziehbaren Systematik entziehe und unzweifelhaft eine gleichheitswidrige Besserstellung des Grundrechtes auf Glaubens- und Gewissensfreiheit bewirke. Eine zeitgleiche Öffnung kultureller Veranstaltungen unter Vorgabe und Beachtung entsprechender Sicherheitsmaßnahmen und -konzepte wäre erforderlich gewesen. Die Regelung sei aus diesem Grund verfassungswidrig.

2. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (im Folgenden: BMSGPK) hat als verordnungserlassende Behörde die Akten betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der er die Zulässigkeit des Antrages bestreitet und den Bedenken der antragstellenden Parteien wie folgt entgegentritt:

2.1. In der Sache betont der BMSGPK eingangs, den antragstellenden Parteien sei uneingeschränkt zuzustimmen, dass es keine Hierarchie von Grundrechten gebe. Dies zeige auch die im Antrag dargestellte Entwicklung der Rechtslage auf, die einen steten Ausgleich konfligierender Interessen widerspiegle. Die rasche Änderung der Rechtslage sei dem gesetzlichen Auftrag geschuldet, Maßnahmen nur im erforderlichen Ausmaß zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 zu setzen. Gerade diese Kurzlebigkeit demonstriere, dass im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzipes jeweils nur die auf der Grundlage der aktuellen epidemiologischen Situation unbedingt erforderlichen Maßnahmen gesetzt würden.

Die komplexe Gesamtabwägung aller beteiligten Interessen berücksichtige auch gesellschaftliche Auswirkungen, dies sei am Beispiel der Öffnung des Gruppentrainings für Kinder und Jugendliche mit der 4. COVID-19-SchuMaV, BGBl II 58/2021, idF BGBl II 111/2021 zu sehen.

Das seuchenrechtliche Vorsorgeprinzip erfordere eine Gefährdungsprognose ex ante. Zwar lasse sich ex post nicht beziffern, welche Gefahren konkret und tatsächlich abgewendet werden konnten, doch würden die Prognosen erahnen lassen, welche Schäden durch unzureichende Regulierungen nicht nur für behandlungsbedürftige Personen, sondern auch für die Gesamtgesellschaft zu erwarten gewesen wären.

Entgegen der Annahme der antragstellenden Parteien dienten die Maßnahmen nicht nur dem Lebens- und Gesundheitsschutz des Einzelnen bzw der besonders vulnerablen Personen (Risikogruppen), sondern auch dem Fremdschutz und darüber hinaus – wie der Verfassungsgerichtshof ausdrücklich erkannt habe – auch dem Schutz der Gesundheit durch Schutz der Funktionsfähigkeit der Gesundheitsinfrastruktur. Der Schutz der Rechte Dritter sei ein eigenständiges, legitimes Schutzziel zur Einschränkung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte. Die infrastrukturbezogene Komponente komme überdies in §5 COVID-19-MG besonders deutlich zum Ausdruck. Ein Kollaps des Gesundheitssystems und eine damit einhergehende "Triagesituation" habe Auswirkungen auf jede Person, die medizinische Hilfe in Anspruch nehmen müsse. Die Regelungen dienten damit dem Gesundheitsschutz potenziell jeder Person in Österreich. Dass ein Kollaps nicht bloß als unrealistisches Szenario abgetan werden dürfe, hätten insbesondere die Entwicklungen im Rahmen der dritten Welle deutlich vor Augen geführt.

Das konkrete Gewicht der geschützten Rechtsgüter Leben und Gesundheit sei – wie noch zu zeigen sein werde – anhand der jeweiligen epidemiologischen Ausgangssituation und der konkreten Interessenlagen abgesteckt worden und in die Verhältnismäßigkeitsprüfung eingeflossen.

2.2. Insoweit die antragstellenden Parteien vorbringen, die angefochtenen Verbote würden gegen §4 Abs1 und §1 Abs7 COVID-19-MG und sohin auch gegen das Legalitätsprinzip gemäß Art18 B-VG verstoßen, werde einleitend darauf hingewiesen, dass §12 und §13 der 4. COVID-19-SchuMaV ihre gesetzliche Grundlage in §3 Abs1 Z1 COVID-19-MG bzw in §15 Epidemiegesetz 1950 fänden. Schon deshalb liege die behauptete Gesetzwidrigkeit nicht vor.

Darüber hinaus erfülle der vorgelegte Verordnungsakt die vom Verfassungsgerichtshof aufgestellten Anforderungen an die Dokumentation. Er enthalte nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine fachliche Begründung für die getroffenen Maßnahmen, in der sämtliche Parameter des §1 Abs7 COVID-19-MG gründlich ausgewertet und abgewogen worden seien:

Angesichts der epidemiologischen Ausgangslage und der Empfehlung der Corona-Kommission, die vor dem Hintergrund dieser Ausgangslage die Verlängerung präventiver Maßnahmen der Kontaktreduktion ausdrücklich empfohlen habe, habe der BMSGPK die Betretungs- und Veranstaltungsverbote verlängert. Eine Lockerung im Sinne einer Aufhebung der Kontaktverbote im Kulturbereich sei vor dem Hintergrund der Gefahren durch die Virusmutationen und der höchst unsicheren epidemiologischen Lage zu diesem Zeitpunkt unvertretbar gewesen. Vielmehr habe es einer behutsamen und schrittweisen Öffnung insbesondere in Bereichen, die nicht durch ein gleichzeitiges Zusammenströmen von Menschen in Innenräumen bei gleichzeitig langem Verweilen gekennzeichnet sind, bedurft. Die Öffnung von Veranstaltungen sei vom verordnungserlassenden Organ als besonders problematisch erachtet worden, das komme auch in der rechtlichen Begründung zur 2. COVID-19-SchuMaV zum Ausdruck. Aus einer fehlenden Clusterzuordnung zu Veranstaltungen oder Kultureinrichtungen lasse sich noch nicht schließen, dass dort keine Infektionen stattfinden würden. Eine Clusteranalyse sei auch nur einer von mehreren bei der Bewertung der epidemiologischen Lage zu berücksichtigenden Faktoren gemäß §1 Abs7 COVID-19-MG.

Nach Ansicht des BMSGPK seien auch die Entscheidungsgrundlagen ordnungsgemäß dokumentiert worden. Im Falle der Parallelität der Interessengewichtung und der Vergleichbarkeit der epidemiologischen Erfordernisse (in Form der Notwendigkeit einer Reduktion der sozialen Kontakte und der Mobilität bzw deren Aufrechterhaltung) sei ein Verweis auf Begründungen zu entsprechenden Vorgängerregelungen ausreichend. Insbesondere die in der rechtlichen Begründung zur COVID-19-SchuMaV, BGBl II 463/2020, zu §12 getroffenen Aussagen (typisches Zusammenkommen größerer Menschenmengen, Vermischen epidemiologischer Einheiten, Risiken von Veranstaltungen) seien für den Kulturbereich weiterhin kennzeichnend.

Aus dem Verordnungsakt und den in diesem verwiesenen Dokumenten gehe somit eindeutig hervor, dass der Verordnungserlassung ein umfassendes Ermittlungsverfahren vorangegangen sei und die Anforderungen an eine ausreichende Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sohin erfüllt seien. Die behauptete Verletzung des Art18 Abs2 B-VG liege somit nicht vor.

2.3. Es treffe zu, dass die durch §12 und §13 der 4. COVID-19-SchuMaV normierten Beschränkungen der Art und Weise der Präsentation der Kunst (faktisch das Verbot des Zurschaustellens vor Publikum) einen gravierenden Eingriff in die Kunstfreiheit darstellten, zumal auch die kommunikative Begegnung zwischen den Akteuren und einem Publikum beim Theater vom Schutzbereich des Art17a StGG erfasst sei. Art17a StGG verbürge jedoch kein "Recht auf Zugang zur Kunst".

Eine intentionale Beschränkung der Kunstfreiheit durch §12 und §13 der 4. COVID-19-SchuMaV sei zu verneinen; weder sei es deren Regelungsziel, das künstlerische Schaffen an sich einzuengen, noch träfen die Auswirkungen der seuchenrechtlichen Regelungen vor allem die Kunst. Es handle sich vielmehr um ein "allgemeines Gesetz", dem eine hinreichende Interessenabwägung zugrunde liege.

Die Ausnahmen hinsichtlich Museen, Kunsthallen, kultureller Ausstellungshäuser, Bibliotheken, Büchereien und Archiven belegten im Übrigen eine Auseinandersetzung des Verordnungsgebers mit den widerstreitenden Interessen der Kultur, weshalb keinesfalls eine Verletzung des Art17a StGG vorliege.

2.4. Auch sei die Meinungsäußerungsfreiheit gemäß Art10 EMRK berührt, jedoch – auf Grund der bereits dargelegten Überlegungen – aus Sicht des BMSGPK nicht verletzt.

2.5. Nach Ansicht des BMSGPK stellten §12 und §13 der 4. COVID-19-SchuMaV auch einen (gravierenden) Eingriff in das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums gemäß Art5 StGG dar, da das Veranstaltungs- und Betretungsverbot in seinen Auswirkungen einem weitgehenden Betriebsverbot gleichkomme. Auch dieser Eingriff erweise sich als gerechtfertigt, da sich schon aus den maßgeblichen Eigenschaften des Erregers und seiner Übertragungswege die Eignung des Betretungs- bzw des Veranstaltungsverbotes ergebe.

Zur Frage der Entschädigungspflicht werde auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Juli 2020, G202/2020, verwiesen. Auch die Kulturschaffende betreffenden COVID-19-Maßnahmen seien in ein System staatlicher Ausgleichsleistungen eingebettet. Diverse Fonds, Beihilfen, Zuschüsse, Boni, indirekte Hilfen und spezifisch kunstbezogene Förderungen seien vorgesehen.

Es liege daher keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Eigentum gemäß Art5 StGG vor.

2.6. Der BMSGPK verkenne nicht das Gewicht der sich aus §12 und §13 der 4. COVID-19-SchuMaV für die antragstellenden Parteien ergebenden Beschränkung für die Erwerbsausübung. Der Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung gemäß Art6 StGG sei jedoch nach Ansicht des BMSGPK ebenfalls gerechtfertigt.

2.7. Soweit die antragstellenden Parteien in der Differenzierung zwischen religiösen und kulturellen Veranstaltungen eine unsachliche Gleichbehandlung und damit eine Verletzung des Gleichheitssatzes sehen, sei darauf hinzuweisen, dass der Vergleich mit nur einer von mehreren Ausnahmen (Bildungsbereich, Gesetzgebung und Vollziehung) zu kurz greife, da er das Gesamtgefüge der Norm verkenne.

2.8. Im Ergebnis würden sohin die Bedenken der antragstellenden Parteien allesamt nicht zutreffen, die behauptete Gesetz- bzw Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen liege nicht vor.

3. Die antragstellenden Parteien haben eine Replik erstattet.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit

1.1. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B?VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art139 Abs1 Z3 B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung – im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 13.944/1994, 15.234/1998, 15.947/2000).

1.2. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfenden Verordnungsbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Normenprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Teil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Stelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

1.3. Eine zu weite Fassung des Antrages macht diesen nicht in jedem Fall unzulässig. Zunächst ist ein Antrag nicht zu weit gefasst, soweit der Antragsteller solche Normen anficht, durch die seine (rechtlich geschützten) Interessen aktuell beeinträchtigt sind und die mit diesen in untrennbarem Zusammenhang stehen; dabei darf aber nach §57 Abs1 VfGG nicht offen bleiben, welche Vorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des Antragstellers aus welchem Grund aufgehoben werden soll (siehe mwN VfGH 2.3.2015, G140/2014 ua; vgl auch VfGH 10.12.2015, G639/2015; 15.10.2016, G103/2016 ua).

1.4. Mit ihrem auf Art139 Abs1 Z3 B-VG gestützten Antrag begehren die antragstellenden Parteien, (näher bezeichnete Bestimmungen der) §12 und §13 der 4. COVID-19-SchuMaV, BGBl II 58/2021, "in der geltenden Fassung, zuletzt geändert durch die 2. Novelle der Verordnung BGBl II Nr 94/2021" als gesetz- bzw verfassungswidrig aufzuheben:

1.4.1. Dass die antragstellenden Parteien die Bestimmungen nicht exakt in der von ihnen angefochtenen Fassung bezeichnen, schadet hier nicht, weil es für den Verfassungsgerichtshof – mit Blick auf die im Antrag (teilweise) wiedergegebenen Normen, unter Berücksichtigung der im Antrag dargelegten Bedenken und mit Blick auf den Antragszeitpunkt – eindeutig zu erschließen ist, welche Fassungen angefochten werden (vgl VfGH 24.2.2020, G249/2019 ua; 1.10.2020, G272/2020 ua).

1.4.2. §12 und §13 der 4. COVID-19-SchuMaV sind gemäß §26 Abs1 der 4. COVID-19-SchuMaV, BGBl II 58/2021, idF BGBl II 206/2021 am 18. Mai 2021 außer Kraft getreten. Dies schadet mit Blick auf die mit

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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