TE Vwgh Beschluss 2021/10/7 Ra 2021/21/0289

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Veröffentlicht am 07.10.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §21 Abs7
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des H S D, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währinger Straße 3/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 5. August 2021, W124 2234634-1/5E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der 1981 geborene Revisionswerber, ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet im Juli 2003 einen Asylantrag, der - ebenso wie ein Folgeantrag - erfolglos blieb. Nach der Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin im Jahr 2005 wurde dem Revisionswerber zunächst eine darauf gegründete Niederlassungsbewilligung und nach der Scheidung im Jahr 2007 eine „Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt“ erteilt. Seit August 2010 verfügt er über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“. Die im Jänner 2011 im Heimatland geehelichte nunmehrige Ehefrau des Revisionswerbers, eine indische Staatsangehörige, erhielt im März 2013 einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ und hält sich seither im Bundesgebiet rechtmäßig auf. Dieser Beziehung entstammt der im Jänner 2014 geborene Sohn, der in Österreich zur Schule geht.

2        Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 20. Juni 2018 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, aus der er nach Verbüßung von zwei Drittel der Freiheitsstrafe unter der Anordnung von Bewährungshilfe für den Zeitraum der fünfjährigen Probezeit und der Weisung, sich einer weiterführenden einjährigen Psychotherapie zu unterziehen, im Juli 2020 bedingt entlassen wurde. Dem Schuldspruch lag zugrunde, der Revisionswerber habe fünf Mal, nämlich am 20. Dezember 2014, zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt zwischen September und Dezember 2016, am 28. Jänner 2018, am 17. Februar 2018 und am 16. März 2018, jeweils eine Frau (auf im angefochtenen Erkenntnis näher beschriebene Weise) mit Gewalt zur Duldung des Beischlafes oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht.

3        Daraufhin erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 31. Juli 2020 gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG stellte das BFA fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Indien zulässig sei. Weiters wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG festgelegt.

4        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 5. August 2021 als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Bei der für die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot anzustellenden Gefährdungsprognose ging das BVwG davon aus, dass mit der vorliegenden strafgerichtlichen Verurteilung der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 5 FPG erfüllt und deshalb die Annahme im Sinne des § 52 Abs. 5 FPG gerechtfertigt sei, dass der Aufenthalt des Revisionswerbers eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Angesichts der Schwere der Straftaten, der Tatwiederholungen und des langen Tatzeitraums sei der seit der Haftentlassung verstrichene Zeitraum von rund einem Jahr zu kurz, um eine Zukunftsprognose zugunsten des Revisionswerbers treffen zu können. In diesem Zusammenhang hob das BVwG hervor, dass sich die Delinquenz des Revisionswerbers im Laufe der Zeit kontinuierlich gesteigert habe, da der Zeitraum zwischen den Taten zuletzt nur wenige Wochen betragen habe. Aus dem Umstand, dass die Straftaten „nicht situativ bedingt“, sondern vom Revisionswerber mit der Absicht, sein Bedürfnis, im Freien mit fremden Frauen Geschlechtsverkehr durchzuführen, durch Begehung strafbarer Handlungen zu befriedigen, konkret geplant gewesen seien, sei auf ein hohes Gefährdungspotenzial des Revisionswerbers und auf eine „massive Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ zu schließen. Erschwerend sei dabei auch zu werten, dass der Revisionswerber nach alkoholisierten und dadurch vermeintlich wehr- und hilflosen Opfern Ausschau gehalten habe. Die Tatsache, dass die Taten stets beim Versuch geblieben seien, werde dadurch relativiert, dass der Revisionswerber nur wegen des massiven Widerstands seiner Opfer die strafbaren Handlungen nicht vollenden habe können.

6        In seiner Interessenabwägung berücksichtigte das BVwG den langjährigen Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet, daneben auch seine Beschäftigung im Zeitraum November 2005 bis April 2018, das Bestehen eines Bekanntenkreises und des regelmäßigen Kontaktes zu seinem in Österreich lebenden Bruder und dessen Familie sowie vor allem die familiären Bindungen zu seiner Ehefrau und seinem minderjährigen Kind, mit denen der Revisionswerber sowohl vor als auch nach der Haft im gemeinsamen Haushalt gelebt habe bzw. lebe. Da eine Übersiedlung der Ehefrau und dem Sohn des Revisionswerbers nach Indien nicht zumutbar sei, werde von einem schwerwiegenden Eingriff in das Recht des Revisionswerbers auf Familienleben ausgegangen, der jedoch in Anbetracht des großen Gewichts des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung wegen seiner gravierenden und lang andauernden Straffälligkeit gerechtfertigt sei. Im Hinblick auf das Kindeswohl nahm das BVwG darauf Bedacht, dass die Ehefrau des Revisionswerbers während seines Gefängnisaufenthaltes den Lebensunterhalt für sich und den gemeinsamen Sohn durch ihre eigene Erwerbstätigkeit finanzieren habe können, sodass eine Rückkehr des Revisionswerbers in den Herkunftsstaat keine maßgeblichen Auswirkungen auf den Unterhalt seines Sohnes habe. Davon ausgehend gelangte das BVwG zum Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit schwerer wiege als das Interesse des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet, zumal er nach wie vor über soziale und familiäre Anknüpfungspunkte in seiner Heimat verfüge, in der auch seine Eltern und weitere Verwandte leben würden, sodass eine Rückkehr zumutbar und möglich erscheine. Die Befristung des Einreiseverbotes auf zehn Jahre sei angesichts des gravierenden strafrechtlichen Fehlverhaltens nicht zu beanstanden.

7        Die Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben können, da sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die Interessenabwägung ein eindeutiger Fall im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliege und der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.

9        Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

11       Zur Begründung ihrer Zulässigkeit macht die Revision der Sache nach geltend, das BVwG sei sowohl hinsichtlich der Gefährdungsprognose als auch bezüglich der Verhandlungspflicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.

12       Soweit die Erwägungen des BVwG zur Gefährdungsprognose als unvollständig gerügt werden, trifft dieser Vorwurf nicht zu. Das BVwG hat in dieser Hinsicht ausreichende Feststellungen getroffen, um in weiterer Folge aufgrund der konkreten Tatumstände, wie die geplante Vorgangsweise bei den Tathandlungen und die immer kürzer werdenden Zeitabstände zwischen den Straftaten, auf ein besonders großes Gefährdungspotenzial beim Revisionswerber zu schließen. Angesichts dessen und eingedenk der Schwere des wiederholt versuchten Verbrechens der Vergewaltigung ist die Prognosebeurteilung auch unter Einbeziehung der langjährigen Unbescholtenheit des Revisionswerbers vor der Straftat jedenfalls zutreffend. Wie bereits das BVwG ausgeführt hat, ist im Übrigen nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Annahme eines Wegfalls der sich durch das bisherige Fehlverhalten manifestierten Gefährlichkeit eines Fremden - auch nach Absolvierung einer Therapie - in erster Linie das gezeigte Wohlverhalten in Freiheit maßgeblich (vgl. etwa VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0276, Rn. 10, mwN). Das gilt im vorliegenden Fall im Besonderen, weil das strafrechtliche Fehlverhalten des Revisionswerbers unbestritten im Zusammenhang mit seinen psychotherapeutisch zu behandelnden sexuellen Bedürfnissen steht und diesbezüglich die Therapie gerade erst beendet wurde. Dass das BVwG den Zeitraum seit der Haftentlassung vor allem in Anbetracht der Tatwiederholungen und des langen Tatzeitraums, in dem die Vergewaltigungsversuche stattfanden, als zu kurz für eine positive Zukunftsprognose erachtete, ist aber nicht zu beanstanden. Der Hinweis in der Revision auf das (erstmalige) Verspüren des „Haftübels“, die bedingte Entlassung und die Absolvierung einer Psychotherapie ist somit nicht zielführend.

13       Was das Erfordernis der Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung betrifft, erlaubt § 21 Abs. 7 BFA-VG - wie auch in der Revision ausgeführt wird - das Unterbleiben einer Verhandlung trotz deren ausdrücklicher Beantragung, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Richtig ist, dass der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang auch wiederholt darauf hingewiesen hat, bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen komme der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann allerdings eine Verhandlung unterbleiben (vgl. etwa VwGH 8.6.2021, Ra 2020/21/0211, Rn. 19, mwN).

14       Entgegen der Meinung in der Revision war es hier vertretbar, dass das BVwG in diesem Sinn von einem eindeutigen Fall in Bezug auf die Gefährdungsprognose ausgegangen ist. Dazu kann auf die Erwägungen in Rn. 12 verwiesen werden. Das trifft aber auch in Bezug auf die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG zu. Angesichts des vom Revisionswerber ausgehenden Gefährdungspotenzials, das sowohl durch das besonders verwerfliche Verbrechen der versuchten Vergewaltigung als auch durch die konkreten Umstände der geplanten und in immer kürzer werdenden Zeitabständen mit zunehmender Gewaltbereitschaft ausgeführten Tathandlungen zum Ausdruck kommt, haben der Revisionswerber und seine Angehörigen nämlich eine Trennung im großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten der vorliegenden Art jedenfalls hinzunehmen. Der Revision gelingt es somit nicht, im vorliegenden Fall maßgebliche grundsätzliche Rechtsfragen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 7. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210289.L00

Im RIS seit

11.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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